Alles im Rückblick
Der NABU-Blog zur Bundespolitik 2022
Die Ampelregierung ist seit 2021 im Amt. Der NABU begleitet ihre Arbeit, insbesondere mit Blick auf Natur- und Umweltthemen. Der Blog zum Nachlesen. Mehr →
Der Bundespolitik-Blog im Wahljahr 2021. Wir haben den Wahlkampf und die ersten Monate der neuen Regierung kritisch begleitet und analysiert. Unsere Blogs von Mai bis Dezember 2021 zum Nachlesen.
03.12.2021 - Klimaschutz, das Bekenntnis zum 1,5 Grad-Limit und der Weg zur Klimaneutralität sind zentrale Eckpfeiler des Koalitionsvertrages. Ein positives Signal für den Klimaschutz ist, dass bis 2030 80 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien stammen und hierfür mehr Photovoltaik ausgebaut werden soll. Ebenfalls positiv ist, dass die für den Ausbau der Windenergie notwendigen zwei Prozent der Landesflächen zur Verfügung gestellt werden sollen. Dies ist ein wichtiger Schritt, um den Ausbau der Windenergie naturverträglich zu gestalten. Denn dafür brauchen wir ausreichend überregional ausgewiesene Flächen.
Regionalplanung
Dabei ist es wichtig, naturschutzfachlich besonders kritische Gebiete und solche mit einem besonders hohen Vorkommen windenergiesensibler Arten (sogenannte Dichtezentren) bereits auf der Ebene der Regionalplanung auszuschließen. Der Regionalplanung kommt somit eine besondere Bedeutung bei der Steuerung und Minimierung von Konflikten zwischen der Windenergie und dem Natur- und Artenschutz zu. Deshalb bedauern wir es, dass die Umsetzung des Zwei-Prozent-Flächenziels im Koalitionsvertrag unklar bleibt. Zwar wird auf das Baugesetzbuch und einen Austausch mit den Bundesländern verwiesen, es fehlt jedoch eben jener Verweis auf eine gute überregionale räumliche Steuerung.
Warum das kritisch ist, zeigt zum Beispiel dieser Teil des Windenergiekapitels: Der Koalitionsvertrag sieht einen Vorrang des Windenergieausbaus gegenüber anderen Schutzgütern, etwa des Artenschutzes, vor – bis zum Erreichen der Klimaneutralität. Da die Klimaneutralität erst 2045 erreicht werden soll, müssten windenergiesensible Arten somit für die nächsten 24 Jahre um eine ausreichende Berücksichtigung bei Ausbauvorhaben kämpfen. Dieses Konfliktpotenzial zwischen Artenschutz und Windenergieausbau wäre vermeidbar mit einer bedachten und naturverträglichen Regionalplanung. Die gedankliche Verknüpfung fehlt den Koalitionären – sie adressieren die Regionalplanung im Koalitionsvertrag nicht.
Pauschaler Populationsansatz statt individueller Konfliktbetrachtung?
Besorgniserregend ist auch das Vorhaben, sich stärker für einen Populationsansatz bei der Artenschutzprüfung einzusetzen. Das bedeutet, dass bei Windparkplanungen nicht mehr konkret geprüft würde, welche Individuen windenergiesensibler Arten betroffen sind und wie man den dabei möglichen Konflikt lösen kann. Vielmehr würde die Population der entsprechenden Art betrachtet und ob diese trotz eines Ausbaus stabil bliebe. Solch eine Betrachtung der Populationsebene gibt es auch heute schon, nämlich im Rahmen der sogenannten artenschutzrechtlichen Ausnahme: Wenn es nicht möglich ist, die konkreten und individuellen Konflikte zu lösen, wird heute bereits überprüft, ob sich der Bestand der lokalen Population verschlechtert, wenn der Windpark trotzdem gebaut würde. Im Rahmen dieser Ausnahme ist solch eine Populationsbetrachtung sinnvoll. Sie ersetzt jedoch nicht die vorherige individuelle Untersuchung, in der es darum geht, die Konflikte zu lösen und nicht einfach hinzunehmen.
Dass der Koalitionsvertrag stärker den Weg über die Ausnahme gehen möchte, wird noch an anderer Stelle deutlich. Mit der Definition von erneuerbaren Energien als notwendig für die Versorgungssicherheit und im öffentlichen Interesse liegend, soll eine Grundvoraussetzung für die Ausnahme geschaffen werden. Doch aus NABU-Sicht können Windenergieanlagen nur dann im öffentlichen Interesse liegen oder einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten, wenn sie im Rahmen einer umfassenden Regionalplanung umgesetzt werden, welche sich an den notwendigen Energiemengen orientiert und die den Artenschutz von Anfang an berücksichtigt. Andernfalls bleiben öffentliches Interesse und Versorgungssicherheit mindestens fraglich.
Die Koalitionäre versprechen, dass die Energiewende nicht nur beschleunigt, sondern auch ohne den Abbau ökologischer Schutzstandards gelingen soll. Eine Abkehr vom Individuenschutz und einen Vorrang der Erneuerbaren gegenüber dem Artenschutz werden diesem eigenen Anspruch nicht gerecht. Die Abkehr vom Individuenschutz ist zudem mit geltenden Europarecht nicht vereinbar. Selbst wenn sich die kommende Regierung für eine Änderung der rechtlichen Lage einsetzen sollte, so wird dies nicht schnell gehen. Und bis dahin ist die Rechtsunsicherheit groß, was erfahrungsgemäß nicht beschleunigend wirkt.
Notwendige Schritte in der Windenergie
In den kommenden vier Jahren liegt also einiges an Arbeit für die Ampelkoalition auf dem Tisch. Will sie dem selbst formulierten Grundsatz der naturverträglichen Energiewende gerecht werden, reicht eine Stärkung der vom Ausbau der Erneuerbaren betroffenen Arten durch Artenhilfsprogramme nicht aus. Sie wird um eine gute Regionalplanung auf Basis von Energiezielen mit Vorranggebieten und freizuhaltenden Dichtezentren, aber auch um einheitliche Definitionen und Standardisierungen der Untersuchungs- und Bewertungsmethoden von Windparkplanungen nicht herumkommen.
Katharina Stucke, Referentin für Energiewende und Naturschutz
Für mehr Infos folgen Sie @NABU_Klima
02.12.2021 - Mit dem Kapitel „Klimaschutz in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ im Koalitionsvertrag ist der Klimaschutz erstmals nicht einem Ressort untergeordnet, sondern die Klammer um ein Bündel von Politikfeldern: Wirtschaft, Umwelt- und Naturschutz, Landwirtschaft und Ernährung und Klima, Energie und Transformation. Damit räumt die Ampel-Koalition dem Klimaschutz endlich den dringend nötigen Umfang ein. Zudem hat sie sich im Koalitionsvertrag zum 1,5-Grad-Limit bekannt – ob es erreicht wird, hängt nun vor allem von den Maßnahmen und Instrumenten ab. Die wenigen konkreten Aspekte lassen zumindest hoffen.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll beschleunigt werden, die Zielmarke von 80 Prozent im Stromsektor bis zum Jahr 2030 ist angepeilt. Parallel soll der Kohleausstieg „idealerweise“ bis 2030 vorgezogen werden – ein Muss, wenn diese Koalition das 1,5-Grad-Limit und das Klimaschutzgesetz ernst nimmt. Im Folgenden schauen wir genauer hin: Wie soll der schnellere Ausbau erneuerbarer Energien gestaltet werden, vor allem im Hinblick auf den Artenschutz? Was ist für den Gebäudesektor vorgesehen und welche Rolle spielen natürlicher Klimaschutz und Klimaanpassung?
Klimaschutzsofortprogramm
Mit dem Klimaschutzsofortprogramm ist eine der zentralen Forderungen des NABU im Koalitionsvertrag festgehalten. Offen bleibt, welche Maßnahmen und Instrumente enthalten sein werden. Auch „sofort“ hätte aus unserer Sicht etwas schneller sein können als Ende 2022. Wir sind gespannt, wie und mit welcher Wirkung die kommende Regierung den neuen „Klimacheck“ ausarbeitet. Alle Ressorts müssen sich mit den Klimafolgen ihrer Gesetze auseinander setzen. Wie genau das Monitoring erfolgen soll, bleibt offen – klar muss aber sein, es darf nicht schlechter werden, als die sektorscharfen Jahresziele des Klimaschutzgesetzes der Großen Koalition.
Mit viel Wind zu mehr Klima- und nicht weniger Artenschutz
Die Windenergie ist eine notwendige Säule der Energiewende, insbesondere um bis 2030 80 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien zu erreichen. Deshalb ist es gut, dass der Koalitionsvertrag vorsieht, insgesamt zwei Prozent der Landesfläche für den Ausbau der Windenergie zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig sollen Artenhilfsprogramme jene Arten schützen und unterstützen, die am stärksten vom Ausbau betroffen sind. Diese Punkte sind gut und wichtig, ersetzen aber keine effektive Regionalplanung, die zur Bereitstellung naturschutzfachlich geeigneter Ausbauflächen nötig ist. Stattdessen schwächt der Koalitionsvertrag an verschiedenen Stellen den Artenschutz, zum Beispiel durch eine Abkehr vom Individuenschutz oder den Vorrang von Ausbauvorhaben vor anderen Schutzgütern. Klima- und Artenkrise gehören zusammen, deshalb muss der Artenschutz auch beim Ausbau der Windenergie berücksichtigt werden!
Sonnenenergie – mehr Licht als Schatten
Es ist gut, dass Solardächer stärker gefördert werden sollen. Für Privatleute muss die Solaranlage auf dem eigenen Dach endlich zugänglicher und lukrativer werden. Der Koalitionsvertrag hätte bei der Solarpflicht noch mutiger sein können und diese auch für private Neubauten und bei umfangreichen Sanierungen vorsehen sollen. Der NABU fordert bereits eine umfangreiche Solarpflicht für Gebäude.
Zu unkonkret bleibt die Ampel bei Solarparks, die sie nicht einmal beim Namen nennt. Dabei müssen schnellstmöglich naturverträgliche Standorte für Solarparks zur Verfügung gestellt werden. Die bisherige Zielmarke an installierter Leistung von Solaranlagen in Deutschland von 100 GW im Jahr 2030 (EEG 2021) wurde im Koalitionsvertrag auf ehrgeizige 200 GW bis 2030 verdoppelt. Das ist gut und zeigt, dass die Solarenergie künftig eine größere Rolle spielen wird. Es fehlen aber bundesweit anwendbare Leitlinien wie Solarparks so ausgebaut werden können, dass auch die Biodiversität vor Ort profitiert.
Viel Interpretation im Gebäudesektor
Zur Dekarbonisierung des Gebäudesektors gibt es gute Ansätze, aber es mangelt an der konkreten Ausgestaltung. Stichworte wie Effizienz und Energiesparen sucht man vergeblich, obwohl ohne eine Reduktion des Gesamtenergieverbrauchs offensichtlich keine Dekarbonisierung zu erreichen ist. Auch eine Steigerung der Sanierungsrate und Mindeststandards für den Bestand verstecken sich nur hinter dem Bekenntnis, die Vorschläge aus dem EU-Klimapaket (Fit for 55) zu unterstützen. Hier wären mehr Ambition und Konkretisierung schön gewesen. Erfreulich ist, dass zum 1. Januar 2025 die Neubau-Standards angehoben werden und jede neu eingebaute Heizung auf Basis von 65 Prozent erneuerbarer Energien betrieben werden muss. Dies kommt einem De-facto-Verbot von fossilen Energieträgern gleich – wenn auch später als wir es uns wünschen würden. Ein besonderer Erfolg ist aus unserer Sicht, dass der Einsatz grauer Energie sowie die Lebenszykluskosten verstärkt betrachtet werden sollen – unabdingbar für eine ganzheitliche Betrachtung der Emissionen aus dem Gebäudesektor.
Bedeutung Natürlicher Ökosysteme berücksichtigen
Es ist erfreulich, dass natürlicher Klimaschutz und Klimaanpassung in einem eigenen Kapitel behandelt werden und damit ihre Relevanz und Dringlichkeit anerkannt werden. Der Abschnitt zu natürlichem Klimaschutz enthält umfassende Maßnahmen, wie beispielsweise eine Moorschutzstrategie und einen Ausstiegsplan für Torfabbau. Bei der Klimaanpassung werden natürliche Ökosysteme und ihre Bedeutung als natürliche Klimaanpassungsmaßnahme leider gar nicht erwähnt. Dabei muss die kommende Regierung dringend ein Maßnahmenkonzept auch für den Schutz und die Wiederherstellung dieser Ökosysteme, z. B. Auen, auf den Weg bringen und umsetzen, um den Auswirkungen der Klimakrise gerecht werden zu können.
Sebastian Scholz, Leiter Energiepolitik/Klimaschutz
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26. November 2021 - Es ist eine Mammutaufgabe mit Stolpersteinen: Der Umbau unseres Mobilitätssystems hin zu einer klimafreundlichen, naturverträglichen, inklusiven und zugleich leistungsfähigen Verkehrswelt von morgen. Es wird eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die uns noch über Jahrzehnte beschäftigen dürfte. Das haben auch die Ampel-Koalitionär*innen erkannt, ihr Anspruch für die neue Legislatur: einen Aufbruch in der Mobilitätspolitik erreichen. Ein niedriger angesetztes Ziel müsste schon heute als Versagen bewertet werden. Dass der Koalitionsvertrag jedoch keine zeitlich festgesetzten CO2-Minderungsziele enthält, könnte sich rasch als Hypothek erweisen. Diese Auslassung steht stellvertretend für eine Reihe von Mängeln im insgesamt schwachen Verkehrskapitel des Vertrages.
Weg vom Auto und Straßenbau, hin zu nachhaltiger Mobilität
Mobilität wird im kommenden Koalitionsvertrag richtigerweise als Teil der Daseinsvorsorge und Voraussetzung für gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land gesehen. In Kombination mit der angekündigten Stärkung der Bahn, des ÖPNV sowie des Rad- und Fußverkehrs bestärkt das die Hoffnung auf eine flächendeckende Anbindung an klimafreundliche Mobilitätsangebote in ganz Deutschland. Dass dies auch mit umfassenden Investitionen in die entsprechende Infrastruktur einhergehen muss, ist offensichtlich. Die verabredete Priorisierung der Schiene gegenüber der Straße muss nun konsequent umgesetzt werden.
Besonders vielversprechend ist auch die angekündigte Neubewertung des aktuellen Bundesverkehrswegeplans im Zuge der anstehenden Bedarfsplananalyse. Daraus folgen soll ein Bundesmobilitätsplan 2040, in dem zwangsläufig etliche Straßenbauprojekte gestrichen werden müssen. Das ergibt sich aus den gesetzlichen Erfordernissen des Klimaschutzgesetzes sowie den Artenschutz- und Flächenzielen. Der vom NABU geforderte grundsätzliche Stopp für den weiteren Bau von Fernstraßen bis zum Vorliegen des Bundesmobilitätsplans ist jedoch leider nicht vorgesehen.
Der Umbau der Verkehrsinfrastruktur ist ein mittel- bis langfristiges Projekt und zugleich Grundvoraussetzung für die Stärkung umweltfreundlicher Verkehrsträger sowie eine deutliche Reduzierung des Pkw-Bestands. Doch ohne steuerliche und ordnungsrechtliche Maßnahmen, die auch kurzfristig wirksam sind, wird sich bis 2030 kaum etwas an der aktuellen Verkehrsmittelverteilung und damit auch an den gewaltigen Emissionen des Verkehrssektors ändern.
Leerstellen im Koalitionsvertrag
An etlichen Stellen zeigt der Koalitionsvertrag jedoch auch offensichtliche Schwachstellen auf: Weder ein Tempolimit auf Autobahnen noch die Anpassung der Pendlerpauschale oder Kfz-Steuer finden sich in dem Papier wieder. Der angekündigte Abbau umweltschädlicher Subventionen verkümmert zu einem Prüfauftrag, der das Dieselprivileg verringern soll. Auch die Förderung von Dienstwagen und Steuervorteile für fragwürdige Plug-in-Hybride bleiben vorerst weiter bestehen. Aussagen zur Zukunft der ebenfalls höchst problematischen Subventionierung von gasbetriebenen Lkw fehlen. Nur ein Auslaufen der gegenwärtigen Förderung wäre hier nachvollziehbar. Ebenso bleiben Steuerausnahmen für Kerosin und marine Kraftstoffe bis auf Weiteres bestehen. Das ist nicht nur klimapolitisch absolut unverständlich, sondern sorgt auch dafür, dass dringend benötigtes Geld für den sozialverträglichen Umbau des Sektors fehlt.
Die Antriebswende allein reicht nicht
Im Koalitionsvertrag steht wie erwartet die Elektrifizierung des Autos im Vordergrund, auch wegen der Auswirkungen auf Beschäftigung und Wertschöpfung. Erkennbar wurde hier um die Formulierungen gerungen. So soll das Verbrenneraus im Zuge der anstehenden CO2-Grenzwertverschärfung auf EU-Ebene bis spätestens 2035 erfolgen, eventuell früher. Das entspricht letztlich der Marktsituation und den Ankündigungen der Hersteller und kann damit nicht als großer Wurf gelten. 15 Millionen „vollelektrische Pkw“ werden als Zielmarke für 2030 ausgegeben, die nötige Ladeinfrastruktur bis dahin wird mit einer Million öffentlichen Ladepunkten beziffert. Die Antriebswende wird damit vorangetrieben, nicht jedoch eine umfassende Mobilitätswende.
Durchkreuzt wird diese Politik von vagen Aussagen, den Verbrennungsmotor mittels synthetischer Kraftstoffe ins dekarbonisierte Zeitalter hinüber zu retten zu wollen – trotz bekannter Effizienz- und Abgasprobleme. Ebenso schwer wiegt die mangelnde Befassung mit dem Schwerlastverkehr und der Elektrifizierung des Lkw, auch hier muss heute mit dem Aufbau der Ladeinfrastruktur begonnen werden, wie die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) kürzlich argumentierte.
Schiff- und Luftfahrt – jeweils immerhin für rund drei Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich – werden nur oberflächlich thematisiert. Inlandsflüge sollen reduziert, die Dekarbonisierung vorangetrieben werden, Landstromanschlüsse in Häfen werden als Option genannt. Unvernünftig bis fahrlässig, hier nicht weiter in das Thema einzusteigen und konkretere Schritte zu benennen, die eine zeitnahe Umstellung auf alternative Kraftstoffe sowie eine erhebliche Effizienzsteigerung gerade in der Bestandsflotte erzwingen, die der maritimen Wirtschaft klare Orientierung und den Werftstandorten eine Zukunftsperspektive gibt.
Kurzum: Der neue Verkehrsminister kann sicherlich mit wenig Aufwand vieles besser machen als sein Vorgänger. Um jedoch als derjenige Verkehrsminister in die Geschichte einzugehen, der die Mobilitätswende in Deutschland angestoßen hat, bedarf es neben dem Willen etlicher Nachbesserungen und Konkretisierungen im Regierungshandeln. Hier drängt die Zeit, denn das verbleibende CO2-Budget zur Erreichung des 1,5-Grad-Limits neigt sich bereits in sieben Jahren dem Ende zu. Beherztes Zupacken und politischer Mut sind also gefragt – anders ausgedrückt: Ein niedriger angesetztes Ziel müsste schon heute als Versagen bewertet werden. Dennoch finden sich eine Reihe von Mängeln im insgesamt schwachen Verkehrskapitel des Vertrages.
Daniel Rieger, Leiter Verkehrspolitik
26. November 2021 - Groß waren die Erwartungen angesichts des schlechten Zustands der Meere. Was will die zukünftige Bundesregierung gegen verfehlte Umweltziele und sinkende Bestände von Seevögeln und Schweinswalen in Nord- und Ostsee tun? Die Ampel hat geliefert - zumindest auf den ersten Blick. Das eigene Kapitel zum Meer vermittelt hier und da tatsächlich Aufbruch. Geplant ist eine Meeresoffensive wie sie 2020 eine Allianz deutscher Naturschutz- und Entwicklungshilfeverbände gefordert hatte. Sie soll den Verlust von Arten und Lebensräumen stoppen und der zerstörerischen Ausbeutung mariner Ressourcen vor unserer Haustür und weltweit Einhalt gebieten.
Eine Offensive für das Meer
„Intakte Meere sind maßgeblich für den Klimaschutz und die Biodiversität“ - so startet das ermutigende Kapitel Meeresschutz des Koalitionsvertrags. Neben einer Meeresoffensive soll eine neue Meeresstrategie erarbeitet und ein*e Meeresbeauftragte*r berufen werden, um die deutsche Meerespolitik kohärent und im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen auszurichten. Dringend notwendig, liegt der Stillstand beim Schutz der Meere doch regelmäßig an den Blockaden anderer Ministerien. Eine gemeinsame Strategie und Verantwortung sind überfällig. Eine Chance ist auch die Ministerien-Besetzung. Gleich drei für die Meere relevante Ressorts werden „Grün“ geführt: Umwelt & Verbraucherschutz (Steffi Lemke), Wirtschaft & Klimaschutz (Robert Habeck) und Landwirtschaft (Cem Özdemir).
Schutz und Wiederherstellung
Ein guter Wurf könnte die Umsetzung der EU-Biodiversitätsstrategie werden. Zehn Prozent der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) von Nord- und Ostsee sollen streng geschützt werden, was auch Flächen frei von schädlicher Nutzung umfasst. Wie groß die Flächen werden, bleibt vage. Aber dennoch ein Bekenntnis zur Notwendigkeit von Nullnutzungszonen im Meer, deren ökologische und ökonomische Wirksamkeit unstrittig ist.
