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Freiwillige Gutschriften auf Treibhausgase: was sie bringen, wem sie nützen
Per Flugzeug für ein Wochenende nach Paris, ohne dem Klima zu schaden. – Geht nicht? Glaubt man den Angaben vieler Fluganbieter, lässt sich der Ausstoß an schädlichen Treibhausgasen ganz einfach kompensieren. Für den Flug von Frankfurt nach Paris, hin und zurück, zahlt man gerade mal zehn Euro, und die Wirkung aufs Klima ist ausgeglichen. Das lässt sich auf der Website der gemeinnützigen GmbH atmosfair errechnen. Bei der Mitbewerberin myclimate kann man den Wochenendtrip sogar schon ab sechs Euro kompensieren. Atmosfair und myclimate sind zwei von zahlreichen Organisationen, die Gutschriften zum Ausgleich klimaschädlicher Emissionen anbieten.
Geld für Klimaprojekte
Das nutzen vor allem Unternehmen, vom Versicherungskonzern bis zum Discounter, aber auch viele Endverbraucher*innen. Die Idee: Verursacher*innen zahlen einen bestimmten Betrag, der in ein Klimaschutzprojekt fließt und den Treibhausgas-Ausstoß dort um die entsprechende Menge mindern soll. Dabei werden die Treibhausgase in CO2-Äquivalenten angegeben. Die Klimawirksamkeit von Gasen wie Methan oder Lachgas wird also mit Kohlendioxid (CO2) verglichen und entsprechend umgerechnet. Ausgleichen lässt sich praktisch alles, was Emissionen verursacht: Ein privater Flug ebenso wie die Herstellung eines Produktes oder Dienstfahrten in einem Unternehmen.
Auch bei den Klimaprojekten gibt es eine breite Auswahl. Besonders beliebt sind nach Informationen des Umweltbundesamtes (UBA) erneuerbare Energien, beispielsweise in Wind- oder Solarparks. Land- und Forstwirtschaftliche Projekte sind ebenfalls verbreitet. CO2 wird hier beispielsweise in Wäldern gebunden oder Kohlenstoff durch schonenden Ackerbau im Boden gespeichert.
Unsichere Qualität
Ganz unproblematisch ist die freiwillige CO2-Kompensation nicht. „Firmen können sich durch den Kauf von Zertifikaten ein grünes Image verschaffen, ohne im eigenen Unternehmen viel für den Klimaschutz zu tun“, sagt Stefanie Geib, Referentin für Klimaschutzberatung beim NABU. „Bei den Verbraucher*innen entsteht mitunter der Eindruck, dass Flugreisen oder übermäßiger Konsum gar kein Problem sind, weil sich die entstehenden Treibhausgase vermeintlich ausgleichen lassen.“ Zuerst müsse es darum gehen, Treibhausgase zu vermeiden und wo das nicht möglich ist, die verbleibenden Emissionen durch effiziente Technik zu mindern. „Zertifikate sind immer nur die drittbeste Lösung“, so Geib.
Ein weiterer Kritikpunkt: Die Qualität der Zertifikate wird nicht ausreichend geprüft. Oft ist fraglich, ob die entsprechende CO2-Menge in den Projekten tatsächlich eingespart wird. Verpflichtende Standards für die freiwillige Emissionsminderung gibt es nicht. „Das ist ein weitgehend unregulierter Markt“, sagt Denis Machnik, der im Berliner Think-Tank adelphi zu Treibhausgasminderung und marktbasierten Mechanismen im Klimaschutz arbeitet. Allerdings haben sich mehrere freiwillige Standards etabliert. Internationale Klimaschutzprojekte werden oft nach dem Clean Development Mechansim (CDM) bewertet, dem Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung der Vereinten Nationen (UN). Daneben gibt es internationale Standards anderer Anbieter, wie den Verified Carbon Standard (VCS) oder den Gold-Standard. Hinzu kommen nationale Standards und Initiativen.
Gutschriften und Handel – wo ist der Unterschied?
Emissionsgutschriften aus Klimaschutzprojekten können Unternehmen oder Verbraucher*innen erwerben, die freiwillig ihren Treibhausgas-Ausstoß kompensieren wollen. Verursachten Emissionen sollen an anderer Stelle im gleichen Umfang gemindert werden.
Emissionshandelssysteme wie das Europäische Emissionshandelssystem (EU-ETS) sind dagegen für bestimmte Branchen verpflichtend. Die EU hat für große Kraftwerke, energieintensive Industrieanlagen und den innereuropäischen Luftverkehr Emissionsobergrenzen festgelegt. Unternehmen aus diesen Bereichen erhalten Emissionsberechtigungen oder können sie ersteigern.
