In diesen Zeiten schöpfen wir besonders viel Kraft in der Natur. Werden Sie NABU-Mitglied und helfen Sie mit, damit wir die Natur auch in Zukunft genießen können.
Jetzt NABU-Mitglied werden!Gründungsaufruf des Bundes für Vogelschutz
Stuttgart, den 23. Januar 1899
Seit Jahrzehnten macht sich eine rasche Abnahme unserer gefiederten Sänger in Wald und Feld mehr und mehr bemerkbar. Wer immer der Vogelwelt einige Aufmerksamkeit schenkt, vermag dies selbst festzustellen und durch eigene Beobachtung zu bestätigen. Viele Vögel, welche früher sehr häufig waren, sind selten geworden, aus einigen Gegenden ganz verschwunden. Leider betrifft diese Verminderung gerade diejenigen Arten, welche nicht nur durch ihr schönes Gefieder und ihren herzerquickenden Gesang die Natur verschönen und Wald und Flur beleben, sondern auch für den Menschen selbst von ganz unberechenbarem Nutzen sind, dadurch, daß sie Unmassen von allerhand Ungeziefer vertilgen. In demselben Maße, wie die nützlichen Vögel aus einer Gegend unseres Vaterlandes verschwinden, vermehren sich daselbst die schädlichen Insekten, welche unsere Forsten bedrohen, des Landmanns Ernte vernichten, unsere Garten-, Obst- und Weinbau treibende Bevölkerung um die erhofften Früchte ihrer mühevollen Arbeit bringen. Wer da glaubt, diese Verheerungen seien unbedeutend, der täuscht sich gewaltig, der möge sich nur an die vor einer Reihe von Jahren bei Wolfegg von der Nonnenraupe vernichteten Wälder, an die durch den Getreideblasenfuß verursachte Mißernte am Albrand, an die durch den Blütenstecher und die Reblaus unserer Landwirtschaft jährlich zugefügten Verluste erinnern. Millionen und aber Millionen verliert so das kleine Schwabenländchen Jahr für Jahr, und zu ebenso großen Beträgen häufen sich die kleinen, weniger ins Auge fallenden Schädigungen an, welche einzig und allein vom Ungeziefer verursacht werden.
Der Mensch allein vermag den Kampf mit der Übermacht seiner kleinen Feinde bis jetzt nicht erfolgreich zu führen. Es liegt somit nichts näher, als daß er sich der von der Natur selbst gebotenen und erprobten Bundesgenossen bediene. Diese aber sind - neben vielen anderen - zweifellos in erster Linie unsere kleinen Sänger, deren Zahl, wie oben bemerkt, in stetigem Rückgange ist, ohne daß neue Helfer die entstehenden Lücken ausfüllten. Hier gilt es also, einzugreifen. Die Vermehrung der Zahl unserer Singvögel bzw. aller nichtschädlichen Vögel muß mit allen Mitteln angestrebt werden, denn nur durch dieses naturgemäße Hilfsmittel vermögen wir der Ungezieferplage und der damit verbundenen Verluste Herr zu werden. Wollen wir aber planmäßig und erfolgreich vorgehen, so müssen wir in erster Linie die Ursachen der Verminderung der Vögel kennenlernen. Ein kalter, schneereicher Winter kostet vielen derselben das Leben. Sie erliegen weniger dem Frost als dem Mangel an Nahrung. Raubgesindel aller Art, worunter auch unsere Hauskatze zählt, richtet ebenfalls bedeutende Verheerungen unter der Vogelwelt an.
Am schlimmsten aber räumt die Krone der Schöpfung – der Mensch – in sinnlosester und aller Zivilisation hohnsprechender Weise unter den lieblichsten Vertretern der Tierwelt auf. Wie ein nie zu sättigender Moloch verschlingt er jährlich Millionen der nützlichsten Geschöpfe eines flüchtigen Gaumenkitzels wegen, mordet weitere Millionen einer thörichten Mode zu liebe; den menschlichen Interessen fallen die Hecken und Gestrüppe, in denen sie nisten, ihre Jungen geschützt großziehen könnten. Gegen diese Unsummen vernichteter Lebewesen fallen die wenigen aus Liebhaberei gehaltenen Vogelehen kaum ins Gewicht, welche roher Unverstand leider oft zu einer qualvollen Gefangenschaft verurteilt.
Kaum in irgend einem Gebiet der Naturreiche macht sich der Eingriff des Menschen so sehr und für ihn selber so verhängnisvoll geltend, als bei dieser Verschiebung des natürlichen Gleichgewichts zwischen Insekten und Vögeln.
Und wir, die hochsten Wesen auf Erden, sollten dies schreiende, an kleinen, wehrlosen Geschöpfen, an unseren Wohlthätern ergangene Unrecht ungerührt mit ansehen können, zu schlaff, zu willenlos zu sein, hier Wandel zu schaffen! Das hieße eine neue Schuld auf die alte laden. Wie aber sollen und können wir helfen?
