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Voran in kleinen Schritten
Jeden Morgen schwingt Katharina Muhle sich in den Sattel ihres E-Bikes und radelt zur Arbeit. Sie lebt in dem winzigen Dorf Sandhatten im Landkreis Oldenburg. 13 Kilometer sind es bis zur Gesamtschule ein paar Orte weiter, wo die 42-Jährige als Lehrerin arbeitet. Katharina Muhle fährt die Strecke täglich, egal ob es regnet, schneit oder die Sonne brennt. Das war nicht immer so. Als sie vor elf Jahren zurück in ihren Heimatort zog, schaffte sie sich ein Auto an – wie alle hier. „Ich habe immer gedacht: Das geht nicht anders, ich wohne ja auf dem Land“, sagt sie. Öfter mal mit dem Rad zur Schule fahren – aus dem Vorsatz wurde meist nichts, weil das Auto direkt vor der Tür stand.
In Großstädten ist es längst schick, ohne Auto unterwegs zu sein. Anders in ländlich geprägten Gegenden, wo in Deutschland über die Hälfte der Menschen wohnt. Die meisten von ihnen halten den Alltag ohne Auto für eine Zumutung oder schlicht für unmöglich. 90 Prozent der Haushalte auf dem Land haben mindestens ein Auto. Bei 30 Prozent stehen zwei Blechkutschen vor dem Haus, sechs Prozent besitzen sogar drei Autos, wie eine Studie des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr zeigt.
Per E-Bike unterwegs
Katharina Muhle wollte diesem Trend etwas entgegensetzen. Als eine größere Reparatur am Auto fällig war, ersetzte sie es kurzentschlossen durch ein E-Bike. Seitdem radelt die 42-Jährige 150 bis 200 Kilometer in der Woche. Ob zur Arbeit, zum Einkaufen oder für einen Theaterbesuch ins knapp 20 Kilometer entfernte Oldenburg: Katharina Muhle fährt mit dem Rad. Das hat ihren Alltag verändert. Heute überlegt sie zum Beispiel genau, was sie für einen Tag in der Schule wirklich braucht und nimmt nur die nötigen Bücher und Unterlagen mit. Denn beim Radeln zählt jedes Gramm. Den Schritt ins autofreie Leben bereut sie trotzdem nicht. „Ich fühle mich auf dem Rad viel freier, kann die Gedanken schweifen lassen und nehme das Wetter und die Landschaft intensiver wahr“, sagt Muhle.
Nicht jeder*r kann alle Strecken mit dem Fahrrad bewältigen. Ältere Menschen oder Familien mit Kindern beispielsweise brauchen Alternativen. Aber mit Bus und Bahn geht es oft langsam voran, weil das Netz des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in vielen Gegenden löchrig ist. „In den meisten Bundesländern ist es den Kommunen überlassen, ob sie ein gutes Nahverkehrsangebot schaffen oder nicht“, sagt Melanie Herget, die an der Universität Kassel zu diesem Thema forscht. Wenn das Geld knapp ist, stehen Buslinien oft auf der Streichliste. Das mangelnde Angebot setzt eine Abwärtsspirale in Gang: Immer weniger Menschen fahren mit, und die Busse gondeln leer übers Land.
Schnellbusse wichtig
Ein besseres und bedarfsgerechtes Nahverkehrsnetz ist aus Hergets Sicht der wichtigste Ansatzpunkt, um die Mobilität auf dem Land umweltfreundlicher zu machen. Studien zeigen, dass der öffentliche Nahverkehr hierzulande sehr unterschiedlich gut ausgebaut ist. Während es in einigen Gegenden stündliche Schnellbuslinien mit attraktiven Zubringern gibt, fährt andernorts gerade mal der Schulbus. „Die Menschen steigen aber nur um, wenn sie mit dem öffentlichen Verkehr höchstens 1,3-mal so lange brauchen wie mit dem Pkw“, sagt Herget. Geht es langsamer, dann fahren nur noch jene mit Bus und Bahn, die sich kein eigenes Auto leisten können. Somit ist die Verkehrswende auf dem Land nicht nur ökologisch, sondern auch sozial dringend notwendig.
