Riffe im Fehmarnbelt - Foto: NABU/Submaris
Tunnelplanungen „übersehen“ wertvolle Riffe
NABU weist Riffe direkt an der Ostseetunneltrasse nach
Im September 2020 beginnt das Rechtsverfahren am Bundesverwaltungsgericht zum Bau des Ostseetunnels. Erst kürzlich wurde bestätigt, dass sich seltene Riffe an der Ostseetunneltrasse befinden. Eine Chronologie:
2013
Die Femern A/S, ein dänisches Staatsunternehmen und mit dem Bau des Ostseetunnels im Fehmarnbelt beauftragt, reicht im Zuge des Genehmigungsverfahrens mehrere Unterlagen ein. Laut Gesetz muss das Unternehmen das Projektgebiet untersuchen und geschützte Lebensräume und Arten erfassen. In der eingereichten Basisdatenerhebung finden sich wichtige Hinweise auf Riffe: Unmittelbar an der Trasse ist ein größerer Bereich mit „Grobsediment“ verzeichnet. In solchen Gebieten sind Riffe recht wahrscheinlich.
Doch dann gibt es einen inhaltlichen Bruch zwischen der Basisdatenerhebung und der darauf aufbauenden Umweltverträglichkeitsstudie: In Band II der Umweltverträglichkeitsstudie wird plötzlich dem als „Grobsediment“ erfassten Bereich ein „Feinsubstratbiotop (mit Mosaiken größerer Korngrößen)“ zugeordnet. Entsprechend wird hier kein Riff kartiert.
April 2019
Der NABU trägt während des Genehmigungsverfahrens mehrfach vor, dass Vorkommen und Ausdehnung von Riffen im Projektgebiet fehlerhaft dokumentiert seien. Diese Einwendungen weist die Genehmigungsbehörde, das Amt für Planfeststellung Verkehr beim schleswig-holsteinischen Wirtschaftsministerium, zurück und bewertet die Datengrundlage als vollständig.
Als das zuständige Amt für Planfeststellung des Landes Schleswig-Holstein im Dezember 2018 dem dänischen Unternehmen Femern/AS für Europas größtes Infrastrukturprojekt grünes Licht gibt, reicht der NABU im April 2019 Klage ein.
Mai 2019
Eigene Kartierungen zeigen wertvolle Riffe
Um dem Widerspruch zwischen den verschiedenen Planungsunterlagen der Femern A/S auf den Grund zu gehen, beauftragt der NABU im Mai 2019 das Unternehmen submaris in Kiel mit einer Untersuchung. Die Firma führt auch für Behörden regelmäßig wissenschaftliche Biotopkartierungen im Meer durch.
Die Ergebnisse der Kartierung sind überraschend und eigentlich kaum zu fassen:
Auf zwei Verdachtsflächen unmittelbar an der geplanten Tunneltrasse werden gut ausgeprägte Riffe bestätigt. Neun für die Ostsee rifftypische Arten werden hier identifiziert. Nach der offiziellen Kartieranleitung des Bundesamtes für Naturschutz sind für die Definition „Riff“ mindestens sechs Arten erforderlich.
Auf den Flächen werden verschiedene Seetange, Schwämme, Miesmuscheln, Moostierchenkolonien, Großkrebse und Fische, wie Klippenbarsch oder Grundeln, beobachtet.
Durch Taucherproben kann eine vorherrschende Moostierchen-Art identifiziert werden. Es handelt sich um große Kolonien von Paarzweig-Moostierchen. Diese Art wird aktuell auf der Vorwarnliste der Roten Liste Meerestiere geführt: Dort wird sie als „selten“ und im langfristigen Bestandstrend als „mäßig abnehmend“ bezeichnet.
Bei den häufigsten Schwämmen handelt es sich um Brotkrumenschwämme mit einem Rote Liste-Status von „Gefährdung unbekannten Ausmaßes“ und „sehr selten“, aber auch Geweihschwämme und verschiedene Kalkschwämme. Letztere werden beide in der Roten Liste als „Extrem selten“ oder “Daten unzureichend“ eingestuft.
