Dr. Christiane Rohleder (Staatsekretärin im BMUV) stellt die Eckpunkte zum Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK) vor. - Foto: NABU/Anne Freitag
Natürlicher Klimaschutz als Chance: Wie erhält die Bundesregierung unsere Lebensgrundlagen?
NABUtalk am 1. Juni 2022
Trockengelegte Moore, begradigte Flüsse, intensive Landnutzung: Seit Jahrzehnten zerstören wir Lebensräume und befeuern so die Natur- und Klimakrise. Dabei bieten intakte Moore, Flussauen, strukturreiche Wälder und artenreiches Grünland Lebensraum für viele Arten, schützen uns vor Dürren und Hochwasser und binden langfristig Kohlenstoff. Die Wiederherstellung dieser Lebensräume dient als Krisenvorsorge und eine NABU-Studie zeigt, dass mehr als 20 Prozent der Fläche Deutschlands besonders für die Wiederherstellung solcher Lebensräume geeignet sind.
Mit dem neuen Gesetz der Europäischen Union zur Wiederherstellung der Natur und dem von der Bundesregierung angekündigten "Aktionsprogramm „Natürlicher Klimaschutz“ wird nun auch der politische und rechtliche Rahmen für ein „Jahrzehnt der Renaturierung“ geschaffen. Das Engagement der Bundesregierung und des Bundestags ist von zentraler Bedeutung, um diese Vorhaben schnell in die Umsetzung zu bringen.
Doch wo stehen wir, wie kann diese Herausforderung gelingen und was können verschiedene Ministerien und Mitglieder des Bundestags dazu beitragen? Das haben wir in unserem NABUtalk am 1. Juni 2022 gemeinsam diskutiert.
Welchen Beitrag können die Ministerien leisten?
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Bernt Farcke (Abteilungsleiter im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) weist darauf hin, dass die Klima- und Naturkrise keine Pause machen. - Foto: NABU/Anne Freitag
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Jörg Wagner (Unterabteilungsleiter im Bundesbauministerium) sieht eine Möglichkeit über das Baugesetzbuch und Landschaftsplanung Zugriff zu Flächen zur Renaturierung zu bekommen. - Foto: NABU/Anne Freitag
Bisher liegen Eckpunkte zum Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK) des Bundesumweltministeriums (BMUV) vor, welche Dr. Christiane Rohleder (Staatsekretärin im BMUV), in ihrem Beitrag noch einmal vorstellte. Diese umfassen 10 Handlungsfelder, darunter die Ökosysteme Moore, Flüsse, Seen und Auen, Meere, Wälder und Böden aber auch Flächen für Wildnis und Schutzgebiete sowie Forschung und Monitoring. Hinzu kommt ein Finanzierungsprogramm Natürlicher Klimaschutz (FNK), über welches in den nächsten vier Jahren vier Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. StSin Dr. Rohleder betonte, dass es jetzt gelte, Anreize für eine nachhaltige Bewirtschaftung zu setzen und sich gut mit den anderen Ressorts abzustimmen. Mit der neuen „strategischen Allianz“ zwischen Bundeslandwirtschaftsministerium und Bundesumweltministerium böten sich ganz neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Man wolle neue Bezüge zu anderen Bereichen wie Bauen und Raumordnungsplanung herstellen. Länder und Kommunen sollen zeitig in die Prozesse eingebunden werden, man stehe bereits im Austausch. Wie genau man die Finanzierung in Zusammenarbeit mit den Ländern umsetzen könne (z.B. beim Thema Personal in der Verwaltung), bleibe eine Herausforderung, an der man arbeite. Dafür seien ggf. auch Änderungen am Grundgesetz nötig. In jedem Fall wolle das BMUV so schnell wie möglich ins Tun kommen und die Gelder sinnvoll ausgeben. Ein genauer Zeitplan liegt allerdings noch nicht vor.
