Sorgen Sie mit uns gemeinsam dafür, dass der Wolf in Deutschland wieder sicher leben kann. Werden Sie jetzt Wolf-Pate oder Patin!
Mehr Informationen zur Patenschaft!Nachgefragt: bei Ortrun Humpert
Berufsschäferin aus Nordrhein-Westfalen beantwortet Leserfragen
Wie funktioniert der Herdenschutz durch Hunde genau?
Im Prinzip funktioniert Herdenschutz mit Hunden durch Abschreckung. Der Hund signalisiert dem möglichen Angreifer über sein massives Bellen und seine recht eindrucksvolle Statur sowie durch sein ganzes Verhalten: „Ich passe hier auf. Du möchtest nicht näherkommen, weil Dir das nicht bekommt.“ Ein Wildtier auf Futtersuche ist effizient und wird sich überlegen, ob sich der Aufwand lohnt. Am besten funktioniert der Herdenschutzhund (HSH) mit Zaun, weil dadurch sein Territorium so klar eingegrenzt ist, dass für den, der nur draußen vorbeigeht, keine Gefahr besteht, angegriffen zu werden, da der Hund bei seiner Herde bleibt. Es geht immer um Verteidigung, nie um Angriff – der beste Kampf ist der, der von vornherein nicht stattfindet.
Was kostet die Anschaffung eines Herdenschutzhundes?
Ein Welpe von zertifizierten Eltern (nur solche sollte man wählen, weil man da eine sehr große Chance hat, dass die Nachkommen etwas können und nicht nur so aussehen als ob) kostet rund 900 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer. Ein zertifizierter erwachsener Hund (anderthalb bis zweieinhalb Jahre), der alle erforderlichen Fähigkeiten hat und auch darauf getestet ist, liegt in der Schweiz preislich bei 3500 Euro. Dies dient als Maßstab auch in Deutschland. Das ist ein hoher Betrag – aber für einen zuverlässigen 24-Stunden-Mitarbeiter genau betrachtet supergünstig.
Wie lange dauert die Ausbildung eines Herdenschutzhundes?
Ein Herdenschutzhund kann nach anderthalb bis zweieinhalb Jahren als ausgebildet betrachtet werden. Voraussetzung ist, dass man ihn nicht einfach nur in die Herde bringt und annimmt, er wisse von allein, was zu tun ist. Das war früher die Lehrmeinung und funktioniert vielleicht auch in menschenleeren Gebieten. Aber der Herdenschutzhund bei uns muss mit vielfältigen Reizen und Natur-Mitnutzern zurechtkommen. Er lernt, sein Gebiet nicht eigenständig zu verlassen: den Jogger, der jeden Nachmittag dort entlang läuft, soll er nicht als Bären ansehen und sich nur über die Dinge aufregen, bei denen es sich lohnt. Er lernt, dass seine Herde (egal welche Tierart) seine Sozialpartner sind und was für sie gefährlich sein könnte vom betrieblichen Arbeitsalltag zu unterscheiden. Er lernt, dass seine menschlichen Bezugspersonen zuverlässig sind. Und wenn sie jemanden mitbringen, derjenige solange nicht als Feind zu betrachten ist, wie „sein“ Mensch dabei ist. Gleichzeitig muss ein Herdenschutzhund auch eigenständig entscheiden und handeln – er ist kein Befehlsempfänger. Diese Sicherheit muss auch erlernt werden, und noch etliches mehr. Am besten lernt ein Junghund von einem bewährten älteren Hund.
Wie viele Schutzhunde benötigt eine Herde? Gibt es eine Art Faustregel?
Das Gelände, die Herdengröße, -struktur und Tierart (auch Temperament der Tiere) sowie die Lage in der Landschaft sind Faktoren, die man bedenken muss. Es sollten mindestens zwei Hunde gehalten werden, da ein Sozialpartner der eigenen Art immer von Vorteil für den Hund selbst ist und ein Gespann von Hunden einen inneren und einen äußeren Verteidigungsring um die Herde herstellt. Zeitweise kann ein erwachsener Herdenschutzhund auch allein arbeiten, aber als Dauerzustand ist dies nicht anzuraten.
Stimmt es, dass der Bedarf an Herdenschutzhunden derzeit nicht gedeckt werden kann?
Herdenschutzhunde sind bei uns traditionell eher weniger eingesetzt worden. Die meisten Herdenschutzhund-Rassen blieben dort als Arbeitshunde erhalten, wo große Beutegreifer nie verschwunden waren. Viele dieser Rassen sind heutzutage als Familien- oder Ausstellungshunde unterwegs oder auch zu recht aggressiven Statussymbolen geworden. Vernünftigen Herdenschutz kann man von diesen Tieren nicht erwarten. Also muss man nach Arbeitslinien suchen und aus diesen gute Nachkommen züchten. Davon gibt es noch zu wenige. Wer mit Herdenschutzhunden beginnt, bräuchte einen erfahrenen Herdenschutzhund als Lehrmeister für sich und für Junghunde – diese begabten älteren Herdenschutzhunde fehlen bislang teilweise auch noch.
Hunde aus dem Ausland zu importieren, kann bei geeigneten Einzeltieren sinnvoll sein – im Allgemeinen sind die Lebensbedingungen dort jedoch so unterschiedlich, dass ein Einsatz unter unseren Bedingungen schwierig sein kann. In unserer dicht besiedelten Landschaft brauchen wir Herdenschutzhunde mit hoher Reizschwelle, keine, die gleich in die Luft gehen, wenn beispielsweise Jogger mit ihrem Dackel an ihnen vorbei laufen. Nur so kann man diese Art von Herdenschutz etablieren.
Wie hoch sind Ihre Verluste durch Füchse, Totgeburten, Verkehrsunfälle oder auch Diebstahl? Und gibt es andere Gefahren für Ihre Schafe?
Zahlen dazu sind von Region zu Region und Betrieb zu Betrieb verschieden. Wir haben inzwischen dank der Herdenschutzhunde wenig Probleme mit äußeren Einflüssen. Gegen Seuchenzüge und ähnliches sind wir genauso machtlos wie alle anderen.
Füchse stellen sogar für recht große Lämmer oder Jungschafe eine große Gefahr dar, wildernde Hunde für alle Schafe (oft ist der Besitzer eines solchen Hundes gar nicht weit weg). Vermehrt attackieren auch Raben gut geführte Schafherden in der Lammzeit. Totgeburten gibt es gelegentlich, bei Auftreten von globalen Seuchen (Blauzunge) oder bislang unbekannten Viren (Schmallenberg) gehäuft. Das ist für uns Schäfer besonders bitter, weil man da fast nie vorbeugen kann. Verkehrsunfälle sind selten – hier helfen dem Schäfer gute Hütehunde aus Arbeitslinien, manchmal auch rücksichtsvolle Verkehrsteilnehmer. Schwierig ist es hier vor allem mit stark befahrenen Straßen oder Zuglinien. Diebstähle (sogar ganzer Herden) sind verhältnismäßig häufig, vermehrt mit „Schlachtung“ direkt auf der Weide. Hier werden auch gern Elektro-Netze und Zaungeräte gestohlen – fatal, wenn dann eine Herde ausbricht.
