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Jetzt NABU-Mitglied werden!Politische Rahmenbedingungen der Bioökonomie
Blinde Flecken und fehlender Mut
Bioökonomie ist ein auf nachwachsenden Rohstoffen basierendes Wirtschaftssystem. Als Rohstoffe können dabei nicht nur Pflanzen, Holz und Nutztiere eingesetzt werden – sondern auch organische Reststoffe, Mikroorganismen, Algen oder Insekten. Langfristig soll ein Großteil der weltweit verwendeten fossilen Rohstoffe wie Kohle, Erdöl und Erdgas durch nachwachsende Rohstoffe ersetzt werden. Denn: Die Nutzung fossiler Ressourcen ist nicht nur für die zunehmende Umweltverschmutzung und den Verlust an biologischer Vielfalt, sondern auch für den Ausstoß von klimaschädlichen CO2-Emissionen verantwortlich.
Politische Strategien
Politisch wird die bioökonomische Transformation auf verschiedenen Ebenen begleitet:
Die Europäische Bioökonomie-Strategie
Die Europäische Kommission veröffentlichte im Jahr 2018 einen umfassenden Aktionsplan für die Umsetzung einer nachhaltigen und kreislauforientierten Bioökonomie in den Mitgliedsstaaten. Darin werden neue Impulse für die Gestaltung der Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt gesetzt. Im Mittelpunkt steht die grüne Transformation: Sie umfasst eine ökonomisch sinnvolle und ökologisch tragfähige Neuausrichtung der Wirtschaft und Gesellschaft sowie einen Systemwechsel bei der Produktion und dem Verbrauch von Ressourcen.
Das übergeordnete Ziel der neuen Strategie ist klar formuliert: Die Bioökonomie soll einen messbaren Beitrag zum Klimaschutz und der nachhaltigen Entwicklung in Europa leisten. Die Europäische Union stellt dafür verschiedene finanzielle Mittel und Förderinstrumente bereit, um auf diese Weise biobasierte Sektoren zu stärken, transdisziplinäre Forschung und Innovationen voranzutreiben, neue Märkte zu erschließen sowie das bestehende Wissen zum aktuellen Zustand und der Widerstandsfähigkeit verschiedener Ökosysteme stetig zu erweitern. Um die spezifischen Rohstoffpotentiale der Mitgliedsstaaten umfassend nutzen zu können, sollen lokale Bioökonomien in ganz Europa etabliert werden.
Die Europäische Kommission identifiziert dafür drei zentrale Handlungsfelder, denen zielführende Politikmaßnahmen untergeordnet sind:
- Ausbau und Stärkung der biobasierten Wirtschaft in Europa
- Regionale und lokale Bioökonomien ausbauen
- Die ökologischen Grenzen der Bioökonomie erkennen
Nationale Bioökonomie-Strategie
Auch die deutsche Bundesregierung verabschiedete Anfang des Jahres 2020 ihre eigene (überarbeitete) Nationale Bioökonomiestrategie. Sie verspricht, dass das Konzept der Bioökonomie es zukünftig ermöglicht, Ressourcen zu schonen, nachhaltig zu leben und gleichzeitig den Wohlstand zu sichern. Gelingen soll dies mit der Erweiterung des biologischen Wissens und mit massiven Investitionen in zukunftsfähige und grüne Technologien, vor allem in den Bereichen der Biotechnologie, Gentechnik und Digitalisierung.
Deutschland soll dabei eine Vorreiterrolle als Wissenschafts- und Innovationsstandort einnehmen. Auch werden verstärkt Nachhaltigkeitsaspekte adressiert, die vor allem die standortspezifischen, ökologischen Wechselwirkungen in den Bereichen der Land- und Forstwirtschaft betreffen und somit das biobasierte Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen ermöglichen sollen. Darüber hinaus wird in der Strategie auch auf den Suffizienzgedanken und das Vorsorgeprinzip verwiesen, um die verantwortungsbewusste und zukunftsfähige Umsetzung bioökonomischer Innovationen gewährleisten zu können.
Die Umsetzung der Strategie soll ein im Dezember 2020 für drei Jahre einberufener Bioökonomierat begleiten. Das unabhängige und ehrenamtlich-tätige Gremium besteht aus 20 Wissenschaftler*innen und Verbandsvertreter*innen. Der NABU unterzeichnete gemeinsam mit 14 weiteren Umwelt- und Entwicklungsorganisationen ein vom Aktionsforum Bioökonomie erarbeitetes Impulspapier, das sich an die Mitglieder richtet: Der Bioökonomierat sollte sich demnach für eindeutige politische Rahmenbedingungen und Leitplanken engagieren, innerhalb derer die Bioökonomie nachhaltig gestaltet werden kann.
Die Bioökonomie-Strategien der Bundesländer
Neben der Nationalen Bioökonomie-Strategie spielt auch die Politik der einzelnen Bundesländer für die bioökonomische Transformation eine wichtige Rolle. Durch das föderale System in Deutschland verfügen einige Bundesländer bereits über eigene politische Strategien und Fördermaßnahmen zur Umsetzung der Bioökonomie. Dabei setzen sie verschiedene Schwerpunkte, die je nach der regionalen Ressourcenverfügbarkeit, der landeseigenen Industrie- und Forschungsschwerpunkte sowie dem Vorhandensein entsprechender Cluster und Netzwerke variieren.
