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Zehn Gründe, warum der geplante Ostseetunnel ein Skandal ist
An der Ostsee steht der Bau des größten und teuersten Infrastruktur-Projekts Europas kurz bevor. Ab 2021 soll für die „feste Fehmarnbeltquerung“ zwischen Dänemark und Deutschland für eine vierspurige Autobahn und einen Zugtunnel 18 Kilometer Meeresgrund aufgerissen und zubetoniert werden. Der geplante Tunnel führt mitten durch ein Meeresschutzgebiet, ausgewiesen für seltene Riffe und Sandbänke – einer der letzten Rückzugsräume für Schweinswale, Seehunde, seltene Schwämme und Muscheln. Der Tunnelbau könnte das gesamte Ökosystem der Ostsee ins Wanken bringen.
Und wofür? Damit statt 6.000 bald 12.000 Autos am Tag dort entlangfahren können. Das ist eine Verkehrsprognose, für die in Deutschland nicht einmal eine Umgehungsstraße gebaut wird. Zum Vergleich: Durch den Hamburger Elbtunnel fahren täglich rund 160.000 Fahrzeuge.
Wegen der grotesken Fehlplanung, Kostenexplosion und folgenreichen Umweltzerstörung wird das Tunnel-Projekt an der Ostsee auch als das „Stuttgart 21 des Nordens“ bezeichnet. Hier erfahren Sie, was die Planung des Tunnels so absurd und gefährlich macht und warum das Projekt unbedingt gestoppt werden muss.
1. Der Ostsee droht eine ökologische Katastrophe
Brücken, Gaspipelines, Schifffahrt, Überfischung, Überdüngung, Windparks – die Ostsee ist ökologisch bereits heute an ihrer Belastungsgrenze. Der Fehmarnbelt hat eine essentielle Funktion für das gesamte marine Ökosystem, denn hier erfolgen 70 Prozent des Wasseraustausches zwischen Nord- und Ostsee. Das 280 Kilometer große Gebiet dient als Wanderroute für viele Tierarten und hat eine Trittsteinfunktion für unzählige planktische Larven und Arten des Meeresbodens. Von hier wandern Seenelken, Seesterne oder Borstenwürmer in die zentrale Ostsee. Und nach den immer wiederkehrenden Ereignissen des Massernsterbens, die durch Sauerstoffmangel nach massiven Algenblüten ausgelöst wurden, kommen die Arten durch den Fehmarnbelt eingewandert.
Aufgrund seiner besonderen Ökologie und Artenvielfalt genießt der Fehmarnbelt einen besonderen Schutz. Hier liegt nicht nur das Schutzgebiet „Fehmarnbelt“ für den gefährdeten Schweinswal, sondern das gesamte Gebiet um die Insel Fehmarn ist Nahrungs- und Rastgebiet für Eiderenten und Eisenten und ein wichtiges Durchzugs- und Laichgebiet für Dorsch und Hering. In den Riffen und Sandbänken vor der Küste leben Muscheln, Schwämme und zarte Moostierchen. Ebenso wachsen dort Seegraswiesen und große Braunalgen: Wälder und wichtige Kinderstuben unter Wasser.
Diese Natur ist durch den Tunnelbau in großer Gefahr. 100 Meter breit, 30 Meter tief und rund 18 Kilometer lang soll der Absenktunnel werden. Über Jahre hinweg müssen erst Millionen von Kubikmetern Meeresgrund aufgebaggert werden. Anschließend werden tonnenweise vorgefertigte Tunnelteile aus Beton abgesenkt. Die zu erwartende Trübung durch die Sedimentverdriftung und der Baulärm werden das Ökosystem weit über den Fehmarnbelt bis in die zentrale Ostsee hinaus belasten. Die Folgen werden über Jahre zu spüren sein und der NABU geht davon aus, dass einige Arten und Lebensräume sich niemals davon erholen werden.
2. Zweifelhafte Gutachten lassen Riffe verschwinden
Das Schutzgebiet Fehmarnbelt ist seit 2008 Teil eines Verbundes von Natura 2000-Schutzgebieten und wurde von Deutschland 2017 zum Naturschutzgebiet erklärt. Neben diesem Schutzgebiet in der sogenannten ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) Deutschlands gibt es in unmittelbarer Nähe, in den Küstengewässern Schleswig-Holsteins noch ein weiteres FFH-Gebiet und gleich zwei Vogelschutzgebiete. In der Verordnung des Naturschutzgebietes „Fehmarnbelt“ steht, dass der Tunnelbau nur zulässig ist, wenn er mit dem Schutzzweck vereinbar ist. Der Projektträger des Ostseetunnels ist deshalb verpflichtet, ein Gutachten vorzulegen, das belegt, dass der Tunnelbau keine ökologischen Schäden für das Gebiet mit sich bringt.
