Minimierung des Pestizideinsatzes in Deutschland
NABU-Position zu Pestiziden
In seinem Positionspapier zur „Minimierung des Pestizideinsatzes in Deutschland“ fordert der NABU einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Pestiziden von allen Beteiligten. Die Kernforderungen richten sich an die Politik, Produzent*innen, den Handel, Anwender*innen und Konsument*innen. Nur durch entschiedenes Vorgehen und ambitionierte Maßnahmen kann eine deutliche Minimierung des Einsatzes von Pestiziden erreicht und der inzwischen durch zahlreiche Studien belegte Artenrückgang aufgehalten werden.
Seit Beginn der 1960er Jahre ermöglichte der großflächige Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln eine Intensivierung landwirtschaftlicher Anbaumethoden. Der ökologische Preis für den herbeigeführten Systemwandel zeigt sich seit vielen Jahren durch gravierende Umweltschäden und einen dramatischen Rückgang der Artenvielfalt. Pestizide (Pflanzenschutzmittel und Biozide) tragen als einer der Hauptverursacher maßgeblich zum Rückgang bei.
Denn unzureichende Spezifizität der Mittel und indirekte Effekte führen dazu, dass nicht nur Schadorganismen, sondern eine Vielzahl anderer Organismen geschädigt werden. Wenn sie nicht direkt getötet werden, können Pestizide die Organismen schwächen, sie gegenüber anderen Stressfaktoren deutlich empfindlicher machen und Ökosysteme so langfristig negativ beeinflussen. Sowohl die direkten als auch die indirekten Effekte von Pestiziden liefern so zweifelsfrei einen Beitrag zum zunehmenden Artenverlust. Sogar in Schutzgebieten gehen die Bestände der Insekten immer weiter zurück. Dabei sind sie mit circa 70 Prozent die artenreichsten aller Tierarten in Deutschland. Insekten sind teilweise oder vollumfänglich für die Bestäubung von etwa 80 Prozent der Nutzpflanzen sowie von mehr als 90 Prozent der Wildpflanzen zuständig. Gleichzeitig sind sie Futterquelle für eine Vielzahl anderer Tiere wie Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel, Fledermäuse und andere Säugetiere. Der Verlust an biologischer Vielfalt und der damit verbundene Zusammenbruch von Ökosystemen wurden vom Weltwirtschaftsforum deshalb als eine der fünf größten Bedrohungen für die Welt eingestuft.
Einsatzmengen von Pflanzenschutzmitteln und Biozidprodukten werden nicht erfasst
Etwa 29.000 Tonnen Wirkstoff wurden 2021 in Deutschland zur Herstellung von Pflanzenschutzmitteln verkauft Seit ersten Aufzeichnungen im Jahr 1977, das heißt seit über 40 Jahren, schwankt die jährliche Absatzmenge nur geringfügig. Und das, obwohl die Stoffe immer wirksamer werden. Außerdem haben sich in den vergangenen 25 Jahren die Risiken von Pestiziden für verschiedene Organismen stark geändert: Für Landwirbeltiere etwa nahmen die Risken ab, während sie für Bodenorganismen, Fische und Landpflanzen zunahmen.
Welche Mittel wann, wo und in welchen Mengen gleichzeitig in Tankmischungen oder nacheinander in Spritzserien eingesetzt wurden beziehungsweise werden, wird aber weder zentral erfasst noch auf Bundesebene ausgewertet obwohl dies notwendig wäre, um das Umweltrisiko besser einschätzen zu können.
Die Absatzmenge von Biozidprodukten wird in Deutschland bislang nicht erfasst und es fehlen grundlegende Daten, um Schäden durch Biozide in der Umwelt einschätzen zu können. Der Gesamtverbrauch von Biozid-Wirkstoffen wird in Deutschland anhand von Verbrauchsmeldungen anderer Staaten auf ca. 55.000 Tonnen pro Jahr geschätzt. Davon werden etwa drei Viertel auf Desinfektionsmittel zur Algenbekämpfung, für die Hygiene im Veterinär-, Lebensmittel- und Futtermittelbereich oder die menschliche Hygiene verwendet. Etwa ein Viertel wird zum Schutz von Holz, Beschichtungen oder für Flüssigkeiten in Kühlsystemen genutzt. Etwa ein Prozent des Gesamtverbrauchs entfällt auf Schädlingsbekämpfungsmittel (z. B. Gifte in Rattenködern) und sonstige Biozidprodukte wie Antifouling-Produkte. Seit über 60 Jahren gelangen demnach wahrscheinlich zehntausende Tonnen an Pestiziden jedes Jahr direkt oder indirekt in unsere Umwelt.
Pestizide können sich im Boden und in Gewässern weiträumig verteilen, sich dort anreichern und sich über die Luft über größere Entfernungen hinweg vom ursprünglichen Einsatzort verteilen. Dabei können sie sogar in Schutzgebiete hineinwirken, wenn diese innerhalb oder in der Nähe von konventionell bewirtschafteten landwirtschaftlichen Flächen liegen. Studien zeigen etwa, dass eine Belastung durch die Luft an nahezu allen Standorten in Deutschland mit mehreren Pestiziden gleichzeitig wahrscheinlich ist.
