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Die Debatte um Eigenrechte der Natur nimmt an Fahrt auf
Grundrechte für den Dannenröder Forst und die Oder als Klägerin vor Gericht? Was zunächst abwegig klingen mag, ist in vielen Ländern schon Realität. In Neuseeland, Indien, Uganda oder südamerikanischen Ländern wie Kolumbien zum Beispiel. Hier ist die Natur als Ganzes oder in Teilen – bestimmte Ökosysteme, Tier- und Pflanzenarten – als Rechtsperson anerkannt. Wälder, Flüsse oder Seen können, vertreten durch ausgewählte Gruppen oder Menschen, gegen Personen und Firmen klagen, die diese verschmutzen oder zerstören.
Als einer der Urheber dieser Idee gilt der Rechtswissenschaftler Christopher Stone mit seiner Schrift „Should Trees Have Standing?” aus dem Jahr 1972. Bis zur ersten Umsetzung sollte es noch 30 Jahre dauern. Heute werden der Natur in über 20 Ländern Rechte zugestanden. „Wie die Rechte gestaltet werden, ist von Land zu Land unterschiedlich“, sagt die Umweltjuristin Jula Zenetti. „Gemein ist den meisten, dass die Natur oder eine bestimmte Art das Recht auf Existenz und Aufrechterhaltung ihrer Lebenszyklen und Funktionen bekommt.“
Das Recht, zu existieren.
Ecuador hat 2008 als weltweit erstes Land Rechte für die Umwelt in seine Verfassung aufgenommen. Sie kann sich jetzt auf Artikel 71 berufen: „Die Natur oder Pacha Mama, in der sich alles Leben erneuert und realisiert, hat ein Recht darauf, dass ihre Existenz sowie die Erhaltung und Regeneration ihrer Lebenszyklen vollständig respektiert werden.“
Die Bilanz: Nicht alle, aber viele der rund 60 Fälle, die bisher vor Gericht landeten, wurden im Sinne der Natur entschieden.
Wie im Nebelwald von Los Cedros im Nordwesten des Landes, der eine besonders hohe Artenvielfalt aufweist. Die Regionalregierung klagte im Namen des Schutzgebietes gegen die Firma, die dort Kupfer abbauen wollte – und bekam Recht. Das Verfassungsgericht hob 2021 schließlich alle zuvor erteilten Bergbaugenehmigungen auf.
Einen anderen Weg wählte als erstes europäisches Land Spanien. Anstatt die Verfassung zu ändern, wurde die Lagune Mar Menor als Rechtsperson anerkannt. Dafür sorgte ein Volksbegehren, das in der Bevölkerung die nötige Unterstützung fand, nachdem die Lagune zweimal gekippt war. Seit 2022 können alle Privatpersonen in ihrem Namen klagen. Zusätzlich kümmert sich eine Treuhandgemeinschaft aus Anwohnenden und lokalen Wirtschaftsvertreter*innen. Sie überwacht und kontrolliert das Mar Menor in der Hoffnung, unterschiedliche Interessen im Vorfeld auszuhandeln und Klagen sowie eine weitere ökologische Katastrophe zu verhindern.
Bewegung in Europa
Die Debatte habe in Europa an Fahrt aufgenommen, beobachtet Umweltjuristin Zenetti. „Neben einigen Abgeordneten hat zum Beispiel der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss 2020 ein Gutachten zu Rechten der Natur in Auftrag gegeben. Oftmals sind es aber Graswurzelbewegungen, die lokal aktiv werden.“ Ein bayerisches Volksbegehren sammelt beispielsweise Unterschriften, um die Landesverfassung zu ändern, ähnliche Initiativen gibt es auch in Thüringen und Berlin.
„Im deutschen Recht könnte beispielsweise der Geltungsbereich der Grundrechte erweitert werden. Auf die Natur anwendbar sein könnte etwa das Recht auf Leben und Unversehrtheit des Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz. Welche Rechte darüber hinaus anwendbar sind, müsste im Einzelfall geprüft werden – je nachdem, was dieses Ökosystem oder diese Art braucht.“ Wer die Natur vertreten darf, ist in den Beispielländern unterschiedlich gelöst. Mal sind es alle Privatpersonen, mal Treuhandgemeinschaften oder wie in Spanien eine Kombination aus beidem.
Ob Eigenrechte einen entscheidenden Unterschied für die Natur machen könnten, ist unter Rechtswissenschaftler*innen umstritten. Der Blick in die Beispielländer lasse nur bedingt Rückschlüsse auf die Wirksamkeit zu, da man nicht wisse, wie es unter anderem dem Los Cedros ohne sie ergangen wäre. Auch laufe es nicht überall so gut für die Natur wie in Ecuador.
Mehr als Symbolik?
Hinzu kommt in Deutschland und der EU das Verbandsklagerecht. Schon jetzt können Verbände im Interesse der Allgemeinheit die Einhaltung von Umweltschutznormen einklagen. „Das können sie aber nur in Fällen, wo bereits Gesetze gelten, wie das Wasserhaushaltsgesetz. Aus naturschutzfachlicher Sicht haben diese teilweise Lücken, etwa beim Bodenschutz, die Eigenrechte schließen könnten“, sagt Zenetti. Von dem bereits geltenden Umweltrecht können Verbände außerdem nur bestimmte Normen einklagen.
Als Rechtsperson könnte die Natur – wie Menschen und Unternehmen – ihre Interessen gegenüber anderen Rechtspersonen und der Allgemeinheit stärker schützen. Angesichts der Natur- und Klimakrise und ihren Folgen für uns Menschen scheint das plausibel und überfällig. „Wir wissen es nicht mit Sicherheit, aber vielleicht hätten auch in Deutschland Wälder stehen bleiben können. Rechte der Natur tragen dazu bei, unser Verhältnis zur Natur und zu einzelnen Ökosystemen zu überdenken, neu zu gestalten und so den ökologischen Herausforderungen zu begegnen. Subjektive Rechte sind ein bewährtes und machtvolles juristisches Werkzeug. Das können wir nicht nur für menschliche und unternehmerische Interessen nutzen, sondern auch für die Natur“, fasst Zenetti zusammen.
Lisa Gebhard (Naturschutz heute 4/23)
Der NABU unterstützt das „Netzwerk Rechte der Natur“, das zum Thema Eigenrechte der Natur arbeitet.
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