Für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) spielt das Thema Natürlicher Klimaschutz wegen der großen Überschneidungen mit der Landnutzung eine große Rolle. Bernt Farcke (Abteilungsleiter) wies direkt zu Anfang darauf hin, dass die Klima- und Naturkrise keine Pause machen, auch wenn nun auch noch die Ernährungskrise aufgrund des Kriegs in der Ukraine hinzugekommen sei. Man müsse parallel an den Herausforderungen arbeiten. Biodiversität sei die Grundlage für die Bereitstellung von Ökosystemleistungen, auch zum Klimaschutz. Er erklärte, dass der Natürliche Klimaschutz und die Senkenfunktion von Ökosystemen zwar einen relevanten Beitrag leisten würden die 1,5 Grad-Grenze nicht zu überschreiten, die Verbrennung von fossilen Rohstoffen aber das weitaus größere Problem darstelle. Die Bedeutung für den Biodiversitätsschutz jedoch stehe außer Frage und würde weiter zunehmen. Die 4 Milliarden Euro des FNK auszugeben, liege ganz klar im Aufgabenbereich des BMUV, hier werde sich das BMEL nicht einmischen. Bei anderen Töpfen, wie der Honorierung von Ökosystemleistungen im Wald, sei das BMEL aber zuständig und werde diese mit den Zielen des ANK verbinden. Zum Nationalen Strategieplan der GAP (NSP) sagte Herr Farcke, dass das BMEL in diesem Jahr keine großen Änderungen mehr vornehmen werde. Damit werde man erst im nächsten Jahr beginnen.
Für das Bundesbauministerium (BMWSB) gab Jörg Wagner (Unterabteilungsleiter) interessante Denkanstöße. Beispielsweise schlug er vor, ein konkretes Flächenziel bei der Renaturierung festzulegen, ähnlich wie dies auch bei den Flächen für die Windkraft geschehen ist. Außerdem solle man allgemein überlegen, dem Bund bei solchen Fragen mehr Kompetenzen zu geben. Schließlich gehe es um die Freiheitsreichte künftiger Generationen und den Schutz der gemeinsamen Lebensgrundlagen. Wo der Bund den Ländern und Kommunen Vorgaben machen kann, solle neu ausgehandelt werden. Die Leipzig Charta biete gute Ansätze mit ihren drei Dimensionen der "grünen Stadt", der "gerechten Stadt" und der "produktiven Stadt". Herr Wagner signalisierte Interesse an der Zusammenarbeit mit dem BMUV zum ANK und sah Möglichkeiten z.B. über das Baugesetzbuch und Landschaftsplanung Zugriff zu Flächen zu bekommen. Man sei im BMWSB bereit, mehr für die Umwelt zu tun, wünsche sich aber mehr fachlichen Input aus dem BMUV.
Was sollte aus Sicht der Wissenschaft jetzt passieren?
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Prof. Christina von Haaren (Leibniz Universität Hannover) fordert bei den Maßnahmen des ANK die Biodiversität in den Vordergrund zu stellen. - Foto: NABU/Anne Freitag
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Dr. Johannes Förster (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung) geht auf die trockengelegten Moorstandorte als ein zentrales Thema des ANK ein. - Foto: NABU/Anne Freitag
Prof. Christina von Haaren (Leibniz Universität Hannover) und Dr. Johannes Förster (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung) gaben in ihren Beiträgen konkrete Empfehlungen zur Umsetzung des ANK und zur Verausgabung der 4 Milliarden Euro über die nächsten Jahre (beide Vorträge finden Sie unten zum Download).
Beide empfahlen, Kohärenz mit anderen Gesetzen und politischen Prozessen sicherzustellen. Prioritäten sollten dort gesetzt werden, wo sich die größten Synergien ergeben, um Kapazitäten effizient einzusetzen. Dazu gehörten die CO2-Speicherung, die Förderung der Biodiversität und der Umbau des Landschaftswasserhaushaltes. Gleichzeitig solle man mit und nicht entgegengesetzt zu anderen Gesetzen (wie dem Osterpaket oder der Agrarpolitik) .
Frau Prof. von Haaren forderte, bei den Maßnahmen des ANK die Biodiversität in den Vordergrund zu stellen und das Geld für anspruchsvolle Maßnahmen zu verwenden. Flächendeckende Maßnahmen wie Humusaufbau sollten aus anderen Programmen finanziert werden. Das Risiko von Dürren, nicht ausreichend Trinkwasser und Wasser für die Landwirtschaft zur Verfügung zu haben, steigt derzeit in vielen Regionen an. Zudem fallen viele Feuchtgebiete trocken. Der Umbau des Landschaftswasserhaushalts sei deshalb dringend nötig und solle im Rahmen des ANK realisiert werden. Eine gute Möglichkeit sei es, gesamtstaatliche Gebiete direkt für Maßnahmen zu nutzen. Auch die Flurneuordnung biete gute Ansatzpunkte.