Wie groß ist der zeitliche und finanzielle Mehraufwand für die Schäfer, wenn sie ihre Schafe wolfssicher halten müssen?
Das ist nicht allgemein zu sagen, weil es stark davon abhängt, wie groß die Flächen in einer Region sind und welche Art Landschaft, welche Rasse Schaf. Wir berechnen gerade seitens der Vereinigung deutscher Landesschafzuchtverbände (VDL), welche Kosten man insgesamt durchschnittlich dafür in Ansatz bringen kann. Der zeitliche Aufwand beim Einsatz von Elektrozäunen ohne Hund wird sich nach bisheriger Erfahrung mindestens verdreifachen, bei schwerem Boden, Hanglage oder ähnlichem bis verfünffachen. Das ist, gerade wenn eine Herde täglich umgesetzt wird, von einer Person nicht mehr zu leisten. Zusätzliches Personal dafür hat ein Schäfer allerdings eher nicht. Der zusätzliche Materialaufwand hängt von der Ausstattung des Betriebes ab – und ob man die speziellen Wolfsnetze nehmen will (die im Praxistest in NRW auf den Betrieben wenig gute Noten bekamen). Netze, in denen die Schafe willig bleiben, halten nicht unbedingt den Wolf ab. Das bedeutet in vielen Fällen eine komplette Neuanschaffung. Breiteres Flatterband (2 Zentimeter) sollte unbedingt elektrifizierbar sein und ist in der Bewegung unangenehm fürs Auge, hoffentlich auch dem Wolf – rot-weiße Baustellenabsperrung hingegen ist nur Müll in der Umwelt.
Allgemeingültig erfasste Zahlen für die Arbeitsbelastung in der Schafhaltung gibt es in der neuen Studie des Kuratoriums für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft zur Landschaftspflege mit Schafen; eine Auswertung „mit Wolf“ fehlt bisher.
Ein Herdenschutzhund kostet mit Tierarzt und Versicherung ohne Steuer pro Jahr etwa 1500 Euro, dazu kommt pro Tag etwa eine Stunde für die Betreuung, in Hütehaltung bis zwei. Bei mehr Hunden reduzieren sich die Kosten pro Hund. Genauere Zahlen gibt es hoffentlich bald beim Arbeitskreis Herdenschutz der Vereinigung deutscher Landesschafzuchtverbände.
Noch gibt es keine Wölfe in meiner Region – ab wann ist der richtige Zeitpunkt, in Sachen Herdenschutz aufzurüsten?
Am besten jetzt. Betrachten Sie Ihre vorhanden Zäune mit den Augen eines Wolfes. Sichern Sie feste Zäune nach unten ab, wenn es ohnehin etwas zu reparieren gibt. Bei Gelegenheit und schönem Wetter ziehen Sie einen bodengleichen Spanndraht, der das Durchkommen unterm Draht erschwert. Flicken Sie Löcher sofort. Was durchhängt, muss gestrafft werden. Arbeiten Sie mit schon jetzt mit Elektronetzen, tauschen Sie defekte Netze, die die Spannung nicht mehr halten, peu á peu aus. Wichtig sind straff gespannte Netze mit geraden, abgespannten Ecken und mindestens 4000 Volt Spannung, doppelt schadet aber auch nicht. Benutzen Sie Ihr Zaungerät und testen Sie, wie man die Erdung verbessern kann.
Flatterband und Co. braucht es noch nicht, aber man kann schon einmal überlegen, wie man im gegebenen Gelände zusieht, dass in etwa auf Nasenhöhe eines Wolfes eine Stromlitze (mit extra angeschlossener Erde) zeigt: hier geht es nicht weiter! Das gilt auch für alle anderen Weidetiere. Hilfreich: die aid-Broschüre „sichere Zäune“. Nicht, weil sie was garantiert, aber weil sie Grundlage derer ist, die uns verwalten. Und ansonsten: Beobachten Sie das Wild. Wenn es sich anders verhält, vielleicht vorsichtiger ist als üblich, könnte das ein erster Hinweis auf die Anwesenheit eines Wolfes sein.
Weitere Fragen werden beantwortet unter
- www.ag-herdenschutzhunde.de
- www.schaeferei-humpert.de
Nachgefragt: bei Andreas Hoppe
Schauspieler und Wolfsbotschafter beantwortet Leserfragen
Was fasziniert ihn an Wölfen, was genau tut er als Wolfsbotschafter und wie geht er mit Skeptikern um? Hier beantwortet Schauspieler und Tatort-Kommissar Andreas Hoppe die Fragen unserer Leser.
Warum engagieren Sie sich für Wölfe – wo liegt Ihre persönliche Motivation?
Aus Faszination und Begeisterung für diese intelligenten und sozialen Tiere.
Was hat Ihre Faszination für diese Tiere ausgelöst, gab es ein spezielles Ereignis oder einen bestimmten Anlass?
Bücher, Fotos und Filme von David Mech, Jim Brandenburg und die ersten echten Kontakte mit Wölfen in Kanada und Polen.
Haben Sie schon mal einen Wolf in freier Natur gesehen?
Ja, gesehen und gehört.
Was genau machen Sie als NABU-Wolfsbotschafter?
Ich bemühe mich um eine ausgewogene Darstellung zum Thema Wolf, versuche Gegner und Ängste ernst zu nehmen und damit umzugehen, aber auch in Gesprächen ein Umdenken zu bewirken. Nur ein klarer Konsens zum Wolf kann die Tiere schützen und eine Rückkehr möglich machen. Außerdem wünsche ich mir ein Symposium zum Thema mit Menschen aus anderen Ländern, die langjährige Erfahrungen im Zusammenleben mit Wölfen haben.
Sie haben einen Film über die Luchse im Bayerischen Wald gemacht. Wo sehen Sie Parallelen zwischen Luchs und Wolf, wo vielleicht Unterschiede?
Der Unterschied liegt bei den Tieren und ihrer Außenwirkung; in der Feindseligkeit und dem Umgang mit der Angst sehe ich keinen.
Was denken Sie, warum haben Menschen heute Angst vor Wölfen?
Aus Unwissenheit, alten Märchen wie „Rotkäppchen“. Außerdem besteht in unserer ach so industrialisierten und zivilisierten Welt die Angst vor Kontrollverlust gegenüber der Natur.