Die angetroffenen Grundeln sind hingegen wichtige Beutefische für den streng geschützten Schweinswal, der im Fehmarnbelt ein Nahrungs- und Fortpflanzungsgebiet hat, das unter Naturschutz steht. Insbesondere für die Jungtiere des Schweinswals sind Grundeln die bevorzugte Beute und deshalb von großer Bedeutung.
Neben den seltenen Arten zeichnen sich die Riffe durch weitere Besonderheiten aus. Dazu zählen eine außergewöhnlich hohe Dichte an Plattfischen und die bis in große Wassertiefen gefundenen großen Tange. Auch die hohe Strömungsgeschwindigkeit durch die Lage an der Schmalstelle des Fehmarnbelts schafft für den Lebensraum Riff ungewöhnliche und besondere Bedingungen.
Gefundene Riffe sind potenzielles FFH-Gebiet
Riffe sind nach Bundesrecht (Bundesnaturschutzgesetz) und Europarecht (Fauna-Flora-Habitat- oder FFH-Richtlinie) streng geschützt. Darüber hinaus hätten nach der FFH-Richtlinie alle besonderen Schutzgebiete spätestens bis 2004 ausgewiesen sein müssen. Deutschland meldet allerdings nur unzureichend, weswegen bei der EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland läuft.
Auch in Schleswig-Holstein bestehen für den Lebensraumtyp Riffe große Meldedefizite. Nur etwa die Hälfte der bekannten Riffvorkommen sind hier in offiziellen FFH-Gebieten geschützt. Die jetzt gefundenen Riffe sind als potenzielles FFH-Gebiet einzuschätzen.
Die Riffe sind weiterhin ein wichtiger Trittstein für die Ausbreitung von Arten in der Ostsee. Denn der Fehmarnbelt bildet die entscheidende Verbindung zwischen den salzreicheren Wassermassen der westlichen und dem salzärmeren Wasser der zentralen Ostsee. Fast drei Viertel des Wasseraustausches erfolgt durch diese Schmalstelle. Deshalb ist der Fehmarnbelt enorm wichtig für Verbreitung und den Austausch der marinen Arten.
„Warum der offensichtlich schützenswerte Bereich der Tunneltrasse von den marinen Schutzgebieten in den Küstengewässern Schleswig-Holsteins bisher ausgenommen und nicht gemeldet wurde, ist gerade wegen der großen ökologischen Bedeutung des Gebiets völlig unverständlich. Diese Lücke hätte man schon lange schließen können und auch müssen. Fachlich zuständig dafür ist das Umweltministerium Schleswig-Holstein – und das bereits seit 1992!
Wir fordern, dass das Gebiet Fehmarnbelt umgehend und vollständig kartiert wird und eventuelle Schutzgebiete sofort nach Brüssel gemeldet werden.“
(NABU-Meeresschutzexperte Kim Detloff)
2020
Fest steht, dass mit den gefundenen Riffen die Baugenehmigung und damit der Planfeststellungsbeschluss für den Ostseetunnel auf falschen Annahmen beruht und damit gegen europäisches Naturschutzrecht verstößt.
Warum die Datengrundlage als vollständig bewertet wurde, obwohl die Riffe fehlten, muss das Rechtsverfahren am Bundesverwaltungsgericht im September 2020 klären. War es ein peinliches Versehen? Wurden die Riffe bewusst „verschwiegen‘“? Oder hat gar das Land Schleswig-Holstein durch seine unzureichende Schutzgebietsmeldung den Weg für das fragwürdige Projekt des Fehmarnbelttunnels frei machen wollen? Ob dieses Versäumnis ausreicht, um den Planfeststellungsbeschluss des Ostseetunnels zu kippen, ist offen. Das müssen die Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entscheiden.
Gesichert ist inzwischen jedoch, dass die vom NABU gefundenen Riffe sogar noch viel großflächiger sind. Das zeigt ein Kartierungsbericht von Ende Juni, der für das Land Schleswig-Holstein angefertigt wurde. Demnach kommen entlang der gesamten Nordostküste Fehmarns ausgedehnte Riffe vor.
Vier Fragen an Dr. Kim Detloff, NABU-Meeresschutzexperte
Wie können wir uns Ostsee-Riffe vorstellen?