Um die Ökosystemleistungen von Nord- und Ostsee zu erhalten, sollen die Meeresschutzgebiete in der deutschen AWZ effektiv gemanagt und die „notwendigen personellen und infrastrukturellen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden“. Dahinter steckt die überfällige Stärkung der Abteilung Meeresnaturschutz des Bundesamtes für Naturschutz (BfN).
„Die natürliche CO2-Speicherkapazität der Meere soll durch ein Aufbauprogramm von Seegraswiesen und Algenwäldern verbessert werden“. Richtig, der Schutz allein kommt auch im Meer vielerorts zu spät. Wichtige Biotope sollen Teil einer nationalen Wiederherstellungsinitiative werden. Die vom Weltbiodiversitäts- und Weltklimarat empfohlenen „Nature Based Solutions“ werden von der deutschen Politik angenommen. Meeresschutz ist Klimaschutz, in seiner natürlichsten Form!
Der Einstieg in die Munitionsbergung
Fast wie erwartet hat sich die neue Bundesregierung auch dem Thema Munition im Meer verpflichtet und ist damit gleich zwei fraktionsübergreifenden Bundestagsanträgen dieses Jahres gefolgt. Das Sofortprogramm zur Bergung von Munitionsaltlasten kommt leider noch ohne die auch vom NABU geforderte finanzielle Zusage von 100 Millionen Euro zum Einstieg in die sprengungsfreie Räumung.
Über Fischerei, Müll und internationales Engagement
Es finden sich noch weitere gute Punkte im Kapitel Meeresschutz, doch lassen sie konkrete Maßnahmen vermissen. So will sich die Koalition für ein UN-Abkommen zum Schutz der Hohen See, einem Rahmenwerk gegen die Vermüllung der Meere und strenge Standards zum Tiefseebergbau einsetzen.
Die Fischerei an deutschen Küsten soll erhalten werden. Fangquoten sollen wissenschaftsbasiert ermittel werden und eine „Zukunftskommission Fischerei“ soll Nachhaltigkeitskriterien für die Aquakultur, Binnen- und Hochseefischerei erarbeiten. Positiv, wenn in der Umsetzung auch unklar, dass Grundschleppnetze beschränkt und Stellnetze naturschutzgerecht reguliert werden sollen.
Dunkle Wolke über der Energiewende
Und dann kommt es, das große Aber. Denn wie erfolgreich können die bis hier vereinbarten Ziele für den Schutz der Meere sein, wenn gleichzeitig die Offshore-Windenergie so massiv ausgebaut werden soll? Mit 70 Gigawatt (GW) bis zum Jahr 2045 wurde das ohnehin schon ambitionierte Ausbauziel im neuen Windenergie-auf-See-Gesetz noch einmal um 60 Prozent erhöht. Gut ein Drittel der deutschen AWZ wären als Fläche für die Windparks notwendig, der ökologische Wirkraum und Lebensraumverluste für Seetaucher, Trottellummen aber auch Schweinswale vermutlich fast doppelt so groß. Für den NABU unvereinbar mit geltendem Naturschutzrecht, auch weil über Mechanismen der Planbeschleunigung und eine mögliche Aufweichung des Individuenschutzes zusätzliche Konflikte drohen.
Der Blick nach vorn
Wenn wir die Offshore-Windenergie ausklammern, so finden sich im Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen gute Ansätze für einen Richtungswechsel in der deutschen Meerespolitik - weg vom Ressortstreit hin zu einer gemeinsamen Verantwortung der Bundesregierung für intakte, gesunde Meere. Ja, oft bleibt es vage, fehlt die Konkretisierung, bleibt Luft nach oben. Doch vielleicht sind einige der Lücken im Vertrag eher der begrenzten Zeichenzahl des Koalitionsvertrages geschuldet als einer fehlenden Idee und Ambition.
Doch was zählt dieser Erfolg, wenn die Kluft zwischen Natur- und Klimaschutz durch einen fast maßlos wirkenden Zubau von Offshore-Windenergie wieder größer wird?
Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass die neue Bundesregierung zuerst die Voraussetzungen für einen naturverträglichen Ausbau der Windenergie auf See schafft, die Übernutzung stoppt, den Umweltzustand verbessert. Und dann diskutiert wird, welcher Zubau im Rahmen ökologischer Belastungsgrenzen möglich ist. Noch bleibt Zeit, die Klima- und die Biodiversitätskrise als eine untrennbare Herausforderung zu verstehen und zu dem zurückzukehren, was ganz am Anfang des Kapitels Meeresschutz steht und unsere volle Unterstützung hat: „Intakte Meere sind maßgeblich für den Klimaschutz und die Biodiversität. Wir starten eine Meeresoffensive zum Schutz der Meeresnatur…“
Dr. Kim Cornelius Detloff, Leiter Meeresschutz
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26. November 2021 - Auch von Brüssel aus schaute man am Mittwoch gespannt nach Berlin. Wie werden sich die Versprechen der Ampel auf die EU und ihren „Green Deal“ auswirken? Das Wichtigste zuerst: SPD, Grüne und die FDP versprechen ein stärkeres Europa – was aus Umweltsicht positiv ist. So finden sich zur Weiterentwicklung der EU fortschrittliche Pläne, etwa zur Unterstützung eines Initiativrechts des Europäischen Parlaments. Auffällig ist jedoch: Ein generelles Bekenntnis zum Europäischen Green Deal fehlt.
Mehr Transparenz, mehr Demokratie
Im Koalitionsvertrag findet die EU ihren Platz vor allem im hinteren Teil. Auf die europäische Sicherheits- und Finanzpolitik geht die Ampel detailliert ein – zum Umweltschutz oder Green Deal fehlen weitreichendere Ausführungen. Diese Pläne werden jedoch Auswirkungen auf die künftige EU-Umweltpolitik haben:
Wenig Bezüge zum Green Deal
Überraschend und bedauerlich ist, dass der Koalitionsvertrag kaum Bezug auf den Europäischen Green Deal nimmt. Diese Flaggschiffpolitik ist für die EU und den Umwelt- und Klimaschutz weit mehr als ein Narrativ.
Noch im Oktober hatte sich die Ampel im Sondierungspapier deutlich positioniert: „Wir wollen dafür Sorge tragen, dass Europa […] den Green Deal konsequent umsetzt“. Nun finden sich auf den 177 Seiten lediglich im Klima-Kontext (Zeile 4835) und im Industriekontext (Zeile 7545) einzelne Verweise. Da die EU-Kommission insgesamt (zu) wenig Unterstützung für ihre Umweltschutz-Initiativen aus den Mitgliedstaaten erfährt, hätte dieses Signal nicht geschadet.
Ob die Ampel in Brüssel schlagkräftig auftritt, hängt vor allem davon ab, ob sich die SPD-, Grünen und FDP-geführte Ministerien besser einigen als in der Vorgängerregierung. Hier war es zu häufig zu Blockaden gekommen, etwa zwischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerium. Dies will die Ampel vermeiden, sie möchte „ein geschlossenes Auftreten gegenüber […] den Institutionen sicherstellen“.
Dennoch wird die Abstimmungsverantwortung weiterhin in den Fach-Ressorts liegen, in enger Abstimmung mit dem Bundeskanzler. Welche Rolle hierbei das FDP-geführte Finanzministerium und das – auch für die Vorbereitung des Europäischen Rats wichtige – von den Grünen geführte Außenministerium spielen werden, muss sich erst zeigen.
Viel EU steckt in den einzelnen Politikfeldern
Kompensiert wird das weitgehende Ausklammern des Green Deals im Koalitionsvertrag durch zahlreiche Bekenntnisse zu fachpolitischen Initiativen dieser europäischen Flaggschiff-Politik.
Auch bei der Planungsbeschleunigung, Verbandsbeteiligung und dem Artenschutz wird das Europarecht künftig entscheidend sein. Hier wird es für die nächste Bundesregierung vor allem darum gehen, bestehende EU-Standards in Deutschland nicht weiter abzusenken.
Bonbon für die Grünen: Die Wahl der Kommissionsspitze
Ein „Bonbönchen“ konnten sich die Grünen sichern. So findet sich in Zeile 5999 des Koalitionsvertrags der Hinweis: „Das Vorschlagsrecht für die Europäische Kommissarin oder den Europäischen Kommissar liegt bei Bündnis 90/Die Grünen, sofern die Kommissionspräsidentin nicht aus Deutschland stammt“.
Beobachter*innen gehen davon aus, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für zwei Amtszeiten in Brüssel im Amt bleiben könnte. In diesem Fall liefe das Vorschlagsrecht ins Leere. Doch ob Ursula von der Leyen tatsächlich in eine zweite Amtszeit gehen kann, hängt maßgeblich davon ab, wie viel Unterstützung sie durch die konservative EVP-Fraktion im Europäischen Parlament erfährt. Zudem könnte es vor der nächsten Europawahl 2024 Änderungen im Spitzenkandidat*innen-System geben. Somit halten sich die Grünen ihre Mitsprache zu dieser entscheidenden Personalie offen.
Unser Fazit: Deutschland hat Potenzial zum Umwelt-Frontrunner - es hängt an handelnden Personen
Der Koalitionsvertrag setzt vielversprechende Zeichen, welche Rolle Deutschland in der EU einnehmen will. Wie in anderen Bereichen hängt das Ergebnis vom konkreten Auftreten der einzelnen Minister*innen und des Bundeskanzlers selbst ab. Wir erwarten, dass Deutschland auf EU-Ebene zu einem „Frontrunner“ für den Natur- und Klimaschutz wird – daran werden wir die mögliche Ampelkoalition messen. Sie muss dafür Sorge tragen, dass die Vorschläge der Kommission nicht verwässert, sondern der Klima-, Umwelt- und Naturschutz künftig maßgeblich gestärkt werden.
Dr. Raphael Weyland, Leiter NABU-Büro Brüssel
Für mehr Infos folgen Sie @nabu_biodiv
26. November 2021 – Vorbei ist die wochenlange Ungewissheit, wie es mit der Agrarpolitik in Deutschland weitergeht: Die Ampelparteien legen mit ihrem Koalitionsvertrag Ansatzpunkte für echte Veränderungen wie den Umbau der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) vor, bleiben in vielen Punkten jedoch vage. Hoffnung auf neuen Schwung macht aber vor allem die Ressortaufteilung: Umwelt, Landwirtschaft und Klimaschutz werden künftig von Minister*innen derselben Partei, den Grünen, geführt. Die traditionelle Blockade zwischen Umwelt- und Landwirtschaft könnte sich vielleicht in Luft auflösen. Ein Grund zur Euphorie? Nicht ganz. Denn bei der Finanzierung bleiben Fragezeichen.
Bis zur Halbzeit der Legislatur will die neue Bundesregierung eine Evaluierung und Anpassung der laufenden GAP-Umsetzung in Deutschland vornehmen. Gleichzeitig will sie ein Konzept vorlegen, wie die Flächenprämien ab 2027 durch die Honorierung von Klima- und Umweltleistungen ersetzt werden können – eine zentrale Forderung des NABU. Essenziell wichtig: Es reicht nicht aus, in Deutschland das Ende der Direktzahlungen zu beschließen – dazu braucht es Mehrheiten auf EU-Ebene. Die Bundesregierung darf, anders als dies in der Vergangenheit der Fall war, in Brüssel nicht mehr auf die Bremse treten, sondern muss eine Vorreiterrolle einnehmen. Dies könnte durch die Ressortaufteilung begünstigt werden.
Finanzierung bleibt spannend
Die künftige Regierung will insgesamt mehr Mittel mobilisieren und umschichten, um Betrieben Anreize für naturverträgliches Wirtschaften und Naturschutzmaßnahmen zu geben. So sollen die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) finanziell besser ausgestattet und die Mittel für die Vertragsnaturschutzprogramme der Länder erhöht werden. Dies begrüßt der NABU ausdrücklich. Mit konkreten Zahlen sind diese Vorhaben jedoch noch nicht unterlegt. Das Thema der Finanzierung bleibt also spannend.
Fazit: Vielversprechende Ressortaufteilung, gute inhaltliche Ansätze, einige Fragezeichen, vieles bleibt vage. Dafür gibt es viel Gestaltungsspielraum für das künftige Landwirtschaftsministerium. Mehr Analysen zur Pestizidreduktion, Strukturvielfalt oder zum Ausbau des Ökolandbaus im Koalitionsvertrag finden Sie übrigens hier im NABU-Agrar-Blog.
Pierre Johannes, Referent für Agrarpolitik
26. November 2021 – Zukunftsvorsorge ist eine zentrale Aufgabe der kommenden Legislaturperiode, die verschiedene Politikbereiche umfasst: von Forschungspolitik, technologischer Innovation bis hin zu finanzieller Zukunftsvorsorge: Die Ampel-Koalition muss jetzt die Weichen richtig stellen, doch trotz mancher Impulse verbleibt die Koalition hier im Ungenauen.
Ambitionierte Innovationspolitik
Die Ampel-Koalition hebt in ihrem Koalitionsvertrag die Bedeutung von Innovationen für die Wohlstandssicherung und ein besseres gesellschaftliches Zusammenleben hervor. Trotz positiver Impulse für soziale Innovationen, etwa im Bereich der Start-Up-Förderung, einer nationalen Strategie für Sozialunternehmen oder der Förderung von kreativen Innovationen zieht sich ein auf technische Lösungen reduzierter Innovationsbegriff durch den Koalitionsvertrag. Technische Lösungen allein werden dem Ziel der Zukunftsvorsorge jedoch nicht gerecht, ohne soziale und ökologische Innovationen werden Akzeptanz und Umsetzung nicht gelingen. Dass die Innovationsförderung des Bundes nun auch für soziale und ökologische Innovationen geöffnet werden soll, bewerte ich daher als ausdrücklich positiv. Die gesetzliche Verankerung von Reallaborförderungen durch das Reallabor- und Freiheitszonengesetz ist ein sehr positiver Schritt, der die Entwicklung notwendiger Innovationen ermöglichen kann. Die Ampel-Koalition sollte diesen Schritt durch angemessene Ressourcen unterlegen.
Unklarer Weg bei Sustainable Finance
Zukunftsvorsorge durch Lenkung privater Investitionen in einen stärkeren Klima- und Umweltschutz ist seit vielen Jahren ein zentrales finanzpolitisches Thema. Auch das Pariser Klimaabkommen formuliert das Ziel, Finanzflüsse zur Erreichung der Klimaschutzziele umzuleiten. Der Koalitionsvertrag greift das Themenfeld Sustainable Finance auf – doch für die Koalition bleiben große Hausaufgaben. Zu den positiven Aspekten zähle ich, dass die Koalition sich für die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) auf europäischer Ebene einsetzen wird. Eine transparente Berichterstattung von Unternehmen unterschiedlicher Größe, durch die frühzeitig auf Klima- und Naturrisiken in der Geschäftstätigkeit hingewiesen werden kann, ist für die Transformation zwingend notwendig. Das Bekenntnis der Koalition zur Fortführung des Sustainable Finance-Beirats halte ich für einen wichtigen Impuls – auch wenn dieser in Zukunft mehr Ressourcen benötigt, um effektiv arbeiten zu können. Darüber hinaus sollte das Thema Biodiversität eine größere Rolle einnehmen. Wir als NABU begrüßen die Zielsetzung, dass Deutschland zu einem führenden Standort für nachhaltige Finanzierungen werden soll.
Privates Kapital für Transformationsprojekte zu aktivieren ist ein guter Ansatz. Doch bei der Frage wie dies gelingen soll, verbleibt der Koalitionsvertrag im Ungefähren. So erklären SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, dass sie angemessene Rahmenbedingungen für nachhaltige Finanzanlagen unterstützen wollen. Welche dies sind und wie ambitioniert sie sein sollen, wird nicht formuliert. Zur Auseinandersetzung um die EU-Taxonomie, einem Katalog für nachhaltige Finanzanlagen, und dem befürchteten Greenwashing von fossilem Gas, Atomenergie und intensiver Landnutzung darin durch die EU-Kommission, äußert sich die Ampel-Koalition nicht. Sie bleibt so hinter der zurückliegenden Koalition zurück, die zumindest ein Bekenntnis gegen ein Nachhaltigkeitslabel für Atomenergie formulierte. Dabei sind ambitionierte, wissenschaftsbasierte Nachhaltigkeitsstandards dringend notwendig, um Finanzflüsse für die Zukunftsvorsorge wirksam umzuleiten.
Steffi Ober, Teamleiterin Ökonomie und Forschungspolitik
Für mehr Infos folgen Sie @NABU_SusFinance
26. November 2021 – Auch für Engagierte, im NABU und darüber hinaus, setzt der Koalitionsvertrag Rahmenbedingungen. In unseren Kernforderungen hatten wir uns für eine frühe und umfassende Beteiligung der Bürger*innen und eine Stärkung der Demokratie eingesetzt, sowie eine Stärkung der Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Dabei wurde angeregt, besonders die Chancen der Digitalisierung zu nutzen.
Signale für mehr Bürger*innenbeteiligung
Der Koalitionsvertrag enthält gute Ansätze, die optimistisch stimmen: Der Vorsatz, Bürger*innenbeteiligung zu stärken, wird an mehreren Stellen thematisiert. So sollen Bürger*innenräte die Beteiligung auf der Bundesebene stärken. Dies ist aus meiner Sicht ein guter Ansatz, wobei darauf zu achten ist, dass diese Art der Beteiligung nicht zu elitär wird und für Ehrenamtliche leistbar bleibt. Zudem sollte sich die Beteiligung nicht auf die Bundesebene beschränken, sondern weitere Formen von Beteiligung entwickelt werden, wie zum Beispiel in der kommunalen Selbstverwaltung und bei dialogischen Bürger*innenbeteiligungsverfahren. Es wird also auf die konkrete Umsetzung ankommen, ob die vielversprechenden Ansätze auch zur gewünschten Einbindung führen.
Demokratiestärkung
Im Bereich Demokratiestärkung hat sich die Koalition einiges vorgenommen: Sie hat sich darauf verständigt, erstmals seit 2010 wieder eine Engagementstrategie zu entwickeln. Hier liegt, ebenso wie bei der Stärkung und Weiterentwicklung der Jugendstrategie viel Potenzial für die Unterstützung der Bürger*innengesellschaft. Gemeinsam mit der Zivilgesellschaft soll ein Demokratiefördergesetz entstehen, das langfristig Strukturen stärken soll. Das begrüße ich sehr, hatte der NABU dies doch genauso gefordert. Ebenfalls grundsätzlich zu befürworten sind Klarstellungen im Bereich des Gemeinnützigkeitsrechts: Hier soll die allgemeinpolitische Betätigung zukünftig leichter möglich sein und mehr Rechtssicherheit erreicht werden.
Mehr Mittel für Engagement
Die angekündigte Erhöhung der Platzzahl und des Taschengeldes im Freiwilligendienst bietet noch mehr jungen Menschen Einstiege ins Engagement und in die Zivilgesellschaft. Wir als NABU hatten mit der Umsetzung des Freiwilligenjahres etwas mehr gefordert. Gleichzeitig schätzen wir die Tatsache, dass der grundsätzliche Bedarf in diesem Bereich scheinbar erkannt wurde. Dass erkannt wurde, dass Engagement finanziell unterstützt werden muss, zeigt sich auch darin, dass der Förderschwerpunkt der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt gestärkt werden soll. Mehr Mittel für Projekte der Zivilgesellschaft, insbesondere im ländlichen Raum, sind ein wichtiges Zeichen für eine starke Demokratie.
Entlastung für Ehrenamtliche bei Bürokratie und Haftung
Auch in diesem Koalitionsvertrag findet sich das selbstgesteckte Ziel, Bürokratie und Haftungsrisiken für Ehrenamtliche abzubauen. Dieses wichtige Thema begleitet uns schon lange und weckt hohe Erwartungen, denn: Ein überbürokratisiertes Ehrenamt hält Menschen davon ab, sich in Vorständen oder Ehrenämtern mit hoher Verantwortung zu engagieren. Und so fehlt nicht nur der Nachwuchs für ehrenamtliche Führungskräfte, sondern auch die Menschen, die die demokratische Zivilgesellschaft von morgen maßgeblich tragen. Zu diesem Themenkomplex gehört auch die Entbürokratisierung des Zuwendungsrechts, die wir leider nur unter der Überschrift Kulturförderung finden konnten. Hier wünschen wir uns eine Ausweitung auf weitere Politikfelder.
Nachhaltige Bildung für alle?
Der Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung ist nicht allzu ausführlich im Koalitionsvertrag behandelt. Die Passagen, die diesen Bereich thematisieren, enthalten jedoch das Potenzial, nachhaltige Bildung in die Breite zu tragen: Gestärkt und bundesweit verankert in allen Bildungsphasen und -bereichen werden soll der Nationale Aktionsplan zur Bildung für nachhaltige Entwicklung. Erfreulich ist auch die in Aussicht gestellte zentrale „Anlaufstelle für green culture“, die laut Koalitionsvertrag „Kompetenzen, Wissen, Datenerfassung, Beratung und Ressourcen für die ökologische Transformation“ in der Kultur anbieten soll. Diese Stelle könnte exemplarisch zeigen, wie Wissen um die Transformation der Gesellschaft in anderen Politikbereichen zu Anwendung kommt. Ein Schlüssel für die Transformation wird Digitalisierung werden, die sich wie ein roter Faden durch den gesamten Koalitionsvertrag zieht. Hier hat sich die Koalition viel vorgenommen, leider aber bleibt – wie so oft – vieles im Vagen. Wir sind gespannt, wie die Umsetzung gemeinsam mit der Zivilgesellschaft ausgestaltet wird.