Wenn man sich in sozialen Netzwerken als Wolfsfreund outet, wird man oft persönlich angegriffen und attackiert. Passiert Ihnen das auch und wie gehen Sie damit um?
Ich versuche, mich auf unqualifizierte und hasserfüllte Auseinandersetzungen nicht einzulassen, aber Gegner ernst zu nehmen und mit ihnen zu sprechen und zuzuhören. Wütende und vorurteilsvolle Positionen sind mir auch schon entgegen geschlagen. Ich entdecke Parallelen zu dem Flüchtlingsthema und Pegida.
Wenn Sie mit Skeptikern sprechen, wie versuchen Sie Ihr Gegenüber im Gespräch vom Wolf zu überzeugen? Warum gehört er Ihrer Meinung nach in unsere Kulturlandschaft?
Ich erwarte keine 360-Grad-Wende, versuche Deckanstöße und Argumente sowie meine Faszination zu teilen. Der Wolf hat hier schon immer gelebt, ich teile die Meinung, dass der Mensch alles beseitigen und ausrotten kann, was er nicht versteht und angeblich nicht braucht, nicht. Sie sind ein Geschenk der Schöpfung und verlangen unseren Respekt. Außerdem gibt es gute Gründe zur Förderung der natürlichen Ressourcen, den Wolf, aber auch andere Wildtiere willkommen zu heißen.
Können Sie auch weitere Prominente dazu bringen, sich für die Wölfe einzusetzen?
Wer weiß ;-)
Was glauben Sie, wie kann die Wiederansiedlung des Wolfes in Deutschland auf lange Sicht gelingen?
Wie schon erwähnt durch eine klare Haltung, einen Konsens zum Schutzstatus, weil sonst immer die Tiere, in diesem Fall die Wölfe, die Leidtragenden sind.
Internationale Wolfsexpertin im Interview
Leserfragen an Elli H. Radinger
Zum fünften Nachgefragt-mittWOLF am 22. Juli 2015 haben wir unsere Leserfragen an die Autorin und Wolfsexpertin Elli H. Radinger gerichtet. Seit 25 Jahren beobachtet sie frei lebende Wölfe im Yellowstone-Nationalpark und kann von faszinierenden Wolfsbegnungen berichten.
Sie beschäftigen sich quasi schon Ihr Leben lang mit Wölfen – warum? Was fasziniert Sie an diesen Tieren?
Mich faszinieren an Wölfen ihre Intelligenz, ihre Anpassungsfähigkeit und vor allem ihr Sozialleben. Ich sage in meinen Vorträgen oft scherzhaft, dass sie „die besseren Menschen“ sind.
Welches Erlebnis, welche Begegnung mit Wölfen hat Sie am meisten beeindruckt?
Mein erster „Wolfskuss“ war mein Einstieg in die „Droge Wolf“. Während eines Ethologie-Praktikums im Forschungsgehege Wolf Park in den USA wurde ich so vom Leitwolf akzeptiert. Sehr viel mehr beeindruckt haben mich jedoch alle Nahbegegnungen mit wilden Wölfen in den USA. Wenn du allein in der Wildnis bist und ein Wolf steht dir auf drei Metern gegenüber und betrachtet dich nicht als Bedrohung, dann ist das ein Augenblick, den du nie vergisst. Oder du stehst in der Paarungszeit bei -30 °C auf einem Berg und rund um dich herum veranstalten die Wölfe verschiedener Rudel einen Heulwettbewerb. Für diese Erlebnisse, die ich immer wieder habe, bin ich sehr dankbar.
Sie haben vor allem Wölfe in den USA beobachtet. Wo finden sich Gemeinsamkeiten, wo sind Unterschiede zu den Wölfen hier in Mitteleuropa?
Das kann ich nicht pauschal beantworten. Das Problem von uns Menschen ist, dass wir in Kategorien denken und gerne auf einer Liste abhaken wollen, wie sich denn nun Wölfe verhalten. Aber in der Realität funktioniert das so nicht. Wölfe verhalten sich je nach Lebensraum, den präferierten Beutetieren und ihrem Grundcharaktertyp ganz unterschiedlich – unabhängig davon, wo sie leben. Man muss also jedes Verhalten ganz individuell betrachten.
Worin liegt die Funktion des Wolfes im Ökosystem (Stichwort Ökosystemdienstleistungen)? Stimmt es beispielsweise, dass Wölfe die zu hohen Wildpopulationen in deutschen Wäldern regulieren?
Ich kann nicht von Deutschland reden, sondern nur von Yellowstone. Dort habe ich das Glück, die Wölfe seit 20 Jahren zu beobachten. Zeit ist ein wichtiger Faktor, der bei allen Diskussionen um den Wolf viel zu wenig berücksichtigt wird. Es gibt eine natürliche Fluktuation, wenn eine „ausgestorbene“ Tierart zurückkommt. Die Yellowstone-Wölfe haben zuerst die viel zu vielen Hirsche dezimiert (zusammen mit anderen Faktoren wie Wetter, Schnee oder Dürre). Daraufhin ist die Wolfspopulation zurückgegangen, worauf sich die Hirsche wieder vermehrt haben und so weiter. Das ist völlig normal und pendelt sich irgendwann ein. Nur dürfen wir nicht erwarten, dass alles innerhalb von ein bis zwei Jahren funktioniert. Wir müssen der Natur Zeit lassen, sich den geänderten Verhältnissen anzupassen.
Oft hört man „Wir freuen uns über die Rückkehr, aber …“ – Hat der Wolf in Deutschland Ihrer Meinung nach wirklich eine Chance wieder dauerhaft heimisch zu werden?
Eindeutig JA! Es wäre lächerlich, wenn wir bei einer Gesamtbevölkerung von 81 Millionen Menschen nicht einmal 1.300 Wölfe (Habitatanalyse vom Bundesamt für Naturschutz) verkraften könnten. In anderen südeuropäischen Ländern ist die Ratio viel höher und keiner regt sich auf.
Wie beurteilen Sie die Wolfsparks, die es in Deutschland zum Beispiel in der Schorfheide oder in der Lüneburger Heide gibt: Kommerz, echte Wolfshilfe oder eher ein „Bärendienst“?
Ich glaube, dass es jedem, der Wölfe über einen längeren Zeitraum hinweg in der Wildnis beobachtet hat, so geht wie mir: Ich ertrage es nicht mehr, sie in Gehegen zu sehen, egal wie vermeintlich „artgerecht“ die Tiere dort gehalten werden. Ein Zoo ist Gefangenschaft. Punktum! Und jeder mag sich selbst fragen, ob er als Mensch gerne für den Rest seines Lebens im Knast leben möchte.