Riffe in der Ostsee unterscheiden sich zwar optisch und biologisch von den weitbekannten Korallenriffen zum Beispiel des Roten Meeres oder des Great Barrier Reefs in Australien, aber ihr ökologischer Wert für die Ostsee ist der Gleiche.
Ostsee-Riffe sind geogene Strukturen am Meeresboden. Geogen kommt von geologisch und heißt, es liegen Steine, Geröll und Felsen am Meeresboden, die die letzte Eiszeit vor etwa 15.000 Jahren im Ostseeraum verteilt hat. Viele Tiere im Meer sind nicht mobil, sondern leben festgewachsen am Meeresboden. Dazu gehören Muscheln, Schwämme, Moostierchen, Seenelken oder Quallen. Sie wachsen dann gemeinsam mit großen Algen auf den Steinen. Zusammen bilden sie den Lebensraumtyp, die Lebensgemeinschaft Riff.
Darüber hinaus gibt es die biogene Riffe aus kalkbildenden Korallen, die wir aus den Tropen kennen. Biogene Riffe in Nord- und Ostsee kennen wir aber auch, das sind die großen Miesmuschelbänke, wenn sich Tausende Muscheln mit ihren Byssusfäden zu einem kleinen Muschelriff verkleben.
Was macht die Riffe ökologisch so bedeutend?
Riffe sind die Oasen im Meer. Nirgendwo ist die Artenvielfalt größer, das Leben bunter. Etwa 90 Prozent der Arten im Meer beginnen ihr Leben mit einer planktischen Larve. Die wird im dreidimensionalen Meeresraum von Strömungen verdriftet und landet, mit etwas Glück, auf einem Felsen. Hier setzt sie sich fest und beginnt zu wachsen. Über die Jahre werden die Felsen fast vollständig bedeckt. Dort wo viel Licht hinkommt, dominieren die Algen, dort wo weniger Licht ist, die festsitzenden Tiere.
Riffe sind also Lebensraum zahlreicher Arten, sie sind Rückzugsraum und Trittstein, von hier wandern die Arten von einer Riff-Oase zu nächsten. Riffe bieten Verstecke für kleine Krebse oder für Fische. Viele Fischarten, wie zum Beispiel Heringe, laichen an den Algen, die auf den Riffen wachsen. Daher gelten Riffe neben den Seegraswiesen auch als die Kinderstube der Ostsee. Dort wo viele kleine Tiere sind, da sind im Meer auch die größeren nicht weit, dienen die kleinen doch meist als Nahrung. Deshalb sind Riffe auch sehr beliebt bei Meeresvögeln und Schweinswalen.
Sind Riffe geschützt?
Weil die Riffe für das gesamte Ökosystem Meer so bedeutend sind, sind sie streng geschützt. Sie stehen auf der Liste der geschützten Lebensraumtypen nach Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie), sind also europarechtlich geschützt. Darüber hinaus schützt sie das deutsche Bundesnaturschutzgesetz in seinem §30 als geschütztes Biotop.
Die deutschen Meeresschutzgebiete in der Nord- und Ostsee wurden vorrangig zum Schutz der Riffe ausgewiesen und räumlich abgegrenzt. Im Fehmarnbelt gibt es neben den Riffen noch einen zweiten streng geschützten Lebensraumtyp, die Sandbank. Und hier lebt unser einziger heimischer Wal, der Schweinswal.
Können Riffe versetzt werden?
Nein, versetzen können wir Riffe nicht. Viele der auf den Steinen und Felsen siedelnden Arten sind sehr zart und empfindlich. Sie würden beim Versetzen mit einem Bagger getötet werden. Der Bau des Ostseetunnels würde Riffe, die direkt auf der Trasse liegen, unwiederbringlich zerstören.
Es gibt Überlegungen und auch Projekte, Riffe wieder aufzubauen, indem neue eiszeitliche Steine ins Meer eingebracht werden. Dort wo Riffe vergrößert werden können, oder im Rahmen der sogenannten Steinfischerei, bei der früher Steine für Baumaßnahmen an Land entnommen wurden. Über Jahre und Jahrzehnte würden diese „neuen“ Steine zwar auch von festsitzenden Tieren und Algen in Besitz genommen. Jedoch sind die biologischen Funktionen alter Riffe kaum zu ersetzen.
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