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NABU-Chronik 1919 bis 1945
1919-1923: Die Inflation hinterlässt ihre Spuren
1924-1928: Die Schutzgebiete wachsen
1929-1932: Weltwirtschaftskrise und Biberschutz
1933-1937: Vogelschutz im Nationalsozialismus
1938-1945: Gleichschaltung und Kriegswirtschaft
1919-1923
Die Inflation hinterlässt ihre Spuren
Rein zahlenmäßig übersteht der Bund für Vogelschutz den Weltkrieg erstaunlich gut. Trotz der Kriegstoten und des kleiner gewordenen Einzugsgebietes sinkt die Mitgliederzahl nur unwesentlich und schon Mitte 1920 ist wieder Vorkriegsniveau erreicht.
Dem langjährigen Berliner BfV-Vorsitzenden Hermann Helfer gelingt es sogar, Anfang 1920 mit der "Zeitschrift für Vogelschutz und andere Gebiete des Naturschutzes" ein neues umfangreiches Verbandsorgan zu gründen. Die Zeitschrift wird bald auch von staatlichen Naturschutzstellen genutzt, dann ganz übernommen und erscheint nach zahlreichen Umbenennungen noch heute als 'Natur und Landschaft', herausgegeben vom Bundesamt für Naturschutz.
Da es zu Beginn der Weimarer Republik nach wie vor keinen reichsweiten Naturschutzverband gibt, wird im BfV verstärkt über eine Namensänderung diskutiert. Doch am Ende schreckt die Verbandsführung zurück: 'Gewiss pflegen wir den Naturschutz im Ganzen, aber es ist doch ein Unterschied, ob wir durch die Satzungen im jedem Falle dazu verpflichtet sind, oder ob uns dies überlassen bleibt. Die Grenzen des Naturschutzes sind so außerordentlich weit gespannt, dass wir zweifeln, ob unser Können und Kennen dafür ausreicht. Dann wäre Zersplitterung und Oberflächlichkeit die Folge.'
Bald macht dem BfV aber die bereits während des Krieges begonnene fortschreitende Geldentwertung zu schaffen. Der Mitgliedsbeitrag von 50 Pfennigen hat nur noch Symbolwert, auch kurzfristige Anhebungen werden von der Hochinflation hinweggefegt. Mit der Währungsumstellung Ende 1923 im Verhältnis eins zu einer Billion ist sämtliches Geldvermögen praktisch vernichtet. Die Mitgliederzahl schmilzt um gut ein Viertel auf unter 30.000; erst um 1940 wird die alte Stärke wieder erreicht.
Die Tätigkeit des Verbandes kommt vor allem bei der zuvor so stark ausgeprägten Öffentlichkeitsarbeit fast komplett zum Erliegen, weil für Postkarten, Broschüren und Filme das Geld fehlt. Selbst die Mitgliederinformationen können drei Jahre lang nicht erscheinen.
1924-1928
Die Schutzgebiete wachsen
Dennoch zieht der Verband zu seinem 25. Geburtstag Anfang 1924 eine überaus positive Bilanz: "Weit schneller als wir hoffen durften, sind unsere Gedanken Allgemeingut geworden, jedem ist das Wort 'Heimatschutz, 'Naturschutz, 'Vogelschutz' geläufig, ihre einschneidende Bedeutung für die Allgemeinheit lässt sich erkennen nicht nur an der Verankerung durch eine Reihe von Gesetzen, sondern auch an der Schaffung einer ganzen Reihe von staatlichen Einrichtungen, welche ausschließlich diese Ziele zu fördern haben. Der Kampf darüber, ob der Naturschutz notwendig ist, oder ob nur eine überspannte Forderung weltfremder Idealisten ihm zugrunde liegt, ist auf der ganzen Linie entschieden und zwar voll zu unseren Gunsten." Damit hat sich der Zweck des Bundes aber noch nicht erledigt, denn "es gilt nun auch das als recht Erkannte anzuwenden. Hier liegt leider noch vieles im argen."