Wie sollte man sich verhalten, wenn man beim Spaziergang mit dem Hund einem Wolf begegnet?
Man bleibt ruhig stehen, nimmt den Hund an der Leine hinter sich und sagt dem Wolf laut und bestimmt, dass er sich verziehen soll. Zwei Dinge sollte man bei einer Wolfsbegegnung nicht tun: wegrennen und den Wolf füttern.
Was glauben Sie, wie können Wolfsgegner davon überzeugt werden, dass Wölfe auch in die deutsche Naturlandschaft gehören?
Mein Plädoyer heißt auch hier: Zeit! Momentan stehen offensichtlich alle, die mit der Rückkehr der Wölfe in irgendeiner Art beschäftigt sind, mit dem Rücken an der Wand. Es „muss“ etwas geschehen, eine schnelle Lösung für alle möglichen Situationen. Der Druck ist groß, und so werden oft die falschen Entscheidungen getroffen. Wir sollten erst einmal alle einen Schritt zurücktun und tief durchatmen.
Ich halte es für sehr wichtig, dass wir nicht aufhören, miteinander zu reden und uns auch zuzuhören. Es ist wichtig, die Bedenken der Bevölkerung ernst zu nehmen. All dies braucht Zeit. Man weiß jedoch inzwischen, dass die Menschen sich entspannen, wenn sie längere Zeit mit dem Wolf in ihrer Nähe zusammenleben und feststellen, dass ihre Befürchtungen nicht eingetroffen sind.
Speziell zur Jägerschaft in Deutschland: Einige ansässige Jäger haben eine negative Einstellung zum Wolf. Was können wir tun, damit sie ihre Meinung ändern und Wölfe in ihrem Jagdrevier akzeptieren?
Gar nichts! Ich persönlich bin der Meinung, dass wir nur Zeit verschwenden, wenn wir versuchen, rückständige Hardcore-Jäger zu ändern. Dagegen sollten wir alles tun, um zu verhindern, dass sie noch mehr Schaden anrichten. Von mir aus können die Jäger so viel gegen den Wolf sein wie sie wollen, ihn akzeptieren oder auch nicht. Sie können Märchen erzählen und sich auf den Kopf stellen und ihren Erzfeind verfluchen, bis sie schwarz werden. Fakt ist, dass der Wolf hier ist und hier bleiben wird, und dass er streng geschützt ist. Im Englischen würde ich sagen: „Get over it!“ Auch Jäger müssen wie jeder andere Bürger das deutsche und europäische Recht respektieren und einhalten. Und wenn sie das nicht tun, dann muss sie die volle Härte des Gesetzes treffen. Zum Glück gibt es viele vernünftige, aufgeklärte Jäger. Von ihnen wünsche ich mir, dass sie ihre Kollegen, die das Gesetz brechen, nicht decken, sondern anzeigen.
Meiner Meinung nach spielen die Jäger besonders in Niedersachsen ein gefährliches Spiel. Sie haben erreicht, was sie wollten und sind im Wolfsmanagement. Mit dem Mäntelchen der Toleranz und des Natur- und Wolfsschutzes können sie nun gezielt daran arbeiten, der Bevölkerung beizubringen, warum der Wolf gejagt werden muss. Eine Interessengruppe, die sich eindeutig öffentlich immer wieder gegen den Wolf ausspricht, mit dem Wolfsmanagement zu beauftragen, zeugt von Inkompetenz, Unkenntnis und Ignoranz. Das ist, als würde man den Fuchs damit beauftragen, im Hühnerstall die Hühner zu managen.
Sie haben schon einige Bücher über Isegrim geschrieben. Planen Sie, noch mehr zum Wolf zu schreiben?
Natürlich! Mir geht der Stoff nie aus. Momentan arbeite ich an einem Umweltkrimi, der auf Tatsachen beruht. Er spielt in Montana und es geht um Fallensteller und um Wolfsschützer und Umweltaktivisten, die gegen sie vorgehen.
Nachgefragt: bei Tierfilmer Sebastian Koerner
Leser fragen und Experten antworten
Seit 2003 dokumentiert der Verhaltensökologe Sebastian Koerner die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland mit der Filmkamera. In der vierten mittWOLF-Fragerunde vom 24. Juni 2015 haben wir mit Leserfragen bei ihm nachgefragt: Wie nah kommt er den Wölfen, welches war sein beeindruckendes Erlebnis und hat er ein Lieblingsrudel?
Wie sind Sie dazu gekommen, Wölfe in freier Natur zu filmen – und warum gerade Wölfe? Sie sind im Vergleich zu anderen Tieren bekannt dafür, kaum gesehen zu werden.
Als Biologe mit dem Schwerpunkt Verhaltensökologie interessiert es mich, wie Wildtiere sich an die Lebensbedingungen in unserer Kulturlandschaft anpassen. Wie die Rückkehr des Wolfes als Top-Predator in unserem Ökosystem abläuft, finde ich besonders spannend. Und um meine Beobachtungen mit anderen teilen zu können, filme ich seit mehr als zehn Jahren Deutschlands wilde Wölfe. Jede Wildtierart bei uns hat ihre Eigenheiten; und in diesem Sinne ist es auch nicht besonders schwierig oder einfach, Wölfe zu filmen – aber sie sind natürlicherweise in der Landschaft viel, viel seltener als ihre Beutetierarten.
Wie lange dauert es, bis Sie die scheuen Tiere vor die Kamera bekommen? Und wie viel Zeit verbringen Sie insgesamt in der Natur, um eine Minute Wolfsleben aufzunehmen?
Um Wölfe zu finden, verstecke ich mich vor allem an den sogenannten Rendezvousplätzen. Das sind im Verlaufe von Sommer und Herbst immer ausgedehntere Bereiche, an denen sich die Welpen aufhalten und wohin die Elternwölfe einmal oder mehrmals im Tagesverlauf kommen, um die Kleinen zu füttern. Dazu muss ich diese Bereiche anhand von Spurenhäufungen und Losungsfund-Konzentrationen finden. Aber oft bekomme ich die Lagen der aktuellen Rendezvousplätze von Deutschlands führenden Wolfsexpertinnen Ilka Reinhardt und Gesa Kluth gesagt. Gesa ist meine Lebensgefährtin. Na, und dann muss ich Geduld haben. An guten Stellen gelingt es mir oft, Welpen zu filmen. Aber Begegnungen von Eltern, Jährlingen und Welpen – also der kompletten Familien – solche Szenen kann ich immer noch an zwei Händen abzählen.
Wie „nah“ kommen Sie bei Ihrer Arbeit den Tieren, denn bei Filmen und Bildern täuscht der Eindruck ja oft.
