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Solidarische Landwirtschaft in Deutschland
Das Prinzip ist so einfach wie genial: Ein fester Kreis von Verbrauchern finanziert einen landwirtschaftlichen Betrieb und sichert sich damit die Eigenversorgung mit nachhaltig und hochwertig erzeugten Lebensmitteln. Die Mitglieder strecken dem Bauern das Geld für Saatgut, Löhne und landwirtschaftliches Gerät vor, entscheiden gemeinsam mit ihm, was und wie angebaut wird, und erhalten im Gegenzug ihren Anteil an Obst, Gemüse, Fleisch und Eiern. Die Idee nennt sich Solidarische Landwirtschaft und ist gerade dabei, auch bei uns Fuß zu fassen.
Geteiltes Risiko
Keimzelle aller Solidarhöfe in Deutschland ist der Buschberghof in Fuhlenhagen bei Hamburg. Der biologisch-dynamisch wirtschaftende Betrieb wurde im Jahre 1988 auf Solidarische Landwirtschaft umgestellt. Heute leben und arbeiten drei Familien auf dem Hof, dessen Tiere und Feldfrüchte 95 städtische Haushalte mit insgesamt 300 Menschen ernähren. Auf 116 Hektar wachsen Kohl, Salat, Kartoffeln und Getreide sowie etliche Sorten Obst: Wiesen und Weiden bieten Platz für 80 Rinder, 50 Schweine und 200 Hühner. In der hofeigenen Backstube wird das Getreide zu elf Brotsorten verbacken. In der Meierei wird aus Milch Butter, Joghurt, Quark und Käse.
Zu Beginn des Wirtschaftsjahres treffen sich die Mitglieder des Trägerkreises mit den Bauern und legen die Monatsbeiträge zur Deckung der Betriebskosten fest. Damit teilen sich beide Seiten ein Jahr lang verbindlich das Risiko: Sind die Tiere krank oder fällt die Ernte wetterbedingt schlecht aus, gibt es weniger, ist alles gesund und die Ernte fällt gut aus, gibt es mehr. Die Betriebskosten für das Jahr 2014 veranschlagten die Bauern auf 360.000 Euro. Darin enthalten ist alles, was im Jahreslauf auf dem Hof an Kosten anfällt: die Pacht ebenso wie der Diesel für den Traktor oder eine Rentenversicherung für die Bauern.
Umgelegt auf 300 Mitglieder ergab sich für das Wirtschaftsjahr 2014 somit ein durchschnittlicher Jahresbeitrag von 1.200 Euro pro Person und Jahr. Doch nicht jedes Mitglied zahlt gleich viel: Es sei erwünscht, dass jene, die mehr haben, auch mehr zahlen als jene, die wenig haben, sagt Wolfgang Stränz, der bis vor kurzem Kassenwart der Gemeinschaft war. Deshalb gibt es neben dem Durchschnittsbeitrag einen Richtbeitrag, der höher liegt. „Ein Drittel der Mitglieder zahlt den Durchschnittsbeitrag, ein Drittel zahlt mehr, ein Drittel weniger“, sagt Stränz. Um Missgunst auszuschließen, werden die Beitragsraten verdeckt ausgehandelt: Jeder schreibt auf einen Zettel, wie viel er zahlen will.
Saisonal limitierte Vielfalt
Für ihren Beitrag erhalten die Mitglieder so viele Brote, Milchprodukte und Fleischwaren, wie sie bestellt haben. Obst und Gemüse nehmen sie sich in den Mengen, die sie für angemessen halten. Im Grunde eine Rundumversorgung, Salz, Kaffee und Orangen gehören zu den wenigen Produkten, die die Mitglieder des Trägerkreises zukaufen müssen. Anders als im Supermarkt ist die Produktpalette des Buschberghofes jedoch saisonal limitiert. Im Sommer gibt es nahezu alles, im Winter ist das Angebot weniger bunt. Dafür bekommen die Mitglieder etwas anderes, ungleich wertvolleres: Das Wissen, woher ihre Lebensmittel stammen und wie sie erzeugt wurden.
Im Gegenzug erhält der Bauer Planungssicherheit und hat die Garantie, dass auch Feldfrüchte mit Schönheitsfehlern, wie krumme Gurken, zweibeinige Karotten, oder herzförmige Kartoffeln, die nicht im Supermarkt-Regal landen würden, ihre Abnehmer finden. Zudem macht der feste Abnehmerkreis den von vielen Bauern als lästig empfundenen Aufwand für Eigenmarketing und Neukunden-Aquise überflüssig. Was aber mit am schwersten wiegt: Solidarhöfe haben den Handel ausgeschaltet. Sie sind nicht mehr Spielball der Marktpreise und haben sich damit erfolgreich vom Joch der Spezialisierung befreit. Solidarhöfe können mit Monokulturen, wie sie in der industrialisierten Landwirtschaft üblich sind, nichts anfangen, denn sie leben davon, ihren Mitgliedern eine möglichst große Vielfalt an Agrarerzeugnissen zu bieten.
Stärkung regionaler Strukturen
Davon profitiert auch die Allgemeinheit, denn die Vielfalt an Feldfrüchten und Nutztieren, der Anbau alter Pflanzensorten und die Zucht vom Aussterben bedrohter Nutztierrassen wirken dem Artensterben entgegen. So gibt das auf dem Buschberghof gehaltene Angler Rotvieh, eine alte Rinderrasse, zwar weniger Milch als moderne Hochleistungskühe, doch wegen ihres hohen Fett- und Eiweißgehalts ist diese Milch wie gemacht für herausragende Käse-Spezialitäten. Ein weiteres Beispiel ist der Berliner Gemüsehof Speisegut. Dort werden ausschließlich samenfeste Sorten angebaut, deren Saatgut Nachkommen hervorbringt, die genauso vital sind wie die Elternpflanzen. Dank extensiver Bewirtschaftungsmethoden, kurzer Transportwege und kompakter Wertschöpfungskreisläufe stärken Solidarhöfe regionale Strukturen und schonen Klima und Ressourcen. Die meisten von ihnen wirtschaften nach ökologischen Kriterien.
Die Idee der Solidarischen Landwirtschaft wurde in den USA geboren, der Pionier war jedoch ein Deutscher. Heute existieren in den USA mehrere tausend solcher Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften. Die Zahl der Solidarhöfe in Deutschland wird von Experten auf rund 50 geschätzt (aktualisierte Zahlen und Betriebe auf www.solidarische-landwirtschaft.org) – ein zartes Pflänzchen, das zwar langsam, dafür aber stetig wächst.
Hartmut Netz (Naturschutz heute 2019)
Solidarhöfe in Deutschland:
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