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NABU-Chronik 1899 bis 1918
bis 1898: Vorgeschichte
1899-1901: Die Gründungsphase
1902-1905: Ausdehnung bis München und Berlin
1906-1907: Adel und Prominenz im Bund für Vogelschutz
1908-1909: Stopp dem Krammetsvogelfang
1910-1913: Der Kampf gegen die Paradiesvogel-Hüte
1914-1918: Vogelschutz im Ersten Weltkrieg
Die Zeit vor 1899
Vorgeschichte
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts existieren in Deutschland zahlreiche Vogelschutzvereine, die allerdings meist nur lokal wirken. Erster nationaler Verband ist der 1875 gegründete und überwiegend wissenschaftlich tätige Deutsche Verein zum Schutz der Vogelwelt.
Im benachbarten Österreich gelingt es dem Ornithologen Rudolf Bergner durch extrem niedrige Beiträge, mit dem „Bund der Vogelfreunde“ einen 40.000 Mitglieder starken Verband zu formen, der bis nach Süddeutschland ausstrahlt. Nach dem plötzlichen Zusammenbruch des österreichischen Verbandes entsteht 1898 als Auffangbecken für die württembergischen Mitglieder und zur Sammlung der lokalen Vereine der Schwäbische Bund der Vogelfreunde.
Vorsitzende wird Lina Hähnle, Gattin des Industriellen und liberalen Reichstagsabgeordneten Hans Hähnle. Die 47jährige Mutter von sechs Kindern ist bis zu diesem Zeitpunkt vor allem im karitativen Bereich engagiert und stößt zum Bund, weil sie „die rücksichtslose Ausbeutung der Natur einfach nicht mehr mit ansehen“ konnte.
Zahlreiche Anfragen aus anderen Landesteilen machen bereits nach wenigen Monaten eine Erweiterung des Schwäbischen Bundes erforderlich. Lina Hähnle und ihre Mitstreiter entschließen sich deshalb am 15. Dezember 1898, einen reichsweiten Bund für Vogelschutz ins Leben zu rufen.
1899-1901
Die Gründungsphase
Die Gründungsversammlung des Bundes für Vogelschutz (BfV) findet am 1. Februar 1899 in der Stuttgarter Liederhalle statt. Auf der Basis des Schwäbischen Bundes der Vogelfreunde startet der BfV unter Vorsitz von Lina Hähnle mit bereits 1000 Mitgliedern, bis Jahresende 1899 steigt die Zahl auf 3500. Sitz des Bundes ist Stuttgart, Hauptstadt des Königreichs Württemberg. Gelenkt werden die Geschicke des BfV in den Folgejahren wechselweise von den Wohnsitzen der Familie Hähnle in Stuttgart und in Giengen an der Brenz aus.
Zweck des Bundes ist laut Satzung, „in umfassendster Weise zum Wohle unserer nützlichen Vögel zu wirken“. Deshalb gilt es, „den Massenmord der Zugvögel“ und „die thörichte Mode, Vogelbälge auf den Hüten zu tragen, energisch zu bekämpfen“. Außerdem soll „durch Schaffung von Nistgelegenheiten und Fütterung im Winter zur Erhaltung und Vermehrung unserer einheimischen nützlichen Vögel“ beigetragen werden.
Lina Hähnle selbst strebte stets einen breiter angelegten Naturschutz an. Erst nach langem Zureden und der Versicherung der Mitgründer, unter der Flagge des Vogelschutzes für die gesamte Natur wirken zu wollen, erklärt sie sich bereit, Namen und Vereinszweck auf den Vogelschutz zu begrenzen.
Eigentlich noch mit dem organisatorischen Aufbau beschäftigt, beginnt der BfV sofort auch mit der inhaltlichen Arbeit. Schon in den ersten Monaten werden Eingaben an den Reichstag „zum internationalen Vogelschutz“ gerichtet, die Kirchenbehörden werden „um Verbreitung der Kenntnis der nützlichen Vögel“ gebeten und die Generaldirektion der Eisenbahnen zur „Bepflanzung der Dämme“ aufgefordert.