Durch Fütterung im Winter. - Besonders nach Schneefällen und bei starkem Frost streue man Futter - allerlei Abfälle der Küche, Fleischreste, Sämereien, Brotkrumen usw. - womöglich an schneefreien, geschützten Stellen, welche für Raubzeug unzugänglich sind. Mit allen zulässigen Mitteln muß ferner auf die Verminderung der Raubtiere hingewirkt werden, welche mit Vorliebe den Singvögeln nachstellen (Marder, Eichhörnchen, Katze, Sperber), und das Ausplündern der Nester unterdrückt werden.
Dem Mangel an natürlichen Nistplätzen hilft man aber am besten durch Aufhängen von Nistkästen ab, die aber je nach dem Bedürfnis und Geschmack eines Vogels verschieden hergerichtet und am passenden Ort angebracht werden müssen.
Gegen die Unbilden des Winters und gegen ihre natürlichen Feinde vermögen wir unsere Lieblinge verhältnismäßig leicht zu schützen; um so schwieriger ist es, sie vor dem Menschen selbst zu retten. Hier gilt es, den schwersten Kampf gegen althergebrachte Gewohnheiten, Vorurteile, Modethorheit und Gedankenlosigkeit zu führen.
Im Tessin, in Südtirol, vor allem aber in ganz Italien werden zur Zeit der Wanderung der Zugvögel, also im Herbst und Frühjahr, von groß und klein, reich und arm die unglaublichsten Mengen mit allen nur erdenklichen Hilfsmitteln gefangen und verspeist. Diejenigen, welche im Herbst entrinnen, verfallen im Frühjahr bei ihrer Rückkehr aus Afrika desto sicherer dem Schicksal, im Magen des Südländers ein klägliches Grab zu finden. Dutzendweise stehen auf den Märkten der italienischen Städte zentnerschwere Körbe zum Verkauf, gefüllt mit Leichen unserer Schwalben, Lerchen, Rotkehlchen, Buch- und Distelfinken, Staren und Drosseln, welche die Sehnsucht nach ihrer Geburtsstätte in die Netze ihrer Mörder getrieben hat. Leider wird auch in Deutschland, in ähnlicher, wenn auch nicht so umfangreicher Weise gesündigt. Die deutschen Vogelsteller liefern jährlich nur etwa eine Million Krammetsvögel in die Delikatessengeschäfte und Restaurants ab. Nebenbei verlieren unbeabsichtigt etwa eine Viertelmillion kleiner Sänger in den für die Krammetsvögel bestimmten Schlingen ihr Leben.
Gegen die Zahl der so in schändlichster Weise gemordeten Sänger verschwinden die durch natürliche Unfälle umgekommenen gänzlich, und doch ist das Maß der menschlichen Versündigung noch nicht voll. Die Tyrannin Mode allein verlangt nach zuverlässigen Angaben jährlich 100 Millionen Vogelleichen, um - ein schreiender Gegensatz - Hüte und Köpfe unserer feinfühligen und empfindsamen Damenwelt zu schmücken. Diese Mode widerstrebt nicht nur jedem Zartgefühl, sondern oft genug auch dem guten Geschmack, da die meisten Bälge in häßlichster und widernatürlichster Weise umgeformt werden.
Dagegen, daß die von uns gehegten und geschützten nützlichen Vögel im Großen im Süden abgefangen werden, war bislang wenig auszurichten. Die durch Bemühungen von Vereinen und Einzelpersonen erwirkten Schutzgesetze sind ungenügend oder werden nur in mangelnder Weise gehandhabt. Erst dann kann ein wesentlicher Erfolg erhofft werden, wenn alle edel denkenden Menschen sich zu gemeinsamem Vorgehen verbinden. Gegen die Verirrungen der Mode aber kann jedes einzelne mit Erfolg ankämpfen. Es hieße das Kind mit dem Bade ausschütten, wollte man unseren Frauen und Töchtern allen und jeden Federschmuck untersagen. Nur das Tragen von Leichen einheimischer oder ausländischer Vögel wollen wir unter allen Umständen verbannt wissen.
Als Ersatz dafür liefern die Jagd und das für den menschlichen Haushalt gezüchtete Geflügel eine solche Fülle der schönsten Federn, daß wir wahrlich nicht nötig haben, zu deren Erlangung einen besonderen Mord zu begehen. In natürlicher oder künstlicher Zusammenstellung bieten die Federn der Raubvögel, der Fasanen-, Perl-, Feld-, Haselhühner, des Auer- und Birkwilds, der Enten und Haushühner jeder Mode, jedem Geschmack mehr als genügende Abwechslung, vollends, wenn sie unter der Hand besonderer Künstler nötigenfalls gefärbt, gekräuselt - kurz, der jeweiligen Moderichtung angepaßt sind. Die Straußen- und Reiherfedern mögen wie bisher weiter getragen werden.