Dr. Johannes Förster ging auf die trockengelegten Moorstandorte als ein zentrales Thema des ANK ein: Die Wiedervernässung von 50.000 ha pro Jahr seien nötig, um die Klimaziele einzuhalten. Man solle prüfen wo Landwirte auf alternative Bewirtschaftungsformen umstellen könnten und dies mit Landnutzer*innen neu aushandeln. Insbesondere wären dafür auch Nachbesserungen am Nationalen Strategieplan durch das BMEL nötig. Außerdem brauche es konkrete Ziele und ein begleitendes Monitoring, um Fortschritte überprüfen zu können.
Was versprechen sich Mitglieder des Bundestags (MdBs) vom Natürlichen Klimaschutz?
Diese Frage wurde von den MdBs Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Franziska Kersten (SPD), Ralph Lenkert (DIE LINKE), und Anja Weisgerber (CDU) diskutiert.
In der Diskussion waren sich alle einig: die Renaturierung von Ökosystemen bzw. der Natürliche Klimaschutz ist eine wichtige und richtige Antwort auf die Biodiversitäts- und Klimakrise. Allen war es wichtig, die Menschen vor Ort mitzunehmen, Anreize für Landnutzer*innen zu schaffen und parallel die Energiewende voranzutreiben.
Harald Ebner wies darauf hin, dass sich einige Herausforderungen in der Umsetzung des ANK aus den langwierigen Verfahren der Naturschutzverwaltung ergeben würden. Hier sei eine Beschleunigung nötig. Verwaltungsverfahren, die das Eigentum betreffen seien zudem oft schwierig. Deshalb sei es besonders wichtig, die Landnutzer*innen mitzunehmen, indem beispielsweise nach der Wiedervernässung von Moorböden Maßnahmen wie der Anbau von Schilf, Moorkolben und ökologisches Bauen gefördert werden. Beim Waldumbau müsse man vorsichtig sein, nicht in eine flächendeckende Honorierung für Tonnen Kohlenstoff hineinzulaufen. Stattdessen ginge es darum, Resilienz und Biodiversitätsleistungen im Wald zu finanzieren.
Dr. Franziska Kersten machte deutlich, dass man bei der Finanzierung des Natürlichen Klimaschutzes keine separaten Strukturen aufbauen sondern Synergien direkt nutzen solle. Ansonsten wäre es kaum möglich das Geld so schnell in der Fläche zu verteilen. Außerdem warte sie auf „Ansagen“ und Koordination insbesondere aus den Grünen Ministerien, um schnell in die Umsetzung zu kommen. Bei der Aushandlung von Zielkonflikten solle man das Thema Flächenkonkurrenz und die Flächenentsiegelung mitdenken. Beispielsweise sei es ein Fehler, Freiflächen-Photovoltaik auf guten Standorten mit hohem Ertragspotenzial zu installieren. Besondere Priorität hätte für Frau Dr. Kersten die Wiedervernässung von Mooren und die Umgestaltung von Eco Schemes der GAP, damit diese für natürlichen Klimaschutz einen größeren Beitrag leisten könnten.
Ralph Lenkert sind die Themen Waldumbau, Hochwasserplanung und regionale Wertschöpfung besonders wichtig. Beim Waldumbau solle der Bund deutlich mehr tun, DIE LINKE fordere das schon lange. Eine Herausforderung bei Wiedervernässungsmaßnahmen sei allerdings, dass sie für die Länder oder Kommunen oft (zu) teuer und nicht als Ausgleichsflächen anrechenbar sind. Das solle man flexibler gestalten. Auch bei Zielkonflikten zwischen Arten/Vogelschutz und der Durchführung von Renaturierungsprojekten müssten passende Lösungen gefunden werden. Außerdem sollen nach den Wiederherstellungsmaßnahmen Folgeprogramme (z.B. Förderprogramme für regionale Wertschöpfung) aufgelegt werden, damit die Standorte sich kontinuierlich weiterentwickeln können. Neben der Wiedervernässung von trockengelegten Moorstandorten hält er den Hochwasserschutz durch den Waldumbau im Gebirge für prioritär. Beide miteinander zu koppeln könne die Akzeptanz für Renaturierungsprojekte erhöhen.
