Faktencheck: Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln
Warum wir die SUR gebraucht hätten
Die Mitglieder des EU-Parlaments haben sich im November 2023 mehrheitlich gegen die geplante Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln SUR (Sustainable Use Regulation) entschieden. Auch eine Zurückweisung der SUR an den Umweltausschuss wurde abgelehnt. Der EU-Ministerrat könnte nun weiter an seiner Position zur geplanten Pestizidverordnung arbeiten, aber da dieser im Vorfeld bereits wichtige Aspekte abgeschwächt oder gestrichen hat, ist es sehr wahrscheinlich, dass die SUR vor der nächsten Legislaturperiode im Sande verläuft oder so verwässert wird, dass sie keine Bedeutung mehr hat.
Dabei ist die Faktenlage eigentlich klar: Pestizide haben wissenschaftlich erwiesen negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und tragen zum Artensterben, insbesondere von Ackerbegleitkräutern, Wildbienen und aquatischen Lebewesen bei.
Dies wurde zuletzt wieder durch eine großangelegte, im Mai 2023 veröffentlichte Studie bestätigt. In dieser zeigten die Forscher*innen auf, dass besonders Pestizide und Düngemittel indirekt verantwortlich für den massiven Rückgang vieler Vogelpopulationen in Europa durch den Verlust von Nahrung in Form von Insekten sind.
Was ist die SUR und welche Rolle spielt sie?
Aufgrund dieser Erkenntnisse hatte die Europäische Kommission im Juni 2022 den Entwurf für eine Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln, die sogenannte Sustainable Use Regulation (SUR), vorgelegt. Sie sah vor, das Risiko und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (PSM) bis 2030 zu halbieren.
Doch die SUR stand unter Beschuss, insbesondere durch konservative Kräfte – Rechtspopulisten ebenso wie die Agrarindustrielobby. Ähnlich wie das Nature Restauration Law (NRL), das starke Blockaden, unter anderem seitens der Europäischen Volkspartei (EVP), erfuhr, war auch die SUR Teil des Green Deals, mit dem die EU die Biodiversitätskrise stoppen und die Natur regenerieren möchte. In einem offenen Brief richteten sich 3.340 Wissenschaftler*innen gegen Falschbehauptungen und Halbwahrheiten durch die Gegner*innen der SUR und NRL.
Trotz einer klaren Faktenlage, die eine ambitionierte SUR unbedingt erforderlich machte, verhinderten diese so eine zügige Umsetzung.
Warum hätten wir die SUR gebraucht?
- Chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel sind einer der Haupttreiber des Artensterbens. Wir müssen ihren Einsatz reduzieren, damit sich Tiere, Pflanzen und Ökosysteme wieder erholen können.
- PSM und deren Abbauprodukte gelangen aufgrund eines unzureichenden Zulassungsverfahrens und eines fehlenden, bundeseinheitlichen Monitorings quasi unkontrolliert in die Umwelt und können sogar bis ins Grundwasser gelangen. Dadurch verursachen sie hohe Kosten für die Gesellschaft.
- Eine Reduktion von PSM hilft Landwirt*innen Abhängigkeiten gegenüber Großkonzernen zu überwinden und resilienter zu werden.
Faktencheck zu den Behauptungen über die SUR
1. Die SUR gefährdet die Ernährungssicherheit in Europa.
Nein, die SUR gefährdet die Ernährungssicherheit nicht. Die EU-Kommission hat in einem ausführlichen Bericht gezeigt, dass trotz des Angriffskriegs von Russland auf die Ukraine die Ernährungssicherheit in Europa nicht gefährdet ist. In diesem Bericht über die Einflussfaktoren der Ernährungssicherheit stellt sie fest, dass Pestizide kurzfristig zu einer Stabilisierung der Erträge beitragen, ihr Einsatz und ihre Risiken jedoch nach und nach reduziert werden müssen, um mittel- und langfristig schädliche Auswirkung auf die Ernährungssicherheit zu verhindern. Die langfristig größte Gefahr für die Ernährungssicherheit ist die Biodiversitätskrise und der Kollaps der Ökosysteme, auf die unsere Lebensmittelproduktion angewiesen ist.
Auch das Bundesamt für Landwirtschaft und Ernährung sieht für Deutschland und die EU die Lebensmittelversorgung nicht in Gefahr. Bei Weizen haben die EU und Deutschland einen Selbstversorgungsgrad von mehr als 100 Prozent – das heißt, sie produzieren mehr, als für die eigene Versorgung benötigt wird.