Matthias Laurisch, Leiter Stabsstelle Verbandsentwicklung NABU
25. November 2021 - Die Erfahrung lehrt, dass Koalitionsverträge keine erfreuliche Lektüre für Naturschützer*innen sind. Das ist diesmal anders: Der Koalitionsvertrag der Ampel verspricht einen Aufbruch beim Naturschutz. Auch klimapolitisch ist er ein gewaltiger Fortschritt im Vergleich zur Politik der letzten Jahre. Viel von dem, wofür der NABU seit Jahren mit Herzblut kämpft, wird als anzustrebendes Ziel auf der Agenda der Bundesregierung platziert: Für den Natur- und Artenschutz werden Flächen gesichert und erhebliche zusätzliche Gelder zur Verfügung gestellt, die Meere werden schrittweise von Altmunition bereinigt und von neuen Öl- und Gasbohrungen verschont, Glyphosat wird verboten, der Kohleausstieg wird auf 2030 vorgezogen - um ein paar Highlights zu nennen.
Einige Highlights, aber auch alte Sorgenkinder
Als Naturschutzverband kann es uns aber nicht reichen, wenn eine neue Regierung lediglich besser sein will als die alte. Unsere Messlatte bleibt das, was ökologisch notwendig ist, um die Natur- und Klimakrise zu stoppen – und so unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten und der Natur wieder mehr Raum zu geben. Daran gemessen greift der Koalitionsvertrag zu kurz: In der Landwirtschaftspolitik wird die nötige Wende nur teilweise vollzogen und der Abbau umweltschädlicher Subventionen kommt kaum voran. Die Klimaziele werden weder erhöht noch zuverlässig mit Maßnahmen unterlegt und insbesondere im Verkehrssektor ist vieles fraglich.
Schneller Ausbau zulasten des Naturschutzes?
Wir werden in den nächsten Tagen im Detail fachspezifisch von der Waldpolitik bis zu Sustainable Finance (Nachhaltige Finanzpolitik) auswerten, wo wir als NABU die Umsetzung des Koalitionsvertrags unterstützen wollen, wo wir darüberhinausgehende Forderungen erheben müssen und wo er gar in die falsche Richtung zu gehen droht. Doch ein besonders sensibler Bereich muss schon jetzt erwähnt werden: Die Planungsbeschleunigung. Das Thema findet sich im Koalitionsvertrag an verschiedenen Stellen, die Formulierungen sind teilweise unklar, teilweise besorgniserregend, teilweise hilfreich und in der Summe inkonsistent. Ja, Deutschland muss beim Ausbau von Solar- und Windkraft schneller werden und der Bau neuer Bahntrassen darf nicht Jahrzehnte dauern. Wer aber unter dem Deckmantel der Planungsbeschleunigung einen Generalangriff auf das Naturschutzrecht plant, wird auf den entschiedenen Widerstand des NABU treffen.
Ist das Glas nun halb leer oder halb voll?
Ich komme angesichts der Chancen, die dieser Koalitionsvertrag eröffnet, zu einem optimistischen Ergebnis: sogar etwas mehr als halb voll! Endlich verspricht eine Regierung die großen ökologischen Fragen anzupacken. Erstmals wurde bei der Vorstellung eines Koalitionsvertrags nicht nur die Bedeutung der Klimakrise hervorgehoben, sondern – durch Robert Habeck – auch die fundamentale Bedeutung des Biodiversitätserhalts betont. Die angekündigte Klärung des Verhältnisses von Arten- und Klimaschutz darf daher die Krisen nicht gegeneinander ausspielen. Wir wissen aber auch: Nicht alles, was in Koalitionsverträgen steht, wird automatisch umgesetzt. Und vieles, was in Koalitionsverträgen fehlt, kann im Lauf der Legislaturperiode noch beschlossen werden. Erst im Handeln wird sich zeigen, ob der Ampel ein echter ökologischer Aufbruch gelingt - und dazu werden im ersten Regierungsjahr die richtigen Weichen gestellt werden müssen. In den letzten Jahren sind viele gute Konzepte und Politikinstrumente entwickelt – und dann nicht oder nur halbherzig umgesetzt worden. Diese jetzt zu einem stimmigen Paket zusammenzuschnüren und in Gesetzesform zu gießen, ist die große Aufgabe, die vor der Sommerpause 2022 ansteht. Darauf wird der NABU jetzt mit ganzer Kraft drängen.
Wir sind bereit für die nächsten vier Jahre
Unser NABU-Naturschutzengagement wird in den nächsten Jahren – hoffentlich - auf einen wesentlich fruchtbareren Boden fallen als in der Vergangenheit. Das ist für uns eine große Chance, denn die ehrenamtliche Arbeit tausender Naturschützer*innen im NABU kann in den nächsten vier Jahren den verdienten politischen Rückhalt finden. Es ist aber auch eine große Herausforderung für uns als NABU. Um zum Thema Planungsbeschleunigung zurückzukommen: Wir haben schon skizziert, wie unser Ziel eines „beschleunigten naturverträglichen Ausbaus der Erneuerbaren Energien“ erreichbar ist, jetzt gilt es das in konkrete Konzepte zu übersetzen – auch für uns als NABU.
Jörg-Andreas Krüger, NABU-Präsident
Für mehr Infos folgen Sie @J_A_Krueger
18. November 2021 - Die Koalitionsverhandlungen treten in die entscheidende Phase ein und damit wird es auch spannend rund um das Thema Planungsbeschleunigung. Bereits im Wahlkampf haben Politiker*innen wiederholt eine schnellere und bessere Umsetzung von Planungs- und Genehmigungsverfahren gefordert. Die Grünen wollen Planungs- und Umsetzungszeiten im Rahmen einer anstehenden Modernisierungsoffensive halbieren. Auch die FDP war an einer Beschleunigung von Verfahren interessiert. Die Liberalen setzen neben Aufstockung von Personal in Planungs- und Genehmigungsbehörden vor allem auf die Möglichkeiten der Digitalisierung. Für die SPD sind der massive Ausbau klimafreundlicher Infrastruktur und die Beteiligung der Bürger*innen vor Ort das Herzstück der Klimaschutzpolitik. Alle drei Parteien eint bis jetzt, dass sie das Thema Planungsbeschleunigung in der kommenden Legislatur als prioritär behandeln wollen.
Bessere Infrastruktur im Kampf gegen die Klimakrise
Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass das Thema der Planungsbeschleunigung allein dreimal im Sondierungspapier auftaucht. Planungs- und Genehmigungsverfahren für Bauvorhaben im Bereich der Verkehrsinfrastruktur – genauso wie im Bau- und Energiesektor – dauern in Deutschland bisher oftmals Jahre oder gar Jahrzehnte. Gerade im Angesicht der Klimakrise bedarf es jedoch einer grundlegenden Infrastrukturanpassung, um die Mobilitätswende meistern zu können. Besonders Rad- und Gehwege, sowie das Schienennetz müssen aus- und neugebaut werden, wollen wir den Umstieg vom Auto auf klimakompatible Verkehrsmittel ermöglichen.
Bereits im April 2021 hat der NABU mit einem Positionspapier konkrete Verbesserungsvorschläge für Planungs- und Genehmigungsverfahren gemacht. Neun Verbesserungsvorschläge wurden in einem mehrmonatigen Prozess ausgearbeitet. Dazu gehören unter anderem die Einrichtung einer „Kompetenzstelle Bessere Planung“, die gemeinsame Gutachter*innenauswahl und eine frühzeitige Bürger*innenbeteiligung.
Schnellere Verfahren zu Lasten der Bürger*innenbeteiligung
In der vergangenen Legislaturperiode hat die Bundesregierung mehrere Versuche unternommen, die schnellere Umsetzung von Infrastrukturvorhaben durch Einschnitte bei den Beteiligungs- und Klagerechten von Bürger*innen sowie Umweltverbänden zu erreichen. Dies ist offenkundig der falsche Ansatz, sind damit doch neue Rechtsunsicherheiten verbunden, die im ungünstigsten Fall jahrelange Gerichtsprozesse nach sich ziehen könnten. Die zentralen Stellschrauben liegen indes an ganz anderer Stelle: Denn nüchtern betrachtet ist es vor allem die mangelhafte, personelle Ausstattung der Behörden, die einerseits ein zügiges Abarbeiten von Anträgen verhindert, andererseits aber eben auch zu oftmals mangelhaften Prüfungen führt, die dann aufwändig nachgeholt werden müssen. Eine rechtzeitige Einbeziehung von Expert*innen, auch der Umweltverbände noch vor dem eigentlichen Scoping-Termin – ein Termin zwischen Behörden und Antragsteller*innen noch vor dem Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung - kann hier eine deutliche Qualitätssteigerung der Planung bewirken. Die Digitalisierung der Verwaltungsvorgänge und Planungsunterlagen ist ebenfalls nicht zu gering zu schätzen. Hier muss eine künftige Regierung ansetzen, wenn sie ihre Ziele erreichen will.
Bundesverkehrswegeplan ignoriert aktuelle Gesetzgebung
Was noch fehlt, ist eine Abkehr von der bestehenden autozentrierten und unzeitgemäßen Verkehrsinfrastruktur. Oft gerät bei der Debatte um Planungsbeschleunigung im Bereich der Verkehrsinfrastruktur ein, wenn nicht der, gravierendste Faktor aus dem Blick: Der Bundesverkehrswegeplan 2030 wurde 2016 aufgelegt und berücksichtigt daher jüngere, gesetzliche Vorgaben wie das Klimaschutzgesetz mit seinen sektorspezifischen CO2-Minderungsvorgaben nicht, ebenso wenig wie das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts. Der erste Schritt, um langwierige Verfahren zu vermeiden, wäre also, den Bundesverkehrswegeplan im Zuge der anstehenden Bedarfsplananalyse in Einklang mit Klima-, Natur- und Artenschutz sowie Flächenverbrauchszielen zu bringen. In der Konsequenz würden etliche der aus Sicht des NABU unnötigen, beziehungsweise unhaltbaren Straßenbauprojekte von vornherein entfallen. Bis es soweit ist, kann nur ein sofortiges Fernstraßenmoratorium unheilbare Fehler verhindern. Dass dies auch rechtlich möglich ist, zeigt ein Rechtsgutachten im Auftrag des NABU. Auch hier ist die künftige Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP in der Pflicht.
Felix Leininger, Trainee Verkehrspolitik
15. November 2021 - Die Weltklimakonferenz COP 26 ist zu Ende und unser Blick richtet sich auf das politische Berlin. Während die Bilanz hinsichtlich des Kohleausstiegs und der Verbindlichkeit des 1,5°-Ziels in der Glasgower Abschlusserklärung gemischt ausfällt, sticht ein Aspekt positiv hervor: Die Klimakonvention hebt die Bedeutung gesunder Ökosysteme wie Moore, Meere und Wälder als natürliche Kohlenstoffsenken, die die Widerstandsfähigkeit in der Klimakrise stärken, hervor. Genau davon kann Deutschland lernen. Viel zu oft verrennen wir uns beim Thema Klimaschutz im Meer in Diskussionen um höhere Ausbauziele für die Offshore-Windenergie, anstatt die Funktionen der Meere sowie eine nachhaltige maritime Wirtschaft als natürliche Verbündete in der Klimakrise zu verstehen.
Das Potenzial von marinen Kohlenstoffspeichern
Ocean Action Day, Nature Day, Nature Based Solutions – in vielen Beiträgen und Foren standen die Meere mit ihren Funktionen für Klima, Mensch und Umwelt im Mittelpunkt der Diskussionen in Glasgow. Während Inselstaaten, die am stärksten unter dem steigenden Meeresspiegel leiden, eindringliche Appelle an die Weltgemeinschaft richteten, formierte sich mit dem Ocean Panel eine Allianz, die Meere ins Zentrum ihrer zukünftigen Klimapolitik rücken will – leider ohne Deutschland. Insgesamt 15 Staaten, darunter Australien, Japan, die USA und Fiji, verpflichten sich zum wirksamen Schutz der Meere und zu einer nachhaltigen maritimen Wirtschaft auf 100 Prozent ihrer Meeresgebiete. Dazu gehören Investitionen in die Meeresforschung ebenso wie eine umweltschonende Fischerei, der Ausbau erneuerbarer Energien und die Wiederherstellung von marinen Kohlenstoffspeichern.
Die Bedeutung der marinen Kohlenstoffspeicherung ist lange bekannt. Der Weltklimarat zeigte 2019, dass die Ozeane in den letzten 50 Jahren gut ein Viertel des vom Menschen verursachten Kohlendioxids aufgenommen haben. Neben Tiefseegebieten und Mangroven in ihrem Speicherpotenzial ganz vorn mit dabei: Salz- und Seegraswiesen. Britische Wissenschaftler*innen berechneten, dass eine Salzwiese in sechs Jahren so viel Kohlenstoff binden kann wie eine vergleichbare Fläche an Wald in 100 Jahren. Anders als Wälder entziehen sie (wie Moore) der Atmosphäre zudem langfristig, nahezu dauerhaft Kohlendioxid.
Marine Renaturierung in Deutschland
In Deutschland werden seit einigen Jahren Salzwiesen wiedervernässt und renaturiert sowie Sommerdeiche im Wattenmeer geöffnet. Langsam lernen wir, dass das was als Naturschutzmaßnahme startete, ein Win-Win-Win für den Natur-, Küsten- und Klimaschutz werden kann. Ähnlich die Wiederherstellung von Seegraswiesen. Ihr Potenzial zur Kohlenstoffbindung übertrifft die meisten terrestrischen Systeme mit durchschnittlich 27-52 Gramm pro Quadratmeter. Umso schmerzlicher, dass allein an der deutschen Nord- und Ostseeküste in den vergangenen 100 Jahren mehr als 2000 Quadratkilometer Seegras verloren gegangen sind. Doch jetzt hat ein erstes Projekt zur Wiederherstellungen von Seegraswiesen in der Kieler Bucht alle Erwartungen übertroffen. Auf 2000 Quadratmetern wachsen die frisch gepflanzten Seegräser fünfmal besser als erwartet. Die Renaturierung mariner Biotope kann also funktionieren – wenn der meerespolitische Rahmen stimmt und die Finanzierung von Wiederherstellungsprojekten gesichert ist.
Meeresschutz ist Klimaschutz
Die marine Kohlenstoffspeicherung funktioniert nur in gesunden Ökosystemen. Eine zu hohe Nährstoffbelastung verhindert das Wachstum von Seegras. Deichbau und landwirtschaftliche Entwässerung verhindern das Aufwachsen von Salzwiesen. Grundschleppnetze, die den Meeresboden durchpflügen, setzen im Meeresgrund gebundene klimaschädliche Gase in einer Größenordnung wie der internationale Flugverkehr frei und Pipelines oder Tunnelprojekte zerstören Riffe und Makrophyten in Nord- und Ostsee.
Deshalb unser Appell an die deutsche Politik und besonders an die Verhandler*innen der zukünftigen deutschen Bundesregierung: Wir brauchen einen ambitionierten Meeresnaturschutz, mit Schutzgebieten, die ihren Namen verdienen, mit einer verbesserten Ausstattung der Naturschutzbehörden. Wir brauchen eine Wiederherstellungsoffensive mariner Kohlenstoffsenken, einen Renaturierungsplan Meer. Kurz: Wir brauchen einen meerespolitischen Aufbruch, einen Blue Deal für Deutschland!
Zum NABU Hintergrundpapier „Meeresschutz ist Klimaschutz“.
Dr. Kim Detloff, Leiter Meeresschutz
12. November 2021 - Der Wald ist wichtig – für unser Gemeinwohl, die Versorgung durch Holz, den Schutz gegen Hochwasser und als Helfer in der Klimakrise. In den Sondierungspapieren von SPD, FDP und Grünen bleibt der Wald jedoch unerwähnt. Daher ist bisher völlig unklar, was mit den Wäldern in Deutschland passieren soll und welchen Umgang die Ampelkoalition mit diesem Thema findet. Zudem ist der Zustand der Wälder in Deutschland dramatisch: Bei kaum einem anderem Ökosystem sind die Folgen der menschenverursachten Klimakrise und des Jahrzehnte andauernden Missmanagements so deutlich wie beim Wald. Dürreschäden, eingeschleppte Pilzkrankheiten, Insektenkalamitäten und Waldbrände sind Ausdruck des Leidens der Wälder. Dabei werden intakte Wälder unbedingt als Verbündete im Kampf gegen den Biodiversitätsverlust und die Klimakrise benötigt.
In der kürzlich stattgefundenen Bundesvertreterversammlung verabschiedete der NABU eine Waldresolution und zeigt die wichtigsten Handlungsfelder, die jetzt im Bereich Wald angegangen werden müssen, auf:
Der NABU fordert die künftige Bundesregierung dazu auf, auf globaler, europäischer und nationaler Ebene, sowie mit den Bundesländern aktiv für die Ziele und Instrumente des Green Deals einzutreten und mit den Ländern die EU-Biodiversitätsstrategie konsequent umzusetzen. In diesem Sinne sollen mindestens 30 Prozent der EU-Landfläche unter Schutz gestellt und davon zehn Prozent strikt geschützt werden. Hier muss ein besonderer Schwertpunkt auf Gebiete mit sehr hohem Biodiversitätswert oder ‑potenzial gelegt werden. Ein weiterer Schwerpunkt ist der strikte Schutz von allen verbleibenden Primär- und Altwäldern.
Waldmanagement: Naturschutz als oberste Priorität
Außerdem muss das Waldmanagement zukünftig am Primat der Ökologie ausgerichtet werden. Das bedeutet, dass dem Umwelt- und Naturschutz die höchste Priorität zugewiesen wird. Ziel müssen mit Blick auf ihre Dynamik, Struktur und Zusammensetzung möglichst naturnahe und damit resiliente Wälder sein. Das Waldmanagement muss insbesondere auf Naturverjüngung aller Baumarten der natürlichen Waldgesellschaft, Strukturreichtum, große Biomassevorräte (einschließlich Totholz) sowie auf ein grundsätzlich möglichst feucht-kühles Waldinnenklima abzielen. Die durch Schädlinge herbeigeführten Kahlflächen sollen durch Naturverjüngung wieder bewaldet werden. Denn die ökologischen und ökonomischen Folgeschäden der Kahlflächen müssen unverzüglich begrenzt werden wie beispielsweise Erosion, reduzierte Wasserspeicherfähigkeit, Humusabbau, Nitratauswaschung oder Biodiversitätsverlust. Die Naturverjüngung bildet den ökologischen Schlüsselfaktor für Gegenmaßnahmen und ist zugleich die Grundlage des naturnahen Waldbaus.
Rohstoff Holz: Mehrfach nutzen statt direkt verbrennen
Holz ist ein wertvoller nachwachsender Rohstoff, der nur im begrenzten Maß zur Verfügung steht. Daher muss die stoffliche Nutzung von Holz (z.B. Konstruktionsholz) im Mittelpunkt stehen und einer langfristigen Kohlenstoffbindung Rechnung tragen. Die energetische Nutzung von Holz kann erst am Ende der Mehrfachnutzung sinnvoll werden. Die direkte Verbrennung von Frischholz ist eine klimaschädliche Verschwendung eines Rohstoffes und muss dringend kontinuierlich reduziert werden. Die Umrüstung von Kraftwerken auf Holzverbrennung ist unsinnig und darf nicht subventioniert werden.
Wälder bieten vielseitige Ökosystemleistungen wie beispielsweise Kühlung, Kohlenstoff- und Wasserspeicherung, Holz- und Sauerstoffproduktion sowie Erholung. Ohne den Erhalt der biologischen Vielfalt können diese Leistungen nicht dauerhaft erbracht werden. An die Stelle der Maximierung der Holznutzung muss daher ein ökosystemorientiertes Waldmanagement treten. Der Grundwasserbildung, Abflussverzögerung und Wasserspeicherkapazität aller Wälder ist mit Blick auf den Landschaftswasserhaushalt und Hochwasserschutz mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Individuelle Förderung für Waldbesitzer*innen
Aufgrund der herausragenden Bedeutung der Ökosystemleistungen für Natur und Menschen sollen diese honoriert werden. Private und kommunale Waldbesitzer*innen, die ihr Waldeigentum nachweislich und wirksam im Sinne der Sicherung und Förderung der Ökosystemleistungen managen und dabei noch festzulegende gesetzliche Mindestanforderungen übertreffen, sollen dafür aus Mitteln der öffentlichen Hand honoriert werden. Pauschale flächenbezogene Prämien lehnt der NABU dagegen entschieden ab.
Der NABU fordert die künftige Bundesregierung dazu auf, neue Rahmenbedingungen zu setzen, damit ein konsequent ökosystembestimmtes Waldmanagement zum Standard wird. Eine Politik ist notwendig, die natürliche Waldlebensgemeinschaften mit ihrer typischen Artenvielfalt schützt und stärkt, darunter viele Pilz-, Pflanzen- und Tierarten, deren Überleben von ihren Beständen in Mitteleuropa abhängt. Nur so können auch die vielfältigen Ökosystemleistungen unserer Wälder gesichert oder wiederhergestellt werden, die den Wald und damit auch uns widerstandsfähiger gegen die Klimakrise machen. So kann auch die Rolle des Waldes als Kohlenstoffsenke gestärkt werden.
Birte Cordts, Referentin für Waldnaturschutz und nachhaltige Waldnutzung
04. November 2021 - Eines der drängendsten Themen der neuen Legislaturperiode wird der nachhaltige und klimafreundliche Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft sein. Zur Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens spielt der Verkehrssektor dabei eine Schlüsselrolle. Während der politische Fokus jedoch oftmals auf dem Auto liegt, darf die Schifffahrt mit ihrem enormen CO2-Ausstoß dabei nicht ignoriert werden. Die bisher unzureichenden Vorgaben der International Maritime Organisation (IMO) sind nicht im Mindesten dazu geeignet, Schiffsemissionen entsprechend den Zielen von Paris zu senken – politische Maßnahmen auf sowohl europäischer als auch nationaler Ebene sind somit unabdingbar.
