In diesen Zeiten schöpfen wir besonders viel Kraft in der Natur. Werden Sie NABU-Mitglied und helfen Sie mit, damit wir die Natur auch in Zukunft genießen können.
Jetzt NABU-Mitglied werden!Grüne Liste für die Wirtschaft
Die Nachhaltigkeitstaxonomie der EU
Der Druck, angeschlagenen Unternehmen mit öffentlichen Mitteln unter die Arme zu greifen, ist durch die Corona-Krise gestiegen. Ob die eingesetzten Gelder dem Klima- und Umweltschutz dienen, ist aber oft fraglich.
„Bisher haben wir in Europa keinen einheitlichen Standard, um die Nachhaltigkeit von Unternehmen und Finanzprodukten zu messen“, sagt Kerstin Lopatta, Professorin für Rechnungslegung und Nachhaltigkeit an der Universität Hamburg. Auch deshalb gehen öffentliche Fördergelder allzu häufig an Unternehmen, die der Umwelt mehr schaden als nützen. Ähnlich ist es bei Finanzprodukten wie Aktien oder Unternehmensanleihen: „Nachhaltig“ ist kein geschützter Begriff, und mitunter verstecken sich in solchen Fonds auch Papiere umweltschädlicher Industrien.
Sechs Umweltziele
In ihrem Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums schlug die EU-Kommission 2018 eine sogenannte Taxonomie-Verordnung vor, ein einheitliches Klassifikationsschema für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten. Eine Gruppe technischer Experten*innen hat solch eine „grüne Liste“ im Auftrag der Kommission erarbeitet – und das in einem für die EU beachtlichen Tempo: Bereits im Juni 2020 veröffentlichte die Kommission die Verordnung. Darin sind sechs Umweltziele definiert, an denen Unternehmen ihr wirtschaftliches Handeln messen sollen.
Die Umweltziele der Taxonomie-Verordnung
- Klimaschutz
- Anpassung an den Klimawandel
- Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
- Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
- Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
- Schutz und die Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme
Damit eine Wirtschaftstätigkeit im Sinne der Taxonomie als nachhaltig gilt, muss sie einen substanziellen Beitrag zu mindestens einem der Ziele leisten. Gleichzeitig darf sie keinen der anderen Bereiche schädigen und muss soziale Mindeststandards einhalten.
Beachtliches Tempo
Für die Ziele „Klimaschutz“ und „Anpassung an den Klimawandel“ hat die technische Expert*innengruppe bereits einen umfangreichen Bewertungskatalog erstellt. Schon ab 2022 sollen diese Kriterien für ausgewählte Wirtschaftsbereiche gelten. Im Laufe des Jahres 2022 will die EU-Kommission die technischen Kriterien für alle weiteren Umweltziele veröffentlichen und ab dem Jahr 2023 anwenden.
Die Expert*innengruppe hat ihre Arbeit im Herbst 2020 einer Plattform für nachhaltiges Finanzwesen übertragen. Deren rund 50 Mitglieder kommen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen wie Unternehmen, Finanzinstitutionen, Wirtschaftsverbänden, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und der Wissenschaft. Ariel Brunner, amtierender Direktor von BirdLife Europa, der europäischen Dachorganisation des NABU, wird vom NABU-Team Nachhaltige Finanzen maßgeblich in seiner Arbeit auf der Plattform für die kommenden zwei Jahre unterstützt.
Alle Umweltziele müssen gleichberechtigt nebeneinander stehen, die Klimaaspekte dürfen nicht höher gewichtet werden. Uns ist es deshalb besonders wichtig, den Schutz von Ökosystemen und die Kreislaufwirtschaft zu stärken.
NABU-Referentin Maja Rotter über eines der zentralen Anliegen
Mehr Transparenz
In den Bewertungskatalogen müssen technische Details berücksichtigt, Obergrenzen festgeschrieben und für verschiedene Industriezweige definiert werden. Allein für die beiden ersten Umweltziele umfassen diese Evaluierungs-Kriterien über 300 Seiten. Das fertige Regelwerk soll schließlich zu mehr Transparenz und damit zu einer nachhaltigeren Wirtschaft beitragen. „Wenn die Unternehmen offenlegen müssen, wie viele Umsätze sie gemäß der Taxonomie-Kriterien erzielen, werden sie versuchen, diesen Anteil zu steigern“, meint Lopatta.
Die Europäische Union oder einzelne Staaten können die Verordnung als Richtschnur für umweltfreundliche Investitionen nutzen. Konjunkturhilfen und Förderprogramme sollten an die Taxonomie-Kriterien gekoppelt werden, fordern Umweltverbände wie der NABU. So wäre sichergestellt, dass öffentliche Gelder tatsächlich im Sinne des Umwelt- und Klimaschutzes eingesetzt werden.
Derzeit wird mit Hochdruck an den Standards für nachhaltige Finanzanlagen gearbeitet. Mit Blick auf den laufenden Prozess ist Lopatta überzeugt, dass die Taxonomie wirkt. Viele Firmen würden schon jetzt Konzepte entwickeln, um nachhaltiger zu werden. Denn das könnte ihnen mittelfristig Wettbewerbsvorteile verschaffen.
aktuelles
Auch das Europaparlament hat die Aufnahme von Erdgas und Atomenergie in die EU-Taxonomie nicht gestoppt. Damit verliert das Werkzeug Glaubwürdigkeit, Finanzflüsse tatsächlich in nachhaltige Aktivitäten zu lenken. Mehr →
Eco-Label geplant
Das gilt insbesondere für Finanzdienstleister wie Banken oder Fondsgesellschaften. Laut der 2019 erlassenen Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzsektor müssen diese zukünftig darüber informieren, wie nachhaltig ihre Produkte sind. Das wiederum wirkt sich auf die Unternehmen aus, deren Wertpapiere beispielsweise in den Fonds enthalten sind. Auch für sie wird es interessanter, beim Thema Nachhaltigkeit möglichst gut abzuschneiden.
Insbesondere Fonds, die als nachhaltig oder grün vermarktet werden, müssen zukünftig anhand der Taxonomie-Kriterien bewertet werden. Das ist ein erster Schritt zu einem europaweiten Eco-Label für Finanzprodukte, wie es mittelfristig geplant ist.
Text: Ann-Kathrin Marr, Dezember 2021
DOWNLOAD
Die EU-Taxonomie ist ein zentrales Instrument zum Messen nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten. In ihren Berichten untersuchten Expert*innen des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft für den NABU Schlüsselfragen zu Biodiversität und Kreislaufwirtschaft. Mehr →
Was passiert mit dem Geld auf meinem Bankkonto oder im Aktiendepot? Fließt es in erneuerbare Energien und Biolandwirtschaft – oder eher in Rüstung, Atomkraft und grüne Gentechnik? Unabhängige Informationen helfen, sich im Finanzdschungel zurechtzufinden. Mehr →
Die EU-Kommission hat die richtigen Lehren aus der Corona-Krise gezogen und will bei der Artenkrise zügig und ambitioniert gegensteuern. Die beiden EU-Strategien zeigen einen Weg aus dem drohenden Kollaps der Artenvielfalt und müssen nun rasch umgesetzt werden. Mehr →