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Jetzt informieren!„Das ist die Klimakrise“
Interview mit TV-Meteorologe und Wissenschaftsjournalist Karsten Schwanke
NABU: Die Meldungen der vergangenen Tage haben viele von uns erschreckt: orkanartiger Starkregen in Deutschland und der Schweiz. Rekordtemperaturen von 48 Grad in Italien. Auf Rhodos, in Algerien und Tunesien wüten Waldbrände mit Dutzenden Toten. Welches Wetterphänomen betrachtest du als Meteorologe aktuell mit dem größten wissenschaftlichen Interesse – und welches mit der größten Sorge?
Karsten Schwanke: Ich schaue zurzeit vor allem auf die weltweiten Wassertemperaturen in den Ozeanen. Das, was wir da gerade erleben, ist absolut außergewöhnlich. Alle, die sich mit dem Thema beschäftigen, haben sich im Frühjahr auf den südlichen Pazifik gestürzt, weil sich ein neuer El Niño anbahnte. Die Wassertemperaturen vor Südamerika steigen seit einigen Monaten. Doch nun haben wir nicht nur einen zu warmen südlichen Pazifik, sondern ebenfalls einen zu warmen nördlichen Pazifik und zum Erstaunen aller: einen viel zu warmen Nordatlantik. Mit Temperaturen, die es so noch nie gab.
Warum wir das zurzeit erleben und wo die Reise noch hingeht – keine Ahnung. Da gibt es aufgrund der rasanten weltweiten Erwärmung anscheinend Mechanismen im System Ozean-Atmosphäre, die noch nicht richtig verstanden sind. Aber das wird natürlich Auswirkungen auf das Wetter und die Temperaturen an Land haben. Eine Folge sehen wir auf der Südhalbkugel: Die Meereisbedeckung rund um die Antarktis hat historische Tiefststände erreicht.
Karsten, ist das noch Wetter oder Klimakrise?
Das ist die Klimakrise – und zwar ganz deutlich. Spätestens seit den 1990er Jahren haben wir uns weltweit aus dem Normalwetter des letzten Jahrhunderts herauskatapultiert. Das heißt, das, was wir jetzt erleben, ist nicht mehr mit „natürlicher Variabilität“ zu erklären.
Das ist aber auch nicht das neue Normal, an das wir uns gewöhnen könnten. Denn wir bleiben mit den Treibhausgasemissionen nicht stehen. In fünf, in zehn, in zwanzig Jahren werden wir wieder neue Auswirkungen sehen. Noch mehr Hitze, noch mehr Starkregen, noch mehr noch nie da gewesene Auswirkungen der Klimakrise.
Erwarten uns in Deutschland künftig ähnliche Szenarien wie im Mittelmeerraum?
In Europa – das zeigen uns die Klimamodelle – werden sich die Klimazonen, so, wie wir sie kennen, nach Norden verschieben. Die Sahara dehnt sich nach Norden aus in Richtung Südeuropa und wir bekommen immer häufiger das Wetter, das es früher am Mittelmeer gab: heiße und eher trockene Sommer, durchsetzt mit Starkregenereignissen, und milde, regenreiche Winter auf der anderen Seite.
Inwiefern ist der aktuelle Starkregen Folge der Klimakrise? Welche Rolle spielt die Erwärmung der Luft?
Wir erleben genau das, was im Zusammenhang mit der weltweiten Erwärmung zu erwarten ist: Eine wärmere Atmosphäre kann mehr Wasserdampf speichern. Die gleiche Wetterlage kann heute also mehr Regen produzieren als vor 50 Jahren.
Mehr Wasserdampf bedeutet aber auch mehr Energie in der Atmosphäre. Und damit werden die Gewitterwolken mächtiger, die Hagelkörner dicker und die Sturmböen extremer. Wir messen zum Beispiel auch, dass der Energiegehalt tropischer Wirbelstürme zunimmt, sie werden zerstörerischer. Ob sie häufiger auftreten, wissen wir hingegen nicht.
Wie geht es dir eigentlich, wenn du als Wetterexperte und Wissenschaftler die aktuellen Bilder siehst und einordnen musst?
Es passiert mir immer öfter, dass ich vor Staunen den Mund nicht mehr zubekomme. Obwohl wir seit langer Zeit wissen, dass es so kommen wird, bin ich dann doch sprachlos, wenn man die Geschwindigkeit sieht, mit der die Rekorde purzeln und neue Extreme auftreten. Es passiert deutlich schneller und intensiver als ich das erwartet hätte.