Viele der deutschen Tierschutz- und Vogelliebhabervereine haben die Behebung der erwähnten Mißstände und die Erreichung der angedeuteten Ziele in ihr Programm aufgenommen und ihren Kräften entsprechend gewirkt. Keinem aber gelang es, in so ausgedehntem Umfang die breitesten Schichten der Bevölkerung für die so gemeinnützigen Zwecke zu gewinnen wie dem "Österreichischen Bund der Vogelfreunde", dessen Mitgliederzahl in zweieinhalb Jahren auf 40 000 anwuchs. Es liegt auf der Hand, daß bei einer so regen Beteiligung der ideale und praktische Erfolg nicht ausbleiben kann. Sollte nun das, was in Österreich möglich ist, nicht auch in dem tierfreundlichen Deutschland gelingen?
Von diesem Gesichtspunkt geleitet, hat sich gegen Ende des letzten Jahres auf Anregung von Frau Kommerzienrat Hähnle in Stuttgart eine Anzahl tatkräftiger Damen und Herren aus den verschiedensten Berufsklassen zunächst zur Gründung eines "Schwäbischen Bundes der Vogelfreunde" vereinigt. Die ersten Versuche, weitere Kreise für die Sache zu gewinnen, waren erfreulicher Weise von ungeahntem Erfolge gekrönt; schon jetzt hat sich die Bewegung weit über die ursprünglich gedachten Grenzen ausgedehnt, und täglich mehren sich die Teilnehmer aus den verschiedenen Gauen Deutschlands. Dem weiteren Umfang entsprechend und um zugleich Verwechslungen mit den schon bestehenden Vereinen von Vogelfreunden zu vermeiden, wird dieser Bund fernerhin den Namen
Bund für Vogelschutz
führen. Den Statuten gemäß macht er es sich zur Aufgabe, in ausgedehntestem Maße zum Schutze und zur Vermehrung der nützlichen Vögel beizutragen, und hofft, dieses Ziel durch sachgemäße Belehrung in Schrift und Wort, durch verständige Einwirkung auf die Jugend, durch gemeinsames Vorgehen mit anderen Vereinen gleicher oder ähnlicher Richtung. Vor allem aber dadurch zu erreichen, daß er groß und klein, reich und arm zur Mitwirkung heranzuziehen sucht.
Demgemäß ist der Jahresbeitrag so nieder zu bemessen, daß, wer immer noch mit warmem Herzen für die bedrängte Vogelwelt empfindet und dieser edlen Regung Nachdruck verleihen will, dem Bunde beizutreten vermag. Der Jahresbeitrag für Erwachsene beträgt nur 50 Pfg., für Kinder 10 Pfg., für Vereine 3 Mk. , derselbe kann für 5 und 10 Jahre (2 M 50 Pfg., 5 M) oder lebenslänglich (10 M) vorausbezahlt werden. Zur Entgegennahme desselben sowie zur weiteren Verbreitung unserer Bestrebungen und Anmeldung neuer Mitglieder sind Sammelstellen errichtet. Die Zahl derselben muß aber noch vermehrt werden, und wir ersuchen alle Freunde der Sache, solche anzunehmen oder in Vorschlag zu bringen.
Zu näherer Auskunft sind gerne bereit:
Für den Vorstand des Bundes für Vogelschutz:
Frau Lina Hähnle, Jägerstraße 34, Professor Dr. Vosseler, Cannstatterstraße
127, Dr. Piesbergen, Alleenstraße 20.
Sammelstelle in Giengen:
Kaufmann Ernst Krauss und Frl. Amalie Schmid.
Wiedergegeben in der Chronik des Verbandes von 1987.
Mehr zur NABU-Historie
Die Geschichte des NABU ist in jeder Hinsicht außergewöhnlich. Im 19. Jahrhundert von einer Frau gegründet – höchst ungewöhnlich – ist er mittlerweile der mitgliedstärkste Umweltschutzverband in Deutschland. Stets stand der Naturschutz an erster Stelle. Mit Erfolg. Mehr →
Eine der ersten internationalen Kampagnen unter Einschluss Großbritanniens und der USA zielte um 1910 auf die Rettung der Silberreiher und Paradiesvögel, die wegen ihrer prächtigen Federn bejagt wurden, welche sich dann auf Damenhüten wiederfanden. Mehr →
Im Jahr 1899 übernahm Lina Hähnle mutig den Vorsitz des neuen Bundes für Vogelschutz – zu der Zeit noch äußerst ungewöhnlich für eine Frau. Sie führte den Verein dann 38 Jahre lang und prägte ihn mit ihrer zupackenden Natur. Mehr →
Von der Gründung bis heute: Wann wurden die ersten Schutzgebiete gekauft, wann der erste Landesverband gegründet? Lesen Sie hier die Geschichte des NABU in Kürze. Mehr →