Böden sind oft noch Jahrzehnte nach der Ausbringung mit Pestiziden und deren Abbauprodukten belastet. Auch in den allermeisten Gewässern sind Pestizide und deren Abbauprodukte nachweisbar. Pflanzenschutzmittel gelangen mit dem Regen in tiefere Bodenschichten, in das Grundwasser oder in angrenzende Fließgewässer und Seen. Insbesondere nach Regenereignissen sind Überschreitungen zulässiger Grenzwerte keine Seltenheit. Biozidprodukte gelangen hingegen überwiegend über Regenwasserabflusskanäle und Kläranlagen in die Umwelt. Sie werden beispielsweise von Hausfassaden, Baumaterialien oder Gartenmöbeln ausgewaschen, die mit Materialschutzmitteln behandelt wurden.
Weder die Auswirkungen von indirekten Effekten, noch die Kombinationswirkung verschiedener Mittel im Boden oder in Gewässern werden aber bei der Risikobewertung von Pestiziden erfasst. Auch gibt es immer noch keine umfassenden staatlichen Untersuchungen zur Belastung von Böden mit Pestiziden oder zu deren Fernverfrachtung über die Luft.
Einen Überblick darüber was Pestizide, Pflanzenschutzmittel und Biozidprodukte sind, von wem und wo sie eingesetzt werden und wie sie die Struktur und Prozesse in Ökosystemen langfristig verändern, finden Sie im NABU-Faltblatt Pestizide.
Die ausführliche Pestizid-Position finden Sie hier.
Die Kernforderungen des NABU
Gesamte Landwirtschaft
Der NABU fordert:
- eine Reduzierung der Gesamttoxizität ausgebrachter Pflanzenschutzmittel pro Fläche um mindestens 50 Prozent bis 2030 auf Bundesebene, gemessen an geeigneten Indikatoren;
- ein Verbot aller Totalherbizide, wie zum Beispiel Glyphosat oder anderer sich in der Entwicklung befindlichen Totalherbizide;
- ein Verbot der Pestizidanwendung an Gewässern (inkl. kleinen Gewässern von wasserwirtschaftlich untergeordneter Bedeutung) innerhalb eines Abstandes von zehn Metern zum Gewässer, gemessen ab der Böschungsoberkante oder soweit keine Böschungsoberkante vorhanden ist ab der Linie des Mittelwasserstandes. Zur Unterstützung ist die ackerbauliche Nutzung in einer Breite von fünf Metern auszuschließen.
Schutzgebiete
Der NABU fordert:
- ein Verbot von Pestiziden in Kernzonen von Nationalparks und Biosphärenreservaten sowie in Wildnisgebieten;
- ein Verbot von chemisch-synthetischen Pestiziden in allen Naturschutzgebieten, Managementzonen von Nationalparks, Pflegezonen von Biosphärenreservaten, gesetzlich geschützten Biotopen im Sinne des § 30 des BNatSchG, FFH-Gebieten und in relevanten Lebensräumen und Nahrungshabitaten von durch EU-Recht geschützten Vogelschutzgebieten. Ausnahmen vom Verbot für Sonderkulturen wie im Wein-, Obst- oder Gemüsebau können genehmigt werden, sofern diese durch Programme zur Pestizidreduktion und zur Förderung der biologischen Vielfalt in den Sonderkulturen begleitet werden.
Wälder und Forsten
Der NABU fordert ein Verbot der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in Wildnisgebieten, Wäldern und Forsten. Biozide dürfen in Wäldern und Forsten nur für lokal sehr begrenzte Bekämpfungsmaßnahmen angewendet werden, beispielsweise bei akuter Gefährdung der menschlichen Gesundheit.
Öffentliche Flächen
Der NABU fordert ein Anwendungsverbot von Pflanzenschutzmitteln und eine Minimierung des Biozideinsatzes auf Flächen der öffentlichen Hand. Mechanisch-technischen Verfahren ist stets der Vorzug zu geben.
Haus- und Kleingarten
Der NABU fordert ein Anwendungsverbot von chemisch-synthetische Pflanzenschutzmitteln im Haus- und Kleingartenbereich.
Nationales und EU-Zulassungsverfahren
Der NABU fordert eine grundlegende Reformierung des Zulassungsverfahrens von Pestiziden.
Datenverfügbarkeit, Transparenz und Monitoring
Der NABU fordert rechtliche Verpflichtungen zur Erhebung, Auswertung und Veröffentlichung von Verkaufs- und Anwendungsdaten von Pestiziden und Schaffung einer besseren Datengrundlage der Umweltbelastung durch Pestizide
Verantwortung von Handel und Verbraucher*innen
Der NABU fordert eine Förderung von Kooperationsprogrammen zwischen Erzeugern und Handel, die auf eine Pestizidreduktion in der landwirtschaftlichen Produktion abzielen sowie eine Minimierung des Angebots an frei verkäuflichen Pestiziden (Pflanzenschutzmittel und Biozidprodukte) im Handel.
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