Weil die Berechtigungen auf dem Markt frei gehandelt werden, schwankt ihr Preis je nach Angebot und Nachfrage. Ergänzend zum europäischen System gibt es in Deutschland seit Anfang 2021 das nationales Emissionshandelssystem (nEHS). Es gilt für die Sektoren Wärme und Verkehr.
Emissionsberechtigungen zur freiwilligen Kompensation: Dieses Modell ist bisher kaum bekannt. Klimabewusste Unternehmen oder Verbraucher*innen können Berechtigungen aus dem EU-ETS erwerben und löschen. Damit sinkt theoretisch die Obergrenze für den CO2-Ausstoß.
Doch es gibt einen Haken: Die Marktstabilitätsreserve kann die Gesamtmenge der erlaubten Emissionen im EU-ETS verändern. „Je nachdem, wann Sie das Zertifikat kaufen und wann Sie es löschen, können Sie nicht sicher sein, dass die Maßnahme zu einer Emissionsminderung geführt hat“, sagt Baran Doda vom Think-Tank adelphi und Mitautor einer Studie zu dem Thema. Das Problem lässt sich umgehen, wenn die Emissionsberechtigungen nicht gelöscht, aber niemals weiterverkauft werden. Einige Vermittler versprechen das. Ob sie ihre Zusage halten, wird sich wohl erst zeigen, wenn die Preise für Emissionsberechtigungen in den nächsten Jahren deutlich ansteigen.
Interview: „Weltweite Emissionen zu steuern, ist kompliziert“
Denis Machnik vom Think-Tank adelphi erklärt, worauf es bei der freiwilligen CO2-Kompensation ankommt und wie Standards entstehen.
Wer freiwillig CO2 kompensieren will, hat die Wahl zwischen unzähligen Anbietern und Projekten. Wie trifft man die beste Entscheidung?
Viele Anbieter lassen ihre Projekte nach freiwilligen Standards zertifizieren. Das ist schonmal ein guter Anhaltspunkt. Ich persönlich würde ein Projekt wählen, dass doppelt zertifiziert ist, zum einen nach dem CDM, dem Standard der UN, und zusätzlich zum Beispiel nach dem Gold Standard. Außerdem wäre ich bei allzu günstigen Zertifikaten vorsichtig.
Gibt es so etwas wie eine Dachzertifizierung für alle verfügbaren Standards?
Noch nicht, aber der Integry Council for the Voluntary Carbon Market (ICVCN) arbeitet daran. Das ist ein Zusammenschluss unterschiedlicher Akteure auf dem Kohlenstoffmarkt, unterstützt von Stiftungen, Verbänden und Nichtregierungsorganisationen. Das Council hat Kernkriterien für standardgebende Organisationen definiert. Die Organisationen, die die Standards des freiwilligen Marktes anbieten, konnten dazu Stellung nehmen. Nun werden die Kriterien überarbeitet, was voraussichtlich bis Ende 2023 dauern wird.
Derzeit werden Emissionsgutschriften oft doppelt gezählt. Das Land, in dem das Projekt stattfindet, rechnet sich die CO2-Ersparnis in der Regel auch auf seine nationalen Klimaziele an. Wie lässt sich das vermeiden?
Zukünftig sollen unter dem neuen UN-Artikel-6-Mechanismus, dem Nachfolger des CDM, zwei Zertifikate generiert werden. Bei dem einen ist eine Doppelzählung weiterhin möglich, bei dem zweiten ist sie ausgeschlossen. Diese Zertifikate werden von dem entsprechenden Land autorisiert, dass sich die CO2-Ersparnis dann nicht mehr selbst anrechnen darf. Bestehende Projekte, die nach dem CDM zertifiziert wurden, können teilweise in diesen Standard überführt werden. Das wird bis weit ins Jahr 2024 hinein dauern. Für den freiwilligen Markt sind diese autorisierten Zertifikate nicht verpflichtend. Ich hoffe aber, dass der öffentliche Druck groß genug ist und sie sich etablieren.
Die Mühlen mahlen also langsam, wenn es um bessere Standards geht?
Ja, aber die Probleme sind auch nicht gerade klein. Weltweit Emissionen zu steuern, ist kompliziert. Es gibt verschiedene nationale Level, es gibt die UN-Ebene. Da braucht es viel Abstimmung und gut durchdachte Lösungen.