Die aktuellen Koalitionsverhandlungen sind dabei eine ideale Gelegenheit, eine nachhaltige maritime Wirtschaft langfristig mit effektivem Klima- und Naturschutz zu verbinden. Noch ist davon aber nichts zu sehen. Aussagen zur Schifffahrt, Häfen und Werften fehlen noch vollständig im Sondierungspapier. Das muss sich dringend ändern, immerhin ist die Schifffahrt für knapp drei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Gerade ein Exportweltmeister wie Deutschland ist hier in der Pflicht, die Klimabilanz der internationalen Warenströme in den Blick zu nehmen – zumal sich damit auch industriepolitische Chancen für die maritime Wirtschaft in Deutschland und Europa ergeben.
Saubere Technologie für nachhaltige Schifffahrt
Eine Antriebswende ist dabei in der Schifffahrt eher früher als später unausweichlich: Dass Schweröl trotz des Einsatzes von Scrubbern, also Schwefeldioxidwäscher, keine Perspektive haben darf, ist klar. Das Gleiche gilt jedoch ebenso für Marinediesel und fossiles Flüssiggas (LNG), welches aufgrund von Methanschlupf eine ähnlich schlechte Klimabilanz aufweist. Alternative Kraftstoffe sind mit grünem Wasserstoff, Ammoniak und Methanol bereits entwickelt. Dabei zeichnet sich ab, dass es keine singuläre Lösung geben wird: Ein Mix der unterschiedlichen Treibstoffarten, ergänzt um Batterie- und Windunterstützung, wird notwendig sein, um Schiffe in Zukunft nachhaltig anzutreiben. Der zeitnahe Ausbau der Infrastruktur zur Bereitstellung von grünem Landstrom in deutschen Häfen samt Abnahmepflicht ist dabei ebenso unentbehrlich, wie ein Ende der Steuerbefreiung für fossile Kraftstoffe in der Schifffahrt. Die Reedereien, die Spediteure und nicht zuletzt auch die großen Einzelhändler und Produzenten verlangen nach klimafreundlichem Transport. Die Technologie steht bereit. Was fehlt ist die Regulierung, die Planungssicherheit gibt und Investitionen entfesselt.
Eine nachhaltige maritime Wirtschaft erfordert jedoch auch den Einbezug unterschiedlicher Perspektiven aus ökonomischer, ökologischer und sozialer Sicht: Ohne klimafreundliche Technologien beim Neu- und Umbau sowie verstärkte Nutzung emissionsarmer Kraftstoffe würde die Gefährdung von Klima und Umwelt munter vorangetrieben. Auch die Zukunft deutscher Werftstandorte ist nur durch die gesicherte Technologieführerschaft für moderne, klimafreundliche Antriebe möglich. Somit bietet sich die Chance, die Klimabilanz der Schifffahrt zu verbessern und gleichzeitig Arbeitsplätze zu sichern und wirtschaftliche Entwicklung an der Küste zu gestalten.
Grüne maritime Wirtschaft und Meeresschutz Hand in Hand
Neben der Reduzierung klimaschädlicher Emissionen können auch maritime Wirtschaft und Meeresschutz gemeinsam profitieren. Lärmemissionen beispielsweise tragen weiterhin zur Gefährdung des Ökosystems bei. Damit Schutzgebiete sichere Häfen für bedrohte Lebensräume oder Arten wie den Schweinswal sind, müssen sich mindestens 50 Prozent der Meeresschutzgebiete in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) zu tatsächlich nutzungsfreien Zonen entwickeln. In Schutzgebieten wie dem Fehmarnbelt, wo es nicht möglich ist, den Schiffsverkehr aus Schutzgebieten herauszuhalten, muss Unterwasserschall deutlich reduziert werden. Die Entwicklung und Nachrüstung moderner, schallarmer Antriebe ist eine Chance gleichermaßen für den Schweinswal und den Technologiestandort Deutschland.
Keine Koalitionsverhandlung ohne Klima- und Naturschutz!
Aus Sicht des NABU ist deshalb klar: Die Zukunft der maritimen Wirtschaft kann nur durch schnelle politische Maßnahmen erfolgreich gestaltet werden. Der Zeitpunkt ist ideal – die Bundestagswahl bietet die Chance, langfristige Programme für emissionsarme und nachhaltige Schifffahrt umzusetzen und gleichzeitig den Naturschutz in Nord- und Ostsee gewährleisten. SPD, FDP und Grüne müssen nun sicherstellen, dass der Koalitionsvertrag auch ein starkes Aufbruchssignal für eine ökologische Wende auf See ist. Alles andere wäre inakzeptabel und eine vertane Chance.
Christian Kopp, NABU-Referent für Verkehrspolitik
02. November 2021 - Im schottischen Glasgow begann diese Woche die 26. Weltklimakonferenz (COP26). Im Pandemiejahr 2020 kam der internationale Klimaschutzprozess ins Stocken. Die Treibhausgasemissionen sind nach kurzem Knick durch den Lockdown weiter gestiegen. Aktuellen Prognosen zufolge reichen selbst die bisher zugesagten Klimaschutzmaßnahmen nur für eine Begrenzung der Erderhitzung auf rund 2,7 Grad. Deshalb ist es dringend notwendig, dass alle Staaten ihre Klimaschutzambitionen steigern, denn das 1,5 Grad-Limit muss die Richtschnur bleiben.
Zum Auftakt der COP26 kamen120 Staatschefs mit Ankündigungen, was sie in ihren Ländern für den Klimaschutz tun werden. Deutschland – in der Vergangenheit nie um große Ankündigungen verlegen – kommt in diesem Jahr als lahme Ente mit der scheidenden Kanzlerin Angela Merkel daher. Von Glasgow aus richten sich deshalb die Blicke nach Berlin – was wird von der kommenden Regierung zu erwarten sein?
SPD, FDP und Grüne haben bei der Vorstellung der Sondierungsergebnisse ihrer kommenden Koalition diese vollmundig als Transformations- und Reformregierung bezeichnet. Während sicher ist, was die Ampel bei Schuldenbremse, Steuerpolitik, Rente und Mindestlohn will, ist beim Klimaschutz noch wenig klar. Das 1,5-Grad-Limit muss auch als Richtschnur für das Regierungsprogramm der Ampel gelten. Mehr noch: Es ist nötig, dass zum Abschluss der Arbeitsgruppe Klima, Energie, Transformation der Koalitonsverhandlungen der wichtige „Wumms“ in der Klimapolitik erkennbar wird. Denn das Timing passt perfekt – am 10. November schließen die AGs ihre Arbeit ab – sodass dieses notwendige Aufbruchssignal noch nach Glasgow ausstrahlen kann.
Sicher ist, dass eine so vollmundig angekündigte Erklärung nicht hinter dem zurückbleiben darf und kann, was die letzte Große Koalition mit dem Klimaschutzgesetz geschaffen hat. Es ist klar, dass ein Klimaschutz-Sofortprogramm jetzt für schnelle Erfolge im Klimaschutz sorgen muss: Der Kohleausstieg sollte nicht nur „idealerweise“ früher kommen, sondern er ist Bedingung, um die 1,5 Grad Grenze nicht zu reißen. Und natürlich muss er von einer deutlichen Beschleunigung des naturverträglichen Ausbaus der erneuerbaren Energien flankiert werden. Der Bau von Fernstraßen muss sofort ausgesetzt werden. Und der Abbau von umweltschädlichen Subventionen muss natürlich bedeuten, dass Dieselprivileg und Dienstwagensubventionen zurückgefahren werden. Und der dickste Brocken: Unsere Gebäude müssen unter anderem durch energetische Sanierung schnell fit gemacht werden für eine 1,5 Grad-Welt.
Das Klimaschutz-Sofortprogramm muss eine Perspektive hin zur Klimaneutralität aufzeigen. Das ist es, was die Welt auch in Glasgow jetzt braucht: Eine neue, postfossile Erfolgsgeschichte und eine Regierung, die sich traut, diese Geschichte zu schreiben.
Sebastian Scholz, Leiter Energiepolitik/Klimaschutz
Für mehr Infos folgen Sie @sebasscholz und @NABU_Klima
28. Oktober 2021 - Aktuell verhandeln SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP über einen Koalitionsvertrag für die kommenden vier Jahre. Finanzfragen erweisen sich hierbei als besondere Herausforderung, die finanzpolitischen Spielräume sind eng. Gleichzeitig wurden im Jahr 2018, so das Umweltbundesamt, 65 Milliarden Euro für Subventionen umweltschädlicher Aktivitäten ausgegeben. Der NABU fordert die kommende Bundesregierung daher auf, milliardenschwere Fehlanreize deutlich zurückzufahren. Nicht selten reduzieren umweltschädliche Subventionen den Modernisierungsdruck und erhöhen so Folgekosten in der Zukunft. Zugleich eröffnet der Abbau natur- und klimaschädlicher Subventionen einen höheren Investitionsspielraum – etwa in einen stärkeren Umweltschutz.
Die Liste umweltschädlicher Subventionen ist lang
Umweltschädliche Subventionen in Form von direkten Finanzhilfen, Steuerausnahmen oder Begünstigungen bestimmter Güter und Dienstleistungen finden sich in vielen Sektoren. Hierzu gehören etwa pauschale Flächenprämien in der EU-Agrarförderungen oder Subventionen für Agrardiesel. Auch Steuerbefreiungen für Kerosin und internationale Flüge sowie umweltschädliche Biokraftstoffförderungen oder Entfernungspauschalen ohne ökologische Lenkungswirkungen setzen die falschen Anreize. Hinzu kommen hohe Subventionen für die Energieproduktion und energieintensive Unternehmen, die die notwendige Modernisierung verzögern sowie umweltschädliche Mehrwertsteuersubventionen etwa für tierische Produkte oder Bauförderungen, die die Flächenversiegelung weiter anheizen.
Größter Handlungsdruck: Land- und Forstwirtschaft, Verkehrssektor und Energiewirtschaft
Der größte Handlungsdruck besteht in der Land-, Forstwirtschaft, dem Verkehrssektor sowie im Bereich der Energieproduktion und –nutzung. Dem aktuellen Bericht des Umweltbundesamtes (UBA) zu umweltschädlichen Subventionen zufolge sind diese Sektoren die größten Nutznießer. Die Land- und Forstwirtschaft erhält laut UBA 6,1 Milliarden Euro jährlich. Allerdings fehlen genauere Zahlen zur Agrarförderung der Europäischen Union. Laut einer 2021 veröffentlichten Studie von DNR und FÖS belaufen sich die Subventionen für Land- und Forstwirtschaft auf bis zu 12 Milliarden Euro pro Jahr. Energiebereitstellung und -nutzung werden jährlich mit etwa 25 Milliarden Euro gefördert. Der größte Subventionsbereich ist jedoch der Verkehrssektor: 30 Milliarden Euro umweltschädliche Subventionen pro Jahr identifiziert das Umweltbundesamt. Viel Geld, das durch den Verzicht auf ökologische Leitplanken Umwelt- und Klimaschutzzielen entgegenwirkt. Umweltschädliche Subventionen führen so zu einem enormen Verlust unserer Artenvielfalt und zu hohen ökologischen Folgekosten.
Besonders eklatant: Auf ökologische Lenkungswirkungen wird vielfach verzichtet
Der Verzicht auf ökologische Lenkungswirkungen verschärft den Schaden an der Natur. Besonders deutlich wird dies im Landwirtschaftssektor. Hier werden durch die aktuelle Subventionspraxis pauschale Flächenprämien vergeben, anstatt umweltverträgliche Aktivitäten zu fördern. Effektiv werden so diejenigen begünstigt, die ihre Flächen intensiv nutzen und hohe Umweltschäden in Kauf nehmen. Ähnliche Effekte sind im Verkehrssektor zu beobachten: Durch hohe Subventionen ohne Lenkungswirkung, wie etwa Dieselsubventionen oder Dienstwagenprivilegien, wird die dringend nötige Mobilitätswende blockiert. Der Effekt: Die CO2-Emissionen des Sektors stagnieren auf hohem Niveau. Gleichzeitig wird eine weitere Zersiedelung der Landschaft begünstigt. Weitere Artenverluste sind die Folge.
Abbau umweltschädlicher Subventionen eröffnet finanziellen Spielraum
Der Abbau umweltschädlicher Subventionen ist nicht nur aus ökologischen Gründen dringend geboten. Bereits jetzt sind die Biodiversitätsverluste enorm. Weitere umweltschädliche Subventionen verstärken die Krise. Ihr Abbau reduziert nicht nur ökologische Folgekosten. Er ermöglicht der kommenden Bundesregierung höhere finanzielle Spielräume: für einen stärkeren Umweltschutz und dringend notwendige Zukunftsinvestitionen.
Dennis Zagermann, Referent für Sustainable Finance
Für mehr Infos folgen Sie @DennisZagermann und @NABU_SusFinance
26. Oktober 2021 - In den Sondierungsgesprächen haben sich SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP darauf verständigt, „im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse die nötigen Zukunftsinvestitionen [zu] gewährleisten, insbesondere in Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung und Forschung sowie die Infrastruktur.“ Das ist gut und richtig, aber eines fehlt hier völlig: die Natur.
Zwar wird „das Artensterben, der Verlust der Biodiversität“ als eine „weitere ökologische Krise“ bezeichnet, der man mit wirksamen Maßnahmen begegnen wolle. Für wirksame Maßnahmen aber braucht es Geld, und die Wiederherstellung der Natur ist genauso wie Bildung und Forschung eine Zukunftsinvestition! Die Wiederherstellung von Ökosystemen gibt nicht nur Arten einen Lebensraum; Moore, Wälder und Flussauen fungieren auch als natürliche Kohlenstoffsenken, tragen also direkt zum Klimaschutz bei. Sie puffern Extremniederschläge und Hochwasser ab und speichern Wasser für Trockenperioden – sind also auch Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel par excellence. Eine Investition in Renaturierungen zahlt sich also mindestens dreifach aus – sogar vierfach, wenn man die vielfältigen positiven gesundheitlichen Wirkungen einer intakten Umwelt auf den Menschen hinzu nimmt.
Wie können solche Investitionen praktisch aussehen?
Es braucht einen Sonderrahmenplan Biodiversität in der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz: So kann der Bund die Länder mit einer Größenordnung von 500 Millionen Euro pro Jahr direkt dabei unterstützen, den praktischen Naturschutz mit Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen in der Fläche wirksamer zu machen. (Noch besser wäre es, eine eigenständige Gemeinschaftsaufgabe für den Naturschutz zu schaffen. Dafür bräuchte es allerdings eine Grundgesetzänderung mit Zweidrittelmehrheit.) Um diesen Effekt zu stützen, müssen zusätzlich Gelder der EU umgelenkt werden – weg aus der wenig umweltfördernden 1. Säule der EU-Agrarpolitik, hin zu Agrarumweltmaßnahmen in der sogenannten 2. Säule.
Die Schaffung eines Nationalen Renaturierungsfonds: Die Wiederherstellung von Jahrzehnte lang beschnittenen und bedrängten Lebensräumen ist zweifellos ein Kraftakt, für den man nicht kleckern, sondern klotzen muss. Diese Aufgabe wird sich aber mittel- und langfristig rechnen. Wenn die benötigten 500 Millionen Euro pro Jahr zumindest teilweise aus den Einnahmen des Emissionshandels (also Energie- und Klimafonds) fließen, kann es haushaltskonform gelingen, großflächig Ökosysteme wieder herzustellen, als Lebensräume und Kohlenstoffspeicher. Wo das überall ginge, hat der NABU in einer Studie anschaulich darstellen lassen.
Die Einrichtung eines Artenschutzfonds: Der notwendige beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien wird den Druck auf Arten und ihre Lebensräume erhöhen, die aus anderen Gründen schon in schlechtem Zustand sind. Ein Fonds in Höhe von 200 Millionen Euro pro Jahr kann dafür sorgen, gesunde und miteinander vernetzte Populationen von Arten zu erhalten. Diese sind eine Grundvoraussetzung für widerstandsfähige Ökosysteme, die gerade in der Klimakrise benötigt werden, um die Ernährung zu sichern sowie das Klima und unsere Gesundheit zu schützen.
Das Nationale Naturerbe ausbauen: Der Bund verfügt über eine ganze Reihe von Flächen im ländlichen Raum, die dringend für den Naturschutz genutzt werden sollten – für den Biotopverbund, für die Optimierung von Schutzgebieten, für die Stärkung des nationalen Naturerbes oder für den Gewässer- und Auenschutz. Die zukünftige Bundesregierung muss deshalb auf eine weitere Privatisierung von Bundesflächen im ländlichen Raum dauerhaft verzichten.
Den Wildnisfonds flexibilisieren, um großflächige Wildnisgebiete zu ermöglichen: Aufgrund der schwierigen Planbarkeit bei der Sicherung von Wildnisgebieten stößt der bisherige Fonds an seine Grenzen. Die Bundesregierung sollte ihr Engagement weiter verstärken und eine Verbrauchsstiftung mit einer Mindestausstattung von insgesamt einmalig 500 Millionen Euro einrichten. Aus dieser Stiftung kann dann der Erwerb von Flächen und Nutzungsrechten, aber auch von Folgekosten finanziert werden.
Till Hopf, Leiter Biodiversität
22. Oktober 2021 - Gestern sind die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP gestartet. Sie werden zeigen, ob die Ampel die Herausforderungen des Klimawandels ernsthaft angeht oder im Weiter-so-Modus der letzten Jahre verharrt. Eine der härtesten umweltpolitischen Nüsse ist zweifelsohne der Verkehr: Er ist für rund 20 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich und seine Emissionen liegen nach wie vor auf dem Niveau von 1990. Über 90 Prozent davon werden durch PKW verursacht. Da lohnt ein Blick in das am Freitag erschienene Sondierungspapier: Wie viel sozial-ökologischer Aufbruch ist nach zwölf Jahren CSU-Verkehrspolitik zu erwarten, die allen voran das Auto im Sinn hatte?
Verbrenner-Aus spätestens 2035
Die zukünftige Bundesregierung will sich am Ziel der EU orientieren, 55 Prozent der CO2-Emissionen bis 2030 zu reduzieren (Fit-for-55). Darin ist vereinbart, dass neu zugelassene Autos ab 2035 kein CO2 mehr ausstoßen dürfen. Das ist ein großer Sprung nach vorn, weil es bedeutet: Die Neuzulassung von Verbrennungsmotoren läuft auch in Deutschland spätestens 2035 aus. Die Sondierer*innen gehen davon aus, dass sich das Zulassungsende bereits früher „auswirkt“; erforderlich wäre jedoch, sich auch aktiv dafür einzusetzen – schließlich hat Deutschland mit seiner großen Automobilindustrie eine Schlüsselrolle in Europa.
Ebenfalls positiv ist die Forderung, Deutschland zum Leitmarkt von Elektromobilität zu machen und dementsprechend den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur massiv zu beschleunigen.
Abschaffung klimaschädlicher Subventionen – mehr Beteiligung und Planungsbeschleunigung
Die Koalitionspartner wollen klimaschädliche Subventionen streichen und dadurch Spielräume im Haushalt schaffen. Das könnten die großen Stellschrauben zur Dekarbonisierung des Verkehrssektors sein. Hier muss es in den kommenden Verhandlungen darum gehen, das Diesel- und Dienstwagen-Privileg abzuschaffen, die KFZ-Steuer neu auszurichten, den Bonus für Hybridfahrzeuge zu beenden und die Steuerbefreiung von Kerosin und marinen Kraftstoffen fallen zu lassen. Auch die Förderung gasbetriebener LKW in Form einer Kaufprämie und einer Maut-Ausnahme muss sofort beendet werden. Wenn davon nichts kommt, kann von klimapolitischer Wende nicht die Rede sein.
Die drei Parteien möchten die Dauer von Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren mindestens halbieren. Diesen Schritt zur notwendigen Modernisierung Deutschlands unterstützen wir, sofern dies weder zulasten einer sorgfältigen Umweltverträglichkeitsprüfung, noch den Beteiligungs- und Klagerechten von Bürger*innen sowie Umweltverbänden kommt. Positiv ist, dass in Zukunft Entscheidungsfindungen durch neue Formen des Bürger*innendialogs verbessert werden sollen. Für einen sozial-ökologischen Aufbruch in Sachen Infrastruktur sollten zusätzlich noch nicht begonnene Straßenbauprojekte vorerst ausgesetzt und erst nach einer Anpassung des Bundesverkehrswegeplans weiter realisiert werden.
Sorgenkinder ÖPNV, E-Fuels und Dauerbrenner Tempolimit
Leider ist das Papier über weite Strecken enttäuschend: Die jährlichen Sektorziele im Klimaschutzgesetz sollen abgeschafft werden. Gerade für den trägen Mobilitätsbereich wäre dies verheerend und ein echter Rückschritt hinter die Klimapolitik der Großen Koalition. Fuß-, Fahrrad- und öffentlicher Verkehr finden kaum Erwähnung. Ohne attraktive Alternativen zum Auto wird es keine Mobilitätswende und keine Dekarbonisierung des Verkehrs geben. Dafür braucht der ÖPNV eine angemessene finanzielle Grundlage und Infrastruktur.
Die Klimabilanz des Fahrzeugbestands will man mittels sogenannter E-Fuels verbessern. Diese potenziell CO2-neutralen Kraftstoffe, mittels komplexer Prozesse über Strom erzeugt, haben einen wesentlich schlechteren Effizienzgrad als batterieelektrische Antriebe. Der Einsatz von E-Fuels erfordert rund fünf- bis sechsmal mehr Wind- und Solaranlagen und ist angesichts des ohnehin schwierigen Ausbaus von erneuerbaren Energien klimapolitischer Irrsinn.
