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Wie sollen die neuen Technologien reguliert werden?
Europäische Ebene: Neuer Gesetzesvorschlag der EU-Kommission
Am 5. Juli 2023 hat die EU-Kommission ihren Gesetzesvorschlag zur Neu-Regulierung von Pflanzen vorgestellt, die mithilfe der sogenannten Neuen Gentechniken erzeugt werden. Ein Großteil dieses Saatguts könnte demnach wie konventionell gezüchtetes behandelt werden. Vorsorgeprinzip, Risikoprüfung, Rückverfolgbarkeit und eine transparente Kennzeichnungspflicht würden für eine Vielzahl der neuen Pflanzen entfallen.
Die Folgen einer Deregulierung der sogenannten Neuen Gentechniken wären:
- Die Umwelt und Biodiversität wären unbekannten und nicht abschätzbaren Risiken ausgesetzt.
- Die gentechnikfreie konventionelle und die ökologische Landwirtschaft wären durch die Deregulierung massiv beeinträchtigt. Lasten und Kosten, um gentechnisch-veränderte Pflanzen aus den bisher gentechnikfreien Warenketten herauszuhalten, lägen allein bei den betroffenen Landwirt*innen und Verarbeiter*innen.
- Auch die Wahlfreiheit der Verbraucher*innen ist in Gefahr. Wir könnten nicht mehr selbstbestimmt entscheiden, was wir züchten, anbauen, verarbeiten und essen.
Was im Detail im Gesetzesvorschlag der EU-Kommission steht, wird in unserem Blogbeitrag ausführlich aufgeschlüsselt.
Zum BlogbeitragGemeinsames Positionspapier: Keine Deregulierung der Gentechnik
20.11.2023 - In einem Positionspapier fordern 139 Verbände und Bündnisse aus der Land- und Lebensmittelwirtschaft, dem Umwelt- und Verbraucherschutz, der Entwicklungszusammenarbeit und Jugendbewegungen die Bundesregierung und das Europäische Parlament auf, den Vorschlag der EU-Kommission zur Deregulierung von neuen Gentechnikverfahren abzulehnen.
Im Detail fordert das Bündnis:
- Vorsorgeprinzip: Die neuen Gentechniken müssen unter Wahrung des europäischen Vorsorgeprinzips und des Umwelt- und Verbraucherschutzes weiterhin umfassend reguliert werden.
- Zulassungsverfahren: Alle mit neuen gentechnischen Verfahren hergestellten Pflanzen müssen ganzheitlich auf Risiken und unbeabsichtigte Effekte geprüft werden.
- Nachweisverfahren: Unternehmen müssen gesetzlich verpflichtet werden, zu Beginn eines Zulassungsverfahrens Nachweisverfahren zu entwickeln und bereitzustellen.
- Kennzeichnungspflicht: Entlang der gesamten Wertschöpfungskette müssen gentechnisch verändertes Saatgut und daraus hergestellte Produkte gekennzeichnet werden, um eine Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten.
- Wahlfreiheit und Transparenz: Dies muss für alle Akteure entlang der gesamten Wertschöpfungskette gelten – von Züchter*innen über Landwirt*innen bis zum Einzelhandel und den Verbraucher*innen.
- Standortregister und Koexistenz-Regeln: Nur mit einem öffentlich zugänglichen Register und wirksamen EU-einheitlichen Koexistenz-Regeln können eine gentechnik-freie (Bio-)Landwirtschaft und damit verbundene Wirtschaftssektoren weiterhin bestehen.
- Patente: Patente auf Lebewesen dürfen nicht weiter erteilt werden.
- Rückholbarkeit: Die Freisetzung von GVO in die Umwelt ist eine Entscheidung, die über Generationen wirkt. Ein langfristiges Monitoring und die Überwachung der komplexen Wechselwirkungen zwischen Pflanzen mit neuen Eigenschaften und ihrer Umwelt sind unerlässlich.