Die Welpen können ihre Umwelt noch nicht so gut wahrnehmen wie ihre Eltern. Einmal haben drei Sechs-Wochen-Welpen sogar an dem zu meinen Füßen liegenden Mikrofonpuschel geschnuppert! Altwölfe sind meist zwischen 80 und 250 Meter entfernt, wenn ich sie filmen kann.
Ist es für Sie nach so vielen Jahren mittlerweile normal oder immer noch ein Highlight, wenn Sie einen Wolf bei Ihren Dreharbeiten zu Gesicht bekommen?
Einerseits freut mich immer sehr, wenn ich tatsächlich mal wieder einen Wolf filmen kann. Aber zum Anderen haben mir meine langen Beobachtungszeiten in heimischen Wäldern gezeigt, wie faszinierend und interessant alle Wildtiere da draußen sind, und dass der Wolf ein ganz normaler Bestandteil der Lebensgemeinschaft in unserer Natur ist.
Wenn Sie sich zurückerinnern – welche Situation hat Sie beim Beobachten und Filmen von frei lebenden Wölfen bisher am meisten beeindruckt?
Am meisten hat mich die Szene auf dem Truppenübungsplatz Munster in der Lüneburger Heide beeindruckt: Da kamen nacheinander zwei Jährlingsfähen, die beiden Elternwölfe und dann sieben kleine Welpen auf eine Offenfläche. Ich konnte eine Viertelstunde lang beobachten, wie ruhig und selbstverständlich sich das fürsorgliche Zusammenleben dieser Wolfsfamilie vor mir abspielte – bis diese Szene von einem gegenüber der Offenfläche vorbeifahrenden Auto abgebrochen wurde, da sich die Wölfe ruhig aber zielstrebig in den Wald zurückzogen.
Hatten Sie beim Filmen schon einmal eine Situation, in der Sie sich bedroht oder unwohl gefühlt haben?
Nein, bedroht von den Wölfen habe ich mich noch nie gefühlt. Auf meinem nächtlichen Rückweg vom Hochsitz zum Auto bin ich aus dem Wald heraus zwei oder dreimal von einem Eltern- oder Jährlingswolf verbellt worden, aber ich habe gleich gefühlt, dass er vor allem seine Welpen warnen und meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte. Vor jedem Filmversuch benachrichtige ich alle Jäger des entsprechenden Bereiches, damit die von meiner Anwesenheit wissen und mich nicht mit einem Wildschwein verwechseln.
Haben Sie im Laufe Ihrer Arbeit ein Lieblingsrudel oder sogar einen Lieblingswolf gewonnen, den Sie besonders gern gefilmt haben?
Ich habe vom Zeitpunkt ihrer eigenen Familiengründung an das Leben von Deutschlands Ursprungs-Mutterwölfinnen „Einauge“ (Nochtener Wolfsfamilie) und „Sunny“ (Neustädter und später Seelandfamilie) begleitet. Heute verfolge ich besonders intensiv eine Einauge-Tochter und einen Sunny-Sohn, die sind heute die Elternwölfe der Wolfsfamilie auf dem Truppenübungsplatz Munster Nord. Und zum Ausgleich für den weiten Weg in die Lüneburger Heide fahre ich mit dem Fahrrad zum Spurensuchen bei der Spremberger Wolfsfamilie vor meiner Haustür.
Wenn man das Glück hat, freilebende Wölfe zu beobachten und filmen zu können, stellt sich eine Frage: Finden Sie als Tierfilmer es richtig, dass noch Wölfe in Gefangenschaft leben?
Ich sehe generell die Haltung von den großen und intelligenten fleischfressenden Tierarten sehr kritisch. Bei den Wölfen weiß ich, wie wenig von ihrem großen Potenzial sie in Gefangenschaft ausleben können. Und dann nehmen manche Zoo- oder Wildparkdirektoren den Mutterwölfinnen auch noch die kleinen Welpen mit dem Pseudo-Argument der „Sozialisierung“ der Kleinen in Bezug auf Menschen weg, sodass ihre Eltern nicht einmal mehr die Welpenaufzucht als Lebensinhalt haben!
Was glauben Sie, wie können wir die Akzeptanz für den Wolf in der Bevölkerung steigern?
Über Wölfe existieren nicht nur alte, tradierte Märchen, sondern es kommen fast jeden Tag neue dazu. Eine sachliche Öffentlichkeitsarbeit muss diesem Halbwissen die Erkenntnisse eines seriösen und nach wissenschaftlichen Kriterien funktionierenden Wolfsmonitorings wieder und wieder gegenüber stellen.
Was wünschen Sie sich speziell von der Politik für die Zukunft der Wölfe in Deutschland?
Es wäre für alle beteiligten Menschen sehr hilfreich, das Wolfsmonitoring, das Wolfsmanagement und die Öffentlichkeitsarbeit in den einzelnen Bundesländern zu harmonisieren und nach einheitlichen Kriterien durchzuführen. Auch wäre es gut, das Wolfsmonitoring und die Durchführung von Managementmaßnahmen ausschließlich von staatlichen Stellen koordinieren zu lassen und verschiedene Interessengruppen wie Jäger, Viehalter und Naturschützer über entsprechende Beratungs- und Diskussionsgremien und ehrenamtlichen Einsatz „mitzunehmen“.
Nachgefragt: bei NABU-Wolfsbotschaftern
Katharina Stenglein und Thomas Pusch im Interview
In der dritten mittWOLF-Fragerunde zum 27. Mai haben wir bei den NABU-Wolfsbotschaftern Katharina Stenglein und Thomas Pusch nachgehakt. Erfahren Sie hier, was die beiden über ihre ehrenamtliche Arbeit in Nordrhein-Westfalen berichten:
Warum sind Sie Wolfsbotschafter geworden? Und außerdem: Welche Motivation besitzen Sie persönlich, Wolfsbotschafter in einem Land zu sein, in dem noch keine Wölfe dauerhaft leben?
Thomas Pusch: Durch einen Zeitungsartikel wurde ich 2000 auf die Rückkehr der Wölfe aufmerksam und habe seitdem ständig versucht, am Thema dran zu bleiben und mein Wissen fortzubilden.
Katharina Stenglein: Ich habe mich schon immer für Hunde und Wölfe interessiert. Nachdem ich meine Diplomarbeit über kooperatives Verhalten von in Gefangenschaft lebenden Wölfen geschrieben hatte, war klar, dass ich mich für die wildlebenden Wölfe in Deutschland engagieren möchte. Sich für die Wölfe einzusetzen, bevor sie tatsächlich da sind, ist eine spannende und sehr wichtige Sache. Wir versuchen vor allem die noch wolfsfreie Zeit zu nutzen, um in Ruhe mit möglichst vielen Menschen ins Gespräch zu kommen, die gegebenenfalls vom Wolf betroffen sind und/oder Ängste haben. Ziel ist es, über das Wildtier Wolf aufzuklären. Wenn erst einmal Risse zu beklagen sind, wird es schnell emotional und deutlich schwieriger, mit Betroffenen sachlich ins Gespräch zu kommen. Daher wollen wir die Chance nutzen, bereits jetzt alles für die selbstständige Rückkehr des Wolfes nach Nordrhein-Westfalen vorzubereiten.