Enttäuschend ist zuletzt die Absage an das Tempolimit im Sondierungspapier, obwohl sowohl Grüne als auch SPD es explizit fordern. Denn: Was ist von einer Koalition zu halten, die für eine klimapolitische Erneuerung stehen will und es nicht einmal schafft, solche naheliegenden Klimaschutzmaßnahmen in Angriff zu nehmen? Aus Verkehrssicht lautet das Fazit leider: Die versprochene Modernisierung und das Anpacken der großen Herausforderungen sehen anders aus. Es hängt nun an allen drei Parteien, in den Koalitionsverhandlungen zu zeigen, dass sie sich ernsthaft „dem Fortschritt verpflichtet“ fühlen.
Nikolas von Wysiecki, Referent für Verkehrspolitik
18. Oktober 2021 - Nach SPD und Grünen hat auch die FDP den Weg am Montag für Koalitionsverhandlungen freigemacht. Die Erwartungen sind hochgeschraubt worden: Olaf Scholz will Klimakanzler werden. Die Grünen nur in einer Klimaregierung mitmachen, die Energie-, Verkehrs- und Landwirtschaftspolitik verändert. Und die FDP will das ganze Land modernisieren und öffentliches Geld effizienter ausgeben. Doch vor allem in puncto Finanzierung lässt das am vergangenen Freitag präsentierte Sondierungspapier noch viele Fragen offen. Beim Naturschutz weist das Papier von SPD, Grünen und Liberalen zudem große Leerstellen auf. Schaltet die Ampel also auf ökologischen Aufbruch, nachdem Deutschland in den letzten Jahren den Anschluss an die Zukunft zu verlieren schien?
Gemeinsam mit vielen Aktiven aus dem NABU und anderen Verbänden haben wir es geschafft, das Thema Umwelt und Klima ganz nach vorne in die Prioritätenliste der Wähler*innen und in den Programmen fast aller Parteien zu bringen. Darauf sind wir stolz, doch jetzt kommt es darauf an, dass aus Ankündigungen konkrete Politik wird. Es liegt nun in der Hand der Parteien, ob wir bald den Startschuss für die Aufholjagd in Richtung naturverträgliche und klimaneutrale Zukunft erleben – oder einen Fehlstart. Wenn weiter unpopuläre Entscheidungen verschoben und Interessengruppen mit umweltschädlichen Subventionen ruhiggestellt werden, dann erleben wir ein Remake der Großen Koalitionen. Das können wir uns schlicht nicht leisten. Deshalb werden wir die Verhandlungsergebnisse an unseren Forderungen für Natur- und Klimaschutz messen.
Dringend notwendig: Ein Notprogramm für die Natur
Die Krise der Natur ist brutal, das haben uns die Hochwasser- und Feuerkatastrophen der letzten Monate auf der ganzen Welt gezeigt. Das uns tragende Netz der Artenvielfalt bekommt immer größere Risse. Ein Fünftel aller Vogelarten ist vom Aussterben bedroht, der Insektenschwund setzt sich fort. Nur eine intakte Natur schützt uns vor der Klimakrise, sie bindet Treibhausgase und mildert Extremwetter ab. Eine ausgebeutete Natur hingegen wird zu einer Gefahr für uns: Wenn Wälder brennen und trockengelegte Moore CO2 ausstoßen, drohen fatale Kipppunkte auch für das Klima. Der NABU hat deswegen ein Notprogramm für die Natur vorgelegt, in dem schnelle und ambitionierte Schritte vorgeschlagen werden: Der Natur mehr Raum geben, Schutzgebiete wirksam machen, einen Pakt für Artenschutz und grüne Infrastruktur, Meere, Wald und Offenland durch echte Landnutzungsreformen stärken. Kostenpunkt: 1 Milliarde Euro pro Jahr. Derzeit gibt Deutschland 67 Milliarden für naturschädliche Subventionen aus. Soweit zum Thema „leider kein Geld da um unsere Lebensgrundlagen zu retten“, liebe Haushälter*innen in den Parteien!
Naturschutz, Klimaschutz und das menschliche Wohlergehen sind untrennbar miteinander verbunden. Ohne intakte Natur kein Klimaschutz und keine Klimavorsorge. Und ohne eine Vollbremsung bei der Erderhitzung keine Chance für einen Großteil unserer Tier- und Pflanzenarten. Daher muss die Regierung in der Tat zu einer Klimaregierung werden – und ein 100-Tage-Gesetzespaket für den Klimaschutz vorlegen, mit dem das Ende der fossilen Wirtschaft eingeleitet wird. Die naturverträgliche erneuerbare Energieversorgung, eine zukunftsfähige Verkehrspolitik und eine Effizienzrevolution bei unserem Ressourcenverbrauch müssen bereits zu Anfang der Legislatur auf die Schiene gesetzt werden.
Deutschland muss Führungsrolle bei Klima- und Naturschutz einnehmen
Im Wahlkampf und davor hatte man oft den Eindruck, Deutschland befinde sich auf einem ansonsten unbewohnten Planeten. Die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt und der größte EU-Staat war in vielen Bereichen der globalen und EU-Politik ein Totalausfall. Die neue Bundesregierung muss dringend die Nabelschau beenden und wieder eine Führungsrolle einnehmen – in Europa und weltweit. Die anstehende Klimakonferenz in Glasgow, die laufenden Verhandlungen zum geplanten „Paris-Abkommen“ für die Artenvielfalt und die Debatten zur künftigen EU-Agrar- und Biodiversitätspolitik müssen ein Deutschland erleben, das ein Champion der Nachhaltigkeit werden will. Die Rettung unserer natürlichen Lebensgrundlagen muss Chefsache für den nächsten Bundeskanzler werden, der dies zum zentralen Thema der G7-Präsidentschaft Deutschlands machen sollte.
Konstantin Kreiser, Stellvertretender Fachbereichsleiter Naturschutz
Für mehr Infos folgen Sie @KostyaBiodiv und @NABU_Biodiv
22. September 2021 – Es sind nur noch wenige Tage bis zur Bundestagswahl am Sonntag und noch immer wird viel zu wenig über Inhalte und die notwendigen Weichenstellungen gesprochen, die wir für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen brauchen. Die Bekämpfung der Klima- und Naturkrise muss oberste Priorität haben für den nächsten Bundestag und die nächste Bundesregierung. Das Jahrzehnt des Handelns muss beginnen um unsere letzten Chancen für ein stabiles Klima und die Bewahrung der Artenvielfalt zu nutzen. Deshalb appelliere ich an alle Wähler*innen: Geben Sie Klima und Natur Ihre Stimme! Unterstützen Sie die Partei, die sich aus Ihrer Sicht am überzeugendsten für konsequenten Klima- und Naturschutz einsetzt.
Diese Wahl entscheidet, ob sich der Stillstand der letzten Jahre fortsetzt oder ob die Politik die Erderhitzung und das Massenartensterben endlich als Krise behandelt und anpackt. Und dabei geht es nicht nur um eingesparte Tonnen Treibhausgase, sondern auch wiederhergestellte Moore, artenreiche und klimastabile Wälder und den Erhalt unserer Tier- und Pflanzenwelt. Die Bevölkerung ist dabei schon viel weiter als die Parteien: seit Monaten sind Klima- und Naturschutz Thema Nummer 1 bei den Wähler*innen, wie eine Dauer-Umfrage im Auftrag des NABU zeigt. Trotzdem haben die Parteien nur unzureichende Konzepte vorgelegt. In vielen Fällen sind sie Lösungsvorschläge komplett schuldig geblieben.
Die Untersuchungen des NABU zeigen leider auch, dass sich die Generation der über Sechzigjährigen bislang noch kaum für Klimaschutz und den Erhalt unserer Lebensgrundlagen interessiert. Dies ist nicht unerheblich für die zukünftige Politik in Deutschland, bildet diese Altersgruppe doch die größte Gruppe der Wahlberechtigten. Meine generationenübergreifende Bitte: Machen Sie von Ihrem Wahlrecht Gebrauch und stimmen Sie auch im Sinne der jüngeren Generationen für Natur- und Klimaschutz.
Bereits am Freitag bei den bundesweiten Klimastreiks können alle die Solidarität zwischen den Generationen unterstreichen. Gemeinsam setzen wir Klima- und Naturschutz noch einmal auf die Agenda vor dem Wahlsonntag. Auch der NABU mobilisiert als Teil eines breiten Bündnisses und beteiligt sich in über 20 Städten an den Aktionen. Sind Sie dabei?
Seit dem Frühjahr begleitet der NABU den Wahlkampf aktiv. In fast 100 Gesprächen und Terminen hat sich der NABU mit Kandidat*innen aller großen demokratischen Parteien getroffen und mit Ihnen über Lösungen gesprochen. Dutzende Male wurde der NABU in Zeitungen, TV und Online-Medien zitiert, unsere Forderungen und Studien aufgegriffen. Über unser Mitgliedermagazin und digitalen Kanäle haben wir insgesamt Millionen von Menschen erreicht, sie über die Notlage von Klima und Natur informiert und für die anstehende Wahl mobilisiert. Nun liegt es an uns allen, diese Wahl zur Natur- und Klimawahl zu machen – durch unsere Stimmen per Briefwahl und am Wahltag. Danke für Ihren Einsatz
Jörg-Andreas Krüger, NABU-Präsident
Für mehr Infos folgen Sie @J_A_Krueger
17. September - Die Bewältigung der Klima- und Biodiversitätskrise ist die zentrale Aufgabe der kommenden Bundesregierung. Nicht erst seit der Veröffentlichung des ersten Teils des neuen IPCC-Berichts ist klar, dass die bisherigen Maßnahmen nicht im Mindesten ausreichen, um das Artensterben zu stoppen oder die Ziele des Pariser Klimaabkommens einzuhalten. Schlimmer noch: Sie lassen die Dringlichkeit vermissen, mit der sich die Politik der Klima- und Biodiversitätskrise annehmen müsste.
Denn die Zeit drängt, wir müssen in den nächsten Jahren unsere Wirtschaft massiv umbauen. Ohne ambitionierte Maßnahmen droht die Überschreitung unwiderruflicher Kipppunkte, die Klima und Umwelt dauerhaft beschädigen und die Grundlagen unseres menschlichen (Zusammen-)Lebens gefährden. Um dies zu verhindern, braucht es hohe Investitionen in die Transformation nahezu aller Wirtschaftsbereiche, die – langfristig – klimaneutral wirtschaften müssen. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass alleine für das Erreichen des EU-Klimaziels bis 2030 260 Milliarden Euro pro Jahr notwendig sind.
Finanzflüsse in nachhaltige Investments umleiten
Die Finanzwirtschaft spielt bei der Bekämpfung der Klima- und Biodiversitätskrise also eine zentrale Rolle. Zum einen finanziert sie aktuell noch immer in großem Maße Geschäftsmodelle, die auf fossilen Energieträgern und Atomenergie beruhen, die Artenvielfalt negativ beeinflussen und die Klimakrise weiter anheizen. Zum anderen ist sie ein wirkmächtiger Hebel für stärkeren Klima- und Umweltschutz – wenn man sie umbaut.
Die Umleitung von Finanzflüssen in den nachhaltigen Umbau vieler Wirtschaftszweige ist ein zentraler Baustein für effektive Maßnahmen gegen die Biodiversitäts- und Klimakrise. Um dies zu erreichen sind verbindliche Regulierungen für die Finanzwirtschaft notwendig, die klare Investitionsregeln setzen. Angesichts dieser hohen Bedeutung der Finanzwirtschaft für einen effektiven Klima- und Umweltschutz ist es völlig unverantwortlich, dass nicht längst klare Regeln gelten.
Schluss mit Greenwashing
Ein Richtlinienentwurf der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zeigt das Dilemma auf: Einerseits ist es zu begrüßen, dass klare Kriterien für nachhaltige Anlagevermögen gesetzt werden sollen. Doch die Initiative kommt spät und nutzt nur wenig, wenn diese Kriterien Greenwashing ermöglichen und keine ambitionierten, wissensbasierten Transformationspfade aufzeigen. So sieht der Entwurf vor, dass bis zu zehn Prozent des Umsatzes von Anlagevermögen aus der Energiegewinnung oder dem sonstigen Einsatz von fossilen Brennstoffen oder Atomstrom kommen dürften; bis zu fünf Prozent zudem aus der Förderung von Kohle und Erdöl. Für Gas sieht der Entwurf keinen Grenzwert vor.
Mit fossilen, nicht-nachhaltigen Energieformen sind die Klima- und Umweltschutzziele jedoch nicht zu schaffen, eine nachhaltige Transformation braucht ein ambitioniertes Vorgehen. Vielmehr verlängern solche Regulierungen für vermeintlich nachhaltige Finanzen den Status Quo und verschärfen die Klima- und Biodiversitätskrise. Zudem ist der Wirkungskreis durch die Fokussierung auf nachhaltige Anlagevermögen viel zu klein. Breite Teile der Finanzwirtschaft sind dadurch nicht erfasst; der wirkmächtigste Hebel zur nachhaltigen Transformation, die Förderung von Investitionen in eine lebenswerte Zukunft, bleibt ungenutzt.
Die kommende Bundesregierung muss schnell wesentliche Schritte zur Lösung der Klima- und Biodiversitätskrise vorantreiben. Dazu ist es dringend notwendig, die Finanzwirtschaft durch starke, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Regelwerke als Transformationshebel wirksam werden zu lassen und keine schädlichen, rückwärtsgewandten Investitionen als nachhaltig zu klassifizieren.
Dennis Zagermann, Referent für Sustainable Finance
Für mehr Infos folgen Sie @NABU_SusFinance
14. September 2021 - Hochwasser, Starkregen, Dürre – Extremwetterereignisse wie diese zeigen, die menschengemachte Klimakrise ist bereits jetzt in vollem Gange und schreitet weiter voran. In Zukunft werden als Folge Wetterextreme überall auf der Welt immer häufiger auftreten, mit verheerenden Konsequenzen. Menschen sterben, hungern oder verlieren ihr zu Hause. Zugleich verschwinden Tag für Tag immer mehr Arten von unserem Planeten, für immer. Um solche kommenden Katastrophen zu begrenzen, hilft nur eins: die nächste Bundesregierung muss Maßnahmen ergreifen, die eine weitere Erhitzung des Klimas stoppen bzw. verlangsamen und parallel dazu Schritte einleiten, die die bereits spürbaren Auswirkungen der Klimakrise abmildern. So braucht es z. B. endlich die Umsetzung einer naturverträglichen Energie-, Verkehrs- und Agrarwende.
Was dabei häufig vergessen wird ist die Rolle und das Potenzial degradierter Ökosysteme. Trockengelegte Moore (meist für die landwirtschaftliche oder forstwirtschaftliche Nutzung) beispielsweise emittieren enorme Mengen CO2 und heizen somit die Klimakrise an. In ihrem natürlichen Zustand, oder wenn man sie wiedervernässt, sind sie hingegen in der Lage Kohlenstoff zu speichern. Ähnlich ist es bei intakten Flussauen, gesunden Wäldern und artenreichem Grünland. Sie alle können zu natürlichen Klimahelfern werden, indem sie nicht nur langfristig Kohlenstoff binden, sondern auch dabei helfen, ausreichend Wasser in der Landschaft zu speichern und Extremwetterereignisse wie Starkregen oder Dürre besser abzupuffern. Zudem bieten sie wertvollen Lebensraum für viele Vogel-, Insekten- und Pflanzenarten. Wir müssen also möglichst viele natürliche Ökosysteme erhalten, bzw. wiederherstellen.
Vorhandene Potenziale besser nutzen
Die gute Nachricht: Ausreichend Flächen zur Renaturierung in Deutschland sind vorhanden. Eine NABU-Studie zeigt, welche Potenzialräume zur Renaturierung sich besonders eignen, um sowohl Klimakrise und Artensterben zu bekämpfen. Eine gute Eignung für Renaturierungsmaßnahmen besteht demnach auf
Renaturierungsmaßnahmen sind in allen genannten Ökosystemen gleichermaßen wichtig. So ist beispielsweise artenreiches Grünland ein besonders gefährdeter Lebensraum, während die Renaturierung von Auen und Moorböden schon auf verhältnismäßig kleinen Flächen einen enormen Gewinn für Biodiversität und Klimaschutz bedeutet.
Wie so oft gilt: Das Wissen über den kritischen Zustand, aber auch die Bedeutung der Natur im Kampf gegen die Klimakrise sind vorhanden. Ebenso die Möglichkeiten zu ihrem Schutz und ihrer Renaturierung. Diese Herausforderungen gilt es nach der Wahl entschlossen anzupacken, mit schnell umzusetzenden Maßnahmen!
Renaturierung von Ökosystemen zur Priorität machen
Die neue Bundesregierung sollte dem Thema Ökosystemrenaturierung ressortübergreifend Priorität einräumen. Der NABU fordert, dass im Bundeskabinett zügig Eckpunkte für einen nationalen Renaturierungsplan verabschiedet werden. Die Umsetzung der Maßnahmen sollte spätestens in der Mitte der Legislatur beginnen. Wichtige Elemente des Plans:
Magdalene Trapp, NABU-Referentin für Biodiversitätspolitik
06. September 2021 - Millionen Tonnen Kriegsaltlasten liegen am Grund der deutschen Nord- und Ostsee. Die stählernen Hüllen korrodieren und entlassen giftige Sprengstoffverbindungen und Schwermetalle in die Umwelt. Eine tödliche Gefahr für Mensch und Meer. Zu lange zögerte die Politik, doch in diesem Jahr machen zwei fraktionsübergreifende Anträge im Deutschen Bundestag Hoffnung. Aus ihnen ergibt sich ein klarer Auftrag für die zukünftige Bundesregierung: Die Altmunition muss geborgen werden!
Munition im Meer zur Bundestagswahl
Was bringt die Bundestagswahl für den Schutz der Meere? Wie positionieren sich die Parteien zur Lösung des Munitionsproblems in Nord- und Ostsee? Fragen, die der NABU Vertreter*innen von CDU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen am 3. September in einer virtuellen Podiumsdiskussion stellte. Das Gespräch macht Hoffnung. Man war sich einig, dass die zukünftige Bundesregierung unabhängig ihrer Konstellation den nächsten Schritt machen muss! Jetzt, fast zehn Jahren nach Einrichten des Expertenkreises Munition im Meer, und zwei Jahre nach der Einigung der Umweltminister*innen des Bundes und der Länder auf die Erarbeitung eines Konzepts zur Räumung (und Finanzierung) von Munitionsaltlasten, müssen Worten Taten folgen. Auch, weil sich Vorfälle wie die Minensprengungen im Naturschutzgebiet Fehmarnbelt, bei denen unter Beteiligung der Bundesmarine mehr als zehn Schweinswale zu Tode kamen, nicht wiederholen dürfen.
Ein Stein, der rollt
Der lange Atem des NABU scheint sich auszuzahlen. Seit über 15 Jahren fordert er mehr Aufmerksamkeit für das Problem der Kriegsaltlasten, warnt vor der Anreicherung von sprengstofftypischen Verbindungen in Muscheln oder Fischen, (un)kontrollierten Unterwasserexplosionen und Gefahren für Strandurlauber*innen und Bernsteinsuchende. Aber auch auf wissenschaftlicher Ebene hat sich dank zahlreicher Fachgespräche zur Munitionsräumung (z.B. des NABU Schleswig-Holstein), internationalen Konferenzen, Forschungsvorhaben (z.B. ROBEMM und UDEMM) und den Beräumungserfahrungen der Industrie über die Jahre wertvolle Fachexpertise angesammelt, auf die jetzt die Politik in ihren Entscheidungen zurückgreifen kann.
Zu diesem Schluss kamen auch die über 140 Expert*innen aus Wissenschaft, Industrie, Behörden und Naturschutz, die auf Einladung des NABU am 1. Juni über den Stand von Wissenschaft und Technik bei der Munitionsräumung berieten. Die technischen Voraussetzungen für eine strategische, naturverträgliche Bergung existieren. Es ist an der Politik, Know-how zusammenzuführen und ein praktisches Pilotprojekt zu finanzieren. Dabei würden nicht nur die Ostsee, sondern auch die maritime Industrie und der Wissenschaftsstandort Deutschland profitieren.
Ein 100 Millionen Euro Sofortprogramm
Dass auf eine politische Umsetzung der Forderungen zu hoffen ist, zeigt nicht nur die NABU-Podiumsdiskussion vergangene Woche. Im Februar gab es den Bundestagsantrag von Bündnis 90/Die Grünen und FDP, im Mai folgte ein Antrag der Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD – mit großen inhaltlichen Überschneidungen. Auch die Umweltausschusssitzung am 17. Mai, zu der ich für den NABU als Sachverständiger geladen war, verdeutlichte den selten vorhandenen politischen Konsens: Munition im Meer ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern.
Umso mehr ist die Zeit jetzt reif für die künftige Bundesregierung! Wissenschaft und Industrie haben geliefert, der politische Konsens ist so groß wie selten. Munition im Meer ist eine Zukunftsaufgabe, die sich im Koalitionsvertrag wiederfinden muss. Prioritäre Maßnahmen sind:
Dr. Kim Detloff, Leiter Meeresschutz
02. September 2021 - Die Klimakrise und das Artensterben machen vor unserer Haustür nicht Halt. Selbst unsere Gärten zeichnen davon ein deutliches Bild: Rasen, Obstbäume, Hecken, Gemüse und Stauden leiden vielerorts unter Wetterextremen wie Trockenheit oder Starkregen. Wertvolle Moore werden für den Torfabbau und die Herstellung von Blumenerde zerstört. Insekten, Vögel, Igel & Co. leiden unter Pestiziden und finden im Einheitsgrün vieler Gärten kaum noch Nahrung und Unterschlupf. Und immer mehr wertvoller Gartenboden verschwindet unter Steinen, Schotter, Folie oder Unkrautvlies.
