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Jetzt NABU-Mitglied werden!DDR-Naturschutz: Auferstanden aus Ruinen
Persönliche Erinnerungen von Kurt Kretschmann
Das zertrümmerte Deutschland lag von Bomben und Granaten zerstört am Boden. Der Anfang der Naturschutzarbeit konnte nur ein armseliger Versuch sein. Die Landesbeauftragten bemühten sich schließlich, Betreuer für die damals sehr großen Kreise zu finden und so wurde auch ich im Sommer 1949 angesprochen.
Mit dem Fahrrad über die Dörfer
Der Anlass: Meine Frau bekam als Kreisrätin für Volksbildung im Frühjahr den Auftrag, das Freienwalder Schloss wiederherzustellen und zu modernisieren. Arbeitskräfte gab es genug und Geld zur Anschaffung von neuem Mobiliar ebenfalls. Zum Schloss gehört ein zwölf Hektar großer Park. Hier sollte noch der vielbeschworene Endsieg des tausendjährigen Reiches erkämpft werden. Bunker und Laufgräben auf Bergeshöhen waren abzubauen. Ich übernahm unbeauftragt und unbezahlt diese Aufgabe. Wir sammelten Geld, stellten ein Dutzend Parkarbeiter an und setzten zusätzlich Schulklassen mit ein. Bald darauf begann ich in der neuen Funktion als Kreisbeauftragter für Naturschutz den mir noch unbekannten Kreis zu entdecken. Mit dem Fahrrad war ich Tag um Tag unterwegs, gewann dadurch zahlreiche Helfer in den Dörfern und erreichte bereits im Herbst 1949, dass zwei Planstellen für den Naturschutz im Rat des Kreises bewilligt wurden. Später stellte sich heraus, dass das damals in der DDR und auch in der Bundesrepublik einmalig war.
Eine erste Naturschutz-Austellung
In den Wintermonaten entstand eine Naturschutz-Ausstellung, die in fünf Räumen des Schlosses gezeigt wurde. Diese erste Naturschutz-Ausstellung im Land Brandenburg wurde immer weiter ausgebaut. Den Mittelpunkt bildete eine Vogelsammlung in 30 Schaukästen, die wir aus der Finower Schule geliehen hatten. Das Material reichte aus, um die größten Säle in den Kreisstädten des Landes zu füllen. Was sonst bewegt und in zahlreichen Einsprüchen verhindert wurde, Fußballplätze in Parkanlagen, Abholzung von Alleen, wilde Müllkippen und anderes mehr, das weisen unsere monatlichen Tätigkeitsberichte aus, die noch alle vorliegen.
Die Öffentlichkeitsarbeit stand für uns im Vordergrund. Wir konnten nicht so viele Zeitungsartikel liefern, wie angefordert wurden. Der Stoff kam aus den täglichen Ausfahrten mit dem Fahrrad. Schon 1951 entstand der zehn Kilometer lange "Fontane-Naturlehrpfad" von Freienwalde nach Falkenberg. Dabei halfen Förster, Botaniker, Ornithologen und Biologen. Es waren begeisterte Laienkräfte, die sich im Kulturbund als Natur- und Heimatfreunde zusammengeschlossen hatten. Es folgte der "Baasee-Lehrpfad" und der "Gamengrund-Lehrpfad". Sie bildeten die Grundlage für hunderte Naturlehrpfade, heimatkundliche Lehrpfade, Dorflehrpfade, geologische Lehrpfade, Kutschlehrpfade, die danach in den nächsten Jahren in allen fünf Ländern entstanden.
Als Kreisbeauftragter hatte man natürlich nur eine begrenzte Übersicht der Vorgänge im ostdeutschen Naturschutz. Doch da kam 1951 ein Anruf, zur Landesregierung nach Potsdam zu kommen. Der Landesnaturschutzbeauftragte Dr. Gruhl hatte sein Amt niedergelegt und ich sollte der Nachfolger werden. Man bot mir an, als Landesbeauftragter ehrenamtlich zu arbeiten, mit einem "stolzen" Jahresetat von 500 Mark, woraus ich Post- und Telefongebühren, Fahrgelder und mehr bezahlen könnte. Da konnte ich meine Verhandlungspartner nur auslachen. In meinem Heimatkreis hatte ich zwei Planstellen und 6000 Mark im Etat. Ich nahm meine Aktentasche und wollte gehen. Man hielt mich zurück und bewilligte schnell eine Planstelle - nun stimmte ich zu.