Wetterberichten wird oft nachgesagt, falsch zu liegen. Ist die Entwicklung der Klimakrise besser vorhersagbar?
Wir versuchen auf der einen Seite, das Wetter der nächsten Tage vorherzusagen. Das gelingt uns mit der Grundwetterlage durchaus schon für die nächsten sieben bis zehn Tage, bei Gewittern manchmal nicht sechs Stunden im Voraus. Das Klima der nächsten Jahrzehnte soll aber gar nicht in vergleichbarer Art und Weise „vorhergesagt" werden.
Niemand weiß, wie sich die Menschheit sozial, ökonomisch und politisch weiterentwickelt. Das sind aber ganz entscheidende Randbedingungen. Daher werden verschiedene Szenarien durchgerechnet, bei denen es darum geht, die großen Leitplanken zu verstehen, innerhalb derer sich das Wetter der nächsten Jahrzehnte entwickelt. Also: Wie ändert sich – bei einem bestimmten CO₂-Ausstoß – die weltweite Temperatur? Was würde dann mit den Niederschlägen passieren? Und im besten Fall: Wie sehen dann die Auswirkungen für ein einzelnes Land wie Deutschland aus? Da kommen wir aber schon an die Grenzen der Vorhersagbarkeit.
Gibt es eine Art von „guten“ Wetterphänomenen, die durch die Klimakrise bei uns in Europa wahrscheinlicher werden oder häufiger auftreten können?
Nein. Ganz wichtig zu verstehen ist: Die Geschwindigkeit der Veränderung des Klimas ist das Hauptmerkmal und gleichzeitig das Hauptproblem dieser Klimakrise. Wenn wir uns jetzt darüber freuen, dass wir zum Beispiel Rebsorten in Deutschland anpflanzen könnten, die eigentlich in Südfrankreich gedeihen, wird diese Feststellung in 20 Jahren nicht mehr stimmen, weil sich das Klima schon wieder weiterentwickelt haben wird. Oder wenn wir uns darüber freuen, dass es im Frühling in den letzten Jahren immer sonniger geworden ist, kann auch das in Zukunft zu einem Problem werden – zum Beispiel für die Landwirtschaft.
Es wird für uns immer schwieriger, dass wir uns auf eine bestimmte Klimazone einstellen und entsprechend anpassen können, mit der wir dann ganz gut klar kämen. Wir werden im Gegenteil immer wieder mit neuen Bedingungen konfrontiert werden und werden Mühe haben, damit klarzukommen.
Immer wieder gibt es Ideen, das Wetter zu beeinflussen, um das Klima zu schützen. Siehst du da sinnvolle Ansätze für die Zukunft?
Das halte ich für sehr gefährlich, weil niemand die komplexen Folgen wirklich abschätzen kann. Das ist aus meiner Sicht ein Spiel mit dem Feuer.
Wie begegnest du Menschen, die die Klimakrise leugnen?
Es gibt Menschen, die haben Zweifel, sie haben Fragen und sie haben Ängste. Das kann ich gut verstehen und das nehme ich auch ernst. Wenn ein Gespräch möglich ist, kann man sich oft sehr gut austauschen und voneinander lernen. Und die meisten Menschen sind interessiert, sie hören zu und nehmen das auch an.
Was entgegnest du Menschen, die sagen: „Aber China hat doch den größten Einfluss, was können wir schon bewirken?“
Ich verstehe in diesem Argument den innigen Wunsch, dass doch möglichst alle anderen, aber nicht wir uns ändern sollen. Aber so funktioniert die Welt nicht. Wir haben nach wie vor einen extrem hohen Pro-Kopf-Ausstoß an Treibhausgasen und haben eine noch viel größere historische Verantwortung. Denn die Erwärmung, die wir heute in der Atmosphäre messen, kommt zu einem Großteil aus dem alten Europa.
Wir haben aber auf der anderen Seite auch die Lösungen in der Hand. Ich bin überzeugt davon, dass die Länder, die als Erstes zeigen, wie eine Volkswirtschaft umgestaltet werden kann, sich damit auch wirtschaftlich an die Weltspitze katapultieren. Klimaschutz ist wichtig – auch für den Erhalt von Arbeitsplätzen in Deutschland.
Dieses Interview führten wir am 27. Juli 2023.
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