Ein Ziel des BfV ist das Schaffen einer Massenbasis für den Vogelschutz. Zur Aufklärung und zur Werbung werden drei Flugblätter „in vielen tausend Exemplaren“ zur Winterfütterung und zu Nistkästen gedruckt, sogar ein umfangreicher Kalender für das Jahr 1900 erscheint. Noch im ersten Jahr setzt der Bund 30.000 Postkarten mit Vogelzeichnungen „in feinster farbiger Ausführung“ ab. Die Vorstandsmitglieder halten Vorträge zum Vogelschutz, und Ende November feiert der Bund ein Winterfest im Stuttgarter Bürgermuseum.
Mit Vorträgen, Flugblättern und ähnlichem Werbematerial ist früh das komplette Spektrum zusammen, das für die nächsten Jahre und Jahrzehnte die Basis der Öffentlichkeitsarbeit des Bundes bilden wird. Zufrieden stellt man fest, der Verein habe alles getan, „was in einem Jahre gethan werden kann“ und dies liefere den Nachweis, „dass sein Streben ein höchst nützliches, sein Dasein eine wirkliche Notwendigkeit ist“.
Vom österreichischen Vorbild übernimmt der Bund das „Glücksrezept“ eines niedrigen Jahresbeitrages von 50 Pfennigen – zum Vergleich: der Deutsche Verein zum Schutz der Vogelwelt verlangt sechs Mark, der Verein Jordsand sogar zehn Mark. Tatsächlich entwickelt sich der Bund rasch zum mit Abstand größten deutschen Vogelschutzverband. Es muss aber bezweifelt werden, dass dabei im nennenswerten Umfang auch Mitglieder in unteren sozialen Schichten gewonnen werden. Im städtischen Bereich rekrutieren sich die Mitglieder in hohem Maße aus der Beamtenschaft, auf dem Land sind es vorrangig Honoratioren wie Ortsbürgermeister, Pfarrer, Ärzte, Gastwirte und Förster sowie die Lehrer.
Nicht unwichtiger Nebeneffekt der niedrigen Beitragssätze: Während anfangs noch Überschüsse erwirtschaftet werden, reichen die Einnahmen schon bald nicht mehr aus, den anstehenden Aufgaben gerecht zu werden. Um das chronische Defizit abzudecken, fließen im Laufe der Zeit enorme Summen aus der Privatschatulle der Familie Hähnle.
1902-1905
Ausdehnung bis München und Berlin
Nachdem sich die ständige Herausgabe eines Kalenders als zu kostspielig erweist, erhalten die Mitglieder ab 1902 ein Jahresheft, jeweils mit dem Jahresbericht, kleinen Fachbeiträgen und in den ersten Jahren Teillieferungen eines bebilderten Vogelbuches. Die Jahreshefte erscheinen bis 1974 und werden danach durch die 1969 gegründete Zeitschrift „Wir und die Vögel“ (inzwischen „Naturschutz heute“) abgelöst.
Gleichzeitig beschließt die Hauptversammlung des Bundes eine Beitragsanhebung für Schulkinder von 10 auf 25 Pfennige. Der Grundbeitrag bleibt dann – nur unterbrochen von der Inflation 1923 – mehr als ein halbes Jahrhundert stabil.
Ende 1902 zählt der BfV 6100 Mitglieder vor allem in Württemberg, davon 2379 alleine in Stuttgart. Zu den 59 Gruppen gehören aber auch München und Nürnberg sowie – 112 Mitglieder stark – die weit entfernte Reichshauptstadt Berlin. Auffallend ist die starke Rolle der Frauen, in fast jeder zweiten Ortsgruppe stellen sie die für den Beitragseinzug zuständigen „Sammler“. Auch im sechzehnköpfigen Bundesvorstand sind sechs Frauen vertreten.
Wertvolle Unterstützung erhält der BfV vom württembergischen Innenminister Johann von Pischek, der 1903 im Landtag die „verdienstvollen Bestrebungen und Erfolge“ des Bundes lobt und einen jährlichen Zuschuss anweist. Die Landeshauptstadt und die Oberämter folgen dem Beispiel des Innenministers und überweisen kleine Zuschüsse, vierzig Gemeinden treten dem Bund als kooperative Mitglieder bei.
