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Kann Biotechnologie unseren Flächenverbrauch reduzieren?
Von Seiten der Industrie wächst die Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen rasant. Damit unsere Ackerflächen und Wälder nicht überlastet werden und weiterhin genügend Raum für Biodiversität bleibt, müssen neue Lösungen her. Die Werkzeugkiste der Biotechnologie scheint für diese Zwecke prall gefüllt: Sie kann konventionelle land- und forstwirtschaftliche sowie industrielle Produktionsweisen ersetzen, um neuartige Produkte herzustellen.
Der von Christiane Grefe (freie Autorin) moderierte Online-Talk widmet sich vor diesem Hintergrund einer Bandbreite von möglichen Anwendungen und lässt dafür Praxisakteur*innen aus Wissenschaft, Industrie und organisierter Zivilgesellschaft zu Wort kommen.
Dr. Steffi Ober (stellvertretende Fachbereichsleiterin Klima- und Umweltpolitik, NABU) betonte, wie wichtig es sei in Anbetracht des zukünftig weiterwachsenden Rohstoffbedarfes, die begrenzt verfügbaren Flächen zu entlasten. Die Anforderungen sind komplex, daher werden vielschichtige Lösungsansätze benötigt, die auch neue Technologien einbeziehen.
Dr. Viola Bronsema, Geschäftsführerin von BIO Deutschland und Mitglied des Bioökonomierats, machte in ihrem Eröffnungsstatement deutlich, dass die Priorität der Biotechnologie die Schaffung einer biobasierten nachhaltigen Wirtschaft sei, die Resilienz ermögliche und Rebound Effekte vermeide. Dr. Anke Hein, Referat Natur- und Umweltangelegenheiten der Gentechnik und der Bioökonomie BMUV, betonte, dass der Fokus der Bioökonomiestrategie auf verfügbaren biogenen Ressourcen liege. Die Biotechnologie weist das Potenzial auf als geschlossenes System zu operieren, um weitere Biomasse zu gewinnen und Ressourcen effizienter einzusetzen.
Impulsvorträge
Über die Möglichkeiten der Biotechnologie in Bereich „Alternative Proteine“ sprach Dr. Sebastian Rakers, Mitgründer und CEO von BLUU Seafood. Er wies auf die gefährdeten Fischbestände hin und forderte alternative Quellen für tierische Eiweiße. BLUU Seafood ist das erste Unternehmen in Europa, das sich auf die Entwicklung und kommerzielle Produktion von kultiviertem Fisch spezialisiert hat. Durch die Züchtung und Vermehrung von Fischzellkulturen entstehen Produkte (z. B. Fischbällchen, Fischtartar und Fischfilets), die einen Beitrag zur Sicherung der zukünftigen Versorgung der Menschheit mit tierischem Eiweiß leisten können und dabei Ozean- und Meerökosysteme schützen.
Danach referierte Dr. Christian Sonnendecker, Spezialist im Bereich Protein Engineering an der Universität Leipzig, über das biologische Recycling von Polyester-Kunststoffen. Die speziellen Enzyme arbeiten sehr selektiv und sind somit in der Lage fossile Kunststoffe in einem geschlossenen Kreislauf abzubauen. Der entstehende innovative Stoffkreislauf, der in Zukunft auch künstliche Intelligenz integrieren wird, ermöglicht es CO2 zu binden (zwischen 60-90 % weniger als konventionelle Produkte) und das Problem der zunehmenden Plastik- und PET-Verpackungen zu lösen.
Über die zirkuläre Bioökonomie in der Industrie sprach Martin David Ledwon, Leiter der Bereiche Nachhaltigkeit und Marktentwicklung, Marketing und Kommunikation bei UPM Biochemicals. Er betonte den Bedarf für eine neue holistische Vision der Ökonomie, die zirkulär und suffizienz-orientiert sein solle. Dafür müssen Martin Ledwon zufolge Stoffströme und Wertschöpfungsketten defossilisiert, optimiert und Kreisläufe geschlossen werden. Technologische Innovationen wie holzbasierte Chemikalien könnten dazu einen Beitrag leisten.
Anschließend stellte Prof. Dr. Peter Saling, Director of Sustainability Methods bei BASF, die Möglichkeiten der Grünen Chemie im Rahmen der europäischen Technologieplattform vor. Technologiefelder wie die nachhaltige Chemie und industrielle Bioökonomie sollen somit stärker sichtbar gemacht werden. Prof. Saling identifizierte drei Handlungsfelder, die einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten können:
- erneuerbare und recycelte Rohstoffe
- Stoffkreisläufe
- neue Geschäftsmodelle
Voraussetzungen sind hierbei funktionierende Nachhaltigkeitsbewertungswerkzeuge (z. B. Ökobilanz, Klimabilanz, Biomassebilanz) und eine hohe CO2-Bepreisung.