In eben dieser Naturschutz-Anwendung geht der Bund Mitte der zwanziger Jahre mit gutem Beispiel voran. Die bestehenden Schutzgebiete werden ausgebaut, zahlreiche weitere kommen hinzu:
Im Norden Hiddensees übernimmt der BfV Schutzgebiete des Internationalen Frauenbundes für Vogelschutz in Pacht, da dieser die Inflation nicht überstanden hat. Der Gänsewerder im Süden wird als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Zu den drei Vogelwärtern zählt nun auch der junge Einheimische Hugo Wolter. Von Hermann Hähnle in die Fotografie und Filmerei eingeführt, wirkt Wolter an verschiedenen Stellen bis in die sechziger Jahre als fest angestellter BfV-Kameramann. Filmaufnahmen im Auftrag des Bundes entstehen um 1925 auch über die Steinböcke im italienischen Gran Paradiso, auf Sardinien und im Rahmen einer Polarexpedition auf Spitzbergen und Franz-Josefs-Land.
Auch die Eigenflächen am Federsee werden 1927 erweitert, an der Finanzierung beteiligt sich unter anderem der Fabrikant Robert Bosch. Regelmäßig finden nun in Bad Buchau am Federsee sogenannte Pfingsttagungen statt, zuerst als Lehrerfortbildung des BfV, später dann als Frühjahrstreffen des Verbandes. Mit dem Kauf erster Flächen am Wollmatinger Ried am Bodensee und der Übernahme der Jagdpacht auf der Halbinsel Mettnau beginnt ein weiteres Projekt, das sich zu den größten und dauerhaftesten des Bundes entwickeln wird. Auf der Mettnau dient die Jagdpacht dazu, den Abschuss von Wasservögeln zu verhindern, an anderen Stellen wie auf Hiddensee übt der BfV sein Jagdrecht aktiv aus, um in den Seevogelschutzgebieten Füchse und Rabenvögel zu dezimieren. 1935 wird sogar ein Berufsjäger angestellt.
In der Nähe von Potsdam erwirbt der BfV 1925 zusammen mit dem Volksbund Naturschutz 15 Hektar Land des Golmer Luch, dem letzten Moor in der Umgebung Berlins. Mitte 1927 wird die Fläche Naturschutzgebiet. Da Greifvögel immer noch keinen generellen gesetzlichen Schutz genießen, lobt der BfV Prämien für erfolgreiche Greifvogelbruten aus, zuerst in Württemberg und in Brandenburg, ab 1926 reichsweit.
Ende 1926 erzielt der Bund für Vogelschutz in Württemberg mit einer Lotterie "zum Erwerb und zur Erhaltung von Naturschutzgebieten" einen Reinerlös von 15.000 Reichsmark. Zahlreiche neue Schutzgebiete können erworben oder gepachtet werden, darunter die Werder-Inseln bei Zingst sowie Trischen und der Knechtsand an der Nordseeküste. Die Insel Mellum wird dagegen ab 1924 einem Verein vor Ort übertragen.
Auch organisatorisch stabilisiert sich der Verband. Bereits 1924 können wieder zwei Geschäftsstellenmitarbeiter angestellt werden, nachdem in der Inflationszeit alle Arbeiten ehrenamtlich geleistet werden mussten. Jährlich finden nun mehr als 400 Filmvorführungen in Schulen statt, dazu unzählige Vorträge, Naturführungen und Ausstellungen. Dabei benutzen die Ortsgruppen neben Filmen auch immer noch die alten handkolorierten "Laternbilder" des BfV vom Beginn des Jahrhunderts. Zu den Vortragsthemen gehören neben Naturkunde und klassischem Vogelschutz auch der Vogeltod an Elektrizitätsleitungen und die Verarmung der Natur durch die Flurbereinigung.