1906-1907
Adel und Prominenz im Bund für Vogelschutz
Die Gründung des Bundes für Vogelschutz ist im Wesentlichen eine Reaktion auf die Industrialisierung des Landes mit ihren enormen Auswirkungen auf Natur und Umwelt, aber auch auf die Sozialstrukturen. Der BfV ist so Teil der wilhelminischen Reformbewegung, die der Moderne ein rückwärtsgewandtes Weltbild entgegenstellt, das sich an einer idealisierten Agrargesellschaft vergangener Zeiten orientiert. Der BfV geht zwar nicht so weit wie der Naturschutzpionier Ernst Rudorff, der den vom ihm mitgegründeten Heimatschutzbund ausdrücklich auch als Waffe gegen die „gleichmacherische“ Sozialdemokratie versteht.
Insgesamt ist der BfV aber eindeutig konservativ ausgerichtet und dabei stets staatstragend. Es verwundert daher nicht, dass es dem Gemeinderat Christian Brachhold aus Wildbad gelingt, mit einer 1906 gestarteten Werbeaktion in Adelskreisen fast alle regierenden Fürsten des Reiches für den Bund zu werben, an ihrer Spitze die Könige von Württemberg und von Sachsen. Später treten auch die Könige von Schweden, Rumänien und Bulgarien auf Lebenszeit bei, 1912 sogar US-Präsident Woodrow Wilson. Eine finanzielle Unterstützung, wie sie Kaiser Wilhelm II. mit 50.000 Mark für den Flächenkauf des Vereins Naturschutzpark in der Lüneburger Heide zeigte, ist von den adligen BfV-Mitgliedern allerdings nicht bekannt. Was blieb, war der werbewirksame obrigkeitliche Segen für die gute Sache.
Um die Mitgliederbasis weiter zu vergrößern, ergeht deshalb ebenfalls 1906 in hoher Auflage ein Aufruf „An Alle und Jeden!“, in dem der Bund ein eindrucksvolles Schreckensszenario der abnehmenden Vogelbestände entwirft, der in der Feststellung gipfelt: „Wahrlich, wer sein Vaterland und sein Volk liebt, dem kann der Vogelrückgang nicht gleichgültig sein!“ Die Leser werden also nicht nur bei ihrer Naturliebe, sondern auch bei ihrem Nationalgefühl gepackt:
„Der Bund für Vogelschutz will seine ganze Kraft in den Dienst dieser Arbeit stellen. Er will bedrohte Stellen in unserem Vaterlande, deren Schönheit und Eigenart der Spekulation und Ausnutzung zum Opfer fallen sollen, ankaufen und retten. Unserer Heimat soll ihre Schönheit und Eigenart erhalten werden, unser Volk soll gelehrt werden, dieselbe zu lieben und zu verstehen. Wer mit diesem Grundsatz einverstanden ist, wes Standes und Landes er auch sei, er trete dem Bunde bei!"
Verfasser des Aufrufs ist der Freiburger Professor Konrad Guenther. Ihm gelingt es, als Erstunterzeichner nicht nur prominente Naturschützer und den Zoologen Ernst Haeckel – von ihm stammt der Begriff „Ökologie“ – zu gewinnen. Auch Schriftsteller wie Gerhart Hauptmann, Marie von Ebner-Eschenbach, Detlev von Liliencron, Bertha von Suttner und Peter Rosegger unterzeichnen, genauso der „Hänsel und Gretel“-Komponist Engelbert Humperdinck, die Maler Friedrich August von Kaulbach und Franz von Stuck sowie der Reichstags-Architekt Paul Wallot.
Der Aufruf und die laufende Arbeit des Bundes bleiben nicht ohne Wirkung. Im Dreijahresrhythmus verdoppelt der Bund nun seine Mitgliederzahlen: von 10.000 Mitte 1907 über 20.000 Mitte 1910 bis auf 40.000 kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
In der Praxis begreift sich der Bund für Vogelschutz schon früh als Serviceunternehmen für seine Gruppen und Mitglieder. So werden 1906 bereits 7200 vom Bund subventionierte Nisthöhlen verkauft, außerdem rund 1000 Futterhäuschen und große Mengen verbilligtes Winterfutter – was allerdings die Finanzen des BfV in eine gefährliche Schieflage bringt. Auch Sträucher zur Anpflanzung von Vogelschutzgehölzen werden zentral von Stuttgart aus vertrieben. „Die meisten Pflanzen können wir glücklicherweise den Baumschulen von Frau L. Hähnle entnehmen, ohne dass dem Bund dadurch Kosten erwachsen.“
Als erfolgreich im Vorgehen gegen den in dieser Zeit auch in Deutschland noch verbreiteten Vogelfang erweist sich ein Prämiensystem des Bundes an „Forstwächter und Ländjäger, sowie auch an Feldhüter, welche Vogeldiebe bei ihrem Handwerk zu ertappen wussten“. Bereits 1904 unterstützt der BfV eine Aktion, mit der „durch Anschläge in Eisenbahnwagen, Hotels und auf Bahnhöfen“ Italienreisende auf den Zugvogelmord aufmerksam gemacht werden. Außerdem beteiligt man sich an der Besoldung eines Aufsichtsbeamten, der im Tessin im Auftrag des Luganer Tierschutzvereins auf die verbotene Vogeljagd achtet.
