Aus Afrika und Spanien machen sich die Weißstörche auf den Weg zu uns. Doch manche Nester bleiben leer. Kümmern wir uns gemeinsam darum, die Zugvögel auf ihrer weiten Reise zu schützen.
Mehr Informationen zur Patenschaft!Warten auf den Kinderbringer
Der Weißstorch in der Kulturgeschichte
Mit dem Storch entschied sich der NABU vor einem halben Jahrhundert für eine Art als Wappenvogel, die wie kaum eine andere Unausgesprochenes, „tiefer Gehendes“ verkörpert. „Tiefe“ meint hier zeitlich-geschichtliche, aber auch unbewusste Tiefe, also das, was uns eben berührt, wir aber kaum oder noch nicht benennen können. Doch wofür stand er und was wurde im Laufe der Zeiten daraus?
Eine Analyse zeigt: Nahezu „immer schon“ wurde der Weißstorch für menschliche Projektionen genutzt, kaum jemals mit negativem Beigeschmack. Das „Lexikon der berühmten Tiere“ sagt hierzu sehr eingängig: „Jeder findet in seinem Lieblingstier, was er sucht und jeder sucht bloß sich selbst. Ähnlich soll es uns sein. Sein Leben gleicht bis ins Detail dem in der Menschenwelt.“
Dankbare Jungstörche?
Vordergründig wird beim Storch an den Frühlingsboten, Glücks- und Kinderbringer gedacht. Doch reicht seine Geschichte in der Kultur sehr viel weiter zurück. Schon im altägyptischen Pharaonenreich meinte man erkannt zu haben, dass die jungen Störche ihre Eltern versorgten, wenn deren Kräfte im Alter nachließen. Die Griech*innen der Antike übernahmen diesen attraktiven Irrtum und formten den Mythos weiter aus. Sie schufen den Begriff der Antipelargesis, eine Art Rückgabepflicht oder „Storchendank“. Sie gingen soweit, diese Haltung in ein „Storchengesetz“ zu gießen, das die jungen Athener*innen zu Pflichterfüllung ihren Altvorderen gegenüber anhielt, modern gesprochen eine Art Rentenversicherung.
Die Römer*innen erweiterten das Storchengesetz. Sie stellten den Weißstorch als Symbol an die Seite der Pietas, der tragenden Staatstugend der frommen Ehrerbietung und Pflichterfüllung den Eltern, den Göttern, dem Staat und sogar den militärischen Befehlshabern gegenüber. So trug die große Legion III Italica in Raetien, dem heutigen Österreich und Ungarn, den Storch in ihrem Emblem. „Storchendank“ bis in den Tod?
Gegenspieler des Teufels
Auch in die christliche Kirche hinein wirkte der Mythos vom Storch. Die frühen Kirchenväter sahen in ihm das vierte Gebot verwirklicht, denn der Storch schien Vater und Mutter zu ehren. Und eine weitere „Tugend“ des Storches ließ sich in christlichem Kontext nutzen. Der Storch frisst „niederes“ Getier, insbesondere Schlangen, die als gefährlich galten und nach dem Fehlverhalten von Adam und Eva mit dem Teufel im Bunde gesehen wurden. Der Storch wurde zum Gegenspieler der Schlange, des Teufels, bis dahin, dass er als Sinnbild für und in der Zuspitzung sogar als Christus selbst wahrgenommen wurde.
Eine Bronzeplastik um 1900, präsentiert im Westfälischen Storchenmuseum, verdeutlicht dies. Der Storch ringt mit einer sich bedrohlich um seinen Hals windenden Schlange. Sie wird jedoch unterliegen. Der Storch steht auf einem Eichenbaum, langes beziehungsweise ewiges Leben symbolisierend. Der Baum wird getragen von drei Geburtshelferkröten, dem Sinnbild neuen entstehenden Lebens, auch Symbol der Hebammen.