Beschreiben Sie mal, was Ihre Hauptaufgaben als Wolfsbotschafter speziell in Nordrhein-Westfalen sind: Wann kommen Sie zum Einsatz? Was war Ihr bisher eindrucksvollstes Erlebnis in dieser Funktion?
Hauptaufgabe ist, wie sicherlich für fast alle Wolfsbotschafter, die Öffentlichkeitsarbeit. Nordrhein-Westfalen ist ein großes Flächenland, aber vor allem auch Industriestandort mit vielen Ballungsräumen (zum Beispiel das Ruhrgebiet) und großen Städten wie Köln und Düsseldorf. Trotzdem gibt es auch hier geeignete Gebiete, in denen Wölfe theoretisch leben könnten (Ostwestfalen-Lippe, Sauerland, Eifel und andere).
Mit Öffentlichkeitsarbeit an Info-Ständen, Schulungen (Fachschulungen, offene Veranstaltungen) oder Vorträgen, erreichen wir viele Menschen. Dabei ist ein besonderes Erlebnis, dass im direkten, persönlichen Gespräch viele Fragen beantwortet werden können. Dabei geht es gar nicht darum, dass jeder Wolfsfan sein soll. Wir werben für Toleranz und Akzeptanz.
Was können speziell Sie als Wolfsbotschafter gegen das „Rotkäppchen“-Image tun?
Was sicherlich alle Wolfsbotschafter versuchen: Mit sachlichen, fachlich korrekten Argumenten über das Wildtier Wolf gut zu informieren. Unsere Erfahrung ist: Wer gut informiert ist, hat auch keine Angst vor dem Wolf.
In Nordrhein-Westfalen werden immer mehr Wälder abgeholzt – findet der Wolf denn dort noch eine geeignete Heimat?
Wichtig ist, dass Wölfe nicht ausschließlich auf den Wald angewiesen sind, sondern durchaus auch in anderen Kulturflächen, zum Beispiel auf Heideflächen leben können. Als sehr anpassungsfähiges Tier – und das zeigt ja seine selbstständige Rückkehr nach Deutschland – braucht der Wolf keine Wildnis.
Wo in Nordrhein-Westfalen wurden bislang Wölfe nachgewiesen und in welchen Gebieten erwartet man, dass sich Wölfe dort auch dauerhaft ansiedeln können?
In Nordrhein-Westfalen gab es 2009 im Kreis Höxter einen Schafsriss von einem Wolf aus dem hessischen Reinhardswald. Danach gab es lange Zeit keinen C1-Wolfsnachweis, also einen wissenschaftlich eindeutigen Beweis. Im Dezember 2014 jedoch konnte anhand einer DNA- Analyse ein Schafsriss in Stemwede, Kreis Minden-Lübbecke, einem Wolf zugeordnet werden. Kurze Zeit später, im Januar 2015, folgte ein C1-Nachweis über ein Fotofallenbild aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein.
Finden in Nordrhein-Westfalen Infoveranstaltungen zum Wolf statt? Wenn ja, wo und wann?
Ja! Neben den Veranstaltungen des NABU-Landesfachausschusses Wolf in Nordrhein-Westfalen sind auch die Förster von „Wald und Holz“ sowie der Schafzuchtverband Nordrhein-Westfalen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit stark vertreten.
Was wünschen Sie sich für die Wölfe in Nordrhein-Westfalen?
Die Wünsche für den Wolf speziell in Nordrhein-Westfalen unterscheiden sich kaum von den Wünschen für die Wölfe in anderen Bundesländern. Wir wünschen uns, dass wir Menschen lernen, Wölfe als normale Wildtiere in unserer Natur zu akzeptieren. Die Bevölkerung soll wissen, dass man auch mit Wölfen in Nordrhein-Westfalen keine Sorgen und Ängste haben muss und gut mit ihnen leben kann. Die neuen Bundesländer gehen hier als anschauliche Beispiele voran.
Für eine gelungene Rückkehr der Wölfe nach NRW würde ein Managementplan helfen, in dem der Umgang mit dem Wolf geregelt wird. Der Managementplan in Nordrhein-Westfalen soll noch dieses Jahr veröffentlicht werden.
Es fällt auf, dass sich Negativberichte in den Medien häufen. Fast täglich wird von gerissenen Tieren und wenig scheuen Wölfen nahe den Wohngebieten berichtet. Sie als Wolfsbotschafter haben Kontakt zu den Menschen und ihren Ängsten. Wie ist die Stimmung? Ist zu befürchten, dass gefordert wird, den Wolf wieder ins Jagdrecht aufzunehmen?
Die Stimmung in Nordrhein-Westfalen ist aus unserer Sicht derzeit eher abwartend. Natürlich haben die Nutztierhalter Sorgen. Aber genau deshalb wollen wir in enger Kooperation mit den Förstern von „Wald und Holz“ und dem Schafzuchtverband Nordrhein-Westfalen – und hoffentlich bald auch mit den Jagdverbänden – über den Wolf aufklären. Außerdem hoffen wir auf die baldige Veröffentlichung des Managementplans, damit hier eine Basis geschaffen wird, die Sicherheit mit sich bringt. Natürlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass mal ein Schaf gerissen wird, doch 15 Jahre Wölfe in Deutschland zeigen auch, dass es nicht so sein muss, dass durchdachte und effektive Schutzmaßnahmen wirksame Mittel sind. Doch sollten wir die Nutztierhalter an dieser Stelle nicht alleine lassen. Wie eine Unterstützung seitens des Landes neben den bereitgestellten Notfallzäunen und Kompensationszahlungen aussehen kann, muss sich zeigen. Wir würden dies jedenfalls sehr begrüßen. Dies ist aber nur ein Beispiel für Interessenskonflikte bei einer Rückkehr des Wolfes. Wir nehmen die Ängste und Sorgen der Betroffenen sehr ernst und hoffen, dass wir ihnen mit unserer Aufklärungsarbeit Denkanstöße geben können, damit so die Furcht abgebaut wird.
Wenn man speziell nach Norddeutschland schaut: Warum liest man zurzeit so viel negative Presse zu Problemen mit den Wölfen dort? Haben die Menschen dort mehr Angst oder eine andere Einstellung zu Wölfen als die Bevölkerung in der Lausitz? Dort leben auch viele Wölfe, doch solche Meldungen hört man nicht.