1908-1909
Stopp dem Krammetsvogelfang
Den ersten großen Lobbyerfolg erringt der BfV 1908 mit der Novellierung des Reichs-Vogelschutzgesetzes. „Die Bahn ist frei!“ jubelt der Bund in seinem Jahresrückblick: „Der schlimmste Stein des Anstoßes, der Krammetsvogelfang, ist durch das neue deutsche Vogelschutzgesetz beseitigt, und dieser schwere und unsichere Kampf zu unseren Gunsten entschieden.“ Dabei setzte der Bund offensichtlich nicht nur auf Eingaben, sondern auch auf „jahrelange Aufklärungsarbeit in der Presse“ und „zielbewusstes und unermüdliches Bearbeiten der Reichstagsabgeordneten“. Vor allem diese „persönlichen Einwirkungen“ hätten „wohl im letzten Grunde den Sieg entschieden“.
Auch auf einem anderen zentralen Aufgabengebiet geht es voran, nämlich der „Sicherung von Landstücken, die interessanten und schönen Vogelarten zum Aufenthalt dienen und deren Fortbestehen in urwüchsiger Naturfrische Gefahr droht“. Nachdem die Stadt Giengen dem Bund bereits 1899 eine kleine Insel an der Brenz überlassen hatte, kauft man nun für 2380 Reichsmark die „Nachtigalleninsel“ im Neckar bei Lauffen.
Auf der Wunschliste stehen nun „Freistätten“ für Meeresvögel an der Nordsee. „Zu solchen Erwerbungen aber braucht der Bund ein mächtig anwachsendes Vermögen. Die jährlichen Beiträge können das nicht bringen, nur freiwillige Gaben, Schenkungen und testamentarische Verfügungen vermögen hier wirklich zu helfen.“ Anlässlich des zehnjährigen Verbandsbestehens ergeht deshalb ein Aufruf zu einer „Jubelspende“.
Vielfältig sind die Verbindungen des BfV mit anderen Organisationen. Zwar betont man bereits 1900, „sein Hauptanliegen“ werde der Bund unter anderem „darauf richten, die verschiedenen Vereine, welche dasselbe Ziel verfolgen, mit sich zu vereinigen, da nur durch ein zielbewusstes Zusammenwirken Erfolge erzielt werden können“. Tatsächlich treten dem BfV zahlreiche zuvor eigenständige lokale Vereine bei, außerdem gibt es kooperative Mitgliedschaften. „Vom Schwäbischen Albverein und vom Landesverband der Geflügelzüchter- und Vogelschutzvereine sind wieder mehrere Ortsgruppen dem Bunde beigetreten und haben durch Bezug von Nistkästen ihr Interesse am praktischen Vogelschutz bekundet“, heißt es 1903.
Lina Hähnle selbst ist von Beginn an Vorstandsmitglied des 1904 gegründeten Internationalen Frauenbundes für Vogelschutz und wird unter anderem 1908 zum Ehrenmitglied des Österreichischen Reichsbundes für Vogelschutz und des Karlsruher Tierschutzvereins ernannt.
