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Selten gewordene Wildpflanzen
Eigentlich ist die Region um Offstein im südlichen Rheinhessen geprägt von akkurat in Reih und Glied stehenden Weinreben und dem Einheitsgrün der Zuckerrüben. Doch die Felder der Saatgutfirma Blauetikett Bornträger tanzen aus der Reihe. Scheinbar ungehemmt und ohne rechte Ordnung wuchern das Grün und die Blütenpracht der nach ökologischen Kriterien angebauten Heil- und Gewürzpflanzen. Sie setzen jedes Jahr aufs Neue weiße, gelbe und violette Akzente in der sonst so einheitlichen Agrarlandschaft. Manche Felder ähneln sogar eher einer Wildblumenwiese als einem Feld – und das ist durchaus gewollt.
„Unsere Felder sehen etwas anders aus als herkömmliche“, sagt Doris Väth, die Chefin von Blauetikett Bornträger. „Sie haben mehr Beikräuter und sehen unordentlicher aus.“ Ihre Firma residiert seit Anfang der 50er Jahre in Offstein, einer 2.000-Einwohner-Gemeinde in der Nähe von Worms. Hier, im westlichen Bereich des Oberrheingrabens, hat der Weinbau eine lange Tradition. Das trockene Klima, eine vergleichsweise lange Vegetationsperiode und der Kalkstein in dieser Gegend begünstigen den Anbau klassischer Rebsorten. Größter Arbeitgeber im Ort ist allerdings das Südzucker-Werk Offstein, das täglich rund 16.000 Tonnen Rüben verarbeitet.
Reaktion auf die Moderne
Das in der Region Offstein vorherrschende milde Klima ist auch dem Heilkräuter- und Gewürzpflanzen-Anbau von Blauetikett Bornträger zuträglich. Doch die Wurzeln der Firma liegen etwa 50 Kilometer weiter nördlich, im Taunus. Dort durchstreifte in den 20er und 30er Jahren Firmengründer Heinrich Bornträger Wälder und Täler und sammelte Wildpflanzen, die dort wuchsen. Erst war es nur ein Hobby, dann belieferte er Herstellerbetriebe homöopathischer Arzneimittel. Die Nachfrage wuchs und war durch Sammeln bald nicht mehr zu decken. Im Jahre 1932 gründete Bornträger sein Unternehmen und begann mit dem professionellen Anbau von Heilkräutern.
Bornträger war kein Gärtner, sondern gelernter Graphiker. Angetrieben wurde er von den Ideen der Lebensreform, einer Bewegung, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Rückkehr zu einer naturnahen Lebensweise forderte. Als Reaktion auf Entwicklungen der Moderne, die die Lebensreformer als schädlich für den Menschen ansahen, propagierte die Bewegung unter anderem ökologischen Landbau, vegetarische Ernährung und Naturheilkunde. Die Lebensreformer waren überzeugt, dass der Mensch über Selbstheilungskräfte verfüge, die man mithilfe von Naturpräparaten anregen könne. Neuentwicklungen der Lebensmittelindustrie, beispielsweise Brühwürfel, Konserven oder Fleischextrakt, lehnten sie ab; lediglich weitgehend naturbelassene Nahrungsmittel wie Rohkost oder Vollkornprodukte galten als gesund.
Geheimtipp für Rohköstler
In der Reben- und Rübengemeinde Offstein wurde Bornträger anfangs als Exot belächelt. „Für die Leute hier waren die Wildpflanzen, die wir anbauen, Unkraut“, sagt Firmen-Chefin Doris Väth. Ein bisschen sei es heute noch so. Der Umzug nach Offstein war in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur: Hatte der Betrieb seine Ernte zuvor nur an Verarbeiter ausgeliefert, nahm er nun Endverbraucher als Kunden dazu und avancierte unter dem Namen Blauetikett Bornträger GmbH zum Geheimtipp für Rohköstler. „Einige Stammkunden aus dieser Zeit halten uns bis heute die Treue“, sagt Väth. „Das ist eine ganz spezielle Kundschaft.“ In den 70er-Jahren begann die Firma zudem, Wildpflanzen-Saatgut zur Landschaftsbegrünung zu vermarkten. Unter Gartenfreunden gilt der Betrieb heute als verlässlicher Lieferant für Bio-Saatgut, Würzkräuter und alte Gemüsesorten.
Das Sortiment ist breit, die Stückzahlen klein. Das erlaubt es der Firma, den Technisierungsgrad gering zu halten. Wie in den 50er-Jahren werden Pflanzen manuell eingetopft, Tees von Hand abgefüllt und Samen per Messlöffel eingetütet. Die versandfertigen Pakete werden nicht mit luftgepolsterter Noppenfolie, sondern mit Heu ausgestopft. Und statt eines buntbebilderten Katalogs auf Hochglanzpapier gibt es eine Preisliste in schwarzweiß. Der Verkauf läuft zu 95 Prozent über den Versand, der Rest über den kleinen Hofladen.
Alte Sorten nicht mehr lukrativ
„Unser Sortiment besteht zu einem Drittel aus Topfpflanzen, zu einem Drittel aus Saatgut und getrockneten Kräutern und zu einem Drittel aus frischen Pflanzen für Apotheken und Arzneimittel-Hersteller“, sagt Doris Väth. Die 57-Jährige leitet den Betrieb seit 20 Jahren. „Die Arbeit ist immer wieder neu, denn im Wildpflanzen-Anbau ist vieles bislang noch wenig untersucht. Wir haben oft experimentieren müssen.“ Ihre Firma kultiviert auch Pflanzen, die es anderswo nur selten gibt: Goldrute, Königskerze oder Bilsenkraut etwa. Andere Arten im Angebot, beispielsweise Hirschhornwegerich oder Etagenzwiebeln, sind weitgehend vom Markt verschwunden.
„Viele der alten Sorten sind für konventionelle Gärtnereien nicht mehr lukrativ und werden ausgelistet“, erläutert Doris Väth. Am besten werden diese Pflanzen bewahrt, wenn sie immer wieder aufs Neue in die Erde kommen, wachsen und sich vermehren.
Hartmut Netz
Im Gartenmarkt um die Ecke wird man nach ökologisch erzeugten Sämereien und Pflanzen oder seltenen alten Sorten meist vergeblich suchen. Eine ausführliche Liste von Produzenten und Versendern haben wir unter www.NABU.de/Saatgut zusammengestellt.
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