In diesen Zeiten schöpfen wir besonders viel Kraft in der Natur. Werden Sie NABU-Mitglied und helfen Sie mit, damit wir die Natur auch in Zukunft genießen können.
Jetzt NABU-Mitglied werden!„Klima- und Naturschutz jetzt anpacken“
Im Gespräch mit NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger
NABU: Die Wiederherstellung von kaputten Lebensräumen gilt als wichtiger Hebel für Klimaschutz und Biodiversität. Was braucht ein starkes EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur?
Jörg-Andreas Krüger: Zum einen muss so ein Gesetz klare und verbindliche Ziele, sowohl quantitativ als auch qualitativ, für die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme enthalten. Es muss klar sein, wie viele Flächen letztlich wieder in einen Zustand gebracht werden sollen, in dem sie ihre ökologischen Funktionen wieder übernehmen können. Ganz konkret geht es dabei z. B. darum, wie viel Hektar Moor wiedervernässt, Kilometer Flussaue renaturiert und Hektar Wald umgebaut oder neu geschaffen werden.
Außerdem gehen die Meinungen darüber oft noch stark auseinander, was ökologische Wiederherstellung für einen Lebensraumtyp konkret bedeutet. Hier sollte die Gesetzgebung ebenfalls Klarheit schaffen. Je nachdem meint dies eine rein technische, stark begrenzte Form oder eine für das Ökosystem höchst wirksame Wiederherstellung.
Bei welchen Ökosystemen siehst du das meiste Potenzial?
Das sind zum einen kohlenstoffreiche Lebensräume, in erster Linie wiederhergestellte Moore und Wälder. Wir dürfen nicht vergessen: In den Trockenjahren seit 2018 haben wir allein in Deutschland 500.000 Hektar Wald verloren. In unseren Wäldern – so das Bundeslandwirtschaftsministerium – ist nur noch jeder fünfte Baum gesund. Das ist dramatisch und bei den Mooren sieht es noch weit schlechter aus.
Ein weiteres wichtiges Ziel ist alles, was den Wasserhaushalt im weiteren Sinne betrifft: Flussauen, Feuchtgebiete, Landschaftswasserhaushalt. Wiederherstellungsmaßnahmen haben hier oft zusätzlich noch eine stark positive Wirkung auf den Hochwasserschutz. Und: Wo Wasser eine größere Rolle in der Landschaft spielt, gibt es in der Regel eine höhere biologische Vielfalt.
Spannend finde ich es auch, die Themen Stadtklima und Stadtklimawandel zu adressieren. Die Städte heizen sich im Sommer immer mehr auf und wir brauchen wieder echte grüne Achsen mit Schatten und zur Kaltluftbildung, um es im Sommer erträglich zu haben. Und dazu kommt: Städte sind aufgrund der sehr hochbelasteten Agrarlandschaft inzwischen oft ein letztes Refugium für Vögel, Insekten und Pflanzen, die in der Agrarlandschaft verschwinden.
Was braucht es, um Renaturierungsziele umzusetzen?
Zum einen braucht es Geld. Die Bundesregierung hat angekündigt, für das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz vier Milliarden Euro auszugeben. Das ist gut und wichtig! Momentan ringen wir darum, dass zügig entsprechende Förderprogramme und Förderrichtlinien vorliegen.
Zweitens braucht es einen dafür passenden Rechtsrahmen. Wir sprechen uns sehr stark für beschleunigte Wiederherstellungen aus. Hier knüpfen wir an die Diskussionen rund um Änderungen des Raumordnungsgesetzes für den schnellen Ausbau erneuerbarer Energien an. Auch Ökosysteme brauchen Vorrangflächen, in denen sie schneller wiederhergestellt werden können als bisher. So benötigt eine Moorrenaturierung z. B. zügigere wasserrechtliche Genehmigungen. Die Wiederherstellung von Natur ist leichter umsetzbar, wenn dafür eine gesellschaftliche Priorität gilt, die gesetzlich verankert ist.
Und drittens brauchen wir unglaublich viele Menschen und Organisationen, die mitmachen, die die Projekte planen und umsetzen – nur so kommen wir vom Reden ins Handeln.
Der Weltnaturgipfel in Montréal 2022 widmete sich dem Verlust von Arten und Lebensräumen. Wie können deutsche Schutzgebiete Natur wirksamer erhalten?