Besonders eng sind die Beziehungen zum Bund Heimatschutz (BH). Zwar hatte man sich beim BfV „ernstlich die Frage vorgelegt, ob nicht eine Ausdehnung der Vereinszwecke auf den ganzen Heimatschutz oder Naturschutz rätlich erscheint“, doch man kommt zu dem Ergebnis, besser sei für diese Zwecke ein eigener Verein, der der „Unterstützung des Bundes gewiss“ sein dürfe. In den Jahren unmittelbar nach der Jahrhundertwende gehören dem BH fast alle wichtigen Naturschützer an, auch die personellen Verflechtungen zum BfV sind vielfältig. Die BH-Gründer Hugo Conwentz und Ernst Rudorff sind gleichfalls BfV-Mitglieder, Konrad Guenther ist in beiden Vereinigungen führend tätig.
Gleichwohl gibt es erhebliche Konkurrenz in der Naturschutzszene, teils heftige inhaltliche und auch persönliche Auseinandersetzungen. Im Ringen um den richtigen Weg bilden Hugo Conwentz und Ernst Rudorff die Anführer der Fraktionen. Conwentz setzt auf einen naturwissenschaftlich begründeten und dabei vor allem auf seltene und gefährdete – und damit oft kleinräumige – „Naturdenkmale“ konzentrierten Naturschutz. Rudorff vertritt einen mehr gefühlsmäßig, ethisch und ästhetisch begründeten Ansatz, der dabei auch nicht bedrohte Arten, Lebensräume und Landschaften einschließt.
Im Detail sind manche Vorstellungen der frühen Naturschützer aus heutiger Sicht recht exotisch, denn ökologische Betrachtungsweisen flossen kaum ein und viele Zusammenhänge waren einfach noch unbekannt. So setzte sich der prominente Heimatschützer Martin Braeß vehement für den Schutz des Graureihers ein, fand aber an der Bejagung des „gefräßigen Räubers“ Fischotter nichts auszusetzen: „Der Fischotter ist so versteckt, dass er für das Landschaftsbild in keiner Weise in Betracht kommt; der Reiher aber ist die herrlichste Staffage jeder Sumpf- und Seenlandschaft“. Konrad Guenther plädierte „zur Bereicherung der Wasserlandschaft“ für die Einbürgerung fremder Tierarten wie des südamerikanischen Sumpfbibers, der Brautente oder des nordamerikanischen Ochsenfroschs.
Der Bund Heimatschutz verliert schließlich sein Naturschutzmonopol. In Preußen gelingt Conwentz die Einrichtung einer Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege, in Stuttgart gründet sich 1909 der Verein Naturschutzpark und beginnt ab 1910 erfolgreich mit dem Projekt Naturschutzpark Lüneburger Heide. Ebenfalls 1909 rufen Rudorff-Anhänger wie Konrad Guenther und Hermann Löns den Bund zur Erhaltung der Naturdenkmäler aus dem Tier- und Pflanzenreich – kurz Naturschutzbund – ins Leben. Dieser kommt aber über 1000 Mitglieder nicht hinaus und existiert nur bis 1914.
Dem BfV fällt es durch seine Spezialisierung auf die Vogelwelt relativ leicht, sich aus den Auseinandersetzungen herauszuhalten, und es gelingt, für einzelne Projekte wechselnde Partnerschaften zu schließen.
1910-1913
Der Kampf gegen die Paradiesvogel-Hüte
Das rasche Wachstum des Verbandes macht schließlich organisatorische Änderungen notwendig. Die Ende 1909 rund 18.300 Einzelmitglieder in 315 Ortsgruppen sind nicht mehr alleine von der Zentrale aus zu betreuen. Es werden deshalb für Württemberg, Baden, Bayern und Schleswig-Holstein „Abteilungen“ gegründet, was den späteren Landesverbänden entspricht. 1911 folgen die Abteilungen Berlin und Rheinland, außerdem werden die Beisitzer des Bundesvorstandes nun nach Regionalproporz ausgewählt.
Im Mai 1910 findet, mitgetragen vom BfV, in Berlin der erste Deutsche Vogelschutztag statt. Ein wichtiges Thema ist dabei der Kampf zur Rettung der Silberreiher und Paradiesvögel, die wegen ihrer prächtigen Federn bejagt wurden und sich dann auf Damenhüten wiederfanden. Hauptlobbyist in der heftig geführten Auseinandersetzung mit der Modebranche ist der Weltreisende und Erfolgsautor Carl Georg Schillings, der in Berlin mit seinem Vortrag „Moderne Damenhüte als Vernichter der Vogelwelt“ für Aufsehen sorgt und daraus eine vom BfV in hoher Auflage verbreitete Broschüre entwickelt. Der Kampf gegen die Federhüte wird zu einer breiten Bewegung. Selbst der Kaiser ist sensibilisiert und drängt seine Frau bei einem Besuch in London, auf den Kauf solcher Hüte zu verzichten.