Bisher ist die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen auf europäischer Ebene streng geregelt, aber dennoch nicht verboten. Die bisherige Rechtsgrundlage für die Gentechnikgesetzgebung ist die Richtlinie 2001/18/EG („Freisetzungsrichtlinie“). Sie besagt, dass alle gentechnisch veränderten Organismen dem strengen Rechtsrahmen für Gentechnik – wie zum Beispiel Sicherheitsanforderungen, Freisetzungsbeschränkungen, Rückverfolgbarkeit, Kennzeichnung, Haftung – unterliegen.
Studie der EU-Kommission
Anfang Mai 2021 veröffentlichte die EU-Kommission ihre Studie zu den Neuen Gentechniken. Die Autor*innen kommen zu dem Schluss, dass das strenge, auf dem Vorsorgeprinzip basierende, europäische Gentechnikrecht gelockert werden müsse.
Zwar verweist die EU-Kommission auf die Risiken der Neuen Gentechnik und stellt die Bedenken von Gentechnik-Gegner*innen dar. Dennoch werden die Versprechen der Agrarindustrie als potenzielle Chancen bekräftigt: Gentechnisch-veränderte Pflanzen seien gut für den Klimaschutz und Nachhaltigkeit, trügen zur Verbesserung ernährungsphysiologischer Eigenschaften bei und führten insgesamt zu schnelleren Züchtungserfolgen. Auf diese Weise könnten sie einen wichtigen Beitrag zum Gelingen des EU Green Deals leisten. Auch bezieht sich die Studie auf ein Gutachten der EU-Lebensmittelbehörde EFSA, das besagt, dass Eingriffe ins Erbgut, bei denen Punktmutationen erzeugt oder nur Gene einer Art übertragen werden, ebenso sicher wie die herkömmliche Züchtung seien.
Darauf aufbauend argumentiert die Kommission, dass die strikten Anforderungen, die das Gentechnikrecht für die Risikoabschätzung definiert, an die mit den neuen Technologien hergestellten Produkten nicht gerechtfertigt seien. Aktuell werden gentechnisch modifizierte Organismen nach den strengen Vorschriften des EU-Gentechnikrechts reguliert.
Wir fordern, dass sich die deutsche Bundesregierung in Brüssel für Wahlfreiheit, Verbraucherschutz und die Anwendung des Vorsorgeprinzips starkmacht und auf der strikten Regulierung von alter und neuer Gentechnik besteht.
Das Vorsorgeprinzip: wichtige Leitplanke von Natur- und Umweltschutz
Wenn Schäden für die Umwelt bereits eingetreten sind, kann man nur noch versuchen, den Schaden durch Nachsorgemaßnahmen zu beseitigen oder zu begrenzen. Eindrückliche Beispiele stellen in diesem Zusammenhang das seit den 40er Jahren verwendete Insektizid DDT, der Betrieb von Atomkraftwerken wie Tschernobyl oder Fukushima oder die Verwendung von FCKW als Kühlmittel dar. Bei all diesen Anwendungen wurden maßgebliche Schäden an der Biodiversität, der Ozonschicht und zuletzt auch an der menschlichen Gesundheit festgestellt.
Sind Schäden für die Umwelt absehbar, sollte verhindert werden, dass sie überhaupt eintreten. Das Vorsorgeprinzip geht dabei noch einen Schritt weiter: Es soll verhindern, dass Gefahren für die Umwelt überhaupt erst entstehen, indem vorausschauend gehandelt wird. Die Vorsorge gilt als eines der Hauptprinzipien des deutschen Umweltrechts.
Das Vorsorgeprinzip basiert dabei auf zwei Grundpfeilern: der Risikovorsorge und der Ressourcensicherheit:
- Risikovorsorge bedeutet, dass wir bei unvollständigem oder unsicherem Wissen über Art, Ausmaß, Rückholbarkeit sowie Eintrittswahrscheinlichkeit von Umweltschäden und -gefahren vorbeugend handeln müssen, um diese von vornherein zu vermeiden.
- Ressourcensicherheit meint, dass wir mit den natürlichen Ressourcen wie Wasser, Boden und Luft schonend umgehen, um sie langfristig zu sichern und im Interesse künftiger Generationen zu erhalten.
Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) ist mit dem Vorsorgeprinzip nicht vereinbar. Denn lebende und vermehrungsfähige Organismen lassen sich aus der Natur nicht mehr einfach entfernen. Viele unbeabsichtigte Effekte der GVOs können auf die Biodiversität wirken. Daher sollten als Konsequenz des Vorsorgeprinzips gentechnisch veränderte Organismen erst dann in die Natur freigesetzt werden dürfen, wenn sie sorgfältig und kritisch geprüft wurden und langfristig mit einem Monitoring begleitet werden können.
Deutsche Ebene: Neue Gentechniken in den Bundesministerien
Ende April 2021 veröffentlichte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) seine Position zu Gentechnik in der Landwirtschaft. Darin wird betont, dass unabhängige Risikoforschung, einheitliche Nachweisverfahren und Kennzeichnungspflichten unabdingbar seien, um die Risiken neuer Gentechniken in der Landwirtschaft für Umwelt, Wirtschaft und Gesundheit einzudämmen sowie die Wahlfreiheit der Verbraucher*innen zu wahren. Der NABU begrüßt diese klare Haltung des BMU, das sich somit auch für eine stärkere nationale und europäische Positionierung zur Gentechnik einsetzt.
Jedoch ist bei der Gentechnikgesetzgebung das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) federführend und es verfolgt eine gänzlich andere Herangehensweise: Das fängt bereits bei der Wortwahl an. Das BMEL spricht nicht von Gentechnik, sondern von „neuen molekularbiologischen Techniken“. Deren Vorteile sollten in der Pflanzenzucht für klima- und schädlingsresistente Pflanzen durch eine „differenziertere, liberalere Handhabung der Zulassung durch den europäischen Gesetzgeber und die europäischen Gerichte“ genutzt werden. Diese Ansichten spiegeln sich auch in der BMEL Ackerbaustrategie 2035 wider. Dort fordert das BMEL die Anwendung „neuer molekularbiologischer Züchtungstechniken“, um landwirtschaftlich genutzte Kulturarten ressourceneffizienter, resistenter oder toleranter gegenüber Schädlingen oder Wetterextremen zu machen. Die neuen Züchtungstechnologien würden im Rahmen des EU-Gentechnikrechtes „restriktiv“ behandelt werden. Daher sei eine Anpassung der europäischen Vorgaben erforderlich, um eine „rechtssichere“ Anwendung von CRISPR/Cas in Europa umzusetzen. Hierfür will das BMEL „politische Gestaltungsoptionen“ entwickeln. Die Formulierungen erwecken den Anschein, dass sich das BMEL für eine Deregulierung bei den neuen Gentechnologien einsetzt.
Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) spricht sich in seiner im November 2020 erschienenen FONA-Strategie „Forschung für Nachhaltigkeit“ dafür aus, bestehende Agrar- und Ernährungssysteme weiterzuentwickeln. Zukunftstechnologien wie die Genom-Editierung stellen nach Ansicht des BMBF wichtige Treiber der modernen Pflanzenzüchtungsforschung dar.
Naturbewusstseinsstudie: Was meint die Bevölkerung?
All diesen politischen Strategien steht die 2019 veröffentlichte Naturbewusstseinsstudie des BMU entgegen. Dabei wurde eine Stichprobe von 2.044 Personen aus der deutschsprachigen Wohnbevölkerung im Alter ab 18 Jahren befragt.
Die Studie ist in ihrer Aussagekraft für ganz Deutschland repräsentativ und bezieht Menschen aus allen Regionen und sozialen Lagen Deutschlands ein. Dabei gaben 81 Prozent der Befragten an, hinter einem Verbot des Einsatzes gentechnisch veränderter Organismen in der Landwirtschaft zu stehen. Zudem bezweifelten 90 Prozent, dass „die langfristigen Folgen neuer gentechnischer Verfahren aktuell abzusehen sind“. Außerdem sprachen sich 84 Prozent der Befragten dafür aus, dass der Mensch kein Recht besäße, Pflanzen und Tiere gezielt gentechnisch zu verändern. Diese Ergebnisse dürfen bei der Umsetzung weiterer politischer Maßnahmen nicht außer Acht gelassen werden.
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