1929-1932
Weltwirtschaftskrise und Biberschutz
Die Weltwirtschaftskrise mit dem "Schwarzen Freitag" Ende Oktober 1929 versetzt dem Aufschwung des Bundes einen erneuten Dämpfer. Es kommt wiederum zu Mitgliedereinbrüchen und der Haushalt gerät in Schieflage - auch weil bei Winterfutter, Futtergeräten und Nistkästen die Umsätze schwinden und viele Bestellungen schlicht nicht bezahlt werden. Außerdem macht sich die - vom BfV durch Baumuster ausdrücklich geförderte - Selbstanfertigung "bei Nistkasten und Fütterungseinrichtungen sehr bemerkbar".
Auf die Schutzgebiete scheint dies wenig Einfluss zu haben. So wird an der mittleren Elbe bei Steckby die Zusammenarbeit mit dem Vogelschützer und Biberexperten Max Behr weiter intensiviert. Im Auftrag des BfV beginnt Behr mit Versuchen zur biologischen Schadinsektenbekämpfung durch dichten Besatz mit Vogelnistkästen. Das 1929 vom Grafen von Dürckheim gepachtete, 2000 Hektar große "Schutzgebiet Behr" ist letzter deutscher Rückzugsraum des Bibers und wird später zur Kernzone des Biosphärenreservates Steckby-Lödderitzer Forst. Für die Ergreifung von Biber-Wilderern setzt der Bund Belohnungen aus. Anfang 1933 erhält Steckby vom Land Anhalt den Titel einer "staatlich anerkannten Muster- und Versuchsstation für Vogelschutz".
Weitere Schutzgebiete werden unter anderem am Knechtsand, auf der Hamburger Hallig und sogar am Neusiedler See gepachtet. Einige Kommunen stellen dem BfV Schutzgebiete zur Verfügung, so 360 Hektar bewaldete Bergkuppen und Schafweiden in Unterkochen bei Aalen, 130 Hektar Schafweiden bei Geislingen und eine Wacholderheide bei Aichelau auf der Schwäbischen Alb. Mehrere Seen werden langfristig gepachtet. Am Zwischenahner Meer unterstellt die Staatsforstverwaltung Oldenburg dem Bund eine Fläche von 1400 Hektar einschließlich des Hasbrucher Urwalds und einer Graureiherkolonie.
Eine Spendenaktion anlässlich des 80. Geburtstages Lina Hähnles ergibt 1931 rund 11.000 Reichsmark, eine erneute Lotterie in Württemberg bringt weitere 10.000 Reichsmark. Hieraus werden vor allem Landkäufe am Federsee finanziert, erworben werden auch eine kleine Insel bei Besigheim und die 15 Hektar große Löwenstedter Heide in Schleswig-Holstein. Zwei weitere neue schleswig-holsteinische Projekte befinden sich in der Bordelumer Heide bei Bredstedt und mit 120 Hektar am Segeberger See.
1933-1937
Vogelschutz im Nationalsozialismus
In Erwartung einer gestärkten Stellung des Naturschutzes unter dem NS-Regime begrüßt der Bund für Vogelschutz die Machtübernahme der Nationalsozialisten ausdrücklich: "Heimatliebe und Naturliebe sind eine der stärksten Wurzeln, aus denen Deutschland Kraft schöpfen kann, deshalb dürfen wir - so klein unser Arbeitsgebiet scheinen mag - uns zu Mitkämpfern rechnen. Freudig stellen wir uns hinter den Führer, geloben, unsere ganze Kraft einzusetzen für sein hohes Ziel."
Der Vogelschutz wird zunächst dem Fachamt Naturschutz des neugeschaffenen Reichsbundes für Volkstum und Heimat zugeordnet. Jedes BfV-Mitglied ist so zugleich Mitglied im Reichsbund. "Um die bisherige Zersplitterung zu vermeiden", sollen sich zudem die kleinen Vogelschutzvereine dem BfV anschließen. Dieser dem Einheitsstreben des Bundes sehr entgegenkommende Prozess beginnt bereits 1933, nimmt aber erst Ende 1938 durch einen entsprechenden staatlichen Erlass größere Dimensionen an.
