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Jetzt spenden!„Wir müssen Mobilität neu denken“
Welche Mobilität können und wollen wir uns leisten?
Jeden Tag entscheiden wir, wie wir wann welche Wege zurücklegen. 2017 waren es in Deutschland laut einer Studie des Verkehrsministeriums täglich rund 3,2 Milliarden Kilometer. Deutlich mehr als noch vor 20 Jahren und die Hälfte davon mit dem Auto. Auch wenn gleichzeitig der Radverkehr und die Nutzung des ÖPNV zunehmen, setzt sich damit der Trend der letzten Jahrzehnte fort. Während viele Städte durch den hohen Flächenverbrauch, verstopfte Straßen, Abgase und Lärm an ihre Grenzen geraten, brechen unsere Verkehrsgewohnheiten nur langsam auf.
Das Auto vom Thron stoßen
„An unserem Mobilitätsbedarf wird sich nichts Grundlegendes ändern, schon aus wirtschaftlichen Gründen brauchen wir den Austausch“, sagt Petra Schäfer, Professorin für Verkehrsplanung an der Frankfurt University of Applied Sciences. Um in Zukunft klimaschonend und sozial gerecht unterwegs sein zu können, gehe es darum, den Autoverkehr auf ein Minimum zu reduzieren. So weit, dass nur noch Menschen, die wirklich darauf angewiesen sind, ein Auto besitzen und nutzen. Dazu müsse das Autofahren unattraktiver gemacht werden, vor allem aber brauche es Angebote, die den Mobilitätsbedürfnissen in ähnlicher Weise gerecht werden.
„In Städten gibt es in der Regel schon umfassende Alternativen. Neben Leihsystemen reichen hier oft kleinere Maßnahmen, beispielsweise Vorfahrt für ÖPNV, Rad und Fußgänger*innen – und gleichzeitig höhere Parkgebühren“, so Schäfer. Um den Verkehr insgesamt zu reduzieren, sollten zudem Versorgungs- und Mobilitätsangebote gebündelt werden, ähnlich dem Konzept der 15-Minuten-Stadt. Dem zufolge soll von jedem Ort alles Wesentliche per Rad oder zu Fuß binnen 15 Minuten erreichbar sein, ob Nah- und ärztliche Versorgung, Arbeitsplatz oder Kinderbetreuung. Für Schäfer eine wünschenswerte Idee, die aber nur dort umsetzbar sei, wo neue Flächen erschlossen oder Gebäude umgenutzt werden.
Was brauchen wir wirklich?
Für Dr. Alexandra Millonig, Senior Scientist am Austrian Institute of Technology (AIT), unabdingbar: „Das Ziel muss sein: so viel Mobilität wie nötig, so wenig wie möglich. Kernproblem ist nicht der Autoverkehr, sondern zu viel Verkehr.“ Die vergangenen Jahre hätten gezeigt, dass jedes neue Angebot für mehr Verkehr sorge, für größere Distanzen, die zurückgelegt werden und für mehr Ressourcenverbrauch. „Mit Konzepten der Verkehrsverlagerung weg vom Auto oder der Effizienzsteigerung kommen wir nicht weiter. Die steigenden Temperaturen werden unsere Städte mit ihren versiegelten Flächen und Straßen auf ein gesundheitsgefährdendes Maß aufheizen. Nehmen wir die Klimaforschung ernst, müssen wir alles daransetzen, die Folgen der Erderhitzung einzudämmen. Dafür müssen wir Mobilität neu denken und auch eine gesamtheitliche, integrative Betrachtung von Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen mit anderen Sektoren einbeziehen“, so Millonig.
Millonig erforscht, für was Menschen wirklich mobil sein müssen und wie wir diese Wege auch in Zukunft ermöglichen. Ein Vorschlag: Ein Mobilitätskonto, das ein Minimum an motorisierter Mobilität für alltägliche Grundbedürfnisse garantiert, unter Berücksichtigung, ob man beispielsweise Kinder habe oder körperlich beeinträchtigt sei. Zudem wird aus den CO₂-Emissionszielen der Länder ein jährliches Budget abgeleitet und auf die Bevölkerung verteilt. Das daraus entstehende individuelle Punktekonto kann dann eingesetzt werden, beispielsweise mit einer „Mobilitätskreditkarte“, mit der Benzin und Strom für Autos, ÖPNV-Tickets oder Gebühren für Leihautos gekauft werden müssen.
Dabei gilt: Je umweltschädlicher der Weg und das Verkehrsmittel, desto mehr Punkte werden fällig, und je mehr fußläufig erreichbar, desto mobiler könnten Menschen sein. Die Idee ist deshalb, dass Regionen und Städte zügiger, aber dennoch nicht von heute auf morgen, ihre Rahmenbedingungen anpassen und Strukturen wie Dorfläden oder Co-Working-Plätze in ihre Nähe holen. Denn der Spielraum abseits des Mobilitätsminimums würde von Jahr zu Jahr kleiner, entsprechend den CO₂-Einsparungen. Wie und ob die konkrete Umsetzung funktionieren kann, erprobt Millonig gerade in sechs europäischen Regionen, für die ein möglichst faires, soziales CO₂-Budget erarbeitet wurde.
Perspektiven eröffnen
Die Umsetzung zeigt nun, welche Unsicherheiten bei den Menschen entstehen oder wo das Konzept hakt. „Offene Kommunikation ist das A und O, immer wieder zu erklären, was bei einem ‚weiter so‘ auf dem Spiel steht und gleichzeitig, welche Alternativen wir haben“, sagt Millonig. Denn die böten Chancen für mehr Lebensqualität, über die zu wenig geredet werde. Weniger Verkehr bedeute mehr Raum für Begegnung und für mehr Grün. Auf Letzteres seien wir in Zukunft angewiesen, um den Temperaturanstieg verkraftbar zu halten.
Ob diese Aussichten reichen, um gesellschaftliche Akzeptanz für solche Maßnahmen und ein Umsteuern in unserem Mobilitätsverhalten zu erreichen? Zumindest können sie ein Denkanstoß sein, Mobilität zu jeder Zeit und an jeden noch so weit entfernten Ort nicht für selbstverständlich zu nehmen. Sich vielmehr zu fragen, „was brauche ich wirklich?“ und danach zu handeln.
Lisa Gebhard (Artikel aus „Naturschutz heute“ 3/22)
Details zum Mobilitätskonto finden Sie auf den Seiten des AIT.
Hier können Österreicher*innen (und Interessierte) auch ihr individuelles Mobilitätsbudget, das ihnen heute und in Zukunft zur Verfügung stünde, errechnen.
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