Für Dr. Anja Weisgerber haben die Renaturierung von Auen für den Arten- und Hochwasserschutz sowie die Wiedervernässung von Moorstandorten Priorität. Bei beiden geht es darum die Menschen vor Ort zu begeistern und die Leistungen zu honorieren. Besonders interessant findet sie die Option, Moorflächen wiederzuvernässen und mit Photovoltaikanlagen zu bestücken. Konkret schlug sie vor, die Bundeskompensationsverordnung bzw. das Bundesnaturschutzgesetz anzupassen: Freiflächen-Photovoltaik solle keine Ausgleichsmaßnahmen mehr leisten müssen, weil es sich hier um eine Aufwertung der Flächen handele (wenn beispielsweise eine vormals intensiv genutzte Ackerfläche für Photovoltaik genutzt wird). Die Honorierung von Ökosystemleistungen nach Kriterien findet sie gut, allerdings solle es nicht zu kompliziert werden.
Was sagt der NABU?
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NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger ruft in seinem Grußwort zu guter Zusammenarbeit und der Nutzung von Synergien auf. - Foto: NABU/Anne Freitag
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Konstantin Kreiser (Fachbereichsleiter Naturschutzpolitik im NABU) appeliert in seinem Schlusswort an Politik und Ministerien zu guter Zusammenarbeit und der Schaffung von intelligenten Stukturen. - Foto: NABU/Anne Freitag
NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger rief in seinem Grußwort dazu auf, die Chance zu nutzen und dieses „Gewinnerthema“ gemeinsam zum Fliegen zu bringen. Man solle jetzt Synergien nutzen und gut zusammenarbeiten – außerhalb der üblichen Silos. Das Geld müsse nun schnell mit einem innovativen Förderansatz verteilt werden – beispielsweise mit einer nationalen und mehreren lokalen Regiestellen sowie Akkreditierungseinheiten.
Konstantin Kreiser, Fachbereichsleiter Naturschutzpolitik im NABU, ergänzte in seinem Schlusswort, was bei der weiteren Bearbeitung beachtet werden solle:
Ein funktionierender Planet lasse sich nicht rein in Tonnen Kohlenstoff messen, vielmehr brauche es eine Stärkung der Biodiversität für langfristige Resilienz. Das Geld für Klima- und Biodiversitätsschutz sei vor allem dann gut angelegt, wenn wir es schaffen, gleichzeitig schädliche Subventionen abzubauen. Das ANK vermag nur teilweise das Finanzdefizit im Naturschutz zu lösen, denn nicht-investive Maßnahmen könnten darüber voraussichtlich nicht abgedeckt werden. Das müsse über andere Programme laufen.
Es brauche ausreichend Fläche für die Umsetzung. Nicht alle Flächen würden sich aufkaufen lassen – hier müsse eng mit Landnutzer*innen zusammengearbeitet werden. Die EU-Kommission habe unlängst den von Deutschland vorgelegten Nationalen GAP-Strategieplan kritisiert, dieser müsse nun nachgebessert werden. Die Bundesregierung solle sich an ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag halten und Vertragsnaturschutz über die Gemeinschaftsaufgabe Agrar- und Küstenschutz (GAK) stärken sowie perspektivisch aus den Direktzahlungen aussteigen.
Politik und Ministerien sollen jetzt gut zusammenarbeiten und intelligente Strukturen in der Fläche schaffen, d.h. alte und neue Strukturen gut miteinander verzahnen. Der Föderalismus sei dabei eine Herausforderung. Die Naturschutzseite verfüge nicht über die gleichen Strukturen wie die Agrarseite. Daher sei die partnerschaftliche Zusammenarbeit hier besonders wichtig. Der NABU ist bereit vor Ort mit anzupacken und freut sich auf ein Jahrzehnt der Renaturierung. Als erste Unterstützung hat er bereits den NABU Klimafonds ins Leben gerufen.