Auch wenn sich die Vorgaben im Detail unterscheiden, einige grundlegende Prinzipien finden sich bei allen etablierten Standards. So müssen Projekte beispielsweise zusätzlich entstehen. Es kommen also nur Vorhaben infrage, die der Staat, ein Unternehmen oder eine andere Institution nicht ohnehin durchgeführt hätte. „Anbieter argumentieren oft, ein Projekt rechne sich nur mit den Mehreinnahmen aus den Gutschriften“, erklärt Machnik. Bei vielen Vorhaben erscheint das allerdings fragwürdig. Gemessen an den Investitionskosten für einen Wind- oder Solarpark sind die Einnahmen aus der freiwilligen CO2-Kompensation gering. „Die Zusätzlichkeitsprüfung ist nicht streng genug, das gilt für alle Standards“, kritisiert Machnik.
Wie wird gerechnet?
Ein weiteres Problem: Wie viele Emissionen ein Projekt tatsächlich einspart, lässt sich nur schwer berechnen, da viele Annahmen getroffen werden müssen. Wie hoch wären die Emissionen ohne das Projekt? Welche Verlagerungseffekte gibt es? „Bei den verwendeten Berechnungsmethoden sehen wir große Unterschiede“, sagt Lambert Schneider, Forschungskoordinator für internationale Klimapolitik beim Öko-Institut.
Im Rahmen der „Carbon Credit Quality Initiative“ hat das Öko-Institut zusammen mit Partnern einen Vergleichsrechner für verschiedene Arten von Zertifikaten entwickelt. Schneider beobachtet, dass die Emissionseinsparungen in manchen Vorhaben massiv überschätzt, in einigen aber auch zu niedrig angesetzt werden. Stärken und Schwächen sieht er bei allen gängigen Standards: „Einige Systeme haben eine strengere Zusätzlichkeitsprüfung, schneiden bei der Permanenz aber schlechter ab und umgekehrt.“
Klima-Zertifikate: 90 Prozent „heiße Luft“?
Mit Zertifikaten zur Klimakompensation werden inzwischen jährlich Milliarden Euro umgesetzt. Ein Projektschwerpunkt sind die tropischen Regenwälder von Südamerika bis Südostasien. Dabei geht es neben Aufforstung auch um den Schutz bestehender Wälder vor Abholzung. Waldbesitzer*innen erhalten also Geld dafür, dass sie die Bäume stehen lassen.
Der Klimanutzen berechnet sich aus der Kohlendioxidbindung in den Schutzgebieten im Vergleich zu den ungeschützten Wäldern der Umgebung. Doch wie groß ist der Unterschied tatsächlich? Der Wert vieler Schutzgebiete für Natur und Artenvielfalt ist unbestritten. Studien legen jedoch nahe, dass der Klimanutzen oft zu hoch angesetzt wird. Das liegt nicht an den Schutzgebieten, sondern an den zu pessimistischen Prognosen zur Entwaldung ungeschützter Flächen.
Die US-Firma Verra gilt als weltgrößter Zertifizierer. Zu Verras Kunden gehören Konzerne wie Shell, EasyJet, Gucci oder Disney. Ein Rechercheteam der Wochenzeitung „Die Zeit“, des britischen „Guardian“ und der Organisation SourceMaterial hat die Projekte von Verra unter die Lupe genommen und kommt zu dem Schluss, dass die meisten kaum oder gar keinen zusätzlichen Klimanutzen bieten. 90 Prozent der Regenwald-Klimazertifikate seien wertlos, heißt es. (elg)
Ein anderer Weg: Der NABU-Klimafonds
Um weniger Emissionen geht es auch beim NABU-Klimafonds. Moorflächen sollen wiedervernässt werden und so einen positiven Beitrag zum Klima- und Artenschutz leisten. Partner des 2021 gegründeten Fonds ist die REWE-Gruppe, die über fünf Jahre insgesamt 25 Millionen Euro einzahlt. Weitere Unternehmen könnten ab Mitte dieses Jahres als Unterstützer*innen hinzukommen.
„Derzeit sind wir auf der Suche nach Flächen in Deutschland und im europäischen Ausland, die sich für ein Projekt eignen“, so Manuel Dillinger, beim NABU zuständig für den Klimafonds. 200 Hektar Moor in der Nähe von Cuxhaven sind bereits gekauft und sollen im Laufe der kommenden Jahre renaturiert werden.
