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Jetzt NABU-Mitglied werden!Kormorane vor der Kamera
Neue Einblicke im Wasservogelreservat Wallnau
Vögel vor Ort zu beobachten erfreut sich großer Beliebtheit. Doch manche Orte bleiben für Beobachter unerreichbar. Dazu gehören auch Vogelkolonien, die sich meist abseits öffentlich zugänglicher Wege befinden. Um dem abzuhelfen, hat der NABU Schleswig-Holstein 2010 im Wasservogelreservat Wallnau auf Fehmarn zunächst eine und zur Brutzeit 2012 eine weitere Webcam in Betrieb genommen, die Live-Bilder aus einer abgelegenen Kormoran-Kolonie ins Internet übertragen.
„Wir wollen damit der Öffentlichkeit auch einen ungestörten Einblick in die natürliche Brutstätte einer an anderen Orten verfolgten Art bieten, und so in der Bevölkerung um Sympathie für den Kormoran werben“, beschreibt Martin Altemüller, wissenschaftlicher Leiter des NABU-Wasservogelreservats, die Projektidee. Kormorane sind bei Fischern und Anglern immer noch extrem unbeliebt, obwohl Untersuchungen die behaupteten volkswirtschaftlichen Schäden für die Fischerei längst widerlegt haben.
Kolonie auf unzugänglicher Insel
Kormorane brüten seit mehreren Jahren in Wallnau auf einer unzugänglichen Insel mitten im Schutzgebiet. 2012 waren es rund 80 Paare. Die Kameras befinden sich jeweils am Rande zweier Teil-Kolonien. Neben Kormoranen kommen auch weitere auf der Insel brütende und rastende Vogelarten vor, die das als EU-Vogelschutzgebiet ausgewiesene, ehemalige Teichgut Wallnau nutzen. Mehr als 50 Vogelarten, darunter Raritäten wie Löffler, Zwergschwäne, Kolbenenten und Rosapelikan, ließen sich mit der Webcam bislang beobachten.
Der NABU-Bundesverband betreibt im Wasservogelreservat ein großes Informationszentrum, in dem sich Besucher in einer großen Ausstellung über die „Vogelfluglinie“ informieren, aber auch die Vogelwelt aus Verstecken – „Hides“ nach englischem Vorbild – heraus beobachten können. Nun haben Naturfreunde weltweit die Möglichkeit, via Internet Vögel des Wasservogelreservates ganzjährig zu beobachten. Eingesetzt werden eine jeweils mit Solarstrom betriebene Hightech-Netzwerkkamera sowie eine hochauflösende HDTV-Webcam, die Bilder über eine Funkstrecke in das Zentrum und von dort ins Internet überträgt.
Seeadler erbeuten Jungkormorane
Mit diesem Technikeinsatz konnten nun neue Kenntnisse über den Kormoran gewonnen werden. Vielfach wird immer noch die Ansicht vertreten, dass Kormorane keine Feinde haben und sich deshalb „explosionsartig“ vermehren. Die Beobachtungen in Wallnau zeigen genau das Gegenteil.
In den beiden zurückliegenden Jahren rückten nämlich auch Seeadler ins Blickfeld der Internet-Kamera: Die Adler hatten die flugfähigen, aber sich noch im Umfeld der Kolonie aufhaltenden jungen Kormorane als Nahrungsquelle entdeckt. Mit der Webcam gelangen dabei spektakuläre Bilder, die auf der Webseite des NABU Schleswig-Holstein dokumentiert werden. Auch 2012 suchten Seeadler die Kormoran-Kolonie auf. Dabei gelang es, ein Adlerpaar beim Eierraub zu beobachten. Dieses Verhalten ist zwar in der Literatur beschrieben, aber für Schleswig-Holstein noch nie dokumentiert worden.
Die für die Zukunft spannende Frage ist: Harren die Kormorane aus oder löst sich die Kolonie auf, wie es bereits für andere Brutorte belegt ist? 2012 ließen sich die schwarzen Gesellen jedenfalls zunächst nicht erkennbar beeindrucken und kehrten immer wieder schnell auf ihre Nester zurück – obwohl die Adler auf der Insel verweilten und manche Nester auch komplett geleert wurden. Sollten sich die Seeadler aber dauerhaft niederlassen, könnte dies das Ende der Kormorankolonie bedeuten. Der Bruterfolg ist jetzt schon deutlich gesunken. 2012 haben nur rund 40 Jungvögel die Flugfähigkeit erreicht, gegenüber fast 200 Tieren in der noch ungestörten Saison 2010.
Nicht nur Seeadler setzen dem Bestand zu. Verlassen die Kormoran-Eltern bei Störungen die Kolonie, ist der Weg auch für Silbermöwen und Rabenkrähen frei, Eier oder Küken zu entwenden. Und ein weiterer Beutegreifer lauert, wie die Webcam erstmals 2011 dokumentierte: Ein Fuchs erreichte die Niststätten, in denen die Jungen nahezu flügge waren, sich aber noch in der Nähe ihrer Nester am Boden oder in den wenigen mannshohen Sträuchern aufhielten. Innerhalb von zwanzig Minuten fanden vor den Augen der Internetbeobachter mindestens fünfzehn Jungvögel den Tod. Bemerkenswert ist, wie überlegt der Fuchs bei seinem Beutezug vorgeht – von „Blutrausch“ keine Spur.
Frühreife Paare
Seit 2006 beringt der NABU junge Kormorane in der Kolonie. Wallnauer Kormorane wurden seitdem sowohl aus Norddeutschland wie auch aus Dänemark, den Niederlanden, der Schweiz, Frankreich, Portugal und Spanien zurückgemeldet. Seit 2012 gelingen vor allem mit der HDTV-Kamera Ablesungen markierter Tiere auf der Brutinsel. 29 Kormorane konnten auf Grund ihrer codierten Ringe individuell erkannt werden. Fremde Ringträger stammten bislang aus Mecklenburg-Vorpommern, Dänemark, den Niederlanden, Schweden und Polen. Das Einzugsgebiet der Wallnauer Kolonie ist damit recht groß.
Im Allgemeinen brütet der größte Teil der Kormorane erstmals im dritten oder vierten Lebensjahr. Manche Wallnau-Paare unterschreiten dieses Alter deutlich: Von zwölf 2012 brütend festgestellten, ursprünglich nestjung in Wallnau beringten Tieren stammten acht aus dem Jahrgang 2010. Eines der Männchen baute sogar mit einem erst im Vorjahr geschlüpften Weibchen ein Nest. Grund für das zeitige Brüten ist vermutlich die Dezimierung der Kolonie durch Seeadler und Fuchs, die zu einer geringeren Konkurrenz um geeignete Niststandorte führt.
Der NABU wird das Projekt in den kommenden Jahren weiterverfolgen. Unter webcam.nabu-sh.de können Interessierte das ganze Jahr über selbst an der Forschung teilnehmen.
Ingo Ludwichowski
Das Webcam-Projekt wird im Jahr 2012 gefördert aus Mitteln der Umweltlotterie BINGO!, des schleswig-holsteinischen Umweltministeriums und der Lighthouse Foundation.