Dabei können Gärten und Grünflächen in Städten und Dörfern wichtige Oasen für Tier- und Pflanzenarten sein, wenn sie naturnah gestaltet sind. Auch unsere Gesundheit und das Klima beeinflussen sie positiv. Die Politik muss jetzt die richtigen Weichen stellen, damit unsere Städte und Dörfer lebenswert bleiben.
1. Reduzierung von Pestiziden und ihrem Risiko für Tiere, Böden und Gewässer
Pestizide gefährden Insekten und andere Tiere, Gewässer und die Bodenfruchtbarkeit. Im eigenen Garten haben sie nichts verloren . In der Landwirtschaft müssen sie deutlich reduziert werden.
Wir fordern von der künftigen Bundesregierung, dass die Risiken durch Pestizide vermindert werden – mit einem ambitionierten nationalen Reduktionsplan, der innerhalb der kommenden Legislatur aufgestellt und implementiert wird. Dieser Plan muss mit messbaren Etappenzielen und verbesserten Monitoringprogrammen ausgestattet sein sowie konkrete Grenzwerte für Pestizide und deren Abbauprodukte im Grundwasser festlegen. Im Einklang mit dem EU Green Deal muss so die Anwendung und das Risiko von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 im Vergleich zu heute halbiert werden.
2. Ausstieg aus der Torfverwendung
Moore sind die effektivsten Kohlenstoffspeicher an Land. Doch noch immer wird Torf aus Mooren für den Gartenbau abgebaut. Dabei werden nicht nur klimaschädliche Gase freigesetzt, sondern auch ein einzigartiger Lebensraum zerstört. Dabei ist der Einsatz von Torf in vielen Bereichen völlig unnötig. Torf kann gut ersetzt werden. Deshalb fordern wir:
Bis zum Ende der Legislaturperiode muss die Bundesregierung ein Verbot der Torfverwendung im Hobbybereich erlassen. Im Erwerbsgartenbau kann per Regulierung ein Anteil von Alternativen bis 2025 auf 40 Prozent über das gesamte Sortiment erreicht werden. Begleitend muss sich die Bundesregierung für eine umfassende Torf-Ausstiegsstrategie auf EU-Ebene einsetzen.
3. Flächenverbrauch beenden
Rund 52 Hektar täglich werden in Deutschland für neue Siedlungs- und Verkehrsflächen verbraucht. Dadurch gehen wertvolle Böden verloren, die Tieren und Pflanzen, aber auch der Landwirtschaft nicht mehr zur Verfügung stehen. Straßen und Gebäude zerschneiden die Landschaft und die Lebensräume wilder Tiere. Das Lokalklima verändert sich, weil sich versiegelte Flächen stärker aufheizen, kein Wasser verdunsten und somit nicht zur Kühlung beitragen. Das Risiko von Hochwasser steigt, weil Wasser über die Kanalisation abfließt und nicht in Böden gespeichert wird.
Auch in Gärten wird viel kostbarer Boden versiegelt, mit Steinen, Beton und Schotter. Tiere und Pflanzen finden weder Lebensraum noch Nahrung. Die Umgebung heizt sich auf, Regenwasser kann nicht mehr versickern und belastet zusätzlich die Kanalisation. Der Lebensraum Boden, seine Fruchtbarkeit und seine Bodenlebewesen werden massiv geschädigt oder zerstört. Wir fordern deshalb:
Die Bundesregierung muss ein Flächenspargesetz mit dem Ziel entwickeln, den Netto-Flächenverbrauch bis 2030 zu stoppen. Das funktioniert nur mit konkreten Reduktionszielen in Form eines verbindlichen Bund-Länder-Verteilungsschlüssels und mit sanktionsfähigen Zwischenzielen und Meilensteinen. Bundesweit sind die Gemeinden auf die Führung von Baulücken-, Leerstands- und Nutzflächenkataster zu verpflichten.
4. Natur- und Klimaschutz im Siedlungsbereich
In vielen Gärten herrscht Trostlosigkeit. Rasen, ein paar Sträucher, vielleicht noch ein Blumenkübel. Auch der Trend zu Schottergärten hält an. Jahreszeiten? Blüten? Insektensummen? Fehlanzeige. Auch das Grün auf vielen Wohn- und Gewerbeflächen und so manche öffentliche Grünfläche wirken ideenlos und totgepflegt. Dabei bieten sie ein großes Potenzial für die biologische Vielfalt und machen Städte und Kommunen für Menschen und Tiere attraktiver. Neue Konzepte sind gefragt! Daher fordern wir:
Die Bundesregierung muss ein Förderprogramm für die Kommunalverwaltungen, Wohnungsunternehmen und Gewerbebetriebe auflegen, die ihre Außenflächen (Fassade, Dach und Gebäudeumfeld) klima- und naturgerecht umgestalten wollen und auf kommunalen Flächen selbst mit gutem Vorbild vorangehen. Gefördert werden soll damit die Strukturvielfalt, die Nutzung von heimischen Gehölzen, die Anlage von Blühflächen und die biodiversitätsfördernde Versickerung des Regenwassers.
Tipps für Gärtner*innen: www.NABU.de/gartenvielfalt
Melanie Konrad, NABU-Gartenexpertin
01. September 2021 - Es ist der Versuch, das Thema Naturschutz endlich in den Wahlkampf zu hieven. 25 Tage vor der Bundestagswahl veröffentlichen wir ein Notprogramm für die Natur. In der Veranstaltung fordern wir von den Vertreter*innen der anwesenden Parteien, sich zu den einzelnen Forderungen zu positionieren. Die Diskussion wird – auch wegen der Publikumsfragen der rund 100 Teilnehmenden – lebhaft und offenbart politische Unterschiede.
Zur Begrüßung betont NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller, dass eine intakte Natur eine „Firewall“ gegen Extremwetterereignisse wie Hochwasser ist. Sodann erinnert die deutsche Weltbiodiversitäts-Koryphäe Prof. Dr. Josef Settele daran, wie ernst die Lage ist: Insgesamt ist die Aussterberate heute 10 bis 100 mal höher als in den letzten 100 Millionen Jahren. Konstantin Kreiser, stellvertretender Fachbereichsleiter Naturschutzpolitik, zeigt sich vor dem Hintergrund dieser Warnung verwundert, dass das Thema Biodiversität im Wahlkampf nicht so groß ist wie das Klima-Thema. Für den NABU stellt er nun die sieben Forderungen des Notprogramms vor – knackige, konkrete und machbare Maßnahmen in den Bereichen Renaturierung, Schutzgebiete, Infrastruktur, Landwirtschaft, Meeres- und Waldschutz sowie globale Aktionen.
Im zweiten Teil müssen vor allem die Politiker*innen Dr. Bettina Hoffmann (Bündnis90/Die Grünen), Carsten Träger (SPD) und Stephan Stracke (CSU/CDU) Rede und Antwort stehen (eine Teilnahme von Vertreter*innen der Linken und der FDP kam leider nicht zustande). Auch wenn alle unterstrichen, dass ihnen die Natur am Herzen liege – beim Hinhören wurden Unterschiede deutlich. So betont Stephan Stracke mehrfach, was die jetzige Regierung schon erreicht habe, und lobt beispielsweise das Insektenschutzpaket. Hier reagiert NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger und verweist auf den mühsamen Aushandlungsprozess und auch darauf, dass die Artenkrise weit mehr erfordert. Bettina Hoffmann kritisiert, die jetzige Regierung habe nicht genügend erreicht; die Grünen würden viele der NABU-Forderungen unterstützen.
Ein erfreuliches Bekenntnis hinsichtlich des Treibers Flächenverbrauch gibt auf Nachfrage Carsten Träger: auch die SPD möchte den Paragrafen 13b des Baugesetzbuches nicht nochmal verlängern – eine Forderung, für die der NABU bereits diese Legislatur gestritten hat. Lebhafte Diskussion erfolgen rund um das Thema Agrarförderung. Auch hier beharrt Stephan Stracke vielfach auf den derzeit geplanten Status-Quo, wohingegen Carsten Träger die bekannte Phrase „öffentliches Geld nur für öffentliche Leistung“ bringt, und sich im ersten Schritt für eine stärkere Umschichtung ausspricht. Bettina Hoffmann hat konkrete Vorstellungen zum Thema Renaturierung. Jörg-Andreas Krüger stellt klar, dass wir Renaturierung brauchen, diese aber nicht in jedem Fall auf eine Nullnutzung hinauslaufe. Zum Abschluss appellierte er daran, dass die Politik die Natur-Krise nach der Wahl mit einer neuen Ernsthaftigkeit angehen muss.
Dr. Raphael Weyland, Büroleiter NABU Brüssel
Für mehr Infos folgen Sie @news_rapha und @NABU_Biodiv
31. August 2021 - Starkregen, Meeresspiegelanstieg und Überflutungen oder Hitzewellen, Dürren und Waldbrände: Diese Phänomene sind bereits heute spürbare Folgen der Klimakrise, gravierend sowohl für Menschen als auch für Natur, Tiere und Pflanzen. Die neue Bundesregierung muss eine konsequente Energiewende forcieren, um die Folgen der Erderhitzung zu minimieren, wovon langfristig auch die Artenvielfalt profitiert. Kurzfristig kann der Bau von Windenergie- oder Solaranlagen zu Artenschutzkonflikten führen. Ein nur scheinbar unlösbarer Zielkonflikt, denn eine naturverträgliche Energiewende berücksichtigt die Belange des Arten- und Klimaschutz gleichermaßen.
Energieeffizienz steigern
Dabei muss eines klar sein: Eine naturverträgliche Energiewende heißt nicht, weiter machen wie bisher, nur mit Strom aus regenerativen Energiequellen. Die Energiewende naturverträglich umzusetzen bedeutet vor allem, Energie einzusparen. Suffizienz und Effizienz sind hierbei die entscheidenden Stichworte. Der Gebäudesektor beispielsweise bietet viel Potenzial seine Energieeffizienz zu steigern und massiv Treibhausgase einzusparen. Öffentliche und private Gebäude müssen energetisch saniert und modernisiert werden. Hierbei gilt es, Vögel und Fledermäuse zu schützen, die an oder in Gebäuden leben. Helfen können zum Beispiel Nisthilfen, die in die Fassade integriert werden. Auch das Umfeld der Gebäude gilt es nicht mit Beton oder Schotter zuzuschütten. Begrünte Fassaden und Bäume sowie Grün- und Blühflächen rund ums Haus, helfen dabei, dass sich Städte in heißen Sommern weniger aufheizen und Regenwasser versickern kann.
Ausbau der erneuerbaren Energien im Einklang mit dem Artenschutz
Neben dem Energiesparen müssen wir aber vor allem auf die erneuerbaren Energien umsteigen und deren Ausbau vorantreiben ohne neue Artenschutzkonflikte zu schaffen. Die Windenergie bietet solches Konfliktpotenzial, da Vögel und Fledermäuse mit den Rotorblättern kollidieren oder durch die Anlagen vergrämt werden können. Doch durch eine überregionale Planung, die von Anfang an die Belange des Artenschutzes berücksichtigt und besonders sensible Bereiche beim Ausbau freilässt, durch Abschaltzeiten während besonders hoher Flugaktivitäten oder durch das Schaffen von attraktiven Nahrungshabitaten außerhalb der Gefahrenzonen können Konflikte zwischen Windenergieanlagen und windenergiesensiblen Arten reduziert werden. Weitere Unterstützung für die betroffenen Populationen bieten zusätzliche Artenhilfsprogramme.
Weniger problematisch für den Artenschutz ist die Photovoltaik, besonders auf den Dächern ist das Konfliktpotenzial von PV-Anlagen gering. Künftig werden wir aber auch mehr freistehende Solarparks brauchen. Diese können Lebensräume zerschneiden und Habitate zerstören. Auf einem Acker, der zuvor in Mais-Monokultur bewirtschaftet wurde, kann ein Solarpark jedoch auch eine Chance für die Natur sein. Dafür muss genug Platz für Bewuchs zwischen und unter den Modulen sein. Durch die in Solarparks übliche extensive Bewirtschaftung, ohne Dünger und Pestizide und durch den Verzicht auf Chemikalien zum Reinigen der Module, kann sich die Biodiversität auf dem ehemaligen Maisacker sogar erhöhen.
Damit das möglich ist, müssen wir Artenschutz und Klimaschutz von Anfang an zusammendenken. Die nächste Bundesregierung muss dafür den Rahmen setzen und die naturverträgliche Energiewende beschleunigen:
Team Energiepolitik/Klimaschutz
24. August 2021 - Eigentlich könnte man meinen, dass das Thema EU-Agrarpolitik, nach fast vier Jahren Diskussion, mit der jüngsten Einigung in Brüssel und dem Bundestagsbeschluss vom Juni abgehakt ist. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Zwar steht das grobe Fundament nun fest. Wie die milliardenschweren Subventionen in Deutschland verteilt werden, ist somit vorerst grundsätzlich geklärt. Die Bundestagswahl könnte die genaue Verteilung jedoch noch einmal kräftig durcheinander bringen.
Die EU-Kommission erwartet die Pläne der Mitgliedstaaten, wie sie die Agrargelder verwenden wollen, bis zum Ende diesen Jahres. Die Entscheidung, was Deutschland zu diesem Zeitpunkt nach Brüssel schickt, liegt damit aller Wahrscheinlichkeit nach bei der neuen Bundesregierung. Sie könnte so an wichtigen Stellschrauben noch einmal nachjustieren oder sogar am ganz großen Rad drehen. Wichtig wäre mehr Platz für die Natur (zum Beispiel Brachen und Hecken) in der Agrarlandschaft – laut Wissenschaft wäre ein Anteil von mindestens zehn Prozent nötig. In dem Zusammenhang sollte die Bundesregierung darüber nachdenken, noch mehr Geld in freiwillige Umweltleistungen umzuschichten und die sogenannte Zweite Säule zur ländlichen Entwicklung zu stärken. Auch im anschließenden Genehmigungsverfahren durch die EU-Kommission, welches sich durchaus bis in die zweite Jahreshälfte von 2022 ziehen dürfte, liegt es im Ermessen der neuen Regierung, wie sie mit etwaigen Kommentaren aus Brüssel umgeht.
Um Nachbesserungen an den bisherigen Plänen wird Deutschland in jedem Fall nicht herumkommen. Zum einen haben die vom Bundestag beschlossenen Gesetze nur einen groben Rahmen festgelegt. Die genaue Ausgestaltung, etwa der mit vielen Hoffnungen verbundenen Öko-Regelungen, folgt jedoch erst in Form von Verordnungen. Bisher gibt es noch keinen offiziellen Zeitplan für deren Veröffentlichung. Dass dies noch vor der Wahl geschieht, scheint zunehmend unwahrscheinlich. Die neue Bundesregierung wird sich deshalb auch damit befassen müssen.
Auch das Ergebnis der Einigung der EU-Gesetzgeber im sogenannten Trilog hat den einzelnen Mitgliedstaaten noch einmal weitere Hausaufgaben mitgegeben. So passen die in Deutschland voreilig beschlossenen Gesetze nur noch teilweise zum europäischen Rechtsrahmen, auch hier sind deshalb noch Anpassungen möglich. Nur ein Beispiel ist etwa die Frage, welchen Flächenanteil Empfänger*innen von Agrarsubventionen künftig verpflichtend für die Natur zur Verfügung stellen müssen, ist nun wieder offen. Eine neue Bundesregierung könnte eine Anpassung nach oben vornehmen oder die bestehenden Vorgaben nach unten verwässern. Das Thema zukünftige EU-Agrarförderung ist damit noch lange nicht vorbei. Die neue Bundesregierung hat noch eine ganze Palette an Entscheidungen zu treffen. Der Ausgang der Bundestagswahl wird darauf einen erheblichen Einfluss haben.
André Prescher, Referent für EU-Agrarpolitik
20. August 2021 - Das Stromsystem der Zukunft ersetzt fossile Energieträger durch erneuerbare Energien aus Wind und Sonne. Doch Wind und Sonne sind keine zuverlässigen Stromlieferanten. Es gibt Zeiten, da weht kein Wind. Die Sonne scheint nur tagsüber, und dann auch nur, wenn sie nicht von dichten Wolken verhangen ist. Im Stromsystem bedarf es daher zusätzlicher, stetig verfügbarer Energiequellen, um die Schwankungen von Wind- und Sonnenstrom auszugleichen. Die Verbrennung von Holz in ehemaligen Kohlekraftwerken ist aus Sicht von Wirtschaft und Politik die Lösung, um die Energiewende und somit den Weg zur Klimaneutralität zu bewältigen. Holzeinschlag im Namen des Klimaschutzes, obwohl bereits jetzt weltweit Wälder für die Produktion von Pellets eingeschlagen werden – gibt es hierzu Alternativen, die Natur und Umwelt weniger belasten? Dieser Frage ist der NABU nachgegangen und hat das Fraunhofer-Institut mit einer Studie beauftragt.
Das Stromsystem der Zukunft – Wie kann eine durchgängige Stromversorgung sichergestellt werden?
In der Studie des Fraunhofer-Instituts wurde analysiert, welche Schwankungen aufgrund der fluktuierenden Stromerzeugung aus Wind und Sonne auftreten und mit welchen Optionen diese ausgeglichen werden können, um auch in Zukunft eine durchgehende Stromversorgung sicherzustellen. Kurzzeitige Schwankungen der erneuerbaren Stromerzeugung sowie die Tag- und Nacht-Schwankungen können demnach durch die Steuerung von Stromerzeugung und –bedarf (Nachfrageflexibilität) und Stromspeicher ausgeglichen werden. Hierzu zählt auch die Speicherung von grünem Wasserstoff und Gas, welche aus überschüssigem Wind und Sonnenstrom erzeugt worden sind (Power-to Hydrogen bzw. Power-to-Gas). Lediglich bei sogenannten Dunkelflauten, das heißt wenn über mehrere Tage kein Wind weht und die Sonne nicht scheint, müssen thermische Kraftwerke für die Bereitstellung von Strom eingesetzt werden. Zu den thermischen Kraftwerken zählen Kohle- und Gaskraftwerke sowie dezentrale Blockheizkraftwerke, die vor-Ort Biogas in Wärme und Strom umwandeln.
Es gibt nicht-fossile Alternativen zur Holzverbrennung
Grüner Wasserstoff, Biomethan oder Biogas können genauso gut für die Stromerzeugung zur Überbrückung von Dunkelflauten herangezogen werden wie Holz, so das Ergebnis der Studie. Wasserstoff und Biomethan aus dem Erdgasnetz können in Gaskraftwerken eingesetzt werden, die eine höhere Energieeffizienz aufweisen als umgerüstete Kohlekraftwerke. Dezentrale Blockheizkraftwerke vermögen flexibel die Strom- und Wärmeerzeugung aus Biogas zu steuern und können den Strom direkt vor Ort ins Netz einspeisen. Zudem kann der Ausbau der Stromnetze und Energiespeicher zum Ausgleich des Stromdefizits beitragen.
Die Holzverbrennung ist die Option mit den höchsten Emissionsbelastungen und den meisten negativen ökologischen Auswirkungen
Die Holzverbrennung hat laut Studie den schlechtesten Emissionsfußabdruck. Aufgrund der niedrigen Energiedichte von Holz werden bei der Umwandlung mehr Treibhausgase freigesetzt als bei der Verwendung der fossilen Energieträger Kohle, Öl und Gas. Die angebliche Klimaneutralität der Holzverbrennung ist daher laut Studie kritisch zu bewerten. Zudem werden große Mengen an Holz benötigt, die zum großen Teil importiert werden müssen. Bereits jetzt werden weltweit Wälder für die Pelletindustrie eingeschlagen, darunter artenreiche und sogar geschützte Wälder, wie beispielsweise in USA und Estland, und somit Lebensräume und Kohlenstoffsenken zerstört.
Die Holzverbrennung beschleunigt den Klimawandel
Wälder sind Kohlenstoffsenken und leisten einen maßgeblichen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele. Durch den Holzeinschlag werden Wälder geschädigt - bis hin zum Kahlschlag. Somit gehen wichtige Kohlenstoffsenken mindestens für mehrere Jahrzehnte verloren, so dass die Holzverbrennung dem Ziel der Klimaneutralität 2050 entgegenwirkt. Die Wiederaufforstung mit Monokulturen, was häufig der Fall ist, setzt das Speichervermögen dauerhaft herab. Zudem machen Hitze und Dürre die Wiederaufforstung immer schwieriger, weil der Wald als natürliches Kühlsystem weitgehend wegfällt. Neben den hohen Emissionsbelastungen durch die Stromerzeugung wirkt die Holzverbrennung auch aus diesen Gründen dem Klimaschutz entgegen, besagt die Studie.
Die Holzverbrennung darf nicht gefördert werden
Trotz der negativen Auswirkungen auf das Klima und die Schädigung der Wälder plant die Bundesregierung, die Umrüstung von Kohlekraftwerken auf Holzverbrennung mit mehr als einer Milliarde Eurozu fördern. Das würde zu einer Laufzeitverlängerung von veralteten Kohle-Kraftwerken und damit zu Lock-In-Effekten führen, warnt die Studie. Die Erschließung alternativer umwelt- und klimafreundlicher Flexibilitätsoptionen wird so gehemmt. Der NABU fordert daher, umgehend auf die Holzverbrennung in Kraftwerken zu verzichten und eine Umrüstung nicht zu subventionieren. Auch setzt sich der NABU dafür ein, dass die Holzverbrennung zukünftig nicht als klimaneutrale Energie im Rahmen der nationalen und europäischen Gesetzgebung für die Erreichung der Klimaziele angerechnet wird. Stattdessen braucht es eine allgemeine Förderung emissionsarmer nicht-fossiler Alternativen und eine Optimierung beim Stromverbrauch.
