Prof. Klaus Henle, Luise Hüttner und Hans-Dieter Kasperidus vom Helmholtz Institut für Umweltforschung berichten über die Erhebungssituation von Streuobstbeständen. - Foto: NABU/Dirk Baumbach
Vielfalt kann so lecker schmecken – Fachtagung „Streuobst mit Zukunft“
Um dem Streuobst eine blütenreiche Zukunft zu geben, trafen sich am 15.07.2022 über 60 engagierte und interessierte Streuobstenthusiast*innen. Im Rahmen der Fachtagung „Streuobst mit Zukunft“ wurden die Ergebnisse des vom Bundesamt für Naturschutz finanzierten Forschung- und Entwicklungs-Vorhabens „Streuobstbestände in Deutschland – ökologische Bedeutung, Bestandssituation und Handlungserfordernisse“ vorgestellt. Ziel des gemeinsam vom NABU Bundesverband und dem Helmholtz-Zentrum für Umweltfoschung (UFZ) durchgeführten Projekts ist es, einen gesamtheitlichen Blick auf die Entwicklung und Verbreitung der Streuobstbestände in Deutschland zu richten und Wege für eine Stärkung des Streuobstbaus aufzuzeigen. Dabei wurden die aktuelle Situation der Streuobstbestände in Deutschland analysiert, deren Entwicklung erörtert, Gefährdungen für Streuobstbestände herausgearbeitet und Handlungserfordernisse aufgezeigt.
Streuobstbestände sind einer der artenreichsten Kulturlandschaften Mitteleuropas und von großer naturschutzfachlicher Bedeutung. Trotzdem gehen Streuobstbestände seit Jahrzehnten in Deutschland und im europäischen Ausland stark zurück. Dabei stellten solche Flächen mit hochstämmigen, weit ausladenden Obstbaumarten, in deren Schatten häufig artenreiche Wiesen gedeihen und Tiere weiden, lange die häufigste Form des Obstanbaus dar. Über Jahrhunderte entstanden so einzigartige, meist gemeinschaftlich genutzte Obstbaum-Landschaften, die typisch für den europäischen Raum waren und sind. Durch den Rückgang von Streuobstbeständen mit verschiedenen Obstbäumen und ihrem Totholz, Rindenstrukturen oder Baumhöhlen, sowie dem Blütenangebot des extensiv genutzten Grünlands gehen vielfältige ökologische Nischen verloren, die es zu erhalten gilt.
Die erste Hälfte der Veranstaltung gab einen guten Überblick über die Inhalte des Projektes, die aktuelle Situation der Erfassung von Streuobstbeständen in Deutschland, darüber, was Streuobstbestände besonders gefährdet und wo man ansetzen sollte, um Streuobstbestände zu fördern und zu erhalten.
Nach einer Einführung zum Vorhaben von Dr. Volker Scherfose (Bundesamt für Naturschutz) stellten Prof. Klaus Henle, Hans-Dieter Kasperidus und Luise Hüttner vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) ihre Analysen zur aktuellen und historischen Bestandssituation vor. Die Analysen unterschiedlicher Monitoring-Daten ergaben eine sehr unterschiedliche und zum Teil ungenaue oder veraltete Erfassung von Streuobstbeständen. Für die deutschlandweite Bestandsanalyse von Streuobstbeständen wurden die Daten des digitalen Landschaftsmodells (DLM), die Daten des High Nature Value-Farmland-Monitoring und die Biotopkartierungen der Bundesländer ausgewertet. Im Rahmen des Projektes wurden außerdem 12 Modellgemeinden ausgewählt und zur Fachtagung Rutesheim und Berlin genauer vorgestellt. Für die Untersuchung der Modellgebiete stehen unterschiedliche Datensätze zur Verfügung. In der Gemeinde Rutesheim wurde eine Kartierung durch das UFZ durchgeführt und festgestellt, dass Streuobstwiesen aufgrund von Siedlungserweiterung, Straßenbau, Umnutzung zu Wochenendgrundstücken, Sukzession und fehlender Pflege zurückgehen. Und dies trotz einiger Nachpflanzungen. Es wurden erhebliche Abweichungen zwischen den Daten des DLM und den Daten der Kartierung festgestellt. In Berlin wurde eine Studie von Herrn Klaffke 2018 durchgeführt. Es wurden 87 Streuobstwiesen auf 57.84 ha recherchiert, die einen Anteil von 0,065 Prozent der Landesfläche Berlin ausmachen. Von diesen liegen 7,15 ha im NSG, wobei der Großteil in öffentlichen Grünflächen zu finden ist. Eine Besonderheit ist in Berlin dahingehend, dass seit 1990 ein Zuwachs von 39,048 ha aufzuweisen ist und zwei Drittel der Streuobstwiesen jung sind.
Um diese unterschiedlichen Veränderungen in eine Perspektive zu bringen, ist es von Bedeutung, die Gefährdungen genauer zu betrachten. Diese stellte Luise Hüttner in ihrem Vortrag vor. So sind sozio-ökonomische Faktoren, Landnutzungsveränderung, fehlende Kontrollen in Anlage und Erhalt, mangelnde Pflege, sowie abiotische und biotische Einwirkungen auf die Streuobstwiesen deren Hauptgefährdungen. Insbesondere das Zusammenwirken der einzelnen Faktoren verstärkt diese. Deshalb ist es jetzt entscheidend, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken. Von Seite des NABU wurden durch Jennifer Krämer Handlungsempfehlungen auf der EU-Ebene, nationalen Ebene, Ebene der Bundesländer und kommunalen Ebene, sowie an Verbände und Akteure formuliert. Entscheidend ist hierbei, dass alle Akteure gut aufeinander abgestimmt agieren.