Der NABU hat sich bei seinem Klimafonds bewusst gegen CO2-Gutschriften entschieden. „Bei diesem Ablasshandel wollen wir nicht mitmachen“, sagt Dillinger. Daher muss jedes Unternehmen, das in den Fonds investiert, zuerst den Klimaschutz im eigenen Haus verbessern. Auch die räumliche Nähe zwischen Verursacher*innen und Projekt ist Dillinger wichtig. In Regenjacke und Gummistiefeln können sich die Spender*innen selbst davon überzeugen, dass ihr Geld sinnvoll eingesetzt wird.
Die Permanenz oder Langfristigkeit ist besonders bei landwirtschaftlichen und Naturschutzprojekten ein heikles Thema. Denn in Bäumen oder dem Boden wird CO2 beziehungsweise Kohlenstoff oft nicht langfristig gespeichert. Waldbrände, eine Borkenkäferplage oder extreme Sturmschäden machen den Klimaeffekt von Aufforstungen schnell zunichte. „Seriöse Standards schreiben deswegen einen Puffer von mindestens 20 bis 30 Prozent für Waldprojekte vor, der nicht in Form von Zertifikaten ausgegeben wird“, erklärt Machnik. Dieser fließt in eine gemeinschaftliche Reserve und kann im Unglücksfall aktiviert werden. Manchmal reichen selbst diese Sicherheiten nicht aus. „Die Waldbrände in Kalifornien im vergangenen Jahr waren so immens, dass sie den Puffer nahezu aufgebraucht haben“, so Machnik.
Klimaschutz auf Zeit
Wichtig ist auch, wann durch das Projekt Treibhausgase gemindert werden. Ist dies bereits geschehen oder erst für die Zukunft geplant? Experten unterscheiden zwischen ex-post- und ex-ante-Zertifikaten. „Nur erstere können tatsächlich Einsparungen bieten“, sagt Stefanie Geib. Ex-ante-Zertifikate dagegen sind eine Wette auf die Zukunft.
Ob Naturschutz, erneuerbare Energien oder die Vermeidung von Deponiegasen: Jede Gutschrift für eine Tonne CO2-Äquivalente darf nur einmal ausgegeben und muss dann im Projekt gelöscht werden. Trotzdem werden eingesparten Treibhausgase mitunter zweimal gezählt. Denn der Staat, auf dessen Boden ein Projekt umgesetzt wird, rechnet sich die Einsparungen in der Regel auf seine Klimaziele an.
Doppelt gezählt
Seit der Pariser Klimakonferenz im Jahr 2015 haben sich – neben den Industriestaaten – auch die Länder des globalen Südens klare Klimaziele gesetzt. Damit betrifft das Problem der Doppelzählung praktisch alle UN-Mitglieder. Den positiven Klimaeffekt auf diese Weise zweimal zu verbuchen, ist nicht verboten. Doch es stellt sich die Frage, wie sinnvoll der Kauf von Zertifikaten dann noch ist.
Aller Kritik zum Trotz ist der Markt für die freiwillige Treibhausgas-Kompensation in den vergangenen Jahren gewachsen. Die Preise für eine Tonne CO2-Äquivalente unterscheiden sich zum Teil deutlich. Sie schwanken je nach Qualität und Größe der Klimaschutzprojekte und nach Projektstandort. Denn in armen Ländern kostet die Emissionsminderung weniger als in reichen Industriestaaten. Auch das Alter der Zertifikate und die Nachfrage nach bestimmten Projekttypen spielen eine Rolle. Ein weiterer Punkt: Immer mehr Gutschriften auf dem Markt führen zu fallenden Preisen. Im Umkehrschluss heißt das: Weil seit einigen Jahren immer mehr Zertifikate generiert werden, lassen sich Klimasünden immer günstiger ausgleichen. Ein paradoxer Effekt.
Zum Schleuderpreis
Kann man hier überhaupt von Kompensation sprechen? Manuel Dillinger hält das für unseriös. Er ist zuständig für den NABU-Klimafonds, der aus diesem Grund keine CO2-Gutschriften ausgibt. „Die Emissionen, die in der Atmosphäre sind, bleiben dort für die nächsten hundert oder zweihundert Jahre. Die kann man nicht kompensieren“, sagt Dillinger. Auch Experten wie Machnik und Schneider raten Unternehmen davon ab, mit „Klimaneutralität“ zu werben. „Es sollte vor allem darum gehen, sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen zu finanzieren“, so Schneider. Ob zertifizierte Projekte hier die bessere Wahl sind, ist zumindest fraglich.
Ann-Kathrin Marr
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