Die Geburtsstunde des Eulen-Schildes
Der Jahresetat für Naturschutz im Land Brandenburg betrug 30.000 Mark. Nun bestellte ich in Olbernhaus im Erzgebirge 5000 Holztafeln mit der Eule als Naturschutzsymbol. Die in Marterlform mit Dach hergestellten hübschen Holztafeln, mit eingebrannter Eule und verschiedenen Aufschriften, wie Naturschutzgebiet, Landschaftsschutzgebiet, Naturdenkmal und geschützte Allee, versandten wir von Freienwalde aus an die uns bekannten aktiven Naturschützer in der DDR. Eine aufwendige Aktion, aber damit bürgerte sich dieses Zeichen schon damals ein. Die Kontakte zu anderen Landesbeauftragten waren nur flüchtig. Es kennzeichnet die damalige Situation, dass sie alle ehrenamtlich und mit 500 Mark Jahresetat arbeiteten. Die Arbeit war überall schwierig, weil wir als Grundlage noch das von Herrmann Göring unterzeichnete Reichsnaturschutzgesetz benutzen mussten. Dieses war zwar nicht aufgehoben worden, aber die örtlichen staatlichen Dienststellen erkannten es nicht an.
Naturschutzreferent der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften
Ende 1952 wurden die Landesregierungen aufgelöst und Bezirksverwaltungen eingerichtet. Ich war zwei Monate ohne Beschäftigung. Dann erhielt ich ein Schreiben von der neu gebildeten Akademie der Landwirtschaftswissenschaften aus Berlin. Ich sollte als Referent für Naturschutz angestellt werden und nahm an. Dazu muss man wissen, dass ich aus einem Hinterhofhaus, einem Arbeiterviertel in Berlin kam und nur Volksschulbildung, aber keine naturwissenschaftliche Ausbildung, hatte. Oder doch? Zwischen 1934 und 1939 wanderte ich mehr als zehntausend Kilometer kreuz und quer durch Deutschland, die Schweiz und Oberitalien. Mit dem Rucksack auf dem Rücken, darin ein winziges Zelt und mit einem Bambusstecken in der Hand. Das Erlebnis der Mittelgebirge und der Alpen, der Nordsee und der damals noch herrlichen Wälder und klaren Seen, Bäche und Quellen, hatte mich zutiefst mit der Natur verbunden. Das waren meine "Universitäten". Nun war ich plötzlich an die Spitze des Naturschutzes in der DDR getreten. Mich umgaben fünfzehn Wissenschaftler, zumeist Institutsdirektoren, die unter der Leitung des Botanikers Professor Hermann Meusel die Sektion 9 Landeskultur bildeten. Über ein Jahr arbeiteten wir daran, ein DDR-Naturschutzgesetz zu schaffen, das schließlich am 4. August 1954 durch die Volkskammer verabschiedet wurde.
Streifzüge durch die Naturschutzgebiete
Um möglichst oft dem trockenen Paragrafendschungel zu entgehen, besuchte ich, wann immer möglich, die bekannten Naturschutzgebiete. Ich war dann gewöhnlich drei bis vier Tage zu Fuß unterwegs. Die Akademie hatte auf dem Lande großes Ansehen. Man konnte unter diesem Firmenschild mündliche und schriftliche Abmachungen treffen, die dem Naturschutz vor Ort Achtung und Anerkennung eintrugen. Man musste nur so auftreten, als stünde die ganze Akademie dahinter. Aber das Leben in dem noch in Trümmern liegenden Berlin fiel mir schwer. Nach zweieinhalb Jahren kündigte ich die an sich guten Arbeitsbedingungen auf und kehrte nach Freienwalde zurück.
