Aus Afrika und Spanien machen sich die Weißstörche auf den Weg zu uns. Doch manche Nester bleiben leer. Kümmern wir uns gemeinsam darum, die Zugvögel auf ihrer weiten Reise zu schützen.
Mehr Informationen zur Patenschaft!Nationalvogel, Flaggschiff des Naturschutzes, Kinderbringer
Zur Kulturgeschichte des Weißstorches
Wofür stand der Storch und was wurde im Laufe der Zeiten daraus? Ist er immer der Gleiche, über die Kulturen hinweg? Eine Analyse seiner Aufnahme in die Kultur der Jahrhunderte und – in seinem Fall ist der Rückblick überaus ergiebig – Jahrtausende zeigt: Nahezu „immer schon“ wurde er als Fläche für menschliche Projektionen genutzt, kaum jemals mit negativer Konnotation. DUVE und VÖLKER (1999) formulieren dies in ihrem geistreichen „Lexikon der berühmten Tiere“ sehr eingängig: „Jeder findet in seinem Lieblingstier, was er sucht und jeder sucht bloß sich selbst … Ähnlich soll es uns sein … Sein Leben gleicht bis ins Detail dem in der Menschenwelt.“ Im Folgenden wird herausgearbeitet, welch gute und erfolgreiche Wahl der DBV/NABU einst traf!
Vordergründig wird beim Weißstorch an den Frühlingsboten, Glücks- und Kinderbringer gedacht, an letzteren wohl immer mit dem wissenden Schmunzeln vom Sexuellen. Doch reicht seine Geschichte in der Kultur sehr viel weiter zurück und der Kinderbringer, heute mehr der Kindermacher, ist nur der kleine letzte Abschnitt dieser Entwicklung.
Positives Image im altägyptischen Pharaonenreich
Ausreichend sicheres Wissen dazu haben wir aus dem altägyptischen Pharaonenreich. Die Ägypter meinten, erkannt zu haben, dass die jungen Störche ihre Eltern versorgten, wenn deren Kräfte im Alter nachließen. Bereits der Pharao CHA-BA (um 2670 v. Chr.) nutzte dieses überaus positive Image – für das biologische Belege fehlen – in seinem in Hieroglyphen visualisierten Namen, in dem der Storch bildlich integriert ist.
Die Griechen der Antike als große Nachfolgekultur übernahmen diesen attraktiven Mythos und formten ihn weiter aus. Sie schufen den Begriff der Antipelargesis (anti: zurück/erwidern, pelargos: Storch), eine Art Rückgabepflicht oder „Storchendank“. Sie gingen soweit, diese Haltung in ein Lex antipelargesis (Storchengesetz) zu gießen, das die jungen Athener zu Dank und Pflichterfüllung ihren Altvorderen gegenüber anhielt, modern gesprochen eine Art Rentenversicherung.
Die Moral von der Geschicht…
Fast amüsant wirkt heute, dass sich der Begriff Antipelargesis stark aufweitete und noch im Deutschen Wörterbuch der GEBRÜDER GRIMM (1854) geführt wird. Er bezeichnet dort auch so nüchterne Vorgänge wie die Rückgabe von Geld nach einem Kredit. In der Fabel AESOPS (um 600 v. Chr.) „Der Landmann und der Storch“ scheint dies auf. Der Landmann (Landwirt) hatte Netze gegen Kraniche als „Schädlinge“ aufgestellt, auch ein Storch hatte sich verfangen. In seiner großen Not stellte der sich lahm, bat um seine Freiheit, berief sich auf sein gutes Herz und die Ehrerbietung, womit er seine Eltern unterstütze, auf seine Verdienste in Tilgung schädlicher Tiere und wie er ja schon dem Äußeren nach den Kranichen nicht ähnlich sei. „Alles gut“, habe der Landmann geantwortet, „allein ich behandele dich nach deiner schlechten Gesellschaft!“ Diese Fabel ist heute unter der „Moral von der Geschicht“ bekannt geblieben: Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen!
Die Römer, die nächste große kulturelle Epoche der Antike, übernahmen den Mythos, erweiterten ihn in ihrem Lex ciconaria und pervertierten ihn letztlich sogar. Sie stellten den Weißstorch als Symbol an die Seite der Pietas, der tragenden Staatstugend der frommen Ehrerbietung und Pflichterfüllung den Eltern, den Alten, den Göttern, dem Staat und – neu bei den Römern – auch den militärischen Befehlshabern gegenüber. So trug die große Legion III Italica in Raetien, dem heutigen Österreich/Ungarn, den Storch in ihrem Emblem. „Storchendank“ bis in den Tod?