Unter den wichtigsten Gefährdungen für Streuobstbestände ergaben sich die häufig fehlende Pflege der Bestände sowie der Einfluss der Klimakrise auf den Streuobstbau. Daraus ergeben sich auch die wichtigsten Handlungserfordernisse: ein regelmäßiges und einheitliches Monitoring der Streuobstbestände, die unbürokratische und finanziell angemessene Förderung dieser und die Forschung zu Streuobstbeständen und der Klimakrise.
-
Dr. Matthias Bosse (Dr. Bosse Traditionsobst) berichtet über die Pflege und Vermarktung seiner Streuobstwiesen. - Foto: NABU/Dirk Baumbach
-
Das landesweite Netzwerk Streuobstwiesenschutz.NRW wird von Christine Loges vorgestellt. - Foto: NABU/Dirk Baumbach
-
Über mobile Mostereien und Aufpreisvermarktung spricht Andreas Wegener (Apfel-Paradies). - Foto: NABU/Dirk Baumbach
-
Das Marketing rund um die österreichische Mostbirnen-Genussregion stellt Maria Ettlinger (LEADER-Region Tourismusverband Moststraße) vor. - Foto: NABU/Dirk Baumbach
-
Dr. Markus Rösler (NABU Bundesfachausschuss Streuobst) ordnet die Situation der Streuobstbestände in Deutschland und einigen europäischen Nachbarländern ein. - Foto: NABU/Dirk Baumbach
-
Dr. Volker Scherfose und Jennifer Krämer ziehen ein positives Fazit der Tagung. - Foto: NABU/Dirk Baumbach
-
In den Pausen bestand Gelegenheit für den Austausch und die Vernetzung. - Foto: NABU/Dirk Baumbach
Im zweiten Teil der Veranstaltung stellten sich Leuchtturmprojekte zum Schutz von Streuobstbeständen aus Deutschland und Österreich vor. Die Projekte gaben einen Überblick über innovative Ansätze in Pflege, Bewirtschaftung, Vermarktung, Schutz und Nutzung von Streuobstbeständen und zeigten, wie die Handlungserfordernisse in Teilen bereits in der Praxis umgesetzt werden.
Herr Dr. Matthias Bosse von Dr. Bosse Traditionsobst berichtete vom Aufbau seines Unternehmens mit eigener Vermarktung der Produkte aus Streuobstbeständen, die sich bei Gründung des Unternehmens noch in sehr schlechten Zustand befanden und den bürokratischen Hürden. Christine Loges von Netzwerk Streuobstwiesenschutz.NRW sprach über den Aufbau und die Erfolge eines landesweiten Streuobstnetzwerks für besseren Informationsfluss und bessere Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure. Über die Nutzung des Obstes durch mobile Mostereien oder Aufpreisvermarktung und der Möglichkeiten und Grenzen dieser unterschiedlichen Methoden referierte Andreas Wegener vom Apfel-Paradies. Maria Ettlinger von der LEADER-Region Tourismusverband Moststraße erläuterte die touristische Vermarktung einer ganzen Region in Österreich auf Basis der vorhandenen Streuobstbestände. Diese Vorträge zeigten die diversen Möglichkeiten auf, Streuobst durch seine Nutzung zu schützen, aber auch die Steine, die einem dabei manchmal in den Weg gelegt werden.
Zum Abschluss ging Dr. Markus Rösler vom NABU Bundesfachausschuss Streuobst noch einmal darauf ein, wie wichtig Streuobstbestände für den Naturschutz sind, welche wichtige Rolle deutsche Streuobstbestände auch im europäischen Kontext haben und was man in Bezug auf Streuobst von unseren europäischen Nachbarn lernen kann. Dr. Volker Scherfose (BfN) und Jennifer Krämer (NABU) zogen ein positives Fazit der Veranstaltung – es gibt viel zu tun für den Erhalt der Streuobstbestände in Deutschland, aber auch viele gute Ansätze.
BfN-Schriften (679): Streuobstbestände in Deutschland
Ziel des Projekts „Streuobstbestände in Deutschland: naturschutzfachliche Bedeutung, Bestandssituation und Handlungserfordernisse“ war es, die aktuelle Situation der Streuobstbestände in Deutschland anhand von landes- und bundesweiten Daten übersichtsmäßig zusammenzutragen, mit zwölf ausgewählten Modellgebieten zu vergleichen und zu bewerten. Weiterhin sollte eine Empfehlung für eine einheitliche Definition von Streuobstbeständen sowie eine Übersicht über die ökologische und naturschutzfachliche Bedeutung von Streuobstwiesen erarbeitet werden.
Die Studie befand sich seit 2021 in der Überarbeitung und wurde 2024 veröffentlicht.
Wesentliche Erkenntnisse:
- Streuobstwiesen sind als Schutzgebiete auf Menschen angewiesen. Wenn sie nicht gepflegt und gemäht werden, verbuschen sie und einmalige Mikrohabitate werden zerstört.
- Streuobstwiesen haben eine besondere Rolle im Flächenschutz, sie zählen zu den sehr seltenen halboffenen Weideflächen.
- Erträge der Streuobstwiesen bieten außerdem einen Mehrwehrt für die Gemeinschaft, in der sie liegen.
- Streuobstwiesen, auch Äcker, gehören seit Mäz 2022 bundesweit den geschützten Biotopen in Deutschland. Die Kartierung dieser findet aber auf Landesebene statt.
- Daraus ergeben sich viele Probleme, da die Datenbanken untereinander nicht kompatibel sind, außerdem sind die verwendeten Daten oftmals veraltet.
- Durch den Generationswechsel besteht die Gefahr, dass Fachwissen verloren geht.
Hier finden Sie die BfN-Schriften (2024/679) „Streuobstbestände in Deutschland“ >>