Es werde an „keiner Stelle [wird] gegen die Schutz- und Erhaltungsziele der Gebiete verstoßen“, schreibt die auf dänischer Seite beauftragte Staatsfirma Femern A/S auf ihrer Webseite. Nur Schlick und Sand, das ist es, was der Bauträger Femern A/S in der Umgebung des geplanten Tunnels gefunden haben will.
Ist die Sorge um das sensible Schutzgebiet also unbegründet? Mitnichten: Taucher des NABU und des schleswig-holsteinischen Umweltministeriums haben jüngst bei eigenen Tauchgängen mehrere große, gut ausgeprägte und artenreiche Riffe in den Küstengewässern Schleswig-Holsteins gefunden, nur wenige Kilometer vor Puttgarden. Sie wurden in früheren Gutachten des Bauträgers erwähnt, tauchten aber in späteren Unterlagen plötzlich nicht mehr auf. Wie konnten gleich mehrere Riffe im Baugebiet einfach aus dem Gutachten verschwinden?
Die Riff-Funde zeigen, dass das Ausmaß der Zerstörung noch gravierender ist als bisher angenommen. Sie lassen vor allem ernste Zweifel an der Vollständigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Projektplanung entstehen.
mehr zu den riffen in der ostsee
Weil es Ungereimtheiten im Gutachten des Vorhabenträgers des Fehmarnbelttunnels gab, hat der NABU eine eigene Biotopkartierung entlang der Trasse des Großvorhabens durchgeführt. Statt Sand und Schlick fanden die Taucher geschützte, artenreiche Riffe. Mehr →
3. Verkehrsprognose rechtfertigt nicht mal eine Umgehungsstraße
Ein Gutachten des renommierten Hamburger Verkehrsberatungsbüros Hanseatic Transport Consultancy (HTC), dass der NABU in Auftrag gegeben hat, kommt zu einem vernichtenden Urteil: Auf der vorgesehenen Strecke gibt es keine wesentlichen Engpässe – weder jetzt noch in Zukunft. Auch der Europäische Rechnungshof und der Bundesrechnungshof haben das Vorhaben wiederholt für seine Sinnlosigkeit kritisiert.
Zwischen der deutschen Insel Fehmarn und der dänischen Insel Lolland liegt das derzeitige Verkehrsaufkommen konstant bei circa 6.000 Fahrzeugen am Tag, die mit der Fähre die Ostsee überqueren. Die Fähren sind mit dem Transport dieser Fahrzeuge über das Jahr nur zu 40 Prozent ausgelastet.
Selbst wenn das Verkehrsvolumen sich auf 12.000 Fahrzeuge verdoppeln sollte, wie es von den Planern prognostiziert wird, ist das verhältnismäßig so wenig, dass in Deutschland nicht einmal eine Umgehungsstraße dafür gebaut werden würde. Diese lohnt sich erst ab 20.000 Fahrzeugen am Tag. Zum Vergleich: Durch den Hamburger Elbtunnel fahren jeden Tag bis zu 160.000 Fahrzeuge.
Auch die Prognose für den Zugverkehr ist völlig unverhältnismäßig: Während die Bahn vor dem Abschluss des Staatsvertrags noch mit 140 Güterzügen am Tag rechnete, waren es kurz danach nur noch 78. Inzwischen liegt die Prognose für den Güter- und Personenverkehr bei 17 Güterzügen und 24 Personenzügen am Tag.
Für den rationalen Betrachter ist im Anbetracht solcher Zahlen das Festhalten am Autobahn-Tunnel unerklärlich. Statt einer sinnvollen Investition in notwendige zukunftsfähige Infrastruktur wirkt der Bau zunehmend wie eine kurzfristige Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahme, im schlimmsten Fall wie ein Prestigevorhaben.