Kinder „vom Himmel hoch“
Das überaus positive, im Kern „heilige“ Image des Storchs nutzten pietistische Strebungen, die sich nach der Reformation etablierten. Sie taten sich in der Folge des Apostels Paulus schwer mit allem „Fleischlichen“, insbesondere der Sexualität. Sie fand nicht statt, allenfalls verblümt. Mit dem Storch gelang das hervorragend: Er brachte der Frau das Kind „vom Himmel hoch“, asexuell, rein, ein-geboren.
Götterbote Schwarzstorch
Der Schwarzstorch, ebenfalls ein Kleinod des Naturschutzes, findet ungleich weniger öffentliche Zuwendung. Aufgrund seiner eher heimlichen Lebensweise, vielleicht aber allein schon wegen seiner düsteren Farbe, blieb er ein „schwarzer Geselle“. Im nahezu flächendeckend bewaldeten Germanien und in Skandinavien – Habitate, die der Weißstorch aufgrund seiner Lebensweise nicht besiedeln konnte – war der Schwarzstorch dagegen als Bote des höchsten Gottes Odins angesehen. Im Auftrag der Holda holte er die Seelen aus einem Vor-Reich, die sich im Augenblick des ersten Schreis unter der Geburt mit dem Körper zum ganzen Menschen vereinte.
Wird heute ein Holzstorch auf das Haus eines jung vermählten Paares gestellt, so kommt dieser eigentlich neun Monate zu früh. Er zeigt vielmehr an, dass ab diesem Zeitpunkt Sexualität legal praktiziert werden darf. Dabei ist es zu kurz gegriffen, wenn wir „aufgeklärt“ das Kinderbringertum des Storchs als bloßen Kitsch abtun. Es ist eingebunden in die lange, ganz überwiegend positiv getönte Kulturgeschichte des Storchs, die vor mindestens 5000 Jahren begann.
Langlebige Mythen
Man kann sich im Übrigen erst aufgeklärt von etwas distanzieren, wenn wir es verstanden haben. Wenn nicht, geben wir es unbemerkt und unkontrolliert weiter, indem wir den Weißstorch bloß als „besonderen“ Vogel sehen oder seinen Gang als „Stolzieren“ erkennen möchten. Mythen wirken unbewusst vermutlich viel nachhaltiger, denn sie werden nicht mehr einer Prüfung unterzogen und gegebenenfalls verworfen.
Mythen ranken sich um viele andere Vogelarten, doch welche wollte mit dem Storch konkurrieren? Der NABU ist zu Recht stolz auf seinen Wappenvogel. Auch wenn sämtliche anderen Vogelarten ebenfalls „besonders“ sind und keiner die Würde abgesprochen werden sollte: eine gute Wahl und Glückwunsch an den NABU!
Alfons Rolf Bense
Buchtipp: „Der Weißstorch – Vom Vogel zum Kult“, von Alfons Rolf Bense. Westarp Wissenschaften 2017. 122 Seiten. 19,95 Euro. ISBN 978-3-86617-139-8.
Störche erleben
Vertiefte Einblicke in die Welt des Weißstorchs bieten unter anderem das Westfälische Storchenmuseum Petershagen, das in Bergenhusen beheimatete Michael-Otto-Zentrum im NABU, die NABU-Storchenschmiede Linum im Havelland, das Storchendorf Rühstädt an der Elbe und das NABU-Weißstorchzentrum Vetschau im Spreewald.
Langfassung dieses beitrages
Man darf mit Sicherheit annehmen, dass der Deutsche Bund für Vogelschutz (DBV, Wurzel des NABU) aus einem breiten Angebot nicht irgendeinen beliebigen Vogel in sein Signet übernahm. Mit dem Storch entschied er sich 1966 für einen Vertreter der Vogelwelt, der wie keine andere Art Unausgesprochenes, Verborgenes, „tiefer Gehendes“ verkörpert. Mehr →
Weitere Betrachtungen des Autors
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