Der Storch scheint Vater und Mutter zu ehren
Auch in die aufstrebende christliche Kirche hinein wirkte der Mythos vom Storch. Die frühen Kirchenväter des 3. und 4. Jh. n. Chr. sahen in ihm das vierte Gebot verwirklicht, denn der Storch schien Vater und Mutter zu ehren. Diese Storchensymbolik des vierten Gebots fand sich in Mitteleuropa noch bis in die Zeit der Gotik, so unter anderem in Form von vier steinernen Störchen an den Türmen des Straßburger Münsters.
Und eine weitere „Tugend“ des Storches ließ sich in christlichem Kontext nutzen. Der Storch frisst „niederes“ Getier, insbesondere Schlangen, die als gefährlich galten und nach dem Fehlverhalten von Adam und Eva mit dem Teufel im Bunde gesehen wurden. Der Storch wurde zum Gegenspieler der Schlange, des Teufels, bis dahin, dass er als Sinnbild für und in der Zuspitzung sogar als Christus selbst wahrgenommen wurde. Hierzu finden sich zahlreiche bildliche Belege noch aus dem späten Mittelalter im Übergang zur Neuzeit.
Erfolgreich gegen das Böse
Eine Bronzeplastik um 1900, präsentiert im Westfälischen Storchenmuseum, verdeutlicht dies. Der Storch ringt mit einer sich bedrohlich um seinen Hals windenden überlangen Schlange. Sie wird jedoch unterliegen. Der Storch steht bereits auf einem Eichenbaum, langes beziehungsweise ewiges Leben symbolisierend. Der Baum wird getragen von drei Geburtshelferkröten, dem Sinnbild neuen entstehenden Lebens, auch Symbol der Hebammen. Das Wissen um den Storch als Erlöser des Bösen ist heute weitgehend erloschen. Es wird aber mit Sicherheit in unserem positiven Gefühl dem Storch gegenüber komprimiert erhalten geblieben sein. Allein wenn wir den Storch schön finden, er „stolziert“ und wenn wir ihn nur „gern“ sehen (nicht jedoch den Reiher), tragen wir die Kulturgeschichte ein Stück weiter. Wie konnte ALFRED BREHM nur formulieren: „Er erscheint uns würdevoll“, als wäre beispielsweise der Spatz (Dreckspatz) nicht würdevoll?
Spagat zwischen Unbeflecktheit und Geschlechtsakt
Das überaus positive, im Kern „heilige“ Image des Storchs nutzten pietistische Strebungen, die sich nach der Reformation etablierten. Sie taten sich in der Folge des Apostels Paulus schwer mit allem „Fleischlichen“, insbesondere der Sexualität. Sie fand nicht statt, allenfalls verblümt. Mit dem Storch gelang das hervorragend: Er brachte der Frau das Kind „vom Himmel hoch…“, asexuell, rein, ein-geboren. Das Neugeborene war damit unschuldig, frei von der offenbar sexuell weitergebbaren Erbsünde in der Folge Adams und Evas Sündenfall, verbunden mit deren schamhaft-reuigen Wahrnehmung ihrer Sexualität. Im Storch als Kinderbringer gelang ein fast unglaublich zu nennender Spagat: reine Unbeflecktheit einerseits, und doch Symbolisierung des sündigen Geschlechtsaktes.
Wenn „Die Sache mit dem Storch“ (Buchtitel HAGEN und HAGEN 1993) angesprochen wird, drängt sich die sexuelle Attitüde schnell auf. Doch schauen wir genau hin: wird ein Holzstorch auf das Haus eines jung vermählten Paares gestellt, so kommt dieser eigentlich neun Monate zu früh! Er zeigt daher an, dass ab diesem Zeitpunkt Sexualität legal praktiziert werden darf. Das Paar ist nicht mehr eines unkeuschen Verhaltens verdächtig.