Das verkehrsgutachten im detail
Für den geplanten Ostseetunnel zwischen Dänemark und Deutschland gibt es keinen Bedarf – jetzt und in Zukunft. Das zeigt ein aktuelles Gutachten des Verkehrsberatungsbüros Hanseatic Transport Consultancy (HTC). Der fehlende Bedarf kommt einem Todesstoß für das gigantische Projekt gleich. Mehr →
4. Alternativen wurden nie geprüft
Ob mit der Fähre über Fehmarn oder über die Jütland-Querung im Norden Schleswig-Holsteins – Skandinavien und Kontinentaleuropa sind sowohl über den Seeweg als auch über die feste Strecke Hamburg-Flensburg-Kopenhagen bereits heute optimal angebunden.
Die bestehenden Verbindungen sind dabei für das tatsächliche Verehrsaufkommen sogar tendenziell zu groß dimensioniert und könnten bei Bedarf bereits heute von noch mehr Reisenden genutzt werden. Sollte ein noch höheres Verkehrsaufkommen entstehen, bleibt die Möglichkeit eines gezielten Ausbaus der bestehenden Route. Diese Lösung wäre günstiger und schneller in der Umsetzung und auch ökologisch mit deutlich geringeren Kosten verbunden. Ohnehin gilt für Verkehrsinfrastrukturprojekte die Maßgabe „Erhalt vor Neubau“. Es gibt somit keinerlei Notwendigkeit für einen Tunnel mit dem geplanten Ausmaß.
Weil der Staatsvertrag explizit den Bau einer neuen Trasse festlegt, wurde eine Alternative von den Projektplanern nie geprüft. Als Teil eines seriösen Planungsprozesses hätten jedoch sowohl diese sogenannte "Nullvariante", also auf eine neue Streckenführung zu verzichten, als auch andere Alternativen überprüft werden müssen. Dass nie ernsthaft nach günstigeren und der Situation angepassten Lösungen gesucht wurde, lässt den gesamten Planungsprozess in zweifelhaftem Licht erscheinen.
5. Bahnschiene ist nur Tarnung für eine neue Autobahn
Befürworter des Ostseetunnels behaupten, dass der Tunnel dazu beitragen werde, den Straßengüterverkehr auf die Schiene zu verlagern („from road to rail“). Das ist das übergeordnete Verkehrsziel der Europäischen Union und grundsätzlich auch eines der Ziele des NABU und anderer Umweltverbände. Warum dann aber die vierspurige Autobahn?
Zwei Drittel der Kosten und der Gesamtbreite des Tunnels sind für den Straßenbau vorgesehen, obwohl es sich laut Planfeststellungsbeschluss explizit um ein Eisenbahnprojekt handelt. Der Europäische Rechnungshof hat das Projekt nicht zuletzt deshalb ausdrücklich kritisiert: Die CO2-Belastung durch Bau und Betrieb des Tunnels würde den positiven Effekt von mehr Gütervekehr auf der Schiene weit übersteigen. Der Tunnelbau ist unterm Strich klimaschädlich.
Wenn die Bundesregierung am Tunnelbau festhalten möchte, um den Schienenverkehr zu stärken, gibt es eine ökologisch sinnvollere und weniger zerstörerische Lösung: Ein reiner Eisenbahntunnel in der gebohrten Variante würde den Bahngüterverkehr stärken und weniger Schaden anrichten. Autos könnten weiterhin die Fähre nutzen.
6. Milliardengrab für eine Geister-Autobahn
14 Milliarden Euro, so hoch werden die Gesamtkosten für den Tunnel vom Bundesrechnungshof derzeit geschätzt. Davon soll der Tunnel selbst 7,2 Milliarden kosten, 4,5 Milliarden werden für die Hinterlandanbindungen auf dänischer und deutscher Seite kalkuliert. Tendenz: steigend.
Die Kosten für den Tunnel selbst werden überwiegend von Dänemark getragen und sollen zu einem kleineren Teil von der EU bezuschusst werden. Der Bund muss immerhin fünf Milliarden Euro für die deutsche Hinterlandanbindung zahlen. Das ist eine Kostenexplosion von rund 600 Prozent. Beim Abschluss des Staatsvertrags waren noch von 817 Million die Rede.