Mehr zur Studie können Sie hier nachlesen.
Dr. Claudia Werner, Referentin für Biomasse/Bioenergie
10. August 2021 - Der Wahlkampf zur Bundestagswahl ist alles andere als themengetrieben. Diffamierungen, Stilfragen und Plagiatsjagden dominieren seit Wochen die mediale Berichterstattung. Zeit also, mal einen Schritt zurück zu treten und auf das zu schauen, was wirklich zählt: Inhalte.
Wir wollen die Wahl zur Zukunftswahl machen. Dementsprechend wollen wir keine Wahlempfehlung geben, sondern lediglich dafür sorgen, dass die Klima- und Artenkrise das wahlentscheidende Thema wird. Doch woran sollen Bürger*innen ihre Wahlentscheidung ausrichten, wenn es im Wahlkampf kaum um Inhalte geht? Denn nicht jede*r hat die Zeit, mehrere hundert Seiten Wahlprogramme zu lesen. Hier schaffen wir mit zwei verschiedenen Tools Abhilfe.
Der Klima-Pledge – das Bekenntnis, die Wahlentscheidung am Klimathema auszurichten
Der Klima-Pledge ist die größte Kampagne der Klima- und Umweltbewegung im Wahlkampf. Circa 360.000 Menschen haben bereits den Pledge unterzeichnet und damit das Versprechen abgegeben, ihre Stimme der Partei zu geben, die sich aus ihrer Sicht am überzeugendsten für sozial gerechten Klima- und Naturschutz einsetzt. Außerdem versprechen sie mitzuhelfen, die Wahl zur Klimawahl zu machen: Etwa indem man mit Freund*innen, Kolleg*innen oder der Familie darüber spricht, warum diese Wahl wichtig für das Klima ist, von Parteien und Bundestagskandidat*innen echten Klimaschutz einfordert oder mit Fridays for Future auf Demos protestiert. Hier können Sie direkt Ihr Versprechen abgeben: https://klima-pledge.org/
Der Klimawahlcheck – die Selbsteinschätzung mit den Wahlprogrammen abgleichen
Der Klimawahlcheck ist auf Initiative von Klima-Allianz Deutschland, GermanZero und NABU entstanden, um Bürger*innen bei ihrer Wahlentscheidung zu unterstützen. Die Wahlprogramme der fünf großen demokratischen Parteien wurden dazu hinsichtlich ihrer Positionen zum Klimaschutz analysiert. Anhand von jeweils fünf Fragen aus den Themenbereichen Energie, Mobilität, Industrie, Gebäude, Klimagerechtigkeit & Klimaziele sowie Landwirtschaft & Artenvielfalt kann man sich selbst einschätzen. Anschließend wird mithilfe einer Farbcodierung von dunkelrot, hellrot über gelb, hellgrün bis dunkelgrün angezeigt, wie sehr die Inhalte der Wahlprogramme mit den Positionen der Dachverbände Klima Allianz Deutschland und Deutscher Naturschutzring (DNR) übereinstimmen. Somit zeigt das Tool auf, mit welchen Wahlprogrammen die eigene Position übereinstimmt, gibt aber keine Wahlempfehlung. Das Tool lädt dazu ein, sich selbständig vertiefend mit den Wahlprogrammen auseinander zu setzen. Hier geht’s zum Klimawahlcheck: https://klimawahlcheck.org/
Zeit also, generationenübergreifend in den Dialog zu treten und die Wahl zur Zukunftswahl zur machen. Denn es steht nicht weniger als unsere Zukunft zur Wahl.
Lisa Storcks, Referentin für Energiepolitik und Klimaschutz
Für mehr Infos folgen Sie @NABU_Klima
05. August 2021 – Seit etwa sechs Jahrzehnten werden jedes Jahr zehntausende Tonnen an Pflanzenschutzmitteln in Deutschland in die Umwelt ausgebracht. Dieser großflächige Einsatz geht mit der Veränderung der Agrarlandschaft, mit vergrößerten Anbauflächen und wenigen Strukturelementen wie Hecken und Säumen einher. Den ökologischen Preis dafür zahlen wir seit vielen Jahren mit zunehmenden Umweltschäden und dem extremen Verlust der biologischen Vielfalt.
Vor allem bei Insekten sind diese Verluste besonders hoch. 33 Prozent der Insektenarten sind in Deutschland gefährdet oder bereits ausgestorben (Rote Liste D). Laut einer Metastudie von 2018 sind die intensive Landwirtschaft und der Einsatz von Pestiziden und Kunstdünger für etwa 47 Prozent des Insektenrückgangs verantwortlich. Durch Herbizide werden auf großen Flächen Ackerbegleitkräuter vernichtet. Und mit den Gräsern und Kräutern verschwinden viele weitere Lebewesen, deren Futter und Lebensraum zerstört wird. Etwa 80 Prozent unserer Nutzpflanzen sind jedoch auf die Bestäubung von Insekten angewiesen. Außerdem sind Insekten Nahrungsgrundlage für viele andere Tiere, sie helfen bei der Schädlingsbekämpfung und tragen zur Bodenfruchtbarkeit bei.
Der Verlust an biologischer Vielfalt wurde im Januar 2020 vom Weltwirtschaftsforum als eine der fünf größten Bedrohungen für die Welt eingestuft. Trotzdem bleibt das Insektenschutzpaket der Bundesregierung vom Juni 2020 weit hinter den notwendigen Maßnahmen zurück. Nachdem das Aktionsprogramm Insektenschutz vielversprechende Vorschläge gemacht hatte, fiel das darauf aufbauende Gesetz mehr als enttäuschend aus.
Mehr Hoffnung für den Insektenschutz besteht auf EU-Ebene. Die EU-Kommission will mit dem „Green Deal“ dem drohenden Kollaps der Artenvielfalt und Ökosysteme entgegensteuern, wobei die Biodiversitätsstrategie und die Agrarstrategie „From Farm to Fork“ wichtige Ziele vorgeben. Aufgenommen wurde in die Strategie auch die NABU-Forderung nach „Space for Nature“: Auf bewirtschaftetem Agrarland soll mehr Platz für Hecken, Blühflächen und andere Lebensräume für Insekten und Vögel geschaffen werden. Aber auch wenn die EU in die richtige Richtung geht – solange in Deutschland der hohe Pestizideinsatz nicht drastisch reduziert und ambitionierte Maßnahmen zum Insektenschutz ergriffen werden, kann der Artenrückgang nicht gestoppt werden.
Die Flächenbewirtschaftung ohne oder mit deutlich geringerem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln mit ökologisch nachhaltigeren Pflanzenschutzmethoden ist auf jeden Fall möglich. Vorbeugende Maßnahmen sind hier das wichtigste Grundprinzip. Dazu zählen eine pflanzengerechte Standortwahl, abwechslungsreiche Fruchtfolgen, die resistente Sorten sowie die Nützlingsförderung. Diese natürlichen Regelmechanismen haben eindeutige Vorteile für den Gewässerschutz, die Bodenfruchtbarkeit und die Biodiversität.
Allerdings ist eine alleinige Mengenreduktion an Pflanzenschutzmitteln nicht ausreichend, weil manche Pestizide schon bei sehr kleinen, andere erst bei höheren Dosen wirksam sind. Man kann also nicht pauschal sagen, dass das größte Umweltrisiko auch von den in den größten Mengen verwendeten Pflanzenschutzmitteln ausgeht. Deshalb muss die Menge in Kombination mit der Toxizität, also der Giftigkeit der eingesetzten Mittel, betrachtet werden.
Wir fordern eine Reduzierung der Gesamttoxizität ausgebrachter Pflanzenschutzmittel pro Fläche um mindestens 50 Prozent bis zum Jahr 2030. Dazu brauchen wir einen nationalen Strategieplan, auch um die Ziele des „Green Deals“ der EU sowie der Strategie "vom Hof auf den Tisch" in Deutschland umzusetzen. Hier ist eine moderne und zukunftsweisende Politik gefragt, die richtige Anreize und Rahmenbedingungen setzt.
Laura Breitkreuz, Referentin für Biodiversität und Entomologie
Für mehr Infos folgen Sie @news_rapha und @NABU_Biodiv
02. August 2021 – Das schreckliche Ausmaß der Hochwasserkatastrophe ist auch auf die großflächige Versiegelung unserer Böden zurückzuführen. Besonders in Siedlungsbereichen, in denen wasserundurchlässige Materialien wie Asphalt und Beton dominieren, kann anfallendes Regenwasser nicht mehr ausreichend im Boden versickern. Doch die Versickerung als Teilprozess des natürlichen Wasserkreislaufs ist nötig, damit Regenwasser an tieferliegende Bodenschichten abgegeben, dabei gefiltert und über die Vegetation verdunstet werden kann.
Unsere Siedlungen sind jedoch kaum auf Versickerung und Verdunstung ausgerichtet, stattdessen wird kostbares Regenwasser weg von der Vegetation und hin zu Abläufen geleitet und letztlich in der Kanalisation „entsorgt“. Das führt einerseits bei starkem Regen zur Überlastung der Kanalisation und einer Erhöhung des Hochwasserrisikos, andererseits steht das Regenwasser der Vegetation nicht zur Verfügung. Böden, die bei langen Hitzeperioden völlig austrocknen, haben den gleichen Effekt: Das viele Wasser kann nicht in den Boden einbringen und fließt oberirdisch ab.
Wenn Regenwasser dem natürlichen Wasserkreislauf entzogen wird, hat das zur Folge, dass sowohl Tiere und Pflanzen als auch Menschen noch stärker unter dem Klimawandel zu leiden haben. Denn wenn Pflanzen Wasser aus dem Boden aufnehmen, kühlen sie ihre Umgebung um mehrere Grad herunter. Stark versiegelte Flächen tragen somit doppelt zur Erhitzung unserer Siedlungen bei: Sie speichern die Hitze über viele Stunden und fehlendes Wasser kann von der Vegetation nicht verdunstet werden.
Ein Blick in die gängigen Regelwerke macht deutlich, wo die Schwerpunkte im Umgang mit Regenwasser liegt: sie heißen Siedlungsentwässerung, Straßenentwässerung oder Grundstücksentwässerung. Um jedoch zukünftige Starkregenereignisse abfedern zu können und gleichzeitig unsere Vegetation zu unterstützen, muss Wasser länger in der Landschaft gehalten werden.
Das Konzept der Schwammstadt macht das möglich. Dort, wo es geht, müssen versiegelte Flächen entsiegelt werden, beim Neubau muss der Schwerpunkt auf wasserdurchlässigen Materialien liegen und die Rolle von Gebäudebegrünung muss mittels Verpflichtungen und Förderungen deutlich verbessert werden. Um dieses Konzept umsetzen zu können, braucht es aber ein Umdenken zum Wert unversiegelter Böden, eine Anpassung der Regelwerke und eine Überarbeitung von Ausbildungsinhalten.
Tagtäglich werden in Deutschland 52 Hektar unbebaute Böden neu in Anspruch genommen und zu Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt. Das entspricht im Jahr einer Fläche so groß wie Nürnberg. Angesichts der Wucht der Klimakrise, stagnierender Bevölkerungszahlen und über zwei Millionen leerstehender Wohnungen müssen wir unsere bestehenden Flächen effektiver nutzen, statt auf Kosten zukünftiger Generationen fortlaufend neue zu erschließen. Das Ziel muss sein, bis zum Jahr 2030 „Netto Null“ beim „Flächenverbrauch“ zu erreichen. Die Politik ist gefordert, das Problem „Flächenverbrauch“ und dessen gravierende Folgen endlich ernst zu nehmen, verstärkt auf Aufstockungen und Umnutzungen von Bestandsgebäuden zu setzen und unbebaute Böden und Grünflächen vor Bebauung zu schützen. Dazu braucht es konkrete Flächensparziele, überregionale Koordinierung, Anpassungen im Baurecht und eine zielführende Förderpolitik.
Stefan Petzold, Referent Siedlungsentwicklung
30. Juli 2021 – Klimakrise und Artensterben sind auch in der Nord- und Ostsee angekommen. Ehemals reiche Fischbestände sind zusammengebrochen, Seegraswiesen gehen zurück und der Schweinswal ist vom Aussterben bedroht. Unseren Meeren vor Haustür geht es schlecht. Doch ist die Politik bereit zum entschlossenen Handeln? Welche Rolle spielt die Meerespolitik in den Parteiprogrammen?
Die CDU/CSU möchte die Vielfalt im Meer erhalten und setzt dabei auf die Empfehlungen der EU-Biodiversitätsstrategie. 30 Prozent der Meere sollen Schutzgebiete werden. Das Programm bleibt insgesamt aber vage. Munitionsaltlasten sollen geborgen, die Umweltverschmutzung begrenzt und der naturverträgliche Ausbau der Offshore-Windenergie gefördert werden. Zu wenig für eine Regierungspartei, die das Verfehlen des 2020-Ziels der EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie – den guten Umweltzustand - verantworten muss.
Das gilt auch für das Programm der SPD. In dem 60-Seiter hatte es der Arten- und Naturschutz insgesamt schwer, so dass es hier allein der Kampf gegen die Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll zu lesen ist. Wer mehr über die meerespolitischen Ambitionen der Sozialdemokrat*innen wissen möchte, der muss sich mühsam durch die Parteibeschlüsse wühlen.
Im Programm der FDP haben die Meere vergleichsweise viel Raum: Von der Bedeutung der Meere für den Klimaschutz über Meeresschutz als Zukunftsaufgabe, Überfischung und Meeresverschmutzung bis zur Bergung von Munitionsaltlasten. Die Grundschleppnetzfischerei soll beschränkt, selektive Fanggeräte gefördert werden. Bis hierhin gut. Wäre da nicht das Fordern von „Multi-Use“ im Meer und ein Freifahrtschein für die Angelfischerei, deren jegliche Beschränkung die Freien Demokraten ablehnen.
Die Grünen bekennen sich zu den Zielen der EU-Biodiversitätsstrategie und fordern eine internationale Strategie fürs Meer sowie mehr Schutz fürs Wattenmeer. Die Plastikvermüllung soll reduziert, alte Munition geborgen, die Öl- und Gasförderung und der Tiefseebergbau insgesamt, der Rohstoffabbau vorrangig in Meeresschutzgebieten gestoppt werden. Eher ambivalent zeigt sich das Verhältnis zu Offshorewind. Hier fehlt das Bekenntnis der Grünen zu einem naturverträglichen Ausbaupfad.
Die Linke hat sich von der „Meeresoffensive 2020“, einem Papier der deutschen Naturschutz- und Entwicklungshilfeverbände, inspirieren lassen. 50 Prozent der Meeresschutzgebiete sollen nutzungsfrei, die Überfischung beendet und auf Grundschleppnetze verzichtet werden. Neben dem Problem der Kriegsaltlasten im Meer soll auch der Vermüllung der Meere durch präventive Ansätze begegnet werden.
Müll hat auch die AfD im Programm: Die Entwicklungsländer sollen sich mit deutscher Technologie gegen die Ozeanverschmutzung wappnen.
In der Schlussbetrachtung bleibt die Feststellung, dass kaum eine der Bundestagsparteien den Meeren die notwendige Priorität zukommen lässt. Vergessen die Funktionen für Mensch und Klima, der Zustand von Arten und Lebensräumen? Wer auf eine nachhaltige maritime Wirtschaft setzt, der muss zu allererst das System gesunden lassen. Meeresschutz muss zum Kernanliegen der zukünftigen Bundesregierung werden. Eine Koordinationsstelle Meeresschutz im Bundeskanzleramt wäre dafür ein wichtiger erster Schritt.
Hier geht es zur ausführlichen Bewertung der Wahlprogramme.
Dr. Kim Detloff, Leiter Meeresschutz
27. Juli 2021 – Die Extremwetterereignisse und ihre Folgen im Westen und Süden Deutschlands sind erschütternd. Ihre zunehmende Häufung ist eine Folge des menschengemachten Klimawandels und zeigt erneut den hohen Handlungsbedarf. Um Artensterben und Klimakrise Einhalt zu gebieten, sind erhebliche öffentliche und private Investitionen notwendig. Die Europäische Kommission sieht einen Bedarf von 260 Milliarden Euro allein im Klima- und Energiebereich, um das EU-Klimaziel bis 2030 zu erreichen – pro Jahr. Dem Finanzwesen kommt hierbei eine zentrale Rolle zu: Es soll diese wirtschaftliche Transformation durch Investitionen in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten ermöglichen. Damit hier kein „Greenwashing“ entstehen kann, hat die EU im Sommer 2020 die sogenannte EU-Taxonomie vorgestellt – ein einheitliches Klassifikationssystem, das ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten misst.
Bis 2023 soll die Taxonomie vollständig angewandt werden. Zurzeit werden die zentralen Kriterien der Taxonomie festgelegt. Besonders heftig diskutiert wird gerade in den Bereichen Gas, Atomenergie und Landwirtschaft. Aufgrund unterschiedlicher nationaler Interessen im Energiesektor steht zu befürchten, dass Atomenergie und Gas schlussendlich ein „Nachhaltigkeitssiegel“ bekommen. Die Europäische Kommission ist hinsichtlich Gas in ihrer aktualisierten Strategie für Sustainable Finance unklar geblieben. Die Nachhaltigkeitsziele der Taxonomie werden so jedoch nicht erreicht und das Do-No-Harm-Prinzip des Europäischen Green Deal konterkariert.
Bereits im März 2020 hatte die technische Expert*innengruppe für nachhaltige Finanzen (TEG) für die Taxonomie festgehalten, dass Investitionen in fossile Energieträger, darunter auch Gas, Müllverbrennung und Atomenergie, nicht als ökologisch nachhaltig zu betrachten sind. Als zentraler Schwellenwert wurden 100 Gramm CO2 pro Kilowattstunde definiert. Die derzeit in der Diskussion stehende Gasverstromung liegt in der Regel deutlich über diesem Wert. Im Bereich Atomenergie kommen zudem Folgeprobleme durch die anhaltende Endlagerproblematik und Sicherheitsrisiken hinzu.
Die deutsche Bundesregierung hat in ihrer im Mai 2021 veröffentlichten Sustainable Finance-Strategie festgehalten, dass sie auf einen Ausschluss der Atomenergie aus der Taxonomie hinwirken werde. Die künftige Bundesregierung muss auf europäischer Ebene weiterhin auf diesen Ausschluss drängen. Darüber hinaus muss die kommende Bundesregierung davon absehen, Investments in Gas als nachhaltig zu klassifizieren. Stattdessen muss die Taxonomie anhand von wissenschaftsbasierten Kriterien ausgestaltet werden, um effektive Investitionen in den Klimaschutz zu ermöglichen.
Dennis Zagermann, Referent für Sustainable Finance
22. Juli 2021 – Der Schock über die Hochwasserkatastrophe in Deutschland und weiteren Ländern Mittel- und Westeuropas ist kaum verdaut, da verbreitet sich schon die nächste Schreckensnachricht in den Sozialen Medien: Die chinesische Provinz Henan wird Opfer eines Dauerregens, wie er laut Meteorologen nur einmal in 1000 Jahren vorkommt. Reißende Wassermassen durchströmen die Millionenstadt Zhengzhou, ein Damm bricht, Menschen sterben. In drei Tagen fielen hier über 600 Liter Regen pro Quadratmeter – das ist fast so viel wie der Durchschnittswert für ein ganzes Jahr. Innerhalb einer einzigen Stunde – am 20. Juli zwischen 16 und 17 Uhr – wurden 200 Liter Niederschlag pro Quadratmeter gemessen. Zum Vergleich: In Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen beliefen sich die Höchstwerte auf etwa 150 Liter in 24 Stunden.
Angesichts dieser Tragödien fragen sich viele, wie wir uns besser auf extreme Unwetter vorbereiten können. Klima und Landnutzung sind entscheidende Faktoren bei der Entstehung von Hochwassern: Das Klima beeinflusst, wie viel Regen fällt oder wie viel Schnee schmilzt, und die Landnutzung, wie schnell und wohin das Wasser abfließt. Die Klimakrise lässt sich nicht als Auslöser eines singulären Extremwetterereignisses ausmachen – Klima bezieht sich auf längere Zeiträume von in der Regel 30 Jahren. Die Erderhitzung sorgt aber dafür, dass Extremwetterereignisse wahrscheinlicher werden und heftiger ausfallen. Je mehr sich die Erde aufheizt, umso größer ist dieser Effekt.
Das hat nach dem neusten Erkenntnisstand auch mit dem sogenannten Jetstream zu tun: Das Starkwind-Band auf der Nordhalbkugel, das wie eine Autobahn Hoch- und Tiefdruckgebiete transportiert, schwächt sich mit dem Abschmelzen des Meereises immer weiter ab. Dadurch verharren Wetterlagen länger an einer Stelle, Regen wird zu Dauerregen und führt zu Hochwasser. Ein wichtiges Element im Kampf gegen Flutkatastrophen ist daher der Klimaschutz.
Entscheidend ist auch, genug Überflutungsflächen für Flüsse und Bäche zu schaffen. Die Überflutung von Auen ist ein regelmäßiger Vorgang im Rahmen der natürlichen Schwankungen eines Fließgewässers. Durch Flussbegradigungen und -kanalisation, Bodenversiegelung und -verdichtung werden Hochwasserereignisse jedoch erheblich verstärkt. Gibt man solche Bereiche wieder für die ursprüngliche Dynamik des Flusses frei, wirken sie als natürlicher Puffer und können die Auswirkungen von Extremwetter abschwächen. Damit ist die Renaturierung von Flüssen eine wichtige Maßnahme zur Anpassung an Klimafolgen.
