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Jetzt NABU-Mitglied werden!„Wunder am Wegesrand“
Ein Interview zum Naturschutz in der Stadt
Über 1.400 verschiedene Tiere und Pflanzen fanden Wissenschaftler anlässlich des "Tages der Artenvielfalt" im Berliner Tiergarten. Muss der Naturschutz bei solchen Zahlen nicht umdenken und sich stärker um den Lebensraum Stadt kümmern?
Naturschutz fand noch nie nur in Watt und Urwald statt, sondern immer auch im Siedlungsraum. Es gibt geradezu klassische Stadt-Naturschutzaufgaben, von der Hilfe für Gebäudebrüter bis zum Erhalt von Grünzügen.
Eindrucksvoll sind die Tiergarten-Zahlen, aber nicht wirklich überraschend. Grund für die Vielfalt ist, dass es eben nicht "den" Lebensraum Stadt gibt, sondern ein sehr kleinteiliges Biotoptypen-Mosaik. Das gilt nicht nur für einen so großen innerstädtischen Park wie den Tiergarten. Friedhöfe sind in der Regel noch strukturreicher, sie sind die wahren urbanen Arten-Hotspots.
"Stadtluft macht frei", heißt es. Gilt das auch für die tierischen Stadtbewohner?
Frei vor Verfolgung, bis zu einem gewissen Grad. Siedlungen sind ja befriedete Bezirke, in denen in der Regel nicht gejagt werden darf. Das kriegen Rehe oder Wildschweine natürlich mit. Sie zieht es in die städtischen Vororte und sie verlieren auch einen Teil ihrer Scheu vor Menschen. Nicht immer zur Freude der Menschen, wenn man an etwa an Rasen durchwühlende Wildschweine denkt oder an Rehe, die in Kleingartenkolonien gezielt die zarten Rosenknospen abfressen. Übrigens ist auch der tierische Jagddruck von Fressfeinden in der Stadt geringer.
Aber gerade Beutegreifer wie etwa der Fuchs gelten doch ebenfalls als typische Stadt-Einwanderer.
Die Fuchsdichte ist in Städten sogar besonders hoch, oder anders herum: Sie benötigen viel kleinere Reviere zum Überleben als etwa im Wald. Die Stadtfüchse haben aber auch einen anderen Speisezettel. Statt mühsam nach Mäusen zu jagen, plündern sie lieber Abfallkörbe oder suchen Straßen nach überfahrenen Tieren ab. Das Märchen von der Landmaus und der Stadtmaus müsste also heute umgeschrieben werden. Der Tisch ist in der Stadt nicht nur reich gedeckt, es lässt sich auch ungestörter leben.
Wobei aber nicht alle Tiere und erst recht nicht die Pflanzen aktiv die Stadt aufsuchen und als neuen Lebensraum erobern.
Da helfen wir Menschen mit unseren Warentransporten schon kräftig mit. Viele Erstnachweise gelingen deshalb in Hafenanlagen und an Bahngleisen. Die tropischen Termiten, die heute in Hamburg an so manchen alten Holzfundamenten nagen, sind dorthin auch nicht zu Fuß gelangt.
Um die Termiten wird sich der Naturschutz nicht kümmern müssen. Um andere Zuwanderer schon.
Gerade allgemein seltene Arten oder Lebensgemeinschaften verdienen in der Stadt unsere Aufmerksamkeit. Ob diese auf natürlichem Weg dorthin gelangt sind, wird im Zweifelsfall nachrangig sein - gerade wenn die alten "Wild-Standorte" kaum mehr bestehen. Nicht die Eignung der Stadt als Lebensraum ist ja das Neue an der Situation, sondern dass die Biotope auf dem Land sich der immer intensiveren Nutzung und der Überdüngung wegen weiter verschlechtern.
Überproportional sind in der Stadt nährstoffarme Störstandorte vertreten. Zusammen mit dem vergleichsweise warmen Stadtklima ergibt das beste Bedingungen für sogenannte Pioniere. Das sind Arten, die offene Böden bevorzugen. In der freien Natur wären dies etwa Windwurfflächen im Wald, Ufer aller Art und Kiesinseln an Flüssen. In der Stadt sind es ersatzweise Neubauflächen, geschotterte Wege oder auch kiesbedeckte Flachdächer, auf denen zum Beispiel in Hamburg Flussregenpfeifer und Austernfischer brüten. Geburtshelfer- und Kreuzkröten wiederum finden sich immer wieder in flachen Pfützen von Großbaustellen.
Wenn die Städte so artenreich sind, könnte der Naturschutz seine Bemühungen eigentlich gleich dort konzentrieren.
Das wäre wirklich unsinnig, sozusagen eine Wiederbelebung des Konzepts der Trennung in "Schutz- und Schmutzgebiete" unter neuen Vorzeichen. Naturschutz muss auf hundert Prozent der Fläche wirken. Mal abgesehen von Arten und Lebensräumen, die es ausschließlich außerhalb des Siedlungsbereichs gibt, darf man nicht nur auf die nackten Artenzahlen blicken. Stadtpopulationen sind oft sehr klein und verinselt. Eine ganz wichtige Aufgabe wäre deshalb, endlich Verbundsysteme innerhalb der Stadt und vor allem mit dem Umland zu schaffen, sonst können Arten so schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen sind. Leider ist das nicht ganz einfach, vor allem wegen der hohen Grundstückspreise
Was sind die anderen Naturschutzaufgaben in der Stadt?
Noch stärker als Störstandorte bestimmen gestaltete Lebensräume die Stadt. Es gilt deshalb Parks und Gärten, Friedhöfe oder auch Innenhöfe bewusst naturgerecht zu gestalten. Ein gutes Bespiel ist das Gelände des ehemaligen Berliner Nordbahnhofs. Hier werden im entstehenden Park nicht nur Reste der Mauer und der Grenzanlagen, sondern auch Brachen erhalten und integriert.
Städte sind zunächst einmal Lebensraum des Menschen, und deshalb gilt es gleichrangig Möglichkeiten zum Naturerleben zu erhalten oder neu zu schaffen. Das reicht von den einfachen "Wundern am Wegesrand" bis zu Uhus und Wanderfalken - oder zu Bibern, die sich heute im Stadtgebiet von München ebenso wie in Berlin beobachten lassen. Mehr noch: Die Menschen soll sich Natur aneignen können. Dazu gehören auch wilde Grillecken oder Baumhäuser für Kinder.