Als die Wölfe vor 15 Jahren nach Sachsen zurückkamen, hatten die Menschen dort auch sehr viele Ängste und Sorgen. Auch heute liebt nicht jeder dort den Wolf. Aber man hat gelernt, dass das Miteinander funktionieren kann. Dass die Naturschützer wohl nicht jeden Menschen erreichen und über den Wolf aufklären können, müssen sie genauso akzeptieren, wie die Wolfsgegner die Tatsache, dass der Wolf zurückkehrt oder zurückkehren wird und dass er durch Gesetze strengstens geschützt ist.
Wie wird man Wolfsbotschafter und werden sie in jedem Bundesland gebraucht? Welche Voraussetzungen muss man erfüllen? Kann man auch über einen anderen Weg aktiv werden?
Da der NABU mittlerweile rund 300 Wolfsbotschafter in allen Bundesländern zählt, ist eine Zahl erreicht, mit der man gut und flächendeckend arbeiten kann. In jedem Bundesland sind Wolfsbotschafter vertreten. Das ist wichtig, da der Wolf prinzipiell überall auftauchen könnte. Die Wolfsbotschafter des NABU werden regelmäßig geschult und über aktuelle Bestandsentwicklungen unterrichtet. Aktuell werden nur noch in Ausnahmefällen neue NABU-Wolfbotschafter aufgenommen.
Für den Wolf kann man sich natürlich auch anders einsetzen. Über den NABU kann man Wolfspate werden und so die Wölfe unterstützen. Des Weiteren ist es möglich, gezielt Spenden an den NABU Nordrhein-Westfalen mit dem Stichwort Wolf zu entrichten. Momentan ist es unser Ziel, Spenden für ein Notfallset für Nutztierhalter einzuwerben.
In Nordrhein-Westfalen ist es außerdem möglich beim Landesfachausschuss Wolf mitzuarbeiten, ohne Wolfsbotschafter zu sein. Empfehlenswert ist hier jedoch eine NABU-Mitgliedschaft, wenn auch keine Voraussetzung. Tatsächlich unterstützt man den Wolf aber auch, wenn man Infoveranstaltungen besucht und so das Wissen über das Wildtier Wolf mit verbreitet.
Nachgefragt: bei Veterinärpathologin Dr. Claudia Szentiks
Leser fragen und Experten antworten
Zum mittWOLF am 29. April haben wir bei der Veterinärpathologin Dr. Claudia Szentiks nachgehakt – mit den Fragen unserer Leser zur Untersuchung von toten Wölfen. Erfahren Sie hier, wie die Wissenschaftlerin geantwortet hat:
Wie gelangen die toten Wölfe zu Ihnen ins IZW?
In der Regel werden wir von den jeweils zuständigen Ministerien oder deren Mitarbeitern per Telefon über die Meldung eines toten Wolfes informiert und mit der Untersuchung beauftragt. Diese machen sich dann auf den Weg, um zu begutachten, ob es sich wirklich um einen toten Wolf handelt. Wenn sich die erste Meldung bestätigt, bergen die Mitarbeiter der Bundesländer den Kadaver und fahren im Idealfall direkt mit dem Auto zum Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW), um das tote Tier zu uns zu bringen. In Einzelfällen holen auch Mitarbeiter von uns die Tiere vor Ort ab. Zum Transport gibt es spezielle Behältnisse, die verhindern, dass Körperflüssigkeiten auslaufen oder Parasiten abwandern können. Dies ist aus seuchenhygienischen Gründen und zum Selbstschutz erforderlich. Die Kadaver sollen aber, bevor sie in die Behältnisse verbracht werden, noch in einen geschlossenen Plastiksack verpackt werden.
Am IZW erfolgt die Übergabe des Tierkörpers und der Papiere. Da es sich bei Wölfen um eine geschützte Art handelt, müssen beim Transport immer entsprechende Papiere vorhanden sein.
Wie viele tote Wölfe wurden seit dem Jahr 2000 in Ihrem Institut untersucht? Und was waren die Haupttodesursachen?
Seit dem Jahr 1999 ist das IZW in der Untersuchung der toten Wölfe involviert, insgesamt in 94 Fällen. Seit 2000 haben wir 93 tote Wölfe untersucht. Hinzu kamen gelegentlich Hunde, die als Wolf eingeliefert wurden, sich aber bei genauerer äußerer Betrachtung als Hunde erwiesen. Die Haupttodesursachen waren Verkehrsunfälle mit Auto und Zug, aber auch illegale Abschüsse. Außerdem haben wir auch 41 europäische Zoo- und Gehegewölfe sowie 11 Timberwölfe und 63 Mähnenwölfe untersucht.
Bei wie vielen überfahrenen Wölfen wurde bei der pathologischen Untersuchung auch eine ältere Verletzung durch Geschosse oder ähnliches festgestellt?
Ältere Verletzungen wie in der Heilung befindliche Frakturen mit Callusbildungen sind eher die Ausnahme. In vier Fällen konnte jedoch ein früherer Beschuss ermittelt werden, der nichts mit der Todesursache zu tun hatte.
Was passiert mit den Körpern der toten Wölfe, nachdem sie untersucht wurden?
Die Kadaver von Tieren aus der Sektionshalle müssen nach dem Tierkörperbeseitigungsgesetz (TierKBG) in dafür zugelassenen Einrichtungen entsorgt werden. Die Firma, die für die Entsorgung unserer Kadaver zuständig ist, verbrennt die Tierkörper und Organe. Die Tierkörper der Wölfe sind jedoch Eigentum der jeweiligen Bundesländer und stellen einen enormen Wert für Forschung und Bildung dar. Daher werden die Wolfkadaver an ausgewählte Einrichtungen der jeweiligen Bundesländer gebracht, in denen das Fell und die Knochen aufbereitet und präpariert werden.
Hat der Fundzeitpunkt eines toten Wolfes Auswirkungen auf Ihre Untersuchungsergebnisse? Wie lange können zum Beispiel Parasiten oder Krankheiten dann noch festgestellt werden?
Der Fundzeitpunkt hat einen erheblichen Einfluss auf die Untersuchungsergebnisse: Je stärker der Tierkörper den Verwesungsprozessen anheimgefallen ist, desto schwieriger sind unsere Untersuchungen und auch die unserer Kooperationspartner. Solange noch kernhaltiges Gewebe vorhanden ist, kann auch die DNA des Tieres gewonnen und analysiert werden. Bei den Krankheitserregern ist das mitunter schon schwieriger. Je nachdem, wie gut der jeweilige Erreger den Zersetzungsprozessen standhält, ist es noch möglich, diesen zu ermitteln. Unterschätzt werden sollte auch nicht der Umstand, dass Aasfresser mitunter große Teile des Tierkörpers vertilgen. Wenn die entsprechenden Zielorgane des Erregers fehlen, kann auch keine Untersuchung mehr an diesen erfolgen. Während Endoparasiten wie Würmer sich noch weiterhin in dem Kadaver befinden und quasi darauf warten abgesammelt zu werden, wandern Ektoparasiten wie Zecken und Flöhe nach dem Tod des Wolfes ab und suchen sich einen neuen Wirt.
