Bundesumweltministerin Dr. Barbara Hendricks - Foto: Jenny Pohlenz
Lina Hähnle und die demokratischen Traditionen im deutschen Naturschutz
Rückblick auf auf die Tagung aus Anlass des 75. Todestags von Lina Hähnle am 25. Februar 2016
1899 gründete Lina Hähnle den Bund für Vogelschutz (BfV), die Vorläuferorganisation des heutigen NABU. Dieser wuchs sehr schnell zum größten deutschlandweit agierenden Naturschutzverband an – dank der Arbeit ihrer Vorsitzenden, die überall als die „Deutsche Vogelmutter“ galt. Vor 75 Jahren, am 1. Februar 1941, verstarb Lina Hähnle.
2013 stand Lina Hähnle plötzlich im Zentrum einer politischen Kontroverse: In Baden-Württemberg rang man um den Nationalpark Schwarzwald. Der Vorsitzende der FDP/DVP-Landtagsfraktion griff einen Zeitschriften-Artikel über vermeintliche Sympathien Lina Hähnles zum NS-Regime auf und legte den GRÜNEN nahe, doch tunlichst ihren nach Lina Hähnle benannten Fraktionssaal umzubenennen. Das Ansinnen konnte mühelos zurückgewiesen werden – war doch die Familie Hähnle fest im (links)liberalen Milieu verankert. Linas Mann Hans hatte viele Jahre der DVP-Fraktion des Württembergischen Landtages angehört.
Doch nicht nur in der Politik, auch in großen Teilen des Naturschutzes ist heute kaum bekannt, dass die Naturschützerin Lina Hähnle und ihr Mann sich auch politisch und sozial sehr engagierten. In den letzten Jahrzehnten wurde viel Wissen darüber generiert, dass Naturschutz bis in die 1960er-Jahre stark konservativ, zivilisationskritisch und kulturpessimistisch ausgerichtet war, und dass er, wie andere bürgerliche Bewegungen, in das NS-System eingebunden war. Dagegen ist viel zu wenig bekannt, dass der Naturschutz auch und gerade in einer langen demokratischen Tradition steht.
Über diese vielfältigen demokratischen und sozialen Traditionen möchten wir mit Ihnen auf dieser Veranstaltung ins Gespräch kommen – nicht zuletzt auch um einen Kontrapunkt zu Bemühungen heutiger Rechtsextremisten zu setzen, Naturschutzanliegen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.
Ergebnisse einer naturschutz- und verbandsgeschichtlichen Tagung aus Anlass des 75. Todestags von Lina Hähnle am 25. Februar 2016
Autor: Dr. Hans-Werner Frohn, Stiftung Naturschutzgeschichte
Am 1. Februar 2016 jährte sich zum 75. Mal der Tag, an dem Lina Hähnle, die Gründerin des Bundes für Vogelschutz, verstarb. Sie hat den Bund, aus dem der heutige NABU hervorging, von 1899 bis 1938 über die drei Herrschaftssysteme des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und des „Dritten Reiches“ geleitet und maßgeblich geprägt. Der NABU hatte sich bereits 1999 anlässlich seines 100-jährigen Jubiläums intensiv mit der Rolle Lina Hähnles befasst. Seither sind jedoch eine Reihe neuer Quellen aufgetaucht, die nun den Anlass gaben, gemeinsam mit der Stiftung Naturschutzgeschichte das bisherige Bild Lina Hähnles zu überprüfen.
Die Tagung machte deutlich, dass die geläufige Bezeichnung Lina Hähnles als die „Vogelmutter“ dieser Frau keineswegs gerecht wird. Zwar standen ihre Vogel- und Naturschutzaktivtäten unbestritten im Zentrum, doch darüber hinaus war sie zeitlebens auch sozial, ja sozialpolitisch engagiert. Sie war dabei durch ein demokratisches und aufgeklärtes Umfeld geprägt.
Dennoch glich ihr Verhalten im „Dritten Reich“ als Vorsitzende des Bundes für Vogelschutz, der 1934 in Reichsbund für Vogelschutz umbenannt wurde, einem „Arrangieren ohne Gegenwehr“ – seit Ende 1933 war sie Mitglied der NS-Frauenschaft. Letztlich wirkte sie mit ihrem gleichgeschalteten Verband systemstabilisierend. Im Privaten hingegen war sie keine Sympathisantin des Regimes. Zudem zählte die Familie Hähnle insofern zu den Opfern der NS-Rassepolitik, als ein Familienmitglied im Rahmen des nationalsozialistischen „Euthanasie“-Programms ermordet wurde.
Die Tagung stellte Lina Hähnle und den Bund für Vogelschutz auch in einen größeren historischen Kontext, waren sie doch Teil einer breiten deutschen Naturschutzbewegung, die im Kaiserreich noch sehr bunt war, sich aber in der Weimarer Republik zusehends deutschvölkisch aufstellte. Daneben gab es aber zugleich auch demokratische Traditionen, die kaum bekannt sind. Naturschutzvereine brachten ihre Themen in die Öffentlichkeit, aber auch in die Parlamente. Bemerkenswerterweise waren es vor allem die sozialliberalen und sozialdemokratischen Fraktionen, die den politisch tendenziell konservativen Naturschutz beförderten.
Die Erforschung der eigenen Verbandsgeschichte soll für den NABU mit dieser Tagung keineswegs beendet sein. Manche weiße Flecken gilt es noch auszufüllen. So ist bisher wenig darüber bekannt, welches Schicksal diejenigen Mitglieder des Bundes für Vogelschutz nach 1933 erlitten, die über einen jüdischen Hintergrund verfügten. Hier bieten neue Quellen und optimierte Rechercheverfahren anders als 1999 nun Möglichkeiten, deren Leben zu dokumentieren. Der NABU wird sich zukünftig verstärkt dieser Thematik widmen.
Für den NABU diente die Tagung nicht allein der historischen Aufarbeitung. Vielmehr positionierte er sich damit nachdrücklich gegen aktuelle Versuche von rechtsextremistischer Seite, Naturschutzthemen für eigene politische Interessen zu instrumentalisieren. Gegen solche Extremisten legte der NABU ein klares Bekenntnis zu Demokratie und Parlamentarismus ab.
Tagungsband
Hans Werner Frohn & Jürgen Rosebrock (Hg.) (2017): Spurensuche. Lina Hähnle und die demokratischen Wurzeln des Naturschutzes. – 164 Seiten. 16,95 Euro. Klartext-Verlag Essen. ISBN 978-3837518719.