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Streuobst in der Oranienbaumer Heide
Walter Riemann ist ein hagerer, aber trotzdem in jeder Hinsicht starker Mann. Immerhin hat er schon 77 Lebensjahre hinter sich. Seine Augen strahlen, wenn er von seinem Hobby erzählt: die Natur schützen. In den vergangenen Jahren hat er es in der Oranienbaumer Heide ausgelebt - jedoch nicht immer zur Freude der ansässigen Behörden. Das mehr als 2.000 Hektar große Naturschutzgebiet liegt in der Nähe von Dessau-Roßlau, wo Riemann mit seiner Frau Karin seit den 1970er Jahren lebt. Der ehemalige Truppenübungsplatz ist seit 2003 als Vogelschutzgebiet gemeldet und gehört zum europaweiten Schutzgebietsnetz Natura 2000.
Jonathan und der Gelbe Köstliche
Neben offener Landschaft mit trockener Sandheide, Besenheide und Ginster ist dort eine Besonderheit zu finden: nämlich über 300 Apfel- und Birnbäume, die Walter Riemann entdeckt hat. Sie stehen vereinzelt, entweder versteckt oder auf den freien Flächen, und strecken ihre knorrigen Äste in die Höhe. „Ich vermute, dass die Russen das Obst zu essen bekommen haben, und aus den Kernen wurden Apfelbäume“, erzählt er. So schön das klingt, wahrscheinlicher ist es, dass die Soldaten dort zu Versorgungszwecken Apfelbäume angepflanzt haben (so war es auch bei anderen Truppenplätzen üblich) und diese, was wiederum erstaunlich ist, bis heute überlebt haben. Die Soldaten hielten den Platz auch wildfrei. Zur Freude von Walter Riemann.
„Einige Sorten haben Tafelqualität“, sagt Riemann, „darunter sind Croncels, der Schöne von Nordhausen, Jonathan, Ontario, Landsberger Renette, Gala und Golden Delicious – der wurde in der DDR Gelber Köstlicher genannt.“ Walter Riemann hat die Äpfel von einem Pomologen bestimmen lassen. Seit seiner Entdeckung vor zehn Jahren, schaut er nach den Bäumen. 250 hat er freigestellt und mit Wildschutzdraht gesichert. „Die Sicherung der Apfelbäume begann, als im Winter die Konikpferde die Stämme zu schälen begannen. Es war ein Wettlauf, weil die Weidefläche schrittweise auf 800 Hektar erweitert wurde“, so Riemann.
Verbissschutz gegen Weidetiere
Das Material haben ihm Naturschutzfreund*innen gratis überlassen, es war bereits gebrauchter Wildschutzdraht. „Üblicherweise wird der Draht mit den kleinen Feldern nach unten aufgestellt. Ich musste aber anfangs die Erfahrung machen, dass die Koniks trotzdem durch die oberen großen Felder schälen konnten. Hier war es umgekehrt richtig.“ Als gelernter Gärtner weiß er, was er tut. Das kommt jetzt den Bäumen zugute. „Im Herbst ziehen die Koniks an den Bäumen vorbei und lassen sich die Äpfel schmecken“, so Riemann. Zusammen mit einer Herde Heckrinder werden die Pferde dort zur Beweidung im Sinne des Naturschutzes eingesetzt.
Als Riemann dachte, er habe alle Bäume entdeckt, fand er neue – die Arbeit nahm also nicht ab. Offiziel hat Riemann keine Genehmigung für das Gebiet und ist auch schon öfter verwarnt worden, sogar mit Bußgeld. Riemann lässt sich davon nicht beirren. „Meine ehrenamtliche Tätigkeit kam nicht immer gut an, die Hochschule Anhalt bemängelte, dass ich ihre Forschungsarbeiten störe, für die Erhaltung der Apfelbäume schien sich aber kaum jemand zu interessieren. Jetzt habe ich mein Werk getan und hoffe, dass sich ein jüngerer Bekannter weiter dafür einsetzt“, sagt Riemann. Die alten Obstbäume sind jedenfalls von hohem naturschutzfachlichem Wert. Vögel erfreuen sich an den Höhlen und Rindenspalten, aber auch Insekten finden dort Unterschlupf und Nahrung. Sie sind also wichtig für die Artenvielfalt.
Wiedehopf, Wendehals und Ziegenmelker können dort beobachtet werden. Bei unserem Besuch konnten wir sogar Warzenbeißer entdecken – eine Langfühlerschrecke. Von 1945 bis 1992 wurden insbesondere die zentralen Flächen des Gebietes vom sowjetischen Militär als Truppenübungsplatz genutzt. Im Süden und Osten wurde das Gebiet teilweise durch den Abbau von Braunkohle und Kies geprägt. Nach Aufgabe der militärischen Nutzung wurden große Teile dieser Offenlandkomplexe mit Trockenrasen, Heiden und Land-Reitgrasfluren sich selbst überlassen. In den vergangenen Jahren entwickelten sich auf den ehemals offenen Flächen an vielen Stellen Pionierwälder mit Birken und Kiefern. Es ist möglich, dort zu wandern, allerdings nur auf den ausgeschriebenen Wegen.
Oranienbaumer Heide
Seit 2010 ist die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) Naturerbe GmbH Eigentümerin der Oranienbaumer Heide. Gemeinsam mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), Sparte Bundesforst, erhält und optimiert die DBU Lebensräume für heimische Tier- und Pflanzenarten. Weitere Informationen unter www.dbu.de/naturerbe. Kooperationspartner für die Forschung mit der Hochschule Anhalt ist der NABU-Regionalverband Köthen.
Leidenschaft für den Garten
Zu Hause hat Walter Riemann einen prachtvollen Garten. Neben einem Nutzgarten mit Kirschbaum gibt es insektenfreundliche Pflanzen, einen Teich, einen Terrassengarten und sogar einen opulenten Feigenbaum. Wir können die Blaue Holzbiene sichten, und es fällt uns schwer, uns von diesem Paradies zu trennen.
Vielleicht werden die Obstbäume in Zukunft weiterhin durch Zufall von Wander*innen entdeckt. Unter Naturliebhaber*innen scheint das Gebiet noch ein Geheimtipp zu sein. Für Walter Riemann wäre es sicher eine Erfüllung, wenn seine Arbeit auch in Zukunft eine Würdigung erfährt und sich kommende Generationen an den Apfelbäumen erfreuen können. Besonders, wenn sie in voller Blüte in der Heide stehen.
Nicole Flöper (2020)
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