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Im Gespräch mit NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger
NABU: Was waren deine persönlichen NABU-Highlights 2020?
Jörg-Andreas Krüger: Es war ein verrücktes Jahr! Gestartet sind wir wie geplant: mit der Grünen Woche und der großen Hoffnung, dass wir die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU naturverträglicher machen können. Dann kam Corona und alles veränderte sich rasend schnell. Gemeinsam mit anderen Umweltverbänden haben wir versucht, die Corona-Recovery-Fonds der Bundesregierung nachhaltiger auszurichten. Das ist uns zumindest in Teilen gelungen: Wir konnten sicherstellen, dass da auch viel Richtiges und Wichtiges dabei ist.
Außerdem hat die Bundesregierung 2020 die „Zukunftskommission Landwirtschaft“ eingesetzt. Sie ist durch den gesellschaftlichen Druck, den wir über die Jahre aufgebaut haben, überhaupt erst möglich geworden. Ich habe in der Zukunftskommission gemeinsam mit führenden Köpfen aus Landwirtschaft, Wissenschaft sowie Umwelt- und Tierschutz intensiv an einem breiten Fundament für Veränderungen in der Landwirtschaft gearbeitet. Die neue Bundesregierung wird sich daran messen lassen müssen, ob sie bereit ist, die vorgeschlagenen Verbesserungen umzusetzen.
Und nicht zuletzt habe ich natürlich trotz der Pandemie zumindest ein paar NABU-Gruppen und Landesverbände besucht. Das ist für mich immer das größte Highlight: Zu sehen, was regional vor Ort läuft, ist einfach toll.
Wie hat sich die Corona-Pandemie auf den Naturschutz ausgewirkt?
Zum einen gab es ganz konkrete Auswirkungen vor Ort: Die Arbeit der Naturschutzmacher*innen war mit großen Unsicherheiten und Schwierigkeiten verbunden. Viele Naturschutzzentren mussten vorübergehend schließen. Und für Aktionen wie die Krötenzäune im Frühjahr und andere Naturschutzarbeiten mussten neue Lösungen her, sodass die Arbeit trotz Pandemie weitergehen konnte. Wir konnten den Naturschutz ja nicht einfach sein lassen.
Zum anderen ist mehr Menschen durch die Pandemie die Verletzlichkeit der Natur noch bewusster geworden – und hoffentlich auch wahlentscheidender. Ich hoffe, dass wir zukünftig durch die Corona-Erfahrung gesamtgesellschaftlich bessere Lösungen für den Naturschutz hinkriegen werden.
Am 26. September wird eine neue Bundesregierung gewählt. Die Merkel-Ära geht zu Ende – welche Bilanz ziehst du mit Blick auf ihre Naturschutz- und Umweltpolitik?
Aus Perspektive des Natur- und Klimaschutzes zeigt die Kanzlerschaft Merkel zwei Gesichter. Zum einen das der international engagierten Klima- & Biodiversitäts-Kanzlerin. Nach einer vielbeachteten Rede auf der UN-Biodiversitätskonferenz 2008 in Bonn hielt Merkel Wort: Die Bundesregierung unterstützt den globalen Naturschutz bis heute mit über einer halben Milliarde Euro jährlich und setzte sich auf allen Folgekonferenzen für ambitionierte Beschlüsse ein und schon 1997 hat Angela Merkel, damals noch als Umweltministerin, das Kyoto-Protokoll mitverhandelt. Es war auch ihre Unterschrift beim Pariser Klimaabkommen, mit dem sich Deutschland zu den dort vereinbarten Klimazielen bekannte. Unter Merkels Regie wurde in Deutschland die erste Nationale Biodiversitätsstrategie verabschiedet. Im Rahmen des Nationalen Naturerbes haben die Bundesregierungen der letzten 16 Jahre 156.000 Hektar ökologisch wertvoller Flächen aus dem Besitz der öffentlichen Hand an den Naturschutz übergeben.
Ein ganz anderes Gesicht hat sie als Bundeskanzlerin gezeigt, wenn sie zögerlich oder gar nicht agierte und ihre Ressortchef*innen machen ließ, auch wenn dies eher Klientel- als Umweltinteressen diente. So hat leider auch die bereits dritte EU-Agrarreform ihrer Amtszeit keine überfällige Trendwende eingeläutet. Auch das Thema Insektenschutz ist national erst viel zu spät angegangen worden. Ähnlich ist die Lage bei der Solarpflicht für Neubauten, auch das hätte schon viel früher umgesetzt werden müssen. Und auch bei den wichtigen Verkehrs- und Energiewenden fehlt immer noch der Umsetzungswille. Merkel hat es in ihrer Kanzlerschaft versäumt, den rechtlichen Rahmen politisch weiterzuentwickeln, um die dringend notwendigen Veränderungen voranzutreiben. Das sorgt dafür, dass die heute bestehenden Probleme zwar seit vielen Jahrzehnten bekannt und wissenschaftlich erforscht sind, aber immer noch keine passenden politischen Antworten erfahren haben. Die Zeit wird langsam knapp. Das Zaudern hat schon sehr hohe Kosten verursacht. Klima- und Naturschutz wären einfacher und günstiger zu haben, wenn schon vor 16 Jahren die damals bereits bekannten Maßnahmen ergriffen worden wären. Dass Merkel schnell auf Krisen reagieren kann, haben wir beim Atomausstieg ebenso gesehen wie bei der Bekämpfung der globalen Pandemie. Beim Umweltschutz kam Dynamik durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf – doch die neuen verfassungsgemäßen Ziele sind weiter nicht mit Maßnahmen unterlegt. So steckt im Ende der Ära Merkel auch die Hoffnung auf neuen Drive für Klima und Umwelt.