Herget plädiert für ein Netz aus Nahverkehrszügen und Schnellbussen, die Mittelzentren oder andere wichtige Orte in der Region verbinden. Dann ist die Reisezeit kurz, und die Verbindungen werden zum Beispiel für Pendler*innen attraktiv. Die Kommunen kommen bei solchen Projekten allerdings oft an ihre Grenzen – finanziell und im buchstäblichen Sinn. Denn mit einer Buslinie, die an der Landkreisgrenze endet, ist niemandem geholfen. Daher muss die Planung regional abgestimmt und vom Land begleitet werden. Baden-Württemberg zeigt mit seinen Regiobus-Linien, wie das aussehen kann. Seit 2015 fördert das Land schnelle Busverbindungen, mit denen Menschen stündlich in die nächste Stadt oder zum Bahnhof gelangen. 36 Linien wurden in den ersten sechs Jahren geschaffen, bis 2026 sollen über 50 weitere im gesamten Bundesland hinzukommen.
Anrufen, mitfahren
Aber wie gelangen die Bewohner*innen kleiner Dörfer zur Haltestelle des Schnellbusses? „Dafür ist es wichtig, flexible Zubringer zu schaffen“, sagt Herget. Hierfür sind Rufbusse sinnvoll. Sie verfügen über ein engmaschiges Netz an virtuellen Haltestellen oder holen ihre Fahrgäste direkt vor der Haustür ab. Die Fahrzeuge sind kleiner und fahren nur auf Nachfrage. Das spart Kosten und schont das Klima. Ähnlich funktionieren Bürgerbusse, die von Ehrenamtlichen gesteuert werden. Einige Bundesländer fördern solche Angebote finanziell. Nordrhein-Westfalen beispielsweise unterstützt Bürgerbus-Vereine mit Zuschüssen für die Fahrzeuge und einer jährlichen Organisationspauschale. Voraussetzung dafür ist, dass die Kommune die übrigen Kosten trägt und das Angebot mit dem regionalen Verkehrsunternehmen abgestimmt ist. Denn sinnvoll sind solche Verbindungen nur dann, wenn sie an den Fahrplan der Linienbusse anknüpfen und gezielt Lücken im Verkehrsnetz schließen.
Damit die umweltfreundliche Mobilität auf dem Land funktioniert, braucht es viele Puzzleteile, die gut ineinandergreifen. Welche Angebote jeweils passen, hängt von der Situation vor Ort ab. Bundesweit einmalig ist der kombiBUS der Uckermärkischen Verkehrsgesellschaft (UVG) in Brandenburg. Seit 2012 befördern die Busse der UVG neben den Fahrgästen auch Waren. So gelangen frische Lebensmittel vom Großhandel zum Dorfladen, oder das Gepäck von Fahrradtourist*innen wird zum nächsten Gasthof gebracht. „Innerhalb von zwei bis vier Stunden kann der gesamte Landkreis über das Liniennetz der UVG versorgt werden“, sagt Anja Sylvester von der Interlink GmbH, die das Konzept entwickelt hat. So wird Lieferverkehr vermieden, der Platz im Bus besser genutzt und die Nahversorgung gestützt.
Gute Radstrecken
Auch Fahrräder und E-Bikes sind Steinchen im Puzzle der ländlichen Mobilität. Denn auch auf dem Land lassen sich viele Strecken gut auf zwei Rädern zurücklegen. Zum Bäcker, zur Bushaltestelle oder zum Regionalbahnhof gelangt man vielerorts bequem per Rad – entweder mit oder ohne Batterie. „Im ländlichen Raum besitzen bereits heute mehr Menschen ein E-Bike als in den Städten, daher ist das durchaus ein Ansatzpunkt“, sagt Herget. Auch Lastenräder zum Ausleihen können in Kleinstädten oder ländlichen Gemeinden das Vorankommen erleichtern, wie der NABU im westfälischen Bünde zeigt.
Oft fehlen allerdings sichere und gut ausgebaute Radrouten. Das kann unangenehm und mitunter auch gefährlich werden, wie Katharina Muhle weiß. Ihr Weg zur Arbeit ist typisch für viele Strecken hierzulande. Die Sandhattenerin fährt über ruhige Wirtschaftswege und Landstraßen mit komfortablen Radstreifen, aber auch über Strecken mit tiefen Schlaglöchern und Landstraßen ohne Fahrradstreifen. „Vor allem an Kreuzungen oder Einfahrten haben viele Autofahrer*innen die Radlerinnen und Radler einfach nicht auf dem Schirm“, sagt sie.
Die bestehenden Radwege verbessern, gefährliche Stellen umbauen und neue Verbindungen schaffen, das hält auch Melanie Herget für wichtig. Damit die neuen Routen dem Bedarf entsprechen, sollten bei der Planung die Menschen vor Ort mitreden können. Solche Mobilitätskonzepte, die gemeinsam mit Bürger*innen entwickelt werden, führen aber nur dann zum Ziel, wenn weitere Schritte folgen. „Da braucht es einen vom Landtag beschlossenen Umsetzungsplan mit klar benannten Ausbaustufen. Und das kostet natürlich Geld“, so Herget.