Der Bund für Vogelschutz ist in der Zeit des Faschismus nicht nur unverändert staatstreu, die organisatorische Einbindung in die Strukturen von Staat und Partei gibt dem Bund sogar einen fast offiziellen, halbstaatlichen Charakter. Der Bund bleibt dabei rechtlich stets ein unabhängiger eingetragener Verein.
Vor Ort scheint die Naturschutzarbeit unverändert weiterzugehen. Die Zentrale des Bundes liefert an die Gruppen reichlich Pflanzmaterial für neue Vogelschutzgehölze, Vorträge werden gehalten, Ausstellungen beschickt, Vogelfutter und Nistkästen vertrieben. Ab 1930 erscheinen in hoher Auflage kleinformatige Naturschutzkalender, die dann von 1934 bis 1941 unter dem Titel "Des Deutschen Heimat" auch über die Schulen vertrieben werden.
In den großen Schutzgebieten wie Federsee, Steckby, Hiddensee und Trischen steht die Bewachung der brütenden Vögel im Mittelpunkt und in Mecklenburg beteiligt sich der BfV neu zur Hälfte an der Pacht des 700 Morgen großen Nonnenhofes nahe Neubrandenburg. Lediglich das Schutzgebiet Deep an der Ostsee gibt der Bund wegen des Baus eines Wasserflugzeug-Stützpunktes auf und die Pacht für den Knechtsand wird aus Geldmangel 1934 nicht mehr erneuert.
Ende 1935 nennt sich der Verband auf Anordnung des Reichsforstministeriums in "Reichsbund für Vogelschutz (RfV)" um. Reinhard Wendehorst, selbst Mitglied der NSDAP, wird zweiter Vorsitzender, womit die Weichen für eine interne "Machtübernahme" gestellt sind.
Die neue Satzung des RfV wird nach den Leitlinien des Regimes umgestaltet. Gewählt wird nur noch der Vorsitzende - der der Bestätigung durch den Reichsforstmeister bedarf -, dieser ernennt alle anderen Vorstandsmitglieder und auch die "Ortsgruppenleiter". Letzteres erweist sich dann im Krieg als Bumerang, denn ohne konkrete Kenntnis der Verhältnisse vor Ort fällt es von der Zentrale aus denkbar schwer, Nachfolger für gefallene Ortsgruppenvorsitzende zu finden. Was unverändert bleibt, ist der Mindest-Jahresbeitrag von 50 Pfennigen.
In der von Machtkämpfen innerhalb von Partei und Staatsapparat gekennzeichneten Frühphase des Dritten Reichs wird auch der Vogelschutz zum Spielball. Ende 1934 wird der Reichsbund für Volkstum und Heimat wieder aufgelöst, der Vogelschutz dem Kultusministerium unterstellt. Gleichzeitig führt jedoch die NS-Kulturgemeinde eine Abteilung "Volkstum und Heimat" ein, wiederum einschließlich des Vogelschutzes. Der staatliche Vogelschutz samt den Vogelschutzwarten wird Mitte 1935 als Teil des Naturschutzes dem Reichsforstamt Hermann Görings als oberster Naturschutzbehörde eingegliedert. Es wird festgelegt, dass der RfV "die vereinsmäßige Tätigkeit und insbesondere die Aufklärung weitester Kreise zu besorgen hat" und die Vogelschutzwarten "besonders dem wissenschaftlichen Vogelschutz" dienen sollen.
1936 schließt der RfV ein Arbeitsabkommen mit der NS-Kulturgemeinde, man wirbt gegenseitig Mitglieder und der RfV kann im Kulturgemeindeorgan "Volkstum und Heimat" Aufsätze und Mitteilungen veröffentlichen. "In angenehmster Weise" funktioniert auch Zusammenarbeit mit dem Reichsheimstättenamt der NSDAP, für das Vogelschutz-Schulungswochen durchgeführt und vogelschutzgerechte Gärten in den Neusiedlungen entworfen werden. Andere Partner sind der Deutsche Siedlerbund, die Deutschen Arbeitsfront (DAF), der NS-Lehrerbund und die NS-Volkswohlfahrt, viele Vortragsveranstaltungen finden mit der NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" statt.