Zusammenfassend kann man sagen: Angela Merkel versteht die Herausforderungen des Natur- und Klimaschutzes. Sie hat sich national und international für ambitionierte Ziele eingesetzt. Allerdings bleibt sie deren Umsetzung zu oft schuldig. Dies gilt vor allem im eigenen Land.
Welche Aufgabe hat der NABU bei der politischen Zukunftsgestaltung?
Politische Zukunftsgestaltung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Daran sollte sich idealerweise jede*r Bürger*in beteiligen. Unsere Aufgabe als NABU ist es vor allem dafür zu sorgen, dass der Schutz von Arten und Ökosystemen nicht immer weiter zu Gunsten anderer, vermeintlich wichtigerer Gründe wegdiskutiert wird. Wir müssen dafür sorgen, dass der Erhalt unserer Lebensgrundlagen besser in politische Entscheidungen miteinbezogen wird. Jetzt müssen die Grundlagen dafür geschaffen werden, dass Deutschland auch in zehn, zwanzig, dreißig und noch mehr Jahren lebens- und liebenswert bleibt. Dafür werden wir als NABU weiter Lösungsvorschläge entwickeln und deren Umsetzung erstreiten. Klar ist aber auch, dass wir bei aller erforderlichen Politisierung immer auch ein Verband des Naturerlebens und des konkreten Naturschutzes vor Ort bleiben. Darin liegen unsere Wurzeln und das macht unsere Stärke aus.
Die anstehende Bundestagswahl ist wichtig für Klima, Natur und uns Menschen. Welche Kernforderungen hat der NABU?
Bundestag und Bundesregierung haben in den nächsten vier Jahren die vielleicht letzte Chance, bei der Klima- und Biodiversitätskrise das Ruder herumzureißen – und so dramatische ökologische, soziale und finanzielle Folgen für uns zu vermeiden.
Wir müssen Natur und Klima in unseren Landschaften besser schützen. Dazu gehören ein besseres Schutzgebietsnetzwerk und die dafür erforderliche Finanzierung – Bund und Länder sollten hier endlich gemeinsam Verantwortung übernehmen! Und Politik muss den Rahmen dafür schaffen, dass der Wandel zu einer naturverträglicheren Landwirtschaft gelingt. Wichtige Fragen sind: Wie gestalten wir die Umwandlung der Direktzahlungen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP)? Wie kommen wir wieder zu zehn Prozent Habitaten und Strukturen in den Landschaften zurück?
Das muss gemeinsam mit den Landwirt*innen umgesetzt werden – über eine Finanzierung aus Staatsmitteln, aber auch aus höheren und angemessenen Preisen für Lebensmittel. Es geht darum, aktiv Zukunftslandschaften zu gestalten! Zukunftslandschaften, in denen wir Artenvielfalt bewahren und neue Ökosystemdienstleistungsflächen schaffen. Das ist das große Ziel für die nächste Legislatur.
Ein weiterer wichtiger Baustein ist die Heilung geschädigter Ökosysteme: Wir fordern eine Renaturierungsoffensive für unsere entwässerten Moore & Auen, für artenreiches Grünland und für die großen geschädigten Waldflächen. Nur intakte Ökosysteme können dauerhaft CO2 speichern, Hitzespitzen abmildern, starke Niederschläge und Hochwasser zurückhalten und vieles mehr – Funktionen, auf die wir in den nächsten Jahrzehnten mehr denn je angewiesen sein werden.
Um die Erderhitzung auf 1,5 Grad begrenzen zu können, halten wir außerdem ein 100-Tage-Klimaschutz-Gesetzespaket gleich am Anfang der Legislaturperiode für dringend notwendig – mit Sofortmaßnahmen, die den Kohleausstieg beschleunigen, unsere Energie- und Ressourceneffizienz deutlich steigern, den Autobahnbau stoppen, den naturverträglichen Ausbau der Erneuerbaren Energien fördern und den emissionsstarken Verkehrssektor sozialverträglich reformieren. Viele Maßnahmen lassen sich einfach umsetzen und wirken schnell.
Worauf freust du dich besonders für die Zeit nach der Bundestagswahl im September 2021?
Koalitionsverhandlungen sind immer wahnsinnig spannend! Ich freue mich auf diese intensive Zeit, in der es darum geht, Themen zu platzieren, Vorschläge einzubringen und möglichst konkret daran mitzuwirken, was die nächste Regierung sich vornimmt.