Auch die Analyse des Mageninhaltes kann bei einem deutlich fortgeschrittenen Verwesungsprozess sehr aufwendig werden, wenn beispielsweise die morphologische Untersuchung des Inhaltes nicht mehr möglich ist und aufwendigere Methoden wie Elektronenmikroskopie oder gar DNA-Screenings gebraucht werden, um herauszufinden zu können, was der Wolf gefressen hatte. Bei vollständig skelettierten Wölfen findet man mitunter zwischen den Knochen des Wolfes auch Knochen der Wolfsnahrung, die beispielsweise genetisch identifiziert werden müssen.
Was sind die häufigsten Untersuchungsergebnisse, die Sie schlussfolgern – unabhängig von der eigentlichen Todesursache?
Die meisten der toten freilebenden Wölfe waren gesund und in einem guten Ernährungszustand. Nur wenige Tiere wiesen virale und/oder bakterielle Krankheitserreger auf. Parasiten fanden sich jedoch recht häufig. Aufgrund der DNA-Proben können unsere Kollegen zudem die verwandtschaftlichen Verhältnisse rekonstruieren, welche wiederum Rückschlüsse auf das Wanderverhalten zulassen.
Wie wird man Wolfs-Pathologin?
Zunächst einmal muss man elf Semester studieren, um Tierarzt oder Tierärztin zu werden. Erst danach erfolgt das fünfjährige Aufbaustudium zum Fachtierarzt für Pathologie. In dieser Zeit lernt man nicht nur sehr viel Theoretisches der Pathologie, man untersucht auch Haustiere, Zoo- und Wildtiere auf Todesursachen und Krankheiten.
Wölfe werden trotz ihres hohen Schutzstatus illegal getötet. Wie kann Ihre Arbeit zur strafrechtlichen Verfolgung dieser Täter beitragen und haben Sie das Gefühl, dass diese kriminellen Handlungen ausreichend verfolgt und bestraft werden?
Wir stellen zunächst einmal fest, dass ein illegaler Beschuss stattgefunden hat. Wir beschreiben detailliert, welche Verletzungen vorlagen und was zum Tode geführt hat. Wenn Geschossteile vorhanden sind, werden diese herauspräpariert und sichergestellt, um sie den ermittelnden Landeskriminalämtern zur Verfügung zu stellen, da sie wichtige Beweismittel darstellen. Auch werden alle weiteren Verletzungen oder nach dem Tode beigebrachten Veränderungen am Tierkörper im Detail aufgenommen.
Von dem zuständigen Personal der Landeskriminalämter wird die illegale Tötung von Wölfen sehr ernst genommen und sie ermitteln eifrig, da das illegale Töten eines geschützten Tieres kein Kavaliersdelikt ist. Für die Bestrafung der Täter ist die Arbeit anderer Instanzen von Nöten. Aber ich bin mir sicher, dass auch die entsprechenden Staatsanwälte und Richter eine derartige Tat nicht auf die leichte Schulter nehmen. Da noch einige Ermittlungsfälle der letzten Jahre offen sind, wird uns die Zukunft zeigen, ob und wie die Täter bestraft werden und ob unser Rechtssystem diesbezüglich ausreichend ist. Ich möchte mir darüber kein Urteil anmaßen.
Dürfen Sie über alle Wölfe berichten, die Sie untersuchen? Oder gibt es auch Fälle und Erkenntnisse, die der Öffentlichkeit vorenthalten werden?
Natürlich dürfen wir nicht über noch offene forensische Fälle reden. Man möchte zum Einen den Tätern keinen Hinweis auf den Ermittlungstand geben und zum Anderen auch möglichen Trittbrettfahrern keine Detailinformationen zukommen lassen. Das ist mitunter schwierig in der Kommunikation mit den Medien. Da wir mittlerweile aber auch Fälle haben, bei denen die Tiere illegal getötet wurden, die Ermittlungsakten aber geschlossen sind, sind dies unsere „Musterbeispiele“. Es gibt einen Fall, den wir bereits mehrfach in Vorträgen, Zeitungen und im Fernsehen vorgestellt haben, um dem Laien erklären zu können, wonach man überhaupt sucht.
Nutzen Sie zur Untersuchung eher klassische Methoden wie Röntgen und Beschau oder gibt es – so wie im Fernsehen – auch für Wölfe neuartige High-Tech-Verfahren?
Wir nutzen sowohl die klassischen Untersuchungsmethoden als auch High-Tech-Verfahren. So besitzt unser Institut den in der Tiermedizin weltweit modernsten hochauflösenden Computer Tomographen (CT) mit 320 Zeilen / 640 Schichten zur Untersuchung aller Wölfe. Aber auch andere Wild- und Zootiere, wie die Eisbären Knut und Troll, kamen oder kommen in diesen CT. Am CT erheben wir den Status „0“, also den Status, wie das Tier noch im geschlossenen Plastiksack bei Anlieferung war. Mit Hilfe des CT-Datensatzes können die Tierkörper auch dreidimensional dargestellt werden, damit beispielsweise alle Geschossfragmente abgesucht werden können. Dies dient auch dazu, dass sich Sachverständige der Landeskriminalämter sowie Staatsanwälte und Richter ein räumliches Bild von dem Wolf und den Geschossen vorstellen können.
Erst nach dem CT beginnen wir mit den aufwendigen und doch unumgänglichen klassischen Untersuchungen: äußerliche Betrachtung und Dokumentation der Läsionen, Absuchen der Ektoparasiten und/oder Fremdsubstanzen. Darauf folgt die eigentliche Sektion mit Eröffnung der Körperhöhlen und Entnahme von Gewebe- und Blutproben. Es werden Proben aller inneren Organe für die histologische Untersuchung in Formalin fixiert und aufbereitet, damit sie einige Tage später am Mikroskop beurteilt werden können. Weitere Proben werden für elektronenmikroskopische, bakteriologische, parasitologische, virologische, toxikologische und genetische Untersuchungen gewonnen und wenn sie nicht gleich in unserem Institut weiter verwendet werden, bei -80 °C aufbewahrt. Nicht alle Untersuchungen erfolgen am IZW. Wir haben in ganz Deutschland Kooperationspartner, die von uns mit den entsprechenden Proben aller Wölfe versorgt werden.
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