Zum Vergleich: Im Klimapaket wurde den Kommunen fünf Milliarden mehr für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs versprochen. Das ist das Budget für insgesamt zehn Jahre. Für ganz Deutschland! Während an der Ostsee ein jährliches Mehraufkommen von maximal 2,1 Millionen Fahrzeugen und circa 7.500 Zügen damit bewältigt werden soll, sind aktuell im ÖPNV über elf Milliarden Menschen im Jahr unterwegs – mit einem riesigen Mehrbedarf.
Sowohl der europäische als auch der deutsche Rechnungshof haben das Projekt wiederholt heftig kritisiert: Es sei schlicht nicht notwendig und viel zu teuer. Umweltaspekte würden bei der Planung nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Vor dem Hintergrund dringend notwendiger Investitionen in Klimaschutz und der Neuverschuldung durch die Corona-Krise wirkt das Festhalten am Ostseetunnel noch maßloser und skurriler. Mit der Kostenentwicklung reiht sich das Großprojekt nahtlos in andere Planungsdisaster wie Stuttgart 21, der Berliner Flughafen (BER) oder die Hamburger Elbphilharmonie ein.
7. Baustellen soweit das Auge reicht
Offiziell soll der Bau des Ostseetunnels acht Jahre dauern. Der NABU geht jedoch davon aus, dass sich die Bauzeit deutlich verzögern wird, so wie es für derartige Großprojekte üblich ist.
Doch die Tunnelbaustelle ist nicht die einzige Baustelle, die das Projekt mit sich zieht. Damit die prognostizierten 12.000 Autos und 41 Züge täglich den Tunnel ohne Probleme erreichen können, soll auf deutscher Seite die so genannte Hinterlandanbindung ausgebaut werden. Das bedeutet Mega-Upgrades für Straßen und Schienen, die den Verkehr sicher nach Fehmarn führen sollen:
- Autobahnartiger Ausbau der B 207 bis Puttgarden: Auf 26 Kilometer Distanz soll die Straße doppelt so breit werden. Die Baustelle wird sich über die ganze Insel Fehmarn ziehen
- Der Neubau der Fehmarnsundbrücke, der zeitlich parallel zum Bau des Fehmarnbelt-Tunnels (auch auf der Insel Fehmarn) umgesetzt werden soll
- Zweigleisiger Ausbau und Elektrifizierung auf der Bahnstrecke zwischen Puttgarden und Lübeck (rund 90 Kilometer), davon etwa 55 Kilometer als Neubaustrecke zum Schutz verschiedener Urlaubsorte vor Bahnlärm, mit zusätzlichem Bau von Lärmschutz-Maßnahmen
- Ausbau für Bahngüterverkehr auf der Strecke Ahrensburg-Hamburg (circa 21 Kilometer)
Die Hinterlandanbindung bedeutet nicht nur eine Kostenexplosion von mehreren Milliarden Euro. Sie hat auch weitere schwere Beeinträchtigungen für Mensch und Natur zur Folge. Insbesondere die Urlaubsinsel Fehmarn würde sich über Jahre in eine einzige Baustelle verwandeln. Eine Katastrophe für die Bewohner und die Naturschutzgebiete.
8. Die Bewohner*innen von Fehmarn stehen vor einer Existenzkrise
Im Norden die Baustelle für den Tunnel, im Süden der Neubau der Fehmarnsundbrücke, über die Insel hinweg der Ausbau der Landstraße zur Autobahn und dazu noch die neue Trasse der Bahnstrecke – und das alles wahrscheinlich über mehr als zehn Jahre. Was passiert mit der Urlaubsinsel Fehmarn, wenn die beschauliche Landstraße zur Autobahn ausgebaut wird und sich das beliebte Reiseziel über viele Jahre in eine einzige Baustelle verwandelt?
Die 12.500 Einwohner*innen Fehmarns hängen nahezu vollständig vom Tourismus ab. Die Insel ist ein wichtiges Ziel für den Regional- und Binnentourismus in Deutschland, mit wachsender Bedeutung in Corona-Zeiten. Fehmarn bietet umweltverträgliche Erholung für rund 300.000 Besucher*innen im Jahr. Sie lockt die Ruhe, die Strände und besondere Natur- und Vogelschutzgebiete.
Für Fehmarn und die ganze umliegende Region ist der Tunnel eine Existenzfrage. Trotz des starken Engagements von über 40 regionalen Initiativen und der überwältigenden Faktenlage zu Naturschutz, Verkehrsprognose und Kostenexplosion zeigen weder die Landesregierung in Schleswig-Holstein noch die Bundesregierung Handlungsbereitschaft. Die Insel Fehmarn wird dem völlig sinnlosen Straßenbau geopfert.