Danach geht es an die Umsetzung: Eine neue Regierung entwickelt immer erst einmal immer viel Schub. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten gemerkt – das ist sicherlich auch der Pandemie-Müdigkeit geschuldet –, dass die jetzige Regierung die Energie verloren hat. Hinzu kommt, dass im Wahlkampf viele Dinge wieder politisch aufgeladen und in Frage gestellt worden sind, obwohl sie schon einmal vereinbart waren. Mit einer neuen Regierung hat man erst einmal wieder eine Arbeitsgrundlage und neuen Antrieb.
Wir als NABU werden dafür kämpfen, dass wir im Natur-, Arten- und Klimaschutz wirklich vorankommen, dass gute Lösungen gefunden und auch schneller umgesetzt werden. Denn wir haben einen riesigen Handlungsdruck. Wir wissen, was wir tun müssen! Wir brauchen die politischen Mehrheiten dafür, dass es endlich getan wird – und zwar schnell!
In der öffentlichen Debatte entsteht mitunter der Eindruck, dass sich Arten- und Klimaschutz immer wieder in die Quere kommen.
Bei sehr vielen Maßnahmen ist das kein Thema: Klima- und Artenschutz lassen sich gleichermaßen gut erreichen, zum Beispiel bei Moorrenaturierungen, dem Erhalt alter Wälder und der Beendigung von Ackerbaunutzung auf organischen Böden. Hier werden die Lebensräume vieler bedrohter und spezialisierter Arten geschützt oder wieder hergestellt.
Zielkonflikte treten vor allem dann auf, wenn Klimaschutzmaßnahmen zu Eingriffen in Natur und Landschaft führen – etwa bei dem Anbau von Mais-Monokulturen für Biogas-Anlagen oder bei der Aufstellung von Windrädern.
Worin bestehen diese Zielkonflikte und in welchen Maßnahmen liegt deiner Ansicht nach die Chance, die beiden Lager zu versöhnen?
Die Lebensräume der Arten können entwertet werden und es kann auch zu direkten Verlusten kommen, z. B. durch Kollisionen von Vögeln und Fledermäusen mit Windrädern. Erschwerend kommt hinzu, dass sehr viele heimischen Arten u. a. durch Lebensraumverluste und die Intensivierung in Land- und Forstwirtschaft bereits massiv in ihren Beständen zurück gegangen sind. Bei solchen Maßnahmen kommt es daher entscheidend darauf an, an welchem Standort sie geplant werden, wie man Möglichkeiten zur Konfliktentschärfung nutzt und was man direkt vor Ort z. B. durch Änderungen in der Land- und Forstwirtschaft für die betroffenen Arten tun kann. Das erfordert viel Engagement vor Ort, aber wir brauchen einen grundsätzlichen systemischen Wandel und integrierte Lösungen. Mit einzelnen kosmetischen Eingriffen wird es uns nicht gelingen, diese Zielkonflikte aufzulösen.
Worin siehst Du die größeren Chancen für den Erhalt der Artenvielfalt in Deutschland und Europa? Auf möglichst vielen verschiedenen Flächen in Land- und Forstwirtschaft oder in geschützten Flächen wie Naturschutzgebieten?
Wir brauchen natürlich beides: einen integrativen Naturschutz, also der Schutz von Natur auf der Gesamtfläche, mit segregativen Kernelementen, in denen der Schutz Vorrang vor der Nutzung hat. Dabei sind zwei Punkte entscheidend. Erstens: Die bereits bestehenden Schutzgebiete an Land und auf See sind in einem beschämend schlechten Zustand. Das führt leider auch dazu, dass sie nicht wirklich schützen. Das zu ändern, ist erst einmal Pflicht und Kernaufgabe. Ganz wesentlich ist das auch eine Finanzierungsfrage: Landnutzer*innen und Flächeneigentümer*innen brauchen Unterstützung dabei, eine vernünftige, ökologisch orientierte Ausrichtung zu gewährleisten.
Der zweite Punkt betrifft die Landschaften außerhalb der Schutzgebiete, also der Großteil unserer Wälder, Gärten, Äcker usw. In ihnen brauchen wir Refugialflächen. So wissen wir dank diverser Studien, dass mindesten zehn Prozent der Offenlandschaften ungenutzt bleiben müssen, damit die Biodiversität sich dort erholen kann. Zudem ist es von zentraler Bedeutung, dass wir die Refugialflächen und die Schutzgebietsflächen – diese zwei Kernelemente mit besonders hoher Biodiversität – vernünftig in der Landschaft miteinander verknüpfen und so Verbindungswege für Arten schaffen.
Auch hier ist wieder die Frage enthalten, was die Landwirtschaft als Pflichtbestandteil leisten kann und soll. Klar ist: Die Landnutzer*innen sollten künftig für konkrete Umweltleistungen bezahlt werden, so ähnlich als wenn sie Weizen, Rüben oder Kartoffeln produzieren.
Das Interview führte Belinda Bindig.
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