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Jetzt spenden!Superfood – supergut?
Was ist dran am Hype?
Die Werbung für Superfoods ist äußerst vielversprechend: „Gojibeeren sind kleine rote Wunderfrüchtchen“, so beschreibt es das Zentrum der Gesundheit auf seiner Internetseite. Und weiter: „Sie vereinen in sich nahezu alle lebenswichtigen Nähr- und Vitalstoffe in einer einzigartigen Kombination und enthalten darüber hinaus eine Vielzahl jener sekundären Pflanzenstoffe, die in unserer alltäglichen Nahrung nur noch unzureichend vorhanden sind. Gojibeeren sind infolgedessen ein perfektes Lebensmittel – ein Superfood, das jede Ernährung bereichern und unsere Gesundheit optimieren kann.“
Auch die beliebten Chiasamen werden beispielsweise auf der Internetseite www.chia-samen.info als besonders gesund beworben, unter anderem enthielten sie „fünfmal mehr Kalzium als Vollmilch“. Das Gesundheitsinstitut Deutschland preist wiederum die Wirkungen des „Wunderbaums“ Moringa an, „das mit Abstand nährstoffreichste Gewächs überhaupt.“
Erfolgreiches Marketing
Hört sich gut an, aber stimmt das auch? Zunächst ist auffällig, dass sich diese Seiten sehr seriös klingende Namen geben, aber tatsächlich meist interessengesteuert sind. So bewertete die Hamburger Verbraucherzentrale die Transparenz der Informationen des Zentrums der Gesundheit als schlecht und die Objektivität der Ernährungsberatung als mangelhaft. Im Impressum von chia-samen.info wird ersichtlich, dass der Betreiber aus dem Anbauland Ecuador ein Amazon-Partner ist. Das Gesundheitsinstitut Deutschland ist nach eigenen Angaben zwar „ein unabhängiger Kreis aus freien Autoren und Experten“, namentlich genannt wird von diesen allerdings keiner, und direkt unter dem Artikel zu Moringa findet sich ein Verkaufslink.
Umsatzpower
Apropos Verkauf: Der Absatz von Superfood entwickelt sich rasant, und das Angebot hat sich 2016 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt, berichtet das Marktforschungsinstitut Nielsen. Das zeigt sich auch beim Umsatz, der in Deutschland von 1,5 Millionen Euro 2014 auf 42,6 Millionen Euro im vergangenen Jahr gestiegen ist. Pro Kopf geben die Deutschen im Schnitt rund 21 Euro pro Jahr dafür aus. Für das Umsatzwachstum sorgen mit einem Anteil von rund 63 Prozent vor allem die Chiasamen. Käufer von Superfood sind nach der Studie zunehmend Paare oder Familien mittleren Alters, wohlhabend und bereits „Gesund-Esser“. Aber wie gesund ist Superfood wirklich?
Wissenschaftliche Beweise fehlen
Wer nach seriösen wissenschaftlichen Studien sucht, tut das vergeblich. „Die brauchen Anbieter auch gar nicht“, sagt die Ökotrophologin Angela Clausen, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen arbeitet. „Die Leute kaufen das Superfood auch so.“ Auch Isabelle C. Keller von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung berichtet: „Die Wissenschaft hinkt solchen Trends hinterher, denn aussagekräftige Untersuchen benötigen Zeit. Zum großen Teil sind die dem Superfood zugeschriebenen Effekte wissenschaftlich nicht belegt.“ Schließlich gebe es in den Ländern, aus denen die Lebensmittel kommen, wie Afrika, Asien oder Südamerika, kaum Forschung dazu.
Nährstoff- und Vitaminverlust
Da das meiste Superfood nur in der westlichen Welt neu ist, in den Anbauländern allerdings zur Esskultur gehört, wäre es dennoch falsch, es allein aufgrund fehlender wissenschaftlicher Nachweise abzulehnen. Schließlich handelt es sich um natürliche Lebensmittel, die sich tatsächlich durch einen hohen Anteil von Vitaminen, sekundären Pflanzenstoffen und Enzymen auszeichnen. So enthalten beispielsweise Chiasamen mit 638 Milligramm pro 100 Gramm tatsächlich sehr viel Kalzium. Clausen: „Aufgrund der von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) festgelegten Tageshöchstmenge von 15 Gramm (darin 95,7 Milligramm Kalzium), ist die Zufuhr im Vergleich zu einem Glas Milch (250 Milliliter mit 300 Milligramm) bei genauerer Betrachtung allerdings nicht mehr besonders hoch.“ Zudem wird Superfood in der Regel nicht frisch, sondern getrocknet, als Extrakt oder Püree verzehrt und „dadurch kommt es immer zu einem Nährstoff- und Vitaminverlust“, so Clausen.
Belastung teils hoch
Problematisch sind in jedem Fall die Rückstände. So haben die baden-württembergischen Untersuchungsämter für Lebensmittelüberwachung und Tiergesundheit im vergangenen Jahr bei acht von insgesamt 15 untersuchten Moringapulver-Proben eine oder mehrere Überschreitung(en) der gültigen Höchstmengen für Pestizide gefunden. Alle 14 auf die Kennzeichnung und Bewerbung überprüften Proben wurden beanstandet, da sie irreführende nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben enthielten.
Auch bei Ökotest fielen im vergangenen Jahren zwei Drittel der untersuchten Produkte mit einem „Ungenügend“ oder „Mangelhaft“ durch. Grund waren hier ebenfalls insbesondere Pestizide, sowohl bei Chiasamen als auch bei Moringa und Gojibeeren.
Das Gute liegt so nah
„Wer das Risiko gering halten möchte, sollte daher lieber auf heimisches ‚Superfood', sprich Obst und Gemüse setzen“, sagt Keller, „auch wenn die althergebrachten Leinsamen oder Blaubeeren weniger Emotionen wecken als exotische Chiasamen oder Gojibeeren“. Sie empfiehlt einen „bewussten, sensiblen und kritischen Umgang“. Auch Clausen sagt: „Superfood kann ab und an eine gute Ergänzung sein, sollte aber nicht zum täglichen Essen gehören.“ Hilfreich sei zudem eine einfache Grundregel: „Vertraue keinem Lebensmittel, das Geschichten erzählt.“
Claudia Behrend
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