Einen wesentlichen inhaltlichen Fortschritt bringt das bereits zu Weimarer Zeiten vorbereitete Reichsnaturschutzgesetz vom 26. Juni 1935, das bis zum Inkrafttreten des Bundesnaturschutzgesetzes Ende 1976 die Grundlage für das staatliche Naturschutzhandeln in Deutschland bildet. In der Präambel verkünden die neuen Herrscher stolz: "Erst die Umgestaltung des deutschen Menschen schuf die Vorbedingungen für wirksamen Naturschutz". Der Reichsbund für Vogelschutz jubelt, das Gesetz wolle "die Seele des deutschen Volkes der Naturentfremdung entreißen", die Stellung des Staates und der nationalsozialistischen Partei sei "damit kundgegeben", dieser große Lobby-Erfolg mache es aber auch zur Pflicht, "alles in unserer Kraft Stehende zu tun, um bei der Durchführung des Gesetzes mitzuhelfen und Rohheit, Böswilligkeit und Gedankenlosigkeit zu bekämpfen."
Wo im Ernstfall die Prioritäten liegen, zeigt das Golmer Luch, das 1934 trotz NSG-Status mit Müll verfüllt und dann in Siedlungs- und Gartenland umgewandelt wird. Der Bund für Vogelschutz wird enteignet und in Raten entschädigt. Überhaupt bringt die Intensivierung der Landwirtschaft für die "Ernährungsschlacht" an vielen Stellen eine Ausdehnung auf bisher unbewirtschaftete Flächen. Der RfV kritisiert, dass "an vielen Orten der Geist naturfremder Scheinwissenschaft in der Ausrottung von Bäumen, Sträuchern und Hecken sein Unwesen" treibe und "angebliche Mehrerträge" verspreche. Erhellend ist auch, dass der RfV 1938 "auf ein prachtvolles Schutzgebiet", für dessen Kauf bereits eine Anzahlung geleistet war, "infolge der Befestigungen an der Westgrenze verzichten" muss.
Während sich der RfV bei der Flurbereinigung noch auf den "höheren Wunsch" Hitlers berufen kann, der persönlich den Schutz der Hecken gefordert hat, ist dies in der seit Verbandsbestehen vor allem vor Ort immer wieder aufgeworfenen "leidigen Katzenfrage" eher problematisch. Schon früh betont der Vegetarier Hitler: "Ich bin ein entschiedener Feind der Tierquälerei, die es im neuen Deutschland nicht mehr geben wird." Der "Verband für das Deutsche Katzenwesen" geht mit diesem "Führerwort" gerne hausieren, und die Auseinandersetzung zwischen Katzen- und Vogelliebhabern um vogelfangende Hauskatzen treibt selbst noch in den letzten Kriegstagen skurrile Blüten.
Die Rolle von Lina Hähnle und die Geschichte des Naturschutzes in der NS-Zeit wird derzeit weiter aufgearbeitet. Dazu haben wir Wissenschaftler*innen beauftragt, aktuelle Forschungsergebnisse zu sichten und aufzubereiten. Sie sollen zur weiteren innerverbandlichen und öffentlichen Debatte um die Rolle von Lina Hähnle und die Geschichte des Naturschutzes und seiner Institutionen in der NS-Zeit beitragen. Eine Veröffentlichung erwarten wir Ende des Jahres 2023.