Podiumsdiskussion
Christiane Grefe moderierte die anschließende Podiumsdiskussion. Neben den Impulsgebern ergänzte Dr. Thomas Tietze, Teamleiter Arten- und Vogelschutz im NABU, die naturschutzfachliche Perspektive. Er betonte die Notwendigkeit unsere Ernährungsmuster zu ändern, anstatt Nahrungsmittel einfach zu ersetzen. Zu klären sei außerdem, inwieweit die Biotechnologie Organismen und Ökosysteme beeinflusse und wie einer signifikanten Steigerung der Biomassennachfrage begegnet werden könne.
Martin David Ledwon betonte, dass es eine Kombination aus Marktmechanismen und Regulierungen bräuchte, um die Anwendung des Kaskadenprinzips in der Praxis voranzutreiben. Wichtig sei zudem, das Bewusstsein der Verbraucher*innen zu erhöhen.
Prof. Dr. Peter Saling betonte die Notwendigkeit unsere Lebensmittelabfälle maßgeblich zu verringern, damit der Duck auch Flächennutzung nachlässt. Bessere Verpackungssysteme könnten einen maßgeblichen Beitrag leisten. Sebastian Rakers wies auf den Unterschied zwischen Biomasse für die Industrielle- und Lebensmittelindustrie hin, hielt sich aber bedeckt zu welchem der beiden Kategorien sein Start-up gehöre, da es zum jetzigen Zeitpunkt noch zu früh sei dies festzulegen. Es werden noch keine ausreichenden Mengen produziert für eine fundierte Einschätzung. Fakt ist jedoch, dass wir zukünftig weniger, klüger und intelligenter konsumieren müssen.
Christiane Grefe beendete die Podiumsdiskussion mit der Frage, welche institutionellen Rahmenbedingungen und wirtschaftlichen Instrumente eine Transformation zur Nachhaltigkeit unterstützen können und was sich die Akteur*innen vom politisch-ökonomischen System wünschen. Prof. Dr. Peter Saling sieht Potential in Bildungs- und Aufklärungsarbeit und hofft auf einen breiteren Anwendungsbereich der Biotechnologiepolitik. Dr. Christian Sonnendecker priorisiert die Einschränkung von Erdölmengen und fordert ein größeres Angebot an Subventionsmöglichkeiten. Martin David Ledwon ist ebenfalls der Meinung, dass es größeren Raum für gezielte Subventionen und Anreize brauche. Sebastian Rakers wünschst sich eine bessere Proteinversogungs-Strategie, die neuen Technologien einschießt und gleichzeitig die Verbraucher*innen einbindet (z.B durch Verkostung). Zu guter Letzt schloss Viola Bronsema die Diskussion und hob die Notwendigkeit von Transparenz und Skalierbarkeit für die Zukunft hervor.
FAZIT
Die Veranstaltung zeigt nicht nur eine Bandbreite an Lösungsansätzen, sondern auch großen Diskussionsbedarf. Mittlerweile existiert eine Vielzahl an Technologien, die auf eine Entlastung landwirtschaftlicher Flächen, aquatischer Ökosysteme oder die Loslösung von fossilen Rohstoffen abzielen – mit zunehmender Tendenz.
Doch muss jede Technologie einer individuellen und strengen Ökobilanzierung, einer Unbedenklichkeitsprüfung sowie einer Risikofolgenabschätzung unterzogen werden, bevor sie in der Praxis eingesetzt werden kann. All diese technologischen Möglichkeiten dürfen aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass eine grundlegende Transformation unserer eingefahrenen Konsummuster, Ernährungs- und Produktionsweisen hin zu einem reduzierteren Verbrauch und sinnvolleren Ressourceneinsatz unvermeidlich ist.
Das sind die großen Hebel, um den wachsenden Druck auf Flächen und Ökosysteme maßgeblich zu verringern.
Wir danken allen Referent*innen und Teilnehmer*innen ganz herzlich für ihren wertvollen Input. Ein besonderer Dank geht auch an das BMUV, das unser Projekt zu einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Bioökonomie fördert.
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Innovation ist unverzichtbar, um die Klima- und Naturkrise zu bewältigen, und nachhaltiges Wirtschaften zu ermöglichen. Allerdings können selbst nachhaltige Innovationen mit Risiken und Kontroversen einhergehen. Der NABU entwickelt dafür Lösungsansätze. Mehr →