Zu den Voreitern zählen Bayern, Nordrhein-Westfahlen, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Hessen. Bundesländer wie Schleswig Holstein, Mecklenburg Vorpommern, Brandenburg oder Rheinland Pfalz verfügen zwar über ein großes Biomassepotential, haben aber bisher keine spezifische Strategie verabschiedet.
Politische Herausforderungen
Doch statt sich mutig den großen Herausforderungen wie dem Klimawandel, der Energiewende und dem Verlust an Biodiversität zu stellen und mit neuen, transdisziplinären Allianzen einen gesellschaftlichen Wandel zur Nachhaltigkeit voranzutreiben, scheint in den aktuellen Bioökonomie-Strategien überall die Hoffnung durch, mit noch mehr Technologien ließen sich die nicht intendierten Nebenfolgen unserer Industrie- und Konsumgesellschaft begrenzen.
Die Bundesregierung und die an der Strategie beteiligten Ministerien BMBF und BMEL drücken sich um die Erkenntnis herum, dass nur ein grundsätzliches Umdenken das biobasierte Wirtschaften in den planetaren Grenzen ermöglicht. Dazu gehört die Definition von Wohlstand, die mehr ist als wirtschaftliche Prosperität. Darüberhinaus bleibt die Frage unbeantwortet, ob ein auf nachwachsenden Ressourcen basierendes Wirtschaftssystem angesichts begrenzter Flächenverfügbarkeiten im Ernst eine Alternative für eine wesentlich energiedichtere fossile Rohstoffbasis sein kann, die sich über Jahrmillionen akkumuliert hat. Das klare Ziel aller Innovationen ist das Wirtschaftswachstum. Eine Diskussion darüber, wie denn eine Bioökonomie in den planetaren Grenzen bei steigendem Konsum überhaupt gelingen kann, steht nicht zur Debatte.
Doch eines ist schon heute sicher: Der wachsende Land- und Wasserbedarf, der Ausstoß von CO2-Emissionen und der voranschreitende Biodiversitätsverlust wird zu Zielkonflikten führen. Vor allem dann, wenn wir vermehrt fossile Ressourcen mit biologischen ersetzen wollen, ohne die Landwirtschaft umweltgerechter zu gestalten. Schon heute ist sie der Haupttreiber für eine Vielzahl ökologischer Probleme und eine Umkehr der eingetretenen Pfade lässt sich nicht erkennen. Dies wird sich mit dem Vorantreiben der Bioökonomie noch weiter verschärfen.
Doch eine Antwort auf den Umgang mit absehbaren Konflikten bleibt die Nationale Bioökonomiestrategie bislang schuldig. Stattdessen setzt die Forschungspolitik auf das Narrativ, dass massive Investitionen in Technologien wie Digitalisierung, Biologisierung, Gentechnik und intensive Landnutzungskonzepte eine verzichtfreie Transformation ermöglichen. Sozialwissenschaften und nachsorgender Dialog sollen dabei die Akzeptanz absichern.
Was fehlt, ist eine kritische Reflexion mit der Gesellschaft über zukunftsfähige Lebensstile und Konsummuster. Anstatt einen unverbindlichen „gesellschaftlichen Dialog“ anzubieten, sollte es eine partizipative Technikfolgenabschätzung und eine gleichberechtigte Einbindung gesellschaftlicher Vertreter*innen in die Expertengremien geben, denn in der Bioökonomie diskutieren wir normative Fragen. Gerade wenn es darum geht, eine mögliche Zukunft zu entwerfen, alternative Umsetzungswege zu beschreiben sowie deren Bedingungen und Folgen zu analysieren, ist die partizipative Technikfolgenabschätzung unverzichtbar. Problemorientierung und Offenheit für alternative ökonomische, ökologische und institutionelle Innovationen sind die Grundvoraussetzungen, um den Herausforderungen für unsere gemeinsame Zukunft in den planetaren Grenzen zu begegnen.
Fest steht: Der Aufbau einer biobasierten Wirtschaft und die Transformation zu einer nachhaltigeren Gesellschaft muss von einer breiten Diskussion begleitet werden. Dabei gilt es, die Vertreter von Menschenrechten, des Umwelt- und Naturschutzes in den Diskurs mit einzubeziehen sowie die Expertise der Zivilgesellschaft für eine Korrektur der blinden Flecken in den Strategien und Förderprogrammen zu nutzen. Vor diesem Hintergrund engagiert sich der NABU bereits in dem vom BfN-geförderten Projekt Bürgerdialog Bioökonomie.
mehr zum BürgerdialogEinfach erklärt, ist Bioökonomie ein auf nachwachsenden Rohstoffen basierendes Wirtschaftssystem. Als Rohstoffe können dabei nicht nur Pflanzen, Holz und Nutztiere eingesetzt werden – sondern auch organische Reststoffe, Mikroorganismen, Algen oder Insekten. Mehr →
Das Konzept der Planetaren Grenzen trifft Aussagen über die Erdgesundheit und die Lebensgrundlagen der Menschheit. Neun globale Prozesse bestimmen dabei die Widerstandskraft und die Belastungsgrenzen des Planeten. Mehr →