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Jetzt NABU-Mitglied werden!Im Reich der Steinadler
Naturerlebnis Allgäuer Hochalpen
Schroff stößt die felsige Giebelspitze in den milchigblauen Himmel. Darüber, schon fast in den Wolken, ziehen zwei Steinadler ihre Bahn. Mit brettartig ausgebreiteten Schwingen gleiten sie nahezu bewegungslos über das Felsmassiv dahin. Oben, auf fast 2000 Meter Höhe, liegt auch im späten Frühjahr noch Schnee. Doch die Alpwiesen gleich unterhalb des Schneebretts stehen bereits in vollem Saft. Eingezwängt zwischen Nadelbäumen ziehen sie sich sattgrün den Steilhang hinunter.
-> Der Steinadler im Porträt
Im Hintersteiner Tal drängt sich vor einer verwitterten Bretterhütte ein Trupp Wanderer um drei Fernrohre und beobachtet den Flug der beiden Greife. Die Hütte gehört dem bayerischen NABU-Partner Landesbund für Vogelschutz (LBV) und ist Ausgangspunkt für Wanderungen ins Reich der Steinadler. Geführt wird der Trupp von Henning Werth, einem hochgewachsenen Mann in olivgrüner Wildnis-Montur. Der 40-jährige Biologe ist hier, im Naturschutzgebiet Allgäuer Hochalpen, seit 2003 öffentlich bestellter Gebietsbetreuer. Die Bergwildnis südlich von Oberstdorf und Bad Hindelang ist fast 21.000 Hektar groß und gilt als artenreichstes Gebirge Deutschlands. Sie ist Rückzugsgebiet für Gams und Steinbock; hier brüten Uhu, Rauhfußkauz und Wanderfalke.
Brüten im Steilhang
Insbesondere die hohe Steinadler-Dichte in den Hochalpen hat es dem Wandertrupp angetan. Neun Adlerpaare haben das Gebirge unter sich aufgeteilt. „Ein Adlerpärchen braucht 40 Quadratkilometer Fläche“, erläutert Henning Werth, während er mit dem Feldstecher den Gipfel anvisiert. Die beiden Steinadler haben sich auf einem Grat nahe der Felsspitze niedergelassen und werden von einem aufgeregten Turmfalken bedrängt. Doch das Adler-Pärchen bleibt gelassen: Werth deutet auf eine Baumgruppe am brüchigen Steilhang unterhalb des Gipfels. „Dort haben die beiden ihren Horst“, sagt er, „dieses Jahr sind zwei Junge geschlüpft.“ Ob beide durchkämen, sei allerdings ungewiss, denn oft töte der größere Jungvogel den kleineren – vor allem in Jahren mit knappem Nahrungsangebot.
Dann mahnt Werth zum Aufbruch. Der Weg führt leicht bergauf, entlang des Hochufers des reißenden Bärgündelesbachs. Den Wegesrand säumen gelber Frauenschuh, blauer Enzian und rosa Mehlprimeln. Der Hangwald ist durchsetzt von dürren Ästen, abgestorbenen Kronenresten und morschen Stämmen. Auf der aufgeplatzten Rinde alter Baumriesen wachsen Moose und Flechten. Sogar vom Aussterben bedrohte Lungenflechten sind in den Hochalpen noch verbreitet. „Ein Indikator für besonders gute Luftqualität“, sagt der Biologe.
Segen und Fluch zugleich
Werth geht gemächlichen Schritts, die linke Hand in der Hosentasche, die rechte am Stativ, das er auf der Schulter trägt. Forschend gleitet sein Blick über das Bergmassiv. Gegenüber einer steilen Alpwiese lässt er Halt machen und die Fernrohre aufbauen. Ein äsender Gamsbock ist zu erkennen. Weiter oben, hart an der Schneegrenze, brechen zwei Rothirsche durch den Bergwald.
Anfang Juni beginnt in den Hochalpen der Alpsommer; dann treiben die Hirten ihr Vieh auch dort hinauf. „Die Weidewirtschaft ist Segen und Fluch zugleich“, sagt Werth. Weiderinder verhinderten einerseits das Zuwachsen und Verbuschen der Alpwiesen. Damit garantierten sie den Lebensraum für Trollblume, Silberdistel, Birkhuhn und Murmeltier und damit die Artenvielfalt im Naturschutzgebiet.
Eine zu dichte Beweidung reduziert jedoch die Artenvielfalt. „Das Vieh überdüngt die Böden und die typischen artenreichen Wiesen verschwinden“, erläutert der Biologe, der sich als Vermittler sieht. Denn in einem Gebiet wie den Allgäuer Hochalpen, das von verschiedenen Interessengruppen genutzt wird, kommt es immer wieder zu Konflikten. Da sind Alp- und Forstwirtschaft, deren Pläne öfters mit den Belangen des Naturschutzes kollidieren. Und Jäger verfolgen ganz andere Ziele als die Touristen, die sommers wie winters in Scharen kommen. „Die Region ist in hohem Maße vom Tourismus abhängig“, sagt Werth. Sorgen bereiten dem Gebietsbetreuer vor allem Snowboarder und Varianten-Skiläufer, die von vorgegebenen Pisten abweichen und auch in unberührtes Gelände vorstoßen. Dieser Klientel sei die Einzigartigkeit der Allgäuer Hochalpen meist egal, sagt Werth. „die Landschaft verkommt zur Kulisse.“
Das Adlerleben ist hart
Vorbei an einer markanten Felsstufe, über die ein Bach aus 70 Meter Höhe fauchend und tosend talwärts stürzt, geht es weiter über die Bärgündelesbach-Brücke. Ein paar Schritte, dann öffnet sich das Tal und die Wanderer stehen am Fuß des Bergmassivs inmitten einer Wiese, auf der sich ein halbes Dutzend Murmeltiere in der Frühlingssonne balgt. Im Sommer seien Murmeltiere die wichtigste Adler-Beute, erläutert der Biologe. „Da, der Adler ist über uns“ ruft er plötzlich und reißt den Feldstecher hoch. Über dem Kamm ist das Steinadler-Pärchen aufgetaucht; in elegantem Sinkflug gleitet es die Bergflanke entlang. Noch bis ins 20. Jahrhundert sei der Steinadler intensiv verfolgt und nahezu flächendeckend ausgerottet worden, erläutert Werth. Heute seien Störungen am Horst und Nahrungsmangel die größten Gefahren: „Das Adlerleben ist hart.“
Hartmut Netz
Die Allgäuer Hochalpen wurden für die vorbildliche Verknüpfung von Mobilität und Tourismus mit dem „Fahrtziel Natur Award“ ausgezeichnet. Mit der Kampagne „Fahrtziel Natur“ wirbt die Bahn gemeinsam mit den Umweltverbänden für nachhaltigen Tourismus. Für die derzeit 20 Naturparadiese mit diesem Siegel ist der eigene Pkw überflüssig. Mit Bus, Bahn oder Fahrrad erreicht man problemlos alle Sehenswürdigkeiten. Anreise zur Steinadler-Beobachtung: per Bahn bis Sonthofen, weiter mit dem Bus über Hindelang nach Hinterstein und zum Giebelhaus. Mehr unter www.allgaeuer-hochalpen.de.