Auch abseits von Flüssen können Sturzfluten entstehen. Hier ist Bodenentsiegelung das A und O: entweder durch Umwandlung versiegelter Bereiche in Grünflächen oder durch Verwendung sickerfähiger Materialien als Bodenbeläge. In dicht bebautem Gebiet können Gründächer- und Fassaden zusätzliches Wasser aufnehmen. Die zukünftige Regierung muss solche Maßnahmen über den Rechtsrahmen sowie finanzielle Anreize voranbringen.
Frauke Scholvin, Trainee Naturschutz Klimaanpassungen
Für mehr Infos folgen Sie @NABU_Biodiv
15. Juli 2021 - Nachdem die Europäische Kommission die EU-Waldstrategie bereits am Mittwoch in der Pressekonferenz gemeinsam mit dem „Fit for 55-Paket“ ankündigte, hat sie das Dokument heute nun veröffentlicht. In den letzten Wochen war diese für sich genommen unverbindliche Strategie Gegenstand zahlreicher Lobby-Attacken, auch seitens des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Leider haben diese Blockaden dem recht guten ersten Entwurf viele Zähne gezogen. Worum geht es:
Die EU-Kommission hatte bereits mit Vorlage des Europäischen Green Deals angekündigt, den Erhalt der europäischen Wälder mit einer eigenen Strategie zu regeln. In der im Mai 2020 vorgelegten EU-Biodiversitätsstrategie folgte dann eine erste Konkretisierung: Wälder als Ökosysteme sollen unter anderem zu den Schutzgebietszielen der EU beitragen. Ebenfalls angekündigt war, die Nutzung von Wäldern in den Blick zu nehmen, um insgesamt eine nachhaltige Bewirtschaftung sicherzustellen. Zudem sollte die Waldstrategie näher ausführen, wie das EU-Ziel von drei Milliarden Bäume bis 2030 zu pflanzen, erreicht werden kann.
Besonders der Schutz der Wälder und vor allem Kriterien für eine nachhaltige Nutzung riefen bei verschiedenen Mitgliedstaaten der EU heftige Reaktionen hervor. Unter anderem die nordischen Länder Finnland und Schweden wehrten sich dagegen, dass Umweltschutzvorgaben gegen ihre teilweise intensiv nicht-nachhaltigen Einschläge gemacht werden. Auch wenn die Waldstrategie selbst unverbindlich ist.
Brisant ist nun, dass auch Deutschland der EU-Kommission in den Rücken fiel: Die Bundeslandwirtschaftsministerin unterzeichnete gemeinsam mitunter anderem Österreich, Ungarn und Rumänien einen Brief an die Kommission, in dem sie den (geleakten) Entwurf der Waldstrategie als nicht akzeptabel bezeichnet, da er zu umweltfreundlich sei. Wir wissen nicht, ob es hierzu eine Ressortbeteiligung mit dem Umweltministerium gab.
In der Sache hatte das Lobbying der Mitgliedstaaten leider Erfolg: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen orderte die federführend zuständigen Kommissare für Umwelt und für Landwirtschaft zurück an den Zeichentisch, um die Strategie zu überarbeiten. In der heute veröffentlichen EU-Waldstrategie findet sich leider kein Hinweis mehr darauf, dass die EU-Kommission verbindliche Kriterien für die nachhaltige Bewirtschaftung einführt. Auch fehlt der vormals vorhandene Hinweis, dass Kahlschläge schädlich sind. Die maximale Einschlagmenge wollen die Mitgliedstaaten stattdessen selbst festlegen und höchstens auf freiwilliger Basis auf EU-Ebene koordinieren.
Einer der guten Punkte, die weiterhin in der Strategie zu finden sind, ist der Hinweis darauf, dass alte und naturnahe Wälder geschützt werden müssen. Hier sind Bund und Länder gefordert, zügig in die Umsetzung zu gehen und entsprechende Flächenkulissen bereitzustellen. Die neue Bundesregierung sollte außerdem sicherstellen, dass die Waldschutz- und -bewirtschaftungsfragen nicht erneut im Alleingang vom Bundeslandwirtschaftsministerium entschieden werden können. Zukünftig sollte das Bundesumweltministerium zumindest gleichberechtigt mitentscheiden.
Der Waldschutz ist gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Starkregen- und Unwetterereignisse unverzeihlich. Intakte Wälder haben als Ökosysteme für den Klimaschutz und die Biodiversität elementare Bedeutung. Zusätzlich zum Schutz fordert der NABU von der neuen Bundesregierung eine Renaturierungsoffensive, die sich auf Ökosysteme wie Moore und Wälder konzentriert.
Dr. Raphael Weyland, Büroleiter NABU Brüssel
Für mehr Infos folgen Sie @news_rapha und @NABU_Biodiv
14. Juli 2021 - Die EU-Kommission hat am 14. Juli ihr sogenanntes "Fit for 55"-Paket veröffentlicht. Mit dem Maßnahmenpaket möchte sie die EU-Gesetzgebung im Bereich Energie- und Klimapolitik an das vereinbarte Klimaziel bis 2030 anpassen. Dieses sieht vor, den Ausstoß von Treibhausgasen um 55 Prozent zu reduzieren - im Vergleich zum Jahr 1990. Insgesamt umfasst das Paket zwölf Initiativen und Gesetzesvorschläge, die grundsätzlich ein Schritt nach vorn sind. Jedoch lassen die Regelungen, die auch Auswirkungen auf die Biodiversitätskrise haben, sehr zu wünschen übrig. Der NABU hat sich die wichtigsten Vorschläge genauer angeschaut und analysiert.
Lastenverteilungsverordnung (ESR)
Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (LULUCF)
Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (RED)
Aus NABU-Sicht einer der größten Kritikpunkte insgesamt am Paket: Es wird weiterhin die Holzverbrennung zur Stromerzeugung gefördert. Für diese Form von Energiegewinnung wurden in den letzten Jahren massiv Wälder abgeholzt – das schadet der Natur und dem Klima.
Richtlinie zur Energieeffizienz (EED)
Verkehr
Revision CO2 Flottenstandards für Autos/Vans
Die jetzige und vor allem die neu gewählte Bundesregierung wird die Verantwortung haben, im Europäischen Rat ein Paket zu verhandeln, das nicht nur „Fit for 55“ ist, sondern „Fit for 1.5“. Denn nur wenn wir eine Erwärmung von maximal 1,5 Grad ansteuern, können wir die katastrophalsten Folgen des Klimawandels vermeiden.
Carla Freund, Referent*in für naturverträgliche Energiewende in Europa
Für mehr Infos folgen Sie @NABU_Biodiv
9. Juli 2021 - Klimakrise und Artenschwund werden befeuert durch fehlgeleitete Politik und Subventionen – besonders im Agrarbereich. Der NABU fordert die künftige Bundesregierung auf, zehn Prozent der Flächen in Offenlandschaften zur Produktion von Ökoystemdienstleistungen – also ohne landwirtschaftliche Bewirtschaftung – zur Verfügung zu stellen. Zudem sollen die GAP-Flächenprämien vollständig in Zahlungen für öffentliche Leistungen, etwa zum Arten- oder Klimaschutz, umgewandelt werden und so ein Geschäftsfeld Naturschutz für die Landwirt*innen entstehen. Diese Forderungen unterstreicht auch die Zukunftskommission Landwirtschaft. Der Ball liegt also bei der Politik. Was sagen die Parteien in ihren Wahlprogrammen dazu?
„Ohne Landwirtschaft gibt es kein klimaneutrales Deutschland und keine Artenvielfalt“ – so leitet die Union ihre Agrar-Ausführungen ein. Bisherige Leistungen der Landwirtschaft für Artenvielfalt und Klimaschutz werden betont, ohne explizit auf den enormen Handlungsbedarf einzugehen, der in dem Sektor besteht. Ein Eingeständnis, dass die Landwirtschaft selbst von einer intakten Artenvielfalt abhängt, sucht man vergebens. Stattdessen werden die Herausforderungen lediglich aus der Perspektive künftiger Einkommensmöglichkeiten für Landwirte skizziert, nämlich die notwendige finanzielle Förderung von Natur-, Klima-, Arten- und Moorschutzleistungen. Das Programm verzichtet darauf, konkrete Zielvorgaben zu nennen. So bekennt sich die Union zwar zum „Green Deal” der EU, geht aber auf zentrale Elemente wie die dort quantifizierte Pestizidreduktion nicht ein.
Knapper die Ausführungen der SPD: Die Agrarförderung soll künftig eine konkurrenzfähige und umweltschonende Landwirtschaft im Sinne des Klima- und Artenschutzes ermöglichen. Dünger und Pestizide sollen reduziert werden. Wie dies konkret geschehen soll, wird nicht dargelegt.
Deutlich umfangreicher ist das Agrar-Programm von Bündnis 90 /Die Grünen: Als einziges geht es explizit auf den Schutz beziehungsweise die Schaffung einer vielfältigen Kulturlandschaft samt Blumenwiesen, Streuobstbeständen, Weinbau-Terrassen, Alleen, Einzelbäumen oder Blühstreifen ein. Ein Artenschutz-Sofortprogramm, das Glyphosat sofort verbieten und Pestizide reduzieren soll, auch mit Hilfe einer Pestizidabgabe, wird als der wichtigste Hebel für den Stopp des Artenrückgangs ausgemacht. In Natur- und Trinkwasserschutzgebieten soll die Ausbringung von Pestiziden untersagt werden, bei finanzieller Unterstützung für betroffene Betriebe. Vielfältige Fruchtfolgen und resiliente Anbausysteme wie Agroforst sollen gestärkt, Stickstoffüberschüsse deutlich verringert werden.
Die Notwendigkeit des Artenschutzes wird auch von der FDP bejaht, konkrete Umsetzungsschritte findet man im Programm jedoch höchstens in Ansätzen. Ein Beispiel: Beim Grundwasser- und Gewässerschutz setzen sich die Liberalen für das Verursacherprinzip ein, um Rückstände aus der Landwirtschaft dort zu reduzieren, wo es nötig ist. Die Liberalen setzen sich europaweit und ohne nationale Alleingänge für „wirksame und moderne Pflanzenschutzmittel“ ein.
Dagegen spricht sich Die Linke für ein Verbot von Glyphosat und Neonikotinoiden, für die Halbierung des Pestizideinsatzes bis spätestens 2030 sowie für strenge Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel aus. Biodiversitäts- und Naturschutzziele sollen laut Linkspartei verbindlich in andere Politikbereiche integriert werden. Das Programm schlägt vor, dass Naturschutzflächen in öffentliche Hand gehören und an Naturschutz- und Umweltverbände in Erbpacht vergeben werden. Was die Parteien außerdem zu den Themen GAP, Moorschutz oder Tierhaltung planen, erfahren Sie hier.
Pierre Johannes, Referent für Agrarpolitik
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5. Juli 2021 - Auch kurz vor der Bundestagswahl bleibt die Bundesregierung beim Klimaschutz leider vieles schuldig. Das zeigt der jüngste Beschluss des Bundestags zum Repowering von alten Windenergieanlagen. Dabei nutzte die Große Koalition die letzte Sitzungswoche, um das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) anzupassen. Künftig können Windenergieanlagen, die älter als 20 Jahre alt sind, einfacher und schneller durch leistungsfähigere neue Windräder ersetzt werden (das sogenannte Repowering). Ein Ansatz, der für das Erreichen der Klimaziele elementar ist – und auch vom NABU unterstützt wird, da durch die höhere Leistungsfähigkeit mehr Strom erzeugt wird.
Allerdings kollidiert die jetzige neue Regelung fundamental mit dem Naturschutz! Denn künftig können auch jene Windenergiestandorte repowert werden, die aus Artenschutzsicht schon jetzt höchst problematisch sind. Beispielsweise Windenergieanlagen, in deren Nähe die letzten Schreiadler brüten oder Verbreitungsschwerpunkte des Rotmilans liegen. Zahlreiche Vogel- und Fledermausarten werden damit noch häufiger Kollisionsopfer als jetzt schon.
Der Grund dafür ist die sogenannte Delta-Prüfung. Diese ist neu im Gesetz verankert und sieht vor, dass bei den neuen Anlagen künftig lediglich die Mehrbelastung für die Natur im Vergleich zu den Altanlagen geprüft wird. Dieses „Einpreisen“ von bestehenden Vorbelastungen widerspricht dem Bundesnaturschutzgesetz und EU-Recht. Hier ist klar festgelegt, dass bei neuen Anlagen immer eine Gesamtbetrachtung der Auswirkungen auf die Natur durchgeführt werden muss. Nur die Mehrbelastung zu berücksichtigen, ist nicht gestattet.
Damit übergeht die Bundesregierung wissentlich geltendes EU-Recht. Sie nimmt damit zwangsläufig Klagen in Kauf und riskiert, dass das Gesetz von Gerichten gekippt wird. Und sie schafft neue Unsicherheiten, die zu langwierigen Rechtsstreitigkeiten führen werden. Damit muss sich die Bundesregierung vorhalten lassen: Das Gesetz war gut gemeint, ist aber schlecht gemacht. Statt zur notwendigen Beschleunigung des Repowerings trägt sie zur Verlangsamung bei.
Dabei wäre es so einfach gewesen. Was es braucht, ist eine gute und überregionale Flächenplanung in den Bundesländern. Durch die Ausweisung von Vorranggebieten für die Windenergie können jene Flächen identifiziert werden, die die geringsten Konflikte mit dem Artenschutz aufweisen. Die neuen Anlagen können dann mit modernen Vermeidungsmaßnahmen und technischen Systemen ausgestattet werden, sodass Konflikte mit dem Artenschutz verringert oder sogar ganz vermieden werden können.
Doch dieses Gesetz ist leider schlecht gemacht. Als NABU lehnen wir es daher strikt ab. Welche Farbe die künftige Bundesregierung auch immer hat: Sie muss das Gesetz sehr schnell neu aufrollen. Es muss so anpasst werden, dass der Artenschutz gewahrt bleibt und ein rechtssicheres Repowering möglich wird. Denn nur so lösen wir unsere beiden großen Menschheitskrisen. Wir müssen Natur- und Klimaschutz gemeinsam denken!
Katharina Stucke, NABU-Referentin für Energiewende und Naturschutz
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22. Juni 2021 - Am vergangenen Sonntag hat die CDU/CSU ihr Wahlprogramm vorgestellt. Um es kurz zu sagen: Das Wahlprogramm der Union grenzt an bewusster Täuschung der Wähler*innen. Die Partei scheut ein konsequentes Umsteuern. Doch mit Klein-Klein und fehlendem Gestaltungswillen wird Deutschland den dringend notwendigen Wandel im Kampf gegen Klima- und Artenkrise nicht erreichen. Eine kurze Bewertung der wichtigsten Punkte aus NABU-Sicht:
Die Union bekennt sich zum – eh schon beschlossenen – übergeordneten Klimaschutzziel der Bundesregierung. Maßnahmen um dieses Ziel zu erreichen formuliert die Partei allerdings nicht, obwohl es in anderen Bereichen des Programms durchaus detailreiche Lösungsvorschläge gibt. Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll gesteigert werden - wie genau bleibt im Unklaren. Wichtigstes Klimaschutzinstrument in diesem Programm ist der Emissionshandel. Der CO2-Preisanstieg soll zwar gestrafft werden, dann sollen CO2-Preis und Emissionshandel in allen Sektoren zusammengeführt werden. Wie das genau gehen soll, und wie dadurch in allen Sektoren die dringenden Emissionsminderungen angereizt werden können ist völlig unklar. Im Klimaschutz sollen außerdem technische Lösungen zur Kohlenstoffspeicherung beitragen. Dass die Natur uns bereits viel bessere Lösungen geschenkt hat - beispielsweise Moore und Wälder - wird geflissentlich ignoriert.
Das Problem: Die Union lässt es in ihrem Wahlprogramm so aussehen als könnten wir weiterhin wirtschaften und leben wie bisher – und trotzdem die Klimaschutzziele erreichen. Das ist eine Illusion und das weiß die Union auch.
Beim Naturschutz sieht es dünn aus. Zwar finden sich Hinweise auf oft für den Schutz weniger bedeutsame Instrumente, jedoch wird ein generelles „Weiter-So“ propagiert. Die Ursachen des massiven Flächenverbrauchs in Deutschland werden aber beispielsweise nicht hinterfragt. Wer Arten und Lebensräume schützen will, darf nicht bei Forschung, Monitoring und halbherziger Symptomdoktorei verharren.
Ebenso wenig werden die Finanzierungslücke für Erhaltungsmaßnahmen in Naturschutzgebieten thematisiert. Zu einem der wichtigsten Themen aus Klima- und Naturschutzsicht - der Renaturierung von Mooren - findet sich gleich gar nichts. Obwohl diese Aufgabe dringende Steuerung und finanzielle Unterstützung durch den Bund benötigt. Denn: Die erwähnte Fassadenbegrünung allein wird die Artenkrise nicht stoppen.
Die intensive Landwirtschaft ist einer der schwerwiegendsten Treiber der Klima- und damit auch der Artenkrise. In den letzten Jahrzehnten führte sie dazu, dass die Artenvielfalt massiv reduziert wurde und sorgte gleichzeitig auch in anderen Lebensräumen für Schäden an der Biodiversität (zum Beispiel durch den erhöhten Nährstoffeintrag in unsere Meere). Das 140-seitige CDU-Wahlprogramm reduziert dieses komplexe Thema Landwirtschaft auf die Aussage: „Ohne Landwirtschaft keine Artenvielfalt“. Es wird komplett ignoriert, dass Landwirt*innen die Natur brauchen, etwa für artenreiche Böden und Bestäuber ihrer Pflanzen. Das ist eine klare Absage an die Anerkennung des Problems.
Wir brauchen gezielte – vor allem finanzielle - Unterstützung für alle Betriebe, die sich in Richtung naturverträglicher Lebensmittelerzeugung, klarer Umweltregeln für alle und faire Preise entwickeln wollen. Statt einer Agrarpolitik, die weiter Intensivierung belohnt.
Insgesamt möchte die CDU/CSU auf klare, auch für Rechtssicherheit sorgende Ge- und Verbote verzichten und lieber finanzielle Anreize setzen. Diese stellt sie aber in der Regel vor einen Finanzierungsvorbehalt, sodass Schutzmaßnahmen nur stattfinden, wenn genügend Geld vorhanden ist. Gleichzeitig möchte die Union aber Steuern nicht erhöhen und die Industrie entlasten. Dass dies nicht funktionieren kann, ist offensichtlich. Und selbst wenn ökonomische Steuerungs-Instrumente finanzierungsneutral sind: Sobald sie ihre Wirkung entfalten könnten, also fossile Energieträger beispielsweise verteuern, möchte die CDU/CSU gegensteuern, um diese Verteuerung zu verhindern. Die Instrumente sind also von vornherein zu zahnlosen Tigern verdammt.
Es bleibt zu hoffen, dass sich die Bürger*innen nicht täuschen lassen, und auch die CDU/CSU selbst noch nachjustieren, um nicht nur Blendwerk zu liefern.
Raphael Weyland
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18. Juni 2021 - Am vergangenen Wochenende hat der Parteitag der Grünen ihr Wahlprogramm für die Bundestagswahl im September beschlossen. Zahlreiche Änderungsanträge waren bereits vorher beraten und zumindest bearbeitet übernommen worden. Die von den Medien teils als solche hochgeredeten „Kampfabstimmungen“ blieben also vielfach aus. Dies gilt auch für die eigentlichen Unterkapitel zum Naturschutz, die wir hier für Sie kurz bewerten möchten. Vorab: Der Schutz der Biodiversität findet natürlich nicht nur über die originären Naturschutzinstrumente statt, sondern als Querschnittsaufgabe vor allem auch über das Adressieren der Treiber des Artenschwunds.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Wahlprogramm der Grünen dem Thema Naturschutz durchaus einen gewissen Raum einräumt und insgesamt einen „soliden“ Eindruck hinterlässt. Dies betrifft die „klassischen“ Naturschutzinstrumente wie etwa das Thema Schutzgebiete. Gleichzeitig werden aber aktuelle Impulse der globalen Ebene und der EU-Politik aufgegriffen. So scheinen die verschiedenen Unterkapitel zwar nicht immer bis zum letzten Komma durchstrukturiert, weisen aber eine erfreuliche Detailtiefe auf.
Von einem Wahlprogramm erwarten wir eine Anerkennung, dass statt einer behutsamen Evolution der Naturschutzpolitik ein radikaler Wandel notwendig ist, um die Biodiversitätskrise zu bewältigen. Zumindest im Naturschutzteil des Grünen Wahlprogramms finden wir zwar die Anerkennung des Problems, die geeigneten transformativen Stellschrauben jedoch nicht. Daher werden wir in Kürze uns die Abschnitte vornehmen, die sich mit der Landnutzung, der Wirtschaft und der internationalen Politik beschäftigen.
Ein paar Details aus dem Wahlprogramm:
Die Grünen bekennen sich dazu, das oftmals vernachlässigte Thema Schutzgebiete neu anzugehen. Der Verkauf von für die Natur wertvollen bundeseigenen Flächen soll – dies fordert auch der NABU – gestoppt werden, bestehende Schutzgebiete besser vernetzt und möglicherweise auch vergrößert werden.
Das Thema Naturschutzfinanzierung wird zumindest über den Klimafokus angesprochen. Für den politischen Betrieb neu ist die (auch schon im Bundestag von den Grünen kürzlich vorgestellte) Idee, Gelder aus dem Energie- und Klimafonds für klimaschutzrelevanten Naturschutz auszugeben. Dies sehen wir als guten Ansatz, auch wenn fraglich ist, ob dadurch tatsächlich die bestehende Finanzierungslücke für das reguläre „Management“ von zum Beispiel Natura 2000-Gebieten geschlossen wird.
Die Grünen drängen auch auf die Vorreiterrolle, die die EU und Deutschland bei den Verhandlungen für ein globales Biodiversitätsabkommen im