Das Tolle ist: Das Weltnaturschutzabkommen von Kunming-Montréal unterstreicht die besondere Rolle von Schutzgebieten. Mit Nachdruck fordert es: Wir brauchen auf 30 Prozent der Fläche Schutzgebiete. Bei seiner Verabschiedung war ich dabei. Als morgens um vier, nach mehrjährigem Verhandlungsprozess, endlich der Hammer fiel, war das ein unbeschreiblicher Jubel – ein Gänsehautmoment für den Naturschutz.
Schutzgebiete brauchen einerseits Geld für eine gute Betreuung sowie für eine gute Zusammenarbeit mit Landnutzer*innen. Besonders auf landwirtschaftlich oder forstwirtschaftlich genutzten Flächen muss die Bewirtschaftung an Schutzziele angepasst und dafür Landnutzer*innen honoriert werden. Für die Honorierung fehlt Geld. Allein für deutsche Natura-2000-Gebiete fehlen 800 Millionen Euro pro Jahr. Daher kämpfen wir unter anderem dafür, die Agrarförderung – also die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) – umzubauen. Wir setzen uns zudem sehr für eine Finanzierung aus Markterlösen ein. So würde ein Brot aus hochwertig produziertem Getreide am Ende eben 10 Cent mehr kosten.
Nachher brauchen wir „Kümmerer*innen“. Wir haben bemerkt, dass Naturschutz in Schutzgebieten dann gut funktioniert, wenn vor Ort Naturschutz, Landnutzung, Kommunen und weitere Interessensgruppen wie etwa der Tourismus eng zusammenarbeiten. Sobald sich jemand jenseits der Behörden um den Dialog und das Weiterführen von Prozessen kümmert, läuft es um Lichtjahre besser. Das bedarf aber einer Finanzierung. Als NABU fordern wir nicht nur solche Kümmerer*innenstrukturen, sondern setzen sie in unseren eigenen Projekten um: Beispiele sind die Havel-Renaturierung, die Wiederherstellung großer Moorgebiete oder der Gemeinschaftliche Wiesenvogelschutz (GWS) des Michael-Otto-Instituts.
Die Bundesregierung beschloss 2022 einen schnellen Ausbau erneuerbarer Energien – mit Abstrichen für den Naturschutz. Wie bringt sich der NABU weiterhin in eine naturverträgliche Energiewende ein?
Wir haben Fachkriterien dafür, welche Energieproduktion an welchem Standort naturverträglich ist und bringen sie politisch ein: Die wenig effiziente und ökologisch zerstörerische Wasserkraft lehnen wir völlig ab. Wegen der Mais-Monokulturen verursacht Biomasse große ökologische Probleme. Auch von der Holzverbrennung im großen Stil müssen wir wegkommen. Das verkraften unsere Wälder nicht.
Was die Photovoltaik angeht: Sie gehört nicht auf die Freifläche, sondern zuallererst auf das Dach. Freiflächen müssen eine Ausnahme sein und dürfen keinesfalls artenreiches Grünland betreffen. Unsere Fachkriterien entwickelten wir auch im Dialog mit Verbänden der Photovoltaikwirtschaft und wären daher umsetzbar. Mit Sorge sehe ich, dass auch auf ungeeigneten Standorten – etwa auf hochwertigen Ackerböden – großflächige Photovoltaikparks entstehen. Das ist eine ungute Entwicklung.
Für die Windenergie an Land glauben wir, dass die geforderten zwei Prozent der deutschen Landesfläche konfliktarm umsetzbar sind. Dennoch muss vor der Auswahl der Gebiete genau hingesehen werden: Wo wären Fledermäuse, Vögel oder Menschen von Windkraftanlagen betroffen? Das machen wir als NABU seit 20 Jahren und setzen wir fort. Aus unserer Sicht ist vieles, was die Bundesregierung letztes Jahr beschloss, fachlich und handwerklich wenig gelungen. Im Dialog mit der Politik, so auch mit der EU-Kommission, versuchen wir dies wieder zu ändern.
Eine pflanzenbetonte Ernährung verbraucht weniger Anbaufläche. Schafft weniger Fleischkonsum Freiräume für den Natur- und Klimaschutz?