Auch in anderen Staaten ist die Federmode bestimmendes Thema, so wurden die Audubon Society in den USA und die britische Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) im Wesentlichen aus diesem Grund gegründet. Mit beiden Organisationen findet eine enge Absprache der Kampagne statt. Die Vereinigten Staaten verhängen bereits 1913 ein generelles Einfuhrverbot für Federn wild lebender Vogelarten, Großbritannien, Frankreich und Belgien ergreifen ebenfalls Schutzbestimmungen. Für 1914 ordnet schließlich der Staatssekretär im Reichskolonialamt – und BfV-Mitglied – Wilhelm Heinrich Solf ein Abschussverbot für alle Paradiesvogelarten in Deutsch-Neuguinea an; der Gouverneur von Samoa erlässt ein „vollständiges Vogelschutzgesetz im Sinne des Naturschutzes“.
Fortschritte erzielt der BfV 1911 im praktischen Naturschutz. Bei einem Haushalt von 50.000 Mark gibt er rund 15.000 Mark für Schutzgebiete aus. Vor allem werden die ersten 18,5 Hektar Moor- und Wiesenflächen am oberschwäbischen Federsee gekauft, der heute mit 3000 Hektar, davon rund 1000 Hektar Eigenbesitz, das größte NABU-Schutzgebiete ist. Auch auf der Ostseeinsel Hiddensee beginnt die Einrichtung von Schutzgebieten, allerdings agieren dort neben dem BfV noch weitere Verbände, darunter der Verein Jordsand und der Internationale Frauenbund für Vogelschutz. Es kommt in der Folge zu einem Konkurrenz-Gerangel, bis am Ende die Insel unter den verschiedenen Verbänden aufgeteilt ist. "Der Bund erhielt die südliche Hälfte zugesprochen."
Die zunehmenden Landkäufe machen es notwendig, dem BfV eine sichere Rechtsform zu geben. 1912 erfolgt die Registrierung als „e.V.“ im Vereinsregister des Königlichen Amtsgerichts Stuttgart, damit der Verband als eigenständige juristische Person handeln kann.
Die BfV-Zentrale hat sich inzwischen zu einer richtigen Geschäftsstelle entwickelt. „Etwa 4600 Briefe liefen ein“, dazu kommen der „Versand der Jahreshefte, der Vertrieb der Vogelschutzgeräte, Überwachung der Anpflanzungen usw.“. Zur Bewältigung des Arbeitspensums „werden daher die modernsten Einrichtungen, wie Sprechmaschinen etc. herangezogen“, außerdem abonniert man zur Medienbeobachtung einen Presse-Ausschnittdienst.
Die Vorträge werden nun dank der Pionierarbeit Hermann Hähnles „in der Regel in Verbindung mit kinematographischen Vorführungen und Lumierischen Farbprojektionen abgehalten“. Der Sohn der Verbandsgründerin und BfV-Präsident von 1946 bis 1965 entwickelte 1909 als damalige Weltneuheit eine Stereokamera mit zwei Objektiven, deren Aufnahmen – anfangs per Hand nachkolorierte Glasplatten – in speziellen Apparaten dreidimensional betrachtet werden konnten. Auch Hähnles Farbaufnahmen freilebender Vögel waren Weltpremieren. Bereits 1911 lässt der Bund erste Postkarten mit „echten Farbaufnahmen“ herstellen, zuvor hatte man Farbzeichnungen „nach dem Leben“ verwendet.
1914-1918
Vogelschutz im Ersten Weltkrieg
Am Vorabend des Ersten Weltkriegs erreicht der Bund für Vogelschutz mit 41.323 Mitgliedern einen vorläufigen Höchststand. Von den 519 Ortsgruppen befinden sich 243 in Norddeutschland und 276 im Süden.