Die Naturschutz-Lehrstätte im Müritzhof
In der Akademie war noch die Einrichtung einer Lehrstätte für Naturschutz im Müritzhof vorbereitet worden. Ich hatte eine enge Freundschaft mit dem Museumsdirektor Karl Bartels in Waren, zehn Kilometer von der geplanten Lehrstätte entfernt. Auch die erste Art dieser Einrichtung in der Welt war ein schwieriges Experiment. Das Grundstück schenkte uns der zuständige Landrat. Es stellte sich dann aber heraus, dass die Akademie zwar viel Geld für den Aufbau wissenschaftlicher Institute hatte, aber Lehrstellen nicht finanzieren konnte. So sammelten wir 6000 Mark und schafften Möbel heran. Der Unterricht auf einem großen Bauernhof, dicht an der Müritz, dem zweitgrößten See Deutschlands, konnte beginnen. Die Leitung sollte ein junger Förster übernehmen, der auch Kreisbeauftragter für Naturschutz war. Sein frisch angetraute junge Frau aber machte dieses Abenteuer, weit ab in der Wildnis, ohne Strom, Telefon und anderen zivilisatorische Errungenschaften, nicht mit. Ich hatte die Sache angerührt und musste nun einspringen. Meine Frau und ich verließen unser Blockhaus in einem großen Obstgarten in Bad Freienwalde und bauten sechs Jahre lang den später als "Zentrale Lehrstätte für Naturschutz" benannten Müritzhof auf.
Es gab keinen besseren Ort, um den Naturschutz zu fördern. Das 5000 Hektar große Schutzgebiet mit ausgedehnten Sumpflandschaften, sehr tier- und pflanzenreich und jeden Herbst von rund 2000 Kranichen bevölkert, hat viel dazu beigetragen, den staatlichen, nur schwach unterstützten Naturschutz in der DDR dennoch durch die Arbeit vieler Idealisten voranzubringen. Über 900 Naturschutzgebiete, viele Flächennaturdenkmale, über 300 See-, Fisch- und Schreiadlerpaare mögen dafür als Beweis genügen.
Haus der Naturpflege in Bad Freienwalde
1960 kehrten wir nach Freienwalde zurück. Meine Frau übernahm in der Bezirksleitung des Kulturbundes in Frankfurt an der Oder für vier Jahre die Abteilung der Natur- und Heimatfreunde und finanzierte mit ihrem Gehalt meine neue Idee, ein "Haus der Naturpflege" einzurichten. Es sollte ein Muster für ähnliche Anlagen am Rande der Großstädte sein, dort wo sich zu bekannten Ausflugszielen hunderttausende Menschen vorbeibewegten. Mehr als zwei Jahrzehnte haben wir ohne eine Mark staatlicher Mittel daran gearbeitet, rund 90.000 Besucher kamen in dieser Zeit zu uns. Erst im Alter von 70 Jahren mussten wir aufgeben, denn wir konnten das fünf Morgen große Gelände nicht mehr aus eigener Kraft bewirtschaften. Der Kreis übernahm die Anlage und wir zogen drei Häuser weiter und richteten dort einen naturnahen Garten ein, der ebenfalls viel besucht wird. Unser Weg - ein Leben für den Naturschutz - war sicher nicht typisch für die Naturschutzbeauftragten der DDR. Es zeigt jedoch, was bei vollem Einsatz auch damals unter den schwierigen Nachkriegsbedingungen erreicht werden konnte.
Kurt Kretschmann
Vortrag von Dr. Rolf Caspar, Verbändereferent im Umweltministerium und ehemaliger Sekretär der Gesellschaft für Natur und Umwelt im Kulturbund der DDR, über den Naturschutz vor und während der Wendezeit. Verfasst anlässlich der Festveranstaltung "20 Jahre NABU Brandenburg". Mehr →
Über Kurt Kretschmann
Vieles ist schon geschrieben worden über Kurt Kretschmann: Naturschützer der ersten Stunde, seit 75 Jahren Vegetarier und noch länger überzeugter Pazifist. Das Leben dieses von Idealen getragenen Mannes kann nur in seiner tiefen Verbindung von Naturliebe und Menschlichkeit begriffen werden. Mehr →