So gesehen ist es viel zu kurz gegriffen, wenn wir „aufgeklärt“ das Kinderbringertum des Storchs als bloßen Kitsch abtun. Es ist eingebunden in die lange, ganz überwiegend positiv getönte Kulturgeschichte des Storchs, die nachvollziehbar mindestens vor 5000 Jahren begann. Man kann sich im Übrigen erst aufgeklärt von etwas distanzieren, wenn wir es verstanden haben. Wenn nicht, geben wir es unbemerkt und unkontrolliert weiter, indem wir den Weißstorch bloß als „besonderen“ Vogel sehen, „schön“, oder seinen Gang als „Stolzieren“ erkennen möchten. Mythen wirken „unbewusst“ vermutlich viel nachhaltiger, denn sie werden nicht mehr einer Prüfung unterzogen und ggf. verworfen.
Der Schwarzstorch als Bote des höchsten Gottes Odins
Der Schwarzstorch, ebenfalls ein Kleinod des Naturschutzes, findet ungleich weniger öffentliche Zuwendung. Aufgrund seiner eher heimlichen Lebensweise, vielleicht aber allein schon wegen seiner düsteren Farbe, blieb er ein „schwarzer Geselle“. In verschiedenen Kulturen wurde ihm sogar angehängt, kranke oder „Zigeunerkinder“ zu bringen. Doch war dies keineswegs immer so. Im nahezu flächendeckend bewaldeten Germanien (und Skandinavien) – Habitate, die der Weißstorch aufgrund seiner Lebensweise nicht besiedeln konnte – war der Schwarzstorch als Bote des höchsten Gottes Odins angesehen. Im Auftrag der Holda holte Ciconia nigra die Seelen aus einem präexistenten Reich, die sich im Augenblick des ersten Schreis unter der Geburt mit dem Körper zum ganzen Menschen vereinte.
Vieles aus vorchristlichen Zeiten konnte sich – heute kaum noch erkannt – bis in die Neuzeit erhalten, so auch die Wasserherkunft der Kinder. Über mehrere Jahrhunderte begegneten sich die germanischen Götter und der Christengott und gingen Verbindungen ein. Verschiedene Weihnachtsbräuche sind hier sicher am bekanntesten.
Der Weißstorch löst den Schwarzstorch ab
Sehr schön lässt sich diese „Gemengelage“ am Dresdner Queckenborn zeigen, einem von vielen heute noch existierenden Kinderbrunnen. 1461 erstmals urkundlich erwähnt, somit mehrere Jahrhunderte vor der Tätigkeit des Weißstorchs, machte die Ingestion seines Wassers „aus unfruchtbaren Frauen gesegnete Mütter.“ Der Kult um diesen Brunnen – über einige Zeit stand ihm sogar eine Wallfahrtskappelle zur Seite – trat in Konflikt mit der Kirche. Dieser wurde gewissermaßen abgefedert, indem dem Brunnen 1735 eine Storchenskulptur aufgesetzt wurde. Dies war dann „natürlich“ bereits ein Weißstorch, der alle christlichen Tugenden mitbrachte. 1945 wurde die Skulptur kriegsbedingt zerstört und zu DDR-Zeiten 1968 erneuert, gewissermaßen in einem neuen ideologischen Spannungsfeld.
Mythen ranken sich um viele andere Vogelarten, doch welche wollte mit dem Storch konkurrieren? Der NABU ist zurecht stolz auf seinen Storch und trägt ihn gern vor sich her. Auch wenn sämtliche anderen Vogelarten „besonders“ sind und keiner die Würde abgesprochen werden sollte: eine gute Wahl und Glückwunsch an den NABU!
Alfons Rolf Bense
Buchtipp: „Der Weißstorch – Vom Vogel zum Kult“ von Alfons Rolf Bense. Westarp Wissenschaften 2017. 122 Seiten. 19,95 Euro. ISBN 978-3-86617-139-8.
Kurzfassung dieses Beitrages
Wenn die Störche im Frühjahr zurückkehren, freuen wir uns nicht einfach über eine x-beliebige Vogelart. Der Weißstorch wird besonders verehrt, das fing schon im alten Ägypten an. Mehr →
Weitere Betrachtungen des Autors
Der Weißstorch hat sich dem Menschen in seiner Lebensraum- und Nistortwahl eng angeschlossen und ist dennoch das alte Wildtier geblieben. Eindringlich symbolisiert er Tierwelt und Natur einerseits, gesellschaftliches Brauchtum andererseits. Mehr →