Unter den Mitgliedern auf Lebenszeit befinden sich unter anderem die Fabrikanten Robert Bosch und August Vorwerk. Die Mitgliederliste der Gruppe Berlin liest sich 1914 wie ein „Who is who“: Verzeichnet sind Reichstagspräsident Johannes Kaempf ebenso wie sein Vize Heinrich Dove, Armeechef Hellmuth Graf von Moltke und Generalfeldmarschall Freiherr von der Goltz, aus dem Regierungsapparat die Staatssekretäre des Auswärtigen Amts, des Justizministeriums, des Reichspostamtes und – wie bereits erwähnt – des Reichskolonialamtes.
Auf der 1911 gepachteten Insel Mellum im Wattenmeer vor Wilhelmshaven brüten ein Jahr später 1800 Brandseeschwalben, ab Ende 1914 liegt die Insel aber im offiziellen Kriegsgebiet. Ausgebaut werden Schutzgebiete auf Hiddensee, wo Säbelschnäbler und Steinwälzer brüten, und am Federsee, wo eine umfangreiche "Erforschung der Lebensgemeinschaften einschließlich der Geologie" beginnt. Die großen Schutzgebiete werden von eigenem Aufsichtspersonal betreut, überall entstehen Fotodokumentationen der Tierwelt. Selbst 1917 kommen noch weitere Schutzgebiete auf der Schwäbischen Alb und auf der ab 1919 dänischen Insel Aaroe hinzu.
Kleinere Vogelschutzgehölze bestehen unter anderem in Celle, Meiningen, Spaichingen, Brühl, Monzingen, Schwabach, Öhringen, Riedlingen, Stuttgart, Lauffen, Münster und Hamburg. Davon sind sechs Anlagen im Besitz des BfV, 20 wurden gepachtet und weitere 24 befinden sich in fremden Händen. „Wir betrachten es als ein besonderes Ruhmesblatt des Bundes, dass er trotz seiner wenig befriedigenden Geldlage stets bereit war, andere Vereine mit seinen verfügbaren Mitteln in uneigennütziger Weise zu unterstützen.“
Wie viele bürgerliche Vereine fügt sich der Bund für Vogelschutz bereitwillig in die nationale Kriegspropaganda ein: „Da sich in den ersten Monaten so mancher von dem ungeheuren Erlebnis des Krieges keine richtige Vorstellung machen konnte, haben wir, hauptsächlich auf dem Lande, Bewegungsbilder hierüber vorgeführt und die ungeheuren Anforderungen, welche an unsere Truppen gestellt werden mussten, ins rechte Licht gesetzt. Wir haben ja als einer der ersten die guten Seiten des Kinematographen erkannt und in den Dienst des Bundes gestellt.“ Die bei den Vorträgen gesammelten Gelder, Lebensmittel und Stoffe leitet der Bund über seine Ortsgruppenvorsitzenden an das Rote Kreuz und an Lazarette in Ostpreußen und im Elsass weiter.
Der Bund beschäftigt sich aber auch mit den Auswirkungen des Krieges auf die Natur. Einerseits wird es immer schwieriger, wegen der „fühlbaren höheren Bewertung der Eier und des Fleisches freilebender Tiere“ die hungrigen Menschen im „Steckrübenwinter“ 1917 vor Ort von Nestplünderungen in den Seevogel-Schutzgebieten abzuhalten. Andererseits richtet der BfV Eingaben an das deutsche Militär, damit in den zwischenzeitlich besetzten Gebieten wie den Wäldern von Bialowiecza mit ihren letzten freilebenden Wisenten und den adlerreichen Karpaten keine seltenen Arten geschossen werden. In das rumänische Donaudelta wird 1917 in Absprache mit der Heeresleitung sogar ein Ornithologe entsandt, um sich vor Ort ein Bild über die Vogelbestände zu machen.
Ein ganz anderes Problem, das sich im Zweiten Weltkrieg wiederholen wird und dem der BfV viel Aufmerksamkeit widmet, ist der kriegsbedingte Mangel an geeignetem Winterfutter. Ölhaltige Sämereien wie Sonnenblumenkerne und Hanf stehen kaum mehr zur Verfügung, selbst Obstkerne werden ab 1916 behördlicherseits für die Ölgewinnung gesammelt und fallen so für die Winterfütterung aus.
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Kurzfassung
Von der Gründung bis heute: Wann wurden die ersten Schutzgebiete gekauft, wann der erste Landesverband gegründet? Lesen Sie hier die Geschichte des NABU in Kürze. Mehr →