2. Durch die SUR kann Europa nicht mehr die Welt ernähren.
Die globale Ernährungssicherheit hängt nicht direkt von der europäischen Lebensmittelproduktion ab, sondern von anderen Faktoren wie einer gerechten Verteilung von Lebensmitteln, den Preisen in Ländern des globalen Südens oder der Verschwendung von Nahrung. Die EU ist Netto-Exporteurin von Agrarerzeugnissen und Selbstversorgerin bezüglich vieler Agrarerzeugnisse. Europa kann am besten zur globalen Ernährungssicherheit beitragen, indem zum Beispiel die Fleischproduktion reduziert wird, Biosprit auslaufen lässt und Menschen weniger Fleisch konsumieren.
3. Die SUR betrifft zu viele Flächen.
Die sogenannten sensiblen Gebiete, die von der SUR betroffen wären, können die Mitgliedsstaaten selbst gegenüber der EU in der Common Database on Designated Areas (CDDA) festlegen. Ursprünglich hätten nach einer gewissen Lesart in Deutschland auch Landschaftsschutzgebiete, die etwa 25 Prozent aller Flächen ausmachen, miteinbezogen werden können. Dies ging aber selbst vielen Umweltschutzorganisationen und dem grün geführten Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zu weit.
Die EU-Kommission hat sich daher in einem durchgesickerten „non-paper“ – also einem informellem, nicht bindendem Diskussionspapier – kompromissbereit bezüglich der Definition sensibler Gebiete gezeigt. Auch Sarah Wiener, die federführende Berichterstatterin des Umweltausschusses für die SUR, schlägt in ihrem Dossier eine Lockerung der Definition von sensiblen Gebieten vor. Die Gegner*innen der SUR beziehen sich immer wieder auf den ursprünglichen Vorschlag der Kommission, anstatt konstruktive Änderungsvorschläge einzubringen.
4. Die SUR treibt Landwirte in den Ruin und fördert das Höfesterben.
Das Hofsterben hat andere Ursachen, wie zum Beispiel den technischen Fortschritt, der Arbeitskräfte überflüssig macht. Die Verordnung sieht lediglich eine Reduzierung des Einsatzes und des Risikos von PSM auf EU-Ebene um 50 Prozent vor. Die Mitgliedsstaaten entscheiden selbst, wie sie die SUR im Sinne aller beteiligten Akteur*innen umsetzen können. Dabei stehen ihnen alle Möglichkeiten einer Reduzierung offen, wie individueller Vertragsnaturschutz, Instrumente innerhalb der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) oder marktbasierte Lösungen wie beispielsweise eine Abgabe auf toxischere PSM. Letztere wird bereits mit Erfolg zum Beispiel in Dänemark und Norwegen angewendet.
5. Die SUR will ein Totalverbot von Pflanzenschutzmitteln in sensiblen Gebieten.
Auch davon ist im aktuellen Dossier von Sarah Wiener, der federführenden Berichterstatterin im Umweltausschuss und zuständig für die SUR, keine Rede mehr. Zum Beispiel sollen Pflanzenschutzmittel, die im Ökolandbau eingesetzt werden dürfen oder diejenigen, die von der EU als „low-risk“ definiert werden, in vielen sensiblen Gebieten weiterhin zum Einsatz kommen dürfen. Die Argumente der Gegner*innen beziehen sich immer auf den ursprünglichen Vorschlag der Kommission und stellen damit nicht den aktuellen Faktenstand dar. Damit wird eine konstruktive Verhandlung zur SUR zum Schutz von Mensch und Umwelt unmöglich.
6. Es gibt keine Alternativen zum Status-Quo.
Bereits heute zeigen Praktiker*innen und Studien, dass eine Reduktion von Pflanzenschutzmitteln für einige Kulturen ohne unzumutbare Auswirkungen auf den Ertrag oder Einkommensverluste möglich ist. Der integrierte Pflanzenschutz (IPS), der u. a. erfolgreich im Ökolandbau zum Einsatz kommt, ist eine vorbeugende, holistische Alternative für eine PSM-Reduktion. Durch die Anwendung des IPS und seiner Prinzipien – wie eine resistente, standortangepasste Sortenwahl, eine breite Fruchtfolge etc. – können sich beispielsweise Pflanzenkrankheiten weniger ausbreiten und es werden weniger PSM benötigt. Außerdem können durch Strukturelemente wie (Totholz-)hecken, Blühstreifen o. ä. natürliche Nützlinge gefördert werden.
7. Die SUR zerstört die Möglichkeit von kooperativen Wegen, wie dem niedersächsischen Weg oder dem baden-württembergischen Biodiversitätsstärkungsgesetz.
Wie eingangs erwähnt legt die SUR nur das Ziel und nicht den Weg dorthin fest. Wie die Halbierung des Pestizideinsatzes gelingen kann, ist den Mitgliedstaaten selbst überlassen. Dadurch haben sie großen Spielraum bei der Ausgestaltung und Wahl der Instrumente. Der niedersächsische Weg oder das Biodiversitätsgesetz in Baden-Württemberg bieten gute Blaupausen, wie eine Reduktion bundesweit durch einen Mix aus geeigneten Instrumenten und eine Einbindung von Politiker*innen, Umweltverbänden, Landwirt*innen etc. auf Augenhöhe gelingen kann.