Definitiv. Der Fleischkonsum ist weltweit einer der größten Treiber von Naturverlust. Das gilt besonders für den hohen Konsum in Industrieländern. Gleichzeitig führte die fleischbetonte Ernährung zu vielen Zivilisationskrankheiten. Schon lange empfehlen Ärzt*innen und Fachorganisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) unseren Fleischkonsum mindestens zu halbieren.
Unsere Flächennutzungsstudie hat den Gewinn für die Natur ausgerechnet. Das Ergebnis: Wir haben genug Platz, wenn wir Flächen vom Futtermittelanbau freimachen. Momentan besetzen Futtermittel 40 Prozent der deutschen Ackerfläche. In der Agrarlandschaft wäre viel Platz für Moorrenaturierungen sowie für zehn Prozent Habitate und Strukturvielfalt. Das sollte nicht bedeuten, den Anbau ins Ausland zu verlagern und Futtermittel zu importieren. Auch von den hohen Tierbeständen müssen wir weg. Damit Landwirt*innen in Zukunft mit 50 statt mir 100 Rindern Geld verdienen, muss Fleisch teurer werden.
Wo siehst du den größeren Hebel – auf Seite der Verbraucher*innen oder bei der Agrarpolitik?
Unbedingt erforderlich ist ein passender agrarpolitischer Rahmen. Wir plädieren z. B. sehr stark für die Mehrwertsteuerspreizung: Wir brauchen von der Mehrwertsteuer befreite oder niedrig besteuerte Gemüseprodukte und stärker besteuerte Fleischprodukte.
Der Bereich Bildung und Information ist ebenso relevant: Essen wir im Restaurant oder in der Kantine fleischbetont oder reichen nicht auch ein paar Gramm weniger Fleisch? Es geht nicht darum, gar kein Fleisch mehr zu verzehren, sondern darum wie viel. Mit wie viel Genuss und Qualität kann zudem eine pflanzenbasierte proteinreiche Ernährung aufgebaut werden – zum Beispiel das Kochen mit Hülsenfrüchten und Nüssen. Ich mache das privat auch so und probiere viel aus. Zwar esse ich weiterhin mit Genuss Fleisch, aber versuche es so wenig wie möglich zu essen.
Einen anderen großen Hebel, für den es einen politischen Rahmen braucht, sind Gemeinschaftsverpflegungen wie Schulen, Krankenhäuser, Kindertagesstätten und andere soziale Einrichtungen der Altenpflege und Altenbetreuung. Es kann nicht sein, dass eine nachhaltige, gesundheitlich vernünftige Ernährung immer wieder aus Kostengründen scheitert. Da fordere ich von der Bundesregierung einen ernstgemeinten Rahmen.
Das Insektensterben schreitet voran. Laut Forschung gelten Pestizide und intensive Landwirtschaft als mitverantwortlich. Wie will der NABU den Insektenschutz voranbringen?
Wir laden Menschen weiterhin dazu ein, beim Insektensommer mitzumachen und selbst zu schauen: Wie viele und welche Insekten gibt es überhaupt noch bei uns um die Ecke? Wann war der erste Zitronenfalter da? Wo sind die Wanzen oder Heupferdchen hin? Dabei fällt auf: In vielen Regionen gibt es erheblich weniger Insekten als früher. Daher stellt sich einerseits die Frage nach den Habitaten. Viele Insekten verschwanden, da es keine Hecken, keine Randstreifen oder Wegränder mehr gibt. Damit sie wieder entstehen, beteiligen wir uns in einigen Förderprogrammen, stehen mit der Landwirtschaft und mit Kommunen im Dialog.
Auf der anderen Seite geht es um das Einwirken auf negative Einflüsse. So kommt ein Großteil des direkten Stickstoffeintrags durch Düngemittelausträge aus der Landwirtschaft. Andere Quellen sind der Verkehr und die Industrie. Unterm Strich ist das quasi wie eine Volldüngung und führt zu deutlich größerem Aufwuchs. Es schadet Insekten, die an eher schütteren Bewuchs und an die Futterpflanzen nährstoffarmer Standorte angepasst sind.
Ein noch größerer Faktor sind natürlich Pestizide. Wir müssen von dem hohen Pestizideinsatz runter. Dafür gibt es sowohl rechtliche als auch marktwirtschaftliche Möglichkeiten wie die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) oder der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE): Sie alle empfehlen für Pestizide Zertifikatssysteme – nur leider passiert einfach nichts. Das ist sehr ärgerlich.
Das Gespräch führte Sarah Nekola.