Geteiltes Auto
Nicht nur die Politik, auch Unternehmen und Verwaltungen in ländlichen Gegenden sind gefragt. Im hessischen Homberg (Efze), einer Kreisstadt mit rund 15.000 Einwohner*innen, haben Politik und Wirtschaft ein besonderes Carsharing-Projekt auf den Weg gebracht. Den Anstoß dazu gab ein vom Bund gefördertes Projekt. Mehrere Arbeitgeber*innen, darunter die Stadtverwaltung Homberg, bieten ihren Beschäftigten Leihfahrzeuge für den Arbeitsweg an. Abends stehen die Autos in einer der vier Carsharing-Stationen im Kreisgebiet. Dort können sie am Feierabend oder Wochenende auch von Anwohner*innen ausgeliehen werden. Noch steckt das Projekt in der Anfangsphase, weitere Stationen und Fahrzeuge sollen im Laufe der Zeit hinzukommen.
Carsharing-Autos und Busse, die elektrisch unterwegs sind, leisten einen zusätzlichen Beitrag zum Klimaschutz. Immer mehr Verkehrsunternehmen schaffen auch E-Busse an. Zwar liegt der Anteil aktuell erst bei 2,4 Prozent, steigt aber jährlich an. Das zeigt eine Erhebung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC. Weil Batterien die effizienteste und klimafreundlichste Antriebsart sind, gibt es auch bei Privatautos ein enormes Einsparpotenzial. Wichtig ist allerdings der Ladezeitpunkt, wie eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik (FIT) im Auftrag des NABU herausfand. „Lädt man mittags beim Arbeitgeber statt abends zu Hause, kann man die Kohlendioxidemissionen mitunter fast halbieren“, sagt Nikolas von Wysiecki, Verkehrsreferent beim NABU.
Selbst umsteigen
Trotzdem ist das E-Auto immer nur die zweit- oder drittbeste Lösung – auch auf dem Land, wo oft lange Strecken gefahren werden. Fahrrad, E-Bike, Bus und Bahn sind deutlich klimafreundlicher. „An erster Stelle müssen daher der Ausbau des öffentlichen Verkehrs und verbesserte Fuß- und Radwege stehen“, fordert von Wysiecki. Das bedeutet im Umkehrschluss: Autofahren muss teurer, der ÖPNV dafür günstiger werden. Damit solche Konzepte funktionieren, sind neben der Politik auch die Menschen vor Ort gefragt. Viele kleine Schritte können die eingefahrenen Strukturen nicht beseitigen, aber die Verkehrswende ein Stückchen weiterbringen.
„Ich finde es toll, dass du alles mit dem Rad fährst, aber ich könnte das nicht“, hört Katharina Muhle oft. Es muss ja nicht gleich jede*r sein Auto verkaufen, denkt sie dann. Aber ab und zu mal aufs Fahrrad oder in den Bus steigen, vielleicht den Zweitwagen abschaffen – das wäre auch schon ein Schritt.
Ann-Kathrin Marr (Artikel aus „Naturschutz heute“ 3/22)
Projekte und Ideen:
Mein Nachbar, der Busfahrer: Bürgerbusvereine
In vielen kleinen Orten gibt es nur noch einen Schulbus – wenn überhaupt. Einige Menschen wollen das nicht hinnehmen und werden selbst aktiv. Wenn nichts mehr fährt, dann fährt eben der Nachbar oder die Nachbarin. Nach diesem Prinzip arbeiten Bürgerbus-Vereine. Ehrenamtliche Fahrer*innen lenken die Kleinbusse, die vielerorts nur auf Anfrage unterwegs sind. Meistens gibt es einen Fahrplan, oft können auch individuelle Fahrten für Gruppen vereinbart werden.
Nordrhein-Westfalen gehört zu den Vorreitern beim Thema Bürgerbus: 147 Vereine gibt es dort, vom Tecklenburger Land im Norden bis zur Eifel im Süden. Die Kleinbusse sind für viele Fahrgäste mehr als ein Transportmittel. Der Plausch auf dem Weg zum Einkaufen oder zum Arzt ist vor allem für ältere Menschen eine willkommene Abwechslung. Auch die Kleinsten kommen mit dem ehrenamtlichen Fahrservice sicher nach Hause. „In einigen Orten werden die Bürgerbusse von Kindergärten angefordert“, sagt Rolf Peuster, Geschäftsführer des Vereins Pro Bürgerbus NRW.