8. Die geplante minutiöse Dokumentationspflicht schießt über das Ziel hinaus. Betriebsinterne Daten dürfen nicht im Internet veröffentlicht werden.
Landwirtschaftliche Betriebe sind aufgrund des Pflanzenschutzgesetzes (PflSchG § 23) ohnehin verpflichtet, gewisse Parameter aufzuzeichnen und bis zu drei Jahre zu archivieren. Durch die SUR könnten einige Parameter dazu kommen, aber die Dokumentationspflicht soll durch digitale Unterstützung vereinfacht werden. Betriebsinterne Daten dürfen aufgrund der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowieso nicht einfach im Internet veröffentlicht und gegebenenfalls nur in anonymisierter Form weitergegeben werden.
9. Mit dem Sachkundenachweis besteht in Deutschland bereits ein vorbildliches und etabliertes System, das eine sichere und verantwortungsvolle Anwendung von PSM gewährleistet. Zusätzliche Systeme sind unnötig.
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Absatzmenge von PSM nicht wesentlich verändert, unter anderem weil der integrierte Pflanzenschutz nicht stark genug umgesetzt wird. Daran muss sich was ändern. Der Sachkundenachweis ist eine richtige Maßnahme, damit PSM von Praktiker*innen sachgerecht angewendet werden, unter anderem auch um die Gesundheit der Anwender*innen zu schützen. Insgesamt müssen jedoch die Menge und das Risiko durch den Einsatz von PSM dennoch verbindlich reduziert werden zum Schutz der Ökosysteme, auf die wir für unsere Lebensmittelproduktion angewiesen sind.
10. Wird der SUR-Vorschlag in seiner aktuellen Form umgesetzt, sinken in der EU die Erträge im zweistelligen Prozentbereich und die Lebensmittelproduktion verlagert sich in Drittländer, in denen Natur- in Agrarflächen umgewandelt werden müssen.
Wie unter Punkt 5 erwähnt, wurden im aktuellen SUR-Vorschlag bereits die größten Kritikpunkte wie die Definition der sensiblen Gebiete und das Totalverbot von PSM in sensiblen Gebieten aufgeweicht und zur Debatte gestellt. In einigen Kulturen wie Mais oder Weizen könnte eine Reduktion von PSM ohne Einkommensrückgänge und bei relativ geringen Ertragseinbußen umgesetzt werden (siehe Quellen Punkt 6). Voraussetzungen sind hier die entsprechende Beratung und (finanzielle) Förderung von Landwirt*innen. Außerdem werden zum Beispiel durch eine veränderte Ernährungsgewohnheiten (Stichwort weniger Fleischkonsum) oder durch weniger weggeschmissene Lebensmittel viele zusätzliche Flächen frei. Diese könnten zur Lebensmittelproduktion genutzt werden, ohne die Produktion in Drittländer zu verlagern. Grundsätzlich ist es ohnehin fraglich, ob die intensive Landwirtschaft, die in hohem Maße von chemisch-synthetischen Dünge- und Pflanzenschutzmitteln abhängig ist und mit vielen negativen Effekten auf unsere Ökosysteme einhergeht, überhaupt den Maßstab bilden sollte.
11. Durch die SUR wird nicht berücksichtigt, was Mitgliedstaaten bereits in der Vergangenheit an Pflanzenschutzmittelreduktion erreicht haben.
Mitgliedstaaten dürfen die Gegebenheiten in ihrem Land, unter anderem ihre bisher erreichten Fortschritte bei der Festlegung der nationalen Ziele, berücksichtigen. Das Reduktionsziel darf zwar an die nationale Situation angepasst werden, doch in keinem Fall 35 Prozent unterschreiten. Deutschland sollte sich in jedem Fall für eine ambitionierte SUR einsetzen, so dass diese nicht im Sande verläuft oder ein zahnloser Papiertiger wird.
Der Pestizideinsatz muss drastisch reduziert werden, um den Rückgang der Artenvielfalt aufzuhalten. Im Interesse zukünftiger Generationen müssen wir sofort handeln. Die Kernforderungen des NABU zur Pestizidreduktion finden Sie im Positionspapier. Mehr →
Um ein Umdenken im Umgang mit Pestiziden zu erreichen, braucht es ambitionierte Maßnahmen. Dafür sind Politik, Herstellende, Verbraucher*innen in Land- und Forstwirtschaft, aber auch Freizeitgärtner*innen gleichermaßen gefragt. Mehr →