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Im Gespräch mit NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger
NABU: Lange war der Widerstand gegen das EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur groß. Nun wurde es in letzter Sekunde doch noch beschlossen und die Umsetzung steht an. Wie können internationale Ziele zum Schutz der Natur noch eingehalten werden?
Jörg-Andreas Krüger: Das EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur ist ein Lichtblick und ein echter Meilenstein für die Natur in Europa – und damit auch für uns Menschen. Es ist nach der Einführung der FFH-Richtlinie vor über 30 Jahren nicht weniger als das wichtigste Instrument für die Sicherung unserer Lebensgrundlagen auf diesem Kontinent und setzt einen wichtigen Schwerpunkt auf die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme in unseren Landschaften.
Nun gilt es, sich nicht auf dem Beschluss auszuruhen, sondern zu handeln. Deutschland muss, so wie die anderen Länder der EU auch, die Vorgaben zügig in nationales Recht umsetzen, damit es am Ende ein Erfolg wird. Nach dem legislativen Prozess ist es entscheidend, dass wir im politischen und öffentlichen Diskurs der Rettung der Natur wieder einen größeren Stellenwert einräumen: Ohne intakte Ökosysteme gibt es nicht genügend natürliche Ressourcen, ohne gesunde Böden und viele verschiedene Bestäuber ist unsere Nahrungsmittelproduktion in Gefahr, ohne lebendige Wälder, wasserspeichernde Flussauen und wiedervernässte Moore werden wir die Klimakrise und ihre Folgen nicht mildern können. Hier sehen wir für uns als NABU eine zentrale Aufgabe: in den Dialog gehen mit Entscheider*innen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, um innovative Lösungswege, Praxisinstrumente und rechtliche Rahmenbedingungen gemeinsam zu entwickeln und einzufordern.
Dabei sind die Themenfelder größer, als man denkt. Das Ziel der Wiederherstellung wurde nicht nur in der EU, sondern global gesetzt. Damit stellt sich auch die Frage: Wie gestalten wir Wertschöpfungs- und Lieferketten so, dass wir unseren ökologischen Fußabdruck nicht zu Lasten der Menschen und Natur in Länder mit schwächeren politisch-gesellschaftlichen Strukturen exportieren? Hier braucht es Antworten, an denen auch wir im NABU mit Studien und Fachexpertise sowie in den Diskussionen mit unseren Kooperationspartnern in der Wirtschaft arbeiten.
Schon lange fordert der NABU eine naturverträgliche Landwirtschaft. Zuletzt wurden in der Agrarpolitik auch als Reaktion auf die Proteste von Landwirt*innen Umweltauflagen abgeschwächt. Welche Weichen muss die Politik stellen?
Was wir an erster Stelle für die Landwirtschaft brauchen, ist der parteiübergreifende politische Wille zum konzeptionellen Umbau der Landwirtschaft, sodass sie zukunftsfähig wird und den Schutz der biologischen Vielfalt und des Klimas mit in den Blick nimmt. Auf der gesetzlichen Ebene bedeutet dies, an der Reform der europäischen Agrarpolitik festzuhalten – also am Auslaufen der Direktzahlungen nach dem „Gießkannenprinzip” und deren Umwandlung in eine Honorierung gesamtgesellschaftlicher Leistungen zur Sicherung und Förderung von Boden, Wasser, Klima und Artenvielfalt.
Momentan duckt sich die Politik hier jedoch weg, trifft konzeptfreie Einzelentscheidungen und versagt bei der dringend notwendigen Rahmensetzung für einen langfristigen Umbau. Das muss sich auch auf EU-Ebene wieder ändern. In Deutschland sehe ich durch regionale Vereinbarungen große Chancen, denn die Herausforderungen sind von Berchtesgaden bis Flensburg unterschiedlich. Lösungswege, die zwischen Landwirtschaft, Naturschutz und Landesregierungen entwickelt wurden, besitzen eine hohe Tragfähigkeit. Dies zeigen die erfolgreichen Modelle wie der Niedersächsische Weg oder das baden-württembergische Biodiversitätsstärkungsgesetz. Auch in anderen Bundesländern gibt es Runde Tische. Wir fordern alle Landesregierungen auf, solche Prozesse in Gang zu setzen.
Was mich optimistisch stimmt: Trotz sehr strittiger öffentlicher Diskussionen haben viele landwirtschaftliche Betriebe längst begonnen, Dinge zu ändern. Sie wissen, dass der Schutz der Bodenfruchtbarkeit aufgrund des Klimawandels noch wichtiger geworden ist, dass Hecken Erosionsschutz bieten und dass vielfältiger gestaltete Fruchtfolgen auch zu mehr Vielfalt in der Agrarlandschaft führen. Es gibt viele mutmachende Beispiele auf Ortsebene.