9. Nach mehr als 25 Jahren ist das Projekt völlig aus der Zeit gefallen
Die „Feste Fehmarnbeltquerung“ ist ein Großprojekt des letzten Jahrhunderts. Schon in den frühen neunziger Jahren begann die Planung mit ersten Untersuchungen zur Machbarkeit. Das ist über 25 Jahre her.
Seitdem hat sich viel verändert: Klimakrise und Corona-Krise erzwingen neue Lösungen. Das Zeitalter des Autos neigt sich dem Ende zu. Auch die Verkehrsinfrastruktur muss dem Rechnung tragen und die Basis für eine umfassende Mobilitätswende bilden. Das bedeutet: weniger Beton, weniger Naturzerstörung, weniger Milliardenförderung für Autoverkehr. Stattdessen müssen wir das besser nutzen, was bereits da ist: das Schienennetz und den ÖPNV ausbauen und die Natur schützen, die uns noch bleibt. Der Handlungsdruck und der Investitionsbedarf sind enorm – neue Autobahnen zementieren das fossile Autozeitalter und gehören ganz sicher nicht zu den zukunftsweisenden Projekten.
Ursprünglich war der Beginn des Tunnelbetriebs für 2018 geplant. Der Start wird jetzt jedoch frühestens 2028 stattfinden. So sehr das Projekt jetzt schon aus der Zeit gefallen ist, wie wird es erst in zehn Jahren sein? Verantwortungsträger, die in der Lage sind die Zeichen der Zeit zu lesen, würden den Bau einer Geister-Autobahn durch die Ostsee mit allen Mitteln verhindern und die Gelder und Ressourcen dort nutzen, wo sie Zukunftsfähigkeit garantieren und Schaden abwenden.
10. Staatsvertrag wird missachtet
Zu guter Letzt steht das Tunnelprojekt für politisches Versagen der dänischen und deutschen Regierung. Es ist das Versagen, Mensch und Natur angemessen zu schützen. Es ist das Versagen, Fehler einzugestehen und eine zeitgemäße Neubewertung vorzunehmen und auf Grundlage einer veränderten Ausgangslage und neuer Erkenntnisse frühere Entscheidungen zu revidieren. Machtpolitischer Größenwahn und Ignoranz, Starrköpfigkeit, diplomatisches Wegducken und umweltpolitische Kurzsichtigkeit haben dieses Projekt erst so weit kommen lassen. Weder von der erdrückenden Faktenlage, noch von den Rügen der Rechnungshöfe haben dänische oder deutsche Verantwortungsträger sich von dem Vorhaben abbringen lassen.
Dabei ist ein stures Festhalten weder verantwortungsvoll noch vertraglich festgeschrieben. Der damalige Bundesverkehrsminister Tiefensee hat genau für diesen Fall den Artikel 22 in den Staatsvertrag von 2008 verhandelt. Dieser sieht vor, bei geänderten Rahmenbedingungen, vor allem finanzieller Natur, die Planung anzupassen. Aus unerklärlichen Gründen ist das bis heute nicht geschehen.
Fazit zum Ostseetunnel
Die Argumente gegen den Tunnelbau sind überwältigend. Trotzdem wurde eine Neuplanung bis heute unterlassen. Die dänische und die deutsche Regierung verschließen die Augen, handeln wider die Interessen des Steuerzahlers sowie der Menschen vor Ort und lassen Mensch und Natur im Stich. Was vielleicht kurzfristig die diplomatische Harmonie sichern könnte, wird Milliarden kosten, die für den Ausbau klimaneutraler Infrastruktur fehlen. Das empfindliches Ökosystem der Ostsee könnte für Jahrzehnte in ein gefährliches Ungleichgewicht geraten oder gar unwiederbringlich zerstört werden. Die Lebensgrundlage der Fehmarner wird als Kollateralschaden billigend geopfert.
Diese Gemengelage macht das größte und teuerste Infrastruktur-Projekt Europas zum gleichzeitig größten Infrastruktur-Skandal Europas. Nur politische Einsicht, ein wegweisendes Gerichtsurteil oder ein unüberhörbarer zivilgesellschaftlicher Aufschrei kann die Katastrophe jetzt noch abwenden.