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Jetzt NABU-Mitglied werden!Das nationale Artenhilfsprogramm - Anforderungen an ein wirksames Naturschutzinstrument aus Sicht des NABU
Ergebnisse eines NABU-Fachgesprächs am 8. Juni 2022
„Wir werden ein nationales Artenhilfsprogramm auflegen, das insbesondere den Schutz derjenigen Arten verbessert, bei denen es Konflikte mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien gibt, um die Energiewende naturverträglich zu gestalten und die Finanzierung mit Beteiligung der Betreiber sicherstellen.“ Darauf haben sich die Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag verständigt.
Aber wie soll oder muss ein Artenhilfsprogramm des Bundes aussehen? Welche Anforderungen müssen aus Sicht des Naturschutzes erfüllt sein, damit ein Bundesprogramm das Ziel der Verbesserung des günstigen Erhaltungszustandes der betroffenen Arten wirksam und schnell erreichen kann? Welche Arten sind betroffen und sollen durch das Artenhilfsprogramm gefördert werden? Welche Maßnahmentypen zum Schutz und zur Förderung der betroffenen Arten kommen in Betracht? Reichen die in der mittelfristigen Haushaltsplanung vorgesehenen Finanzmittel aus, um die Ziele zu erreichen? Sind die vorhandenen administrativen Strukturen geeignet, die dringend notwendigen Maßnahmen schnell und wirksam umzusetzen? Stehen die grundgesetzlichen Regelungen und die Bund-Länder-Zuständigkeiten der erfolgreichen Umsetzung vielleicht sogar im Wege?
Der NABU hat diese Fragen in einem Gutachten beleuchten lassen und versucht, Antworten zu finden. Das Gutachten und die daraus abgeleiteten politischen Forderungen wurden am 8. Juni 2022 von 14 bis 16 Uhr in einem virtuellen Fachgespräch rund 150 Teilnehmenden vorgestellt und mit Vertreter*innen aus Politik, Verwaltung und Verbänden diskutiert.
Einleitend umriss Jens Sachteleben (PAN – Planungsbüro für angewandten Naturschutz GmbH) die zentralen Aussagen seines Gutachtens. Im Anschluss gingen Kai-Michael Thomsen (Michael-Otto-Institut im NABU (MOIN)) und Cosima Lindemann (NABU LV Rheinland.-Pfalz) auf die Erfahrungen mit Artenhilfsprogramm für den Weißstorch und Fledermäuse ein. Ergänzend stellten Verena Auernhammer vom Landesbund für Vogelschutz (LBV) ihre Erfahrungen mit Artenhilfsprogrammen in Bayern vor und formulierten Anforderungen für deren Weiterentwicklung.
Die Beiträge zeigten übereinstimmend, dass Artenhilfsprogramme durchaus geeignete Instrumente zur Verbesserung des Erhaltungszustandes sein können. Für viele der vom Ausbau der Windenergie an Land betroffenen Arten sei ausreichendes Wissen vorhanden, auf dessen Grundlage Schutz- und Förderungsmaßnahmen ergriffen werden könnten. Um erfolgreich und wirkungsvoll zu sein, müssten aber einige sehr grundsätzliche Bedingungen erfüllt sein. Dazu gehöre ein gut gefüllter Instrumentenkoffer, der unterschiedliche Maßnahmen – von Bewirtschaftungsmaßnahmen über Flächenkaufe bis hin zum Schutz auf dem Zugweg – möglich macht. Zwingend sei auch eine schlagkräftige Projektorganisation, die ausreichend und dauerhaft finanziert Maßnahmen realisieren könne und über kompetentes und gut qualifiziertes Personal verfüge. Für den Erfolg der Artenhilfsmaßnahmen in der Fläche bedürfe es des Weiteren fach- und sachkundiger Umsetzungspartner (z.B. Verbände, Landwirte, Naturschutzstationen). Last but not least wurden Wirkungs- und Erfolgskontrollen durch ein begleitendes Monitoring und die Evaluation der realisierten Maßnahmen als wichtig angesehen.