Die Finanzierung der Bürgerbusse ist regional unterschiedlich geregelt. Einige Länder zahlen den ehrenamtlichen Initiativen einen jährlichen Zuschuss. Andere Bürgerbusse sind auf projektgebundene Fördermittel angewiesen, die immer wieder neu eingeworben werden müssen.
Per Lastenrad zum Supermarkt
Mit dem Lastenrad einkaufen, einen Ausflug machen oder die Kinder zum Schwimmen bringen: Das funktioniert auch in der Kleinstadt, wie eine Aktion des NABU Herford zeigt. Im ostwestfälischen Ort Bünde können Interessierte ein Lastenrad mit E-Antrieb ausleihen. Die Nutzer*innen buchen online und zahlen in der Regel eine kleine Spende. Viele nutzen das Angebot auch für eine Probefahrt, weil diese bei den örtlichen Händlern nicht möglich ist. „Wir wissen von mehreren, die sich danach selbst ein Lastenrad gekauft haben“, sagt Friedhelm Diebrok vom NABU Herford.
Das Gefährt in Bünde gehört zu Milla.bike, einem regionalen Netzwerk des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), das 13 Verleihstationen umfasst. Ehrenamtliche aus verschiedenen Initiativen und lokale Unternehmen haben sich zusammengeschlossen, um die umweltfreundliche Mobilität voranzubringen. In Bünde arbeitet der NABU mit mehreren lokalen Unternehmen zusammen, darunter ein Bioladen, der sich um den Verleih kümmert. Zwei Solarmodule auf dem Dach des Ladens sorgen zudem für klimafreundlichen Strom.
Kleine Bausteine für die Verkehrswende
Inspirierende Beispiele für umweltfreundliches Vorankommen versammelt das Mobilikon. Das digitale Lexikon zeigt, welche Ideen es bereits gibt und wie die Umsetzung funktioniert hat. Vorgestellt werden zahlreiche Projekte vom Dorfbus bis zum Radschnellweg, die Fördermittel vom Bund erhalten haben. Zusätzlich gibt es Informationen zu Maßnahmen und Instrumenten für interessierte Kommunen. Herausgeberin ist das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung.
E-Auto: Energiemix und Ladezeitpunkt entscheidend
Autos mit elektrischem Antrieb gehören zum klimafreundlichen Verkehrsmix auf dem Land. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik (FIT) im Auftrag des NABU zeigt, wie E-Autofahrer*innen möglichst ressourcenschonend unterwegs sind. Einen großen Einfluss auf die Kohlendioxidemissionen hat der Strommix: Je mehr regenerative Energie genutzt wird, desto besser. Entscheidend ist aber auch der Ladezeitpunkt. E-Autos fahren klimafreundlicher, wenn die Batterie mittags beim Arbeitgeber geladen wird statt abends zu Hause. Denn mitten am Tag ist der allgemeine Stromverbrauch gering und das Angebot an Sonnen- und Windenergie im Netz groß. An sonnigen oder windigen Tagen lassen sich die Emissionen so um knapp die Hälfte reduzieren. Wer die Energie seiner hauseigenen Photovoltaikanlage per Wallbox speichert und damit später das E-Auto lädt, tankt zwar Sonnenenergie. Beim Arbeitgeber um die Mittagszeit zu laden, wäre trotzdem besser. „Speicher sind sehr ressourcenaufwändig in der Herstellung und haben daher eine entsprechend schlechtere Klimabilanz“, so von Wysiecki.
Der NABU möchte sich als Verband mit rund 2.000 lokalen Gruppen in die Debatte um die Zukunftsfähigkeit ländlicher Räume einbringen und natur- und klimaverträglichen Mobilitätslösungen zum Durchbruch verhelfen. Wie kann die Mobilitätswende fernab der Metropolen gelingen? Mehr →
Gute Mobilität auf dem Land ist neben dem öffentlichen Verkehr auch mit E-Autos möglich. Kluges Laden reduziert die CO₂-Emissionen massiv und ist vorteilhaft für einen schonenden Netzausbau. Das zeigt eine Studie des Fraunhofer-Instituts im Auftrag des NABU. Mehr →
Wir haben ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Sozial- und Umweltverbänden sowie der Evangelischen Kirche ins Leben gerufen. Gemeinsam wollen wir aufzeigen, wie eine ökologische und sozial gerechte Mobilitätswende gelingen kann. Mehr →