Dohlen an der Bingener Basilika St. Martin.
Gefiederte Kirchgänger
Mit Bardo Petry auf Dohlensuche in Bingen
„Därf isch mol höflisch frage, woas's doa zu gucke gibt?“, erkundigt sich ein vorbeigehender älterer Passant. Bei dem Anblick, kein Wunder: Drei NABU-Mitarbeiter, ein Fotograf und zwei Ordnungsbeamte stehen vor der Basilika St. Martin und schauen wie gebannt auf einen Kirchturm. Ein lautes „kjakk, kjakk“ löst die Spannung bei den Schaulustigen. „Da sind sie endlich, die Dohlen!“, gebe ich als Antwort.
Den ganzen Tag sind wir schon auf der Suche nach dem Vogel des Jahres 2012. Bardo Petry und Jakob Rothschenk, Vorsitzende des NABU Bingen, führen die Truppe an. Erste Station bei strahlendem Sonnenschein war die ebenso wie St. Martin im Rahmen der NABU-Aktion „Lebensraum Kirchturm“ ausgezeichnete Dreikönigskirche im Stadtteil Kempten. Nun klettern wir auf den 35 Meter hohen Turm der Basilika, von dem sich ein herrliches Panorama auf das Tor zum Mittelrheintal eröffnet, im Hintergrund die Hungerfelsen.
Brutmöglichkeiten geschaffen
Bardo Petry kennt die Plätze, an denen sich die kleinen Rabenvögel gerne niederlassen, denn er hat sie jahrelang begleitet und erforscht. Normalerweise herrscht reger „Flugverkehr“ über den Dächern der Stadt. Das war jedoch nicht immer so. Vor etwa 20 Jahren schien die Dohle in Rheinland-Pfalz fast ausgestorben, nur zwei Paare waren noch übrig. „Es war kurz vor zwölf“, erzählt der 52-Jährige. Petry fing damals an, sich besonders für die Dohlen einzusetzen. Um Brutmöglichkeiten war es schlecht bestellt, also zimmerte er eifrig bei sich zuhause dutzende von Nistkästen.
Dohlen fühlen sich besonders in Kirchtürmen wohl. Doch die meisten Kirchtürme sind inzwischen vergittert, um die Straßentaubenvorkommen klein zu halten. Das 2007 gestartete NABU-Projekt „Lebensraum Kirchturm“ soll Abhilfe schaffen. Ziel ist es, Kirchtürme wieder zu öffnen und Vogelarten wie Dohle, Schleiereule, Turm- und Wanderfalke, aber auch Fledermäuse und andere Arten anzuziehen. Die gotische Basilika St. Martin ist der ganze Stolz der Bingener, sie war in Rheinland-Pfalz auch die erste Kirche, die ihren Turm öffnete – weitere 67 Kirchen folgten. Mittlerweil haben sich bundesweit schon mehr als 500 Gotteshäuser an „Lebensraum Kirchturm“ beteiligt.
In Bingen, wo auch andere Einrichtungen und sogar private Hausbesitzer ihre Gebäude für die Vögel öffneten, war die Dohlenansiedlung sehr erfolgreich: Von den 100.000 Dohlen-Brutpaaren, die es noch in Deutschland gibt, existieren mittlerweile wieder 50 in Bingen. Bardo Petry hat einen wesentlichen Teil zu dem Erfolg beigetragen. „Am Anfang haben wir die Dohlen beringt, um zu sehen, ob sie auch weiter weg fliegen. Das war aber gar nicht der Fall“, erzählt Petry. „Dafür war ich schon stolz, am Rheinufer später Dohlen mit silbernen Ringen rumlaufen zu sehen, weil ich wusste: Ach, die hatte ich doch auch schon in der Hand.“ Als Vorreiter gewann er viele Kirchengemeinden für sich und befestigte zahlreiche Kästen kostenlos und nicht selten mit hohem körperlichem Einsatz in Kirchentürmen und -speichern, ebenso an Schlafbäumen am Rheinufer.
Handaufzucht und Auswilderung
Dass Bardo Petrys Engagement zu einiger Bekanntheit gelang, ist auch Dohle „Jack“ zu verdanken. Jack wurde vor fünf Jahren im Glockenturm der St. Martin-Basilika geboren. Er hätte nicht überlebt, wenn Naturschützer Petry ihn nicht mit zu sich nach Hause genommen und aufgepäppelt hätte. Als Küken war Jack im Vergleich zu seinen Geschwistern zu schwach. Bei Familie Petry fand er in Bingen-Dromersheim so erstmals ein neues Zuhause. Dohlen können bei Handaufzucht sehr zahm werden und sind dazu äußerst lernfähig. So konnte Petrys Sohn Oli der Dohle das Fußball spielen beibringen. Und auch beim gemeinsamen Spaziergang konnte man Jack mit seiner Adoptivfamilie öfters beobachten.
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Ein Blick auf das Einflugloch zum Dohlennistkasten.
Nach einigen Monaten war Jack groß und stark genug, um die Petrys zu verlassen und wieder in die Freiheit zurückzukehren. Er wurde von der Familie langsam entwöhnt und in der Hasslocher Wildvogelauffangstation auf seine Wiedereingliederung in die Dohlengesellschaft vorbereitet. Jetzt hat er wohl irgendwo eine eigene Familie gegründet und Familie Petry hofft, dass Jack ein gutes Leben hat – schließlich kann eine Dohle bis zu 20 Jahre alt werden.
Wenn Bardo Petry von solchen und anderen Erfolgsgeschichten erzählt, leuchten seine Augen. Schon als Kind war er der Natur sehr verbunden. Die Feldarbeit bei seinem Onkel hat ihn damals bestärkt, sich für den Naturschutz zu engagieren. Seine Medienpräsenz, die ihm sein außergewöhnliches Engagement eingebracht hat, ist ihm immer noch etwas befremdlich, denn eigentlich mag er keine Interviews. „Aber was macht man nicht alles für den Naturschutz“, sagt er mit einem Lachen. Die Auszeichnung der Dohle als „Vogel des Jahres 2012“ freut ihn aber, weil er schon immer ein besonderes Verhältnis zu Rabenvögeln hatte und es wichtig findet, dass sie weiter geschützt werden. Am Ende des Tages beobachten wir noch eine Weile das Flugspiel der Dohlen über der Basilika und wissen beide: Petrys Einsatz hat sich gelohnt.
Jasmin Singgih
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