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Jetzt informieren!Junge Wilde im Schrebergarten
Kleingarten-Vereine im Wandel
Noch bis vor kurzem galten Kleingärten als Bollwerke deutschen Spießertums schlechthin, als Orte, wo Gartenzwerge das Regiment führen und griesgrämige Rentner den Rasen mit der Nagelschere schneiden. Doch gerade schickt sich eine Generation junger Leute an, allerorten die klassischen Schrebergarten-Kolonien zu unterwandern. Sie haben andere Vorstellungen vom Kleingarten im Kopf, sie wollen sonnengereifte Tomaten ernten, im Duft von Rosmarin und Lavendel schwelgen und ihren Garten im Einklang mit der Natur bestellen.
Kunterbunte Lauben, wucherndes Grün
Angelehnt an das Vorbild alter Bauerngärten ermöglichen Schrebergärten es den Stadtbewohnern, Obst und Gemüse anzubauen. Zudem bieten sie mitten in der Stadt einen ungestörten Zugang zur Natur. Sie dienen als Ruheort, Grillplatz und für den Kaffeeklatsch im Grünen. Nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde (BDG), unter dessen Dach sich bundesweit rund 14.000 Kleingartenvereine zusammengeschlossen haben, nutzen fünf Millionen Menschen einen Kleingarten – als Pächter, Familienangehörige oder Freunde der Familie. Die Szene ist überaltert, verjüngt sich jedoch allmählich. Betrug das Durchschnittsalter der Pächter im Jahre 2001 noch 55 Jahre, hat sich der Zulauf junger Familien seitdem rapide verstärkt. Das bleibt nicht ohne Folgen für das Erscheinungsbild traditioneller Kleingarten-Anlagen.
In der Schrebergarten-Kolonie Wildkraut im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf lässt sich das an jedem ersten und dritten Sonntag im Monat exemplarisch besichtigen. Kunterbunte Lauben, wucherndes Grün und üppige Blütenpracht bestimmen das Bild. Normhecken, englischen Rasen und akkurat angelegte Rosenbeete sucht man hier vergebens. Die jungen Wilden, die ihre Gärten allesamt nach ökologischen Kriterien bewirtschaften, bevorzugen stattdessen Wildblumenwiesen, selbstgemachtes Heu und den eigenen Komposthaufen vor der Tür. Die am Stadtrand zwischen Teltowkanal und Ostpreußendamm gelegene Kolonie ist noch jung, sie entstand im Jahre 2008 als die Stadtverwaltung eine bezirkseigene Gärtnerei auflöste und auf dem Gelände 47 etwa 250 Quadratmeter große Parzellen abstecken ließ.
Kunstdünger und Pestizide verboten
Trotz des eigenwilligen Erscheinungsbildes fügt sich Wildkraut nahtlos in die 150-jährige Tradition der deutschen Kleingarten-Bewegung. Geburtsort der Schrebergärten ist Leipzig. Dort griff im Jahre 1865 der Schuldirekter Ernst Hauschild eine Idee des Kinderarztes Moritz Schreber auf und ließ in der Stadt eine Spielwiese einrichten, auf der Kinder von Fabrikarbeitern unter pädagogischer Aufsicht spielen konnten. Zusätzlich wurden Beete angelegt, um den Kindern die Natur näherzubringen. Schreber zu Ehren nannte Hauschild die Anlage Schreberplatz. Schnell entdeckten auch die Erwachsenen ihre Lust am Gärtnern und die Kinderbeete entwickelten sich zu Familiengärten, die wenig später parzelliert, umzäunt und mit Lauben versehen wurden. 1869, als die Anlage auf 100 Parzellen angewachsen war, gab sich die Initiative eine Vereinssatzung – die Schrebergarten-Kolonie, so wie wir sie bis heute kennen, war geboren.
Eine Vereinssatzung hat auch Kraut&Rüben, eine junge wilde Kleingarten-Kolonie im Norden von Bochum. Die im Jahre 1998 errichtete Anlage besteht aus 52 Parzellen, einem Kinderspielplatz, einer Streuobstwiese und einem Stall voller Ziegen und Schafe. Die Satzung des ökologisch wirtschaftenden Vereins verbietet explizit Kunstdünger und Pestizide. „Bei mir dürfen Hahnenfuß und Löwenzahn blühen“, sagt Kirsten Eichberg, die seit mehr als zehn Jahren bei Kraut&Rüben ist. Im Garten der 55-Jährigen wächst von Gurken und Zucchini über Mangold und Kartoffeln bis zu Grünkohl und Paprika alles, was das Gärtner-Herz begehrt. „Man muss nicht wegen jeder Blattlaus, die rumkriecht, gleich in Panik verfallen“, sagt die überzeugte Öko-Gärtnerin. Natürliche Feinde wie Marienkäfer seien meist schnell zur Stelle. „Ich habe rund ums Jahr Gemüse.“
Naturgemäßes Gärtnern im Trend
Gelassenheit gegenüber Blattläusen ist nicht unbedingt das, was man von Kleingärtnern erwartet. Noch immer haftet ihnen der Ruf an, Giftspritzer und Unkrautvernichter zu sein. Doch dieses Klischee entspreche schon seit langem nicht mehr der Realität, versichert BDG-Sprecher Thomas Wagner. „Chemischer Pflanzenschutz ist out, stattdessen liegt naturgemäßes Gärtnern im Trend“, sagt der Garten-Experte. Sei es in den Anfängen der Kleingarten-Bewegung noch darum gegangen, etwas Frisches auf dem Teller zu haben, stehe heute der Wohlfühl- und Gesundheitsaspekt im Vordergrund. Eine Studie des Bundeslandwirtschaftsministeriums aus dem Jahre 2002 stützt Wagners These. Demnach ist der Verkauf von Pestiziden für den Haus- und Kleingartenbereich von 1991 bis 2001 um über die Hälfte gesunken. Aktuelle Zahlen gibt es allerdings nicht, eine Neuauflage der Studie läuft derzeit.
Es scheint, als gehörten alte Klischees, die seit Jahren über Kleingärten in Umlauf sind, endgültig auf den Komposthaufen. In heutigen Gartenkolonien treffen Alte auf Junge, Rentner-Paare auf Familien und Akademiker auf Arbeiter. Ihnen allen gemeinsam ist die Freude an der Natur und die Lust am Gärtnern. Man ist in der Stadt und doch im Grünen. Oder wie es Kirsten Eichberg formuliert: „Der Garten ist ein Fleckchen Paradies mitten im Ruhrgebiet.“
Hartmut Netz
Mehr Informationen zum Kleingarten-Bund