2023 war weltweit wieder ein Jahr der Wetterextreme. Wie müssen wir uns als Gesellschaft darauf einstellen und welche Rolle spielt dabei der Naturschutz?
Extreme Wetterereignisse wie Dürren oder sehr starke Regenfälle werden in Zukunft noch häufiger auftreten. In Deutschland erleben wir 2024 gerade ein „Jahrhunderthochwasser” nach dem anderen. Die Katastrophen zeigen, wie sehr starke Niederschlagsereignisse zu großen Problemen führen. Ganze Ortschaften stehen unter Wasser, viele Menschen verlieren ihr Hab und Gut, schlimmstenfalls sind sogar Menschenleben gefährdet.
Der Naturschutz besitzt hier eine Schlüsselrolle: Geben wir der Natur wieder mehr Raum – indem wir beispielsweise entlang von Flüssen die Auen wieder als natürliche Überschwemmungsflächen nutzen, Flächen entsiegeln und mehr Grün schaffen, nimmt die Landschaft wie ein Schwamm Wasser auf. Sie speichert es und gibt es langsam wieder ab. Die Folgen von Extremwetterereignissen ließen sich dadurch deutlich mildern und auch die wirtschaftlichen Schäden, wie zum Beispiel Versicherungsschäden oder Ernteausfälle, wären wesentlich geringer. Hierbei leisten wir wichtige Beiträge, beispielsweise mit den Renaturierungen der Unteren Havel, an der Lahn, der Aller sowie weiteren geplanten Vorhaben am Rhein und entlang der Elbe.
Von Regierungen und Behörden braucht es dafür zum einen mehr Investitionen in diese natürlichen Funktionen der Natur und zum anderen klare Prioritäten bei der Vermeidung künftiger Schäden: Immer noch entstehen in Überflutungsflächen Neubau- oder Gewerbegebiete – das ist nicht zukunftsweisend.
Im letzten Jahr sorgte auch das sogenannte Heizungsgesetz der Ampelkoalition für Schlagzeilen, wurde dabei oft unsachlich diskutiert und verunsicherte Verbraucher*innen. Wie kann Klimaschutz sozial gestaltet werden?
Die Kommunikation rund um das Gebäudeenergiegesetz war in der Tat schwierig, der damalige Entwurf jedoch auch noch sozial unausgewogen und unfertig.
Diese Diskussionen haben gezeigt, wie komplex die Frage nach der Balance von sozialen und ökologischen Fragen ist. Die Belastungen durch die Folgen der Klimakrise nehmen zu und darunter leiden vor allem die Menschen mit geringeren Einkommen. Gleichzeitig müssen alle klimafreundlicher heizen, reisen, einkaufen und vieles mehr. Regierungen setzen dabei auch darauf, Produkte und Aktivitäten mit hohem Ausstoß von Treibhausgasen durch den CO₂-Preis teurer und damit unattraktiver als die ökologisch besseren Alternativen zu machen. Hier spielt der soziale Ausgleich eine zentrale Rolle, für den wir uns zum Beispiel mit unserem Partner, der Diakonie Deutschland, einsetzen. Es darf nicht sein, dass Menschen mit geringem Einkommen durch Klimaschutzmaßnahmen in Not geraten. Das Klimageld für Bürger*innen betrachten wir deshalb als wichtiges Kompensationsinstrument für die steigenden CO₂-Preise, nicht zuletzt, um auch die Akzeptanz für Klimaschutz in der Bevölkerung zu erhalten.
Angesichts der Naturzerstörungen mehren sich Stimmen, die der Natur eigene, einklagbare Rechte einräumen und in der Verfassung verankern möchten. Wäre dieses Modell sinnvoll?
Trotz einer Vielzahl an Gesetzen gelingt es nicht, das Artensterben und die Naturzerstörung aufzuhalten. Politische Ziele werden nicht ernstgenommen und bestehende Regelungen nicht ordentlich umgesetzt. Es braucht also weitere juristische Hebel. In anderen Ländern, wie beispielsweise Ecuador, hat die Natur eigene Rechte, die in der Verfassung verankert sind. Solche Eigenrechte stärken und betonen den Stellenwert der Natur. Daher unterstützt der NABU diese Vorschläge. Eine so gestärkte Bedeutung kann dabei helfen, juristischen Schutz für die Natur zu erstreiten. Letzteres sehe ich als klassische Aufgabe der Umweltverbände. So gesehen würde das Modell das bestehende Klagerecht bekräftigen, das bereits völkerrechtlich geregelt ist.
Das Gespräch führte Sarah Nekola.