Nicht weiter vertieft werden konnte die Frage der zu berücksichtigenden Arten. Das NABU-Gutachten empfiehlt unter ausschließlicher Betrachtung des terrestrischen Bereichs, Artenhilfsmaßnahmen für 46 Vogel- und 25 Fledermausarten vorzusehen, sieht gleichzeitig aber auch die Notwendigkeit der Priorisierung. Cosima Lindemann verwies in dem Zusammenhang in ihrem Vortag auf die sehr angespannte Bestandssituation bei den betroffenen Fledermausarten.
Eine positive Grundhaltung zu den Planungen der Bundesregierung für ein nationales Artenhilfsprogramm von Arten, die durch den Ausbau der Erneuerbaren betroffen sind, vermittelten auch die Beiträge der Teilnehmenden der Diskussionsrunde. Oliver Conz, Staatssekretär des Hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, verwies auf das vor gut einem Jahr in Hessen gestartete Landesprogramm, das Schutzmaßnahmen für von Windenergieanlagen beeinträchtigte Vogel- und Fledermausarten außerhalb von Windenergievorranggebieten umsetzen soll. Das Vorhaben des Bundes könne eine sinnvolle Ergänzung dieses Programms sein.
Dr. Berthold Pechan, (Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung (MELUND)) hielt es für notwendig, dass der Bund die Länder, zumal diese originär für Artenschutz zuständig sind, gerade in der Finanzierung und bei der Frage des qualifizierten Personals unterstützt.
Die Notwendigkeit einer dauerhaften und ausreichenden Finanzierung erachteten auch die MdB Dr. Franziska Kersten (SPD) und Harald Ebner (Bündnis90/Grüne) als notwendig. Bei der Aufstellung des Bundesprogramms müsste diese Anforderungen unbedingt beachtet werden. Die in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehenen rund 80 Mio. EUR wären ein gutes Startkapital. Dr. Josef Tumbrinck, der als Sonderbeauftragter im BMUV für das Nationale Artenhilfsprogramm zuständig ist, berichtete, dass sich nach dem Willen der Bundesregierung auch die Windkraftbetreiber beteiligen an der Finanzierung beteiligen sollen, die ihre Anlagen auf Basis einer erteilten Ausnahmegenehmigung errichtet haben. Bei den aktuell im Haushalt vorgesehenen Mitteln handele es sich ausschließlich um Gelder des Bundes.
Zweifel äußerte Harald Ebner an der Forderung des NABU nach einer neuartigen Umsetzungs- und Finanzierungsstruktur. Die vorhandenen Instrumente hätten sich grundsätzlich bewährt, über die Frage der Notwendigkeit von Eigenanteilen von Projektträgern müsse aber noch nachgedacht werden. Tumbrinck ergänzte, dass das Bundesamt für Naturschutz mit der Koordination des Artenhilfsprogramms beauftragt werden würde.
Auf Nachfrage hin wollte Frau Dr. Kersten nicht ausschließen, dass im Rahmen des Maßnahmenpakets zum Artenschutz auch über das Thema Landbeschaffung gesprochen werden müsste; denn in besonderen Fällen würde es ohne den Zugriff auf Flächen nicht gehen.
Konstantin Kreiser, Fachbereichsleiter Naturschutzpolitik des NABU, wies in seinem Schlusswort darauf hin, dass es die Absicht des NABU gewesen sei, mit dem Gutachten sowie dem Fachgespräch einen Beitrag zu dem gerade erst beginnenden und in naher Zukunft noch zu intensivierenden Diskussionen, um das nationale Artenhilfsprogramm zu leisten. Die Erwartung des NABU sei es, dass am Ende ein Bundesprogramm dabei herauskommen würde, dass einerseits den dringend notwendigen Ausbau der Erneuerbaren möglich macht, andererseits aber nicht dazu führt, dass die ohnehin angespannte Artenkrise durch zusätzliche Belastungen nochmals verstärkt wird.