Bereits im Jahr 2017 haben wir eine Aufarbeitung des damaligen Kenntnisstandes veröffentlicht und verweisen auf:
NABU (Hrsg.) (2017): Spurensuche: Lina Hähnle und die demokratischen Wurzeln des Naturschutzes: Lina Hähnle und die demokratischen Wurzeln des Naturschutzes. Klartext; 1. Edition
1938-1945
Gleichschaltung und Kriegswirtschaft
Eine zusätzliche Qualität erlangt die Stellung des RfV durch einen Erlass des Reichsforstmeisters vom 24. September 1938: "Mit Wirkung vom 1. 11. 1938 werden sämtliche Vereine und Verbände, die sich ganz oder in überwiegender Weise der Erhaltung und Pflege der freilebenden Vogelwelt (Vogelschutz, Vogelhege) widmen, im 'Reichsbund für Vogelschutz e.V.' mit Sitz in Stuttgart zusammengefasst. (...) Neben dem genannten Einheitsverband sind vom 1. 2. 1939 an andere Vereinigungen mit gleicher oder ähnlicher Zielsetzung unzulässig."
Der RfV ist also endgültig gleichgeschaltet, aber nicht als Opfer, sondern als Profiteur. Göring hatte dies dem Bund bereits Anfang 1937 schriftlich versprochen. Hinter den Kulissen wurde um diese Verordnung dann noch einige Zeit gerungen. So kann der RfV am Ende zwar Stuttgart als Sitz behalten, muss dafür aber eine Geschäftsstelle in der Reichshauptstadt Berlin einrichten. Auch die Satzung wird weiter den Vorgaben des Regimes angepasst. So dürfen nur noch "deutsche Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes" Mitglied werden. Aus den bisher zugänglichen Unterlagen ergeben sich keine Hinweise, wie der Bund daraufhin mit seinen jüdischen Mitgliedern umging.
Zur "Beute" aufgrund der Zwangsvereinigung der Vogelschutzverbände gehört die zusammen mit den staatlichen Vogelschutzwarten übernommene Zeitschrift Deutsche Vogelwelt, diese ersetzt die Ornithologische Monatsschrift des aufgelösten Deutschen Vereins zum Schutz der Vogelwelt.
Sowohl Hermann Göring wie auch Adolf Hitler geben sich als "große Vogelschützer". Göring bezieht für sein Jagdgebiet in der Schorfheide vom RfV "viele tausend von Nistkästen", Hitler stellt den Leiter der RfV-Gruppe Niederelbe als Vogelwart für sein Gut auf dem Obersalzberg an und ordert gleich 5000 Nistkästen.
Ende 1938 beginnt auch die bis Kriegsende dauernde Präsidentschaft des vorherigen Vize Reinhard Wendehorst. Lina Hähnle legt "den Vorsitz in berufenere Hände" mit "dem von ganzem Herzen kommenden Wunsche zu einem gewaltigen Aufstieg". Sie wird Ehrenvorsitzende des Bundes und stirbt schließlich zwei Tage vor ihrem 90. Geburtstag am 1. Februar 1941, genau 42 Jahre nach Verbandsgründung. Da sich Wendehorst aus beruflichen Gründen nur wenig um die Tagesarbeit kümmern kann, übernimmt de facto Hermann Hähnle die Leitung des Verbandes.
In der Praxis setzt der RfV darauf, den zwangsangeschlossenen Vereinen "ihre Selbständigkeit so weit wie irgend möglich zu belassen, weil damit die Einsatzfreudigkeit ihrer leitenden Persönlichkeiten der Sache erhalten bleibt". Bereits 1934 stößt der Vogelschutzverein für das Großherzogtum Hessen als Landesverband zum RfV, in Bayern entsteht in Zusammenführung der alten RfV-Gruppen mit dem Landesverband für Vogelschutz der "Landesbund für Vogelschutz in Bayern".
Neue Landesverbände gegründet werden auch in Niederschlesien mit bis zu 14.500 Mitgliedern, in Sachsen-Anhalt - dort zusammen mit dem Reichsnährstand, also dem Bauernverband - und in Mecklenburg mit Unterstützung des Heimatbundes. Im sogenannten Großdeutschen Reich werden später auch in "Sudetengau", "Ostmark" und "Südmark" eigene Abteilungen geschaffen. Nach dem Anschluss Österreichs richtet der BfV in Wien eine Geschäftsstelle ein, 1940 auch in Graz. Ende 1942 erreicht die Mitgliederzahl ihren Höchststand von 55.000.
Neben den Schutzgebieten bleiben Winterfütterung und Nistkästen Dauerthemen. Aufgrund der Autarkievorstellungen des Reiches ruft der RfV schon 1936 dazu auf, mehr Vogelfutter aus einheimischen Rohstoffen zu verwenden, um die Abhängigkeit vom Ausland zu verringern. Ab 1937 finden Obstkern-Sammelaktionen in den Schulen statt. Außerdem soll selektiv gefüttert werden, sprich: die unnützen Spatzen sollen nichts abbekommen. Schon 1912 hatte der Bund die Rechte an den "Antispatz"-Futterhäuschen erworben.
Mit Kriegsbeginn wird auch der Vogelschutz unter Kriegsbewirtschaftung gestellt. Spatzen werden jetzt aktiv bekämpft, Spatzenfallen werden exklusiv über den Reichsbund vertrieben. Für die Winterfütterung müssen die Ortsgruppen im Frühjahr den voraussichtlichen Bedarf an Hanfsamen und Sonnenblumenkernen melden, die RfV-Zentrale meldet die Gesamtmenge dann an staatliche Stellen und wird im Herbst entsprechend beliefert. Von Giengen beziehungsweise Stuttgart aus werden dann die Gruppen beliefert, teils wird das Winterfutter über die Ortsstellen der Volkswohlfahrt und des Winterhilfswerks verteilt - gegen Vorlage des RfV-Ausweises.
Dieses Verfahren wird bis in den letzten Kriegswinter hinein durchgehalten. Noch im Jahre 1944 wurden je 5000 Futterhäuschen und Nistkästen durch die Geschäftsstelle Giengen abgegeben. Selbst im Februar 1945, als die Infrastruktur des Reiches weitgehend zerstört ist und die Bahnkapazitäten eigentlich für Truppentransporte in Beschlag genommen sind, verschickt der Bund für Vogelschutz Hanfsamen per Bahnfracht an seine Gruppen im noch unbesetzten Restreich.
Auch an der Front und in der Etappe ist der Vogelschutz als willkommene Ablenkung von den Gräueln des Krieges präsent. Für die deutschen Soldaten in Norwegen werden im Auftrag des Oberkommandos der Kriegsmarine in einer Auflage von 200.000 Stück eine Anleitung zum Bau von Nistkästen und ein Blatt über Futtergeräte produziert. Zahlreiche Wehrmachtsangehörige schicken Fotos von der Winterfütterung vor dem Bunker oder Nistkästen am Westwall nach Giengen.
Weitere Abschnitte der Chronik
Die Gründungsversammlung des Bundes für Vogelschutz (BfV) findet am 1. Februar 1899 in der Stuttgarter Liederhalle statt. Gelenkt werden die Geschicke des BfV in den Folgejahren wechselweise von den Wohnsitzen der Familie Hähnle in Stuttgart und in Giengen aus. Mehr →
So wie der Kollaps von Staates und Gesellschaft vollständiger ist als nach dem Ersten Weltkrieg, so ist auch der Zusammenbruch des Bundes für Vogelschutz weitaus gravierender. Nur langsam kann das Naturschutzleben in den Besatzungszonen wiederbelebt werden. Mehr →
Mit Schwung geht der NABU in seine zweiten 100 Jahre. Dabei besinnt er sich bei aller thematischen Ausweitung auch wieder verstärkt auf den klassischen Arten- und Naturschutz sowie seine besondere Stärke durch die flächendeckende Präsenz vor Ort. Mehr →
Kurzfassung
Von der Gründung bis heute: Wann wurden die ersten Schutzgebiete gekauft, wann der erste Landesverband gegründet? Lesen Sie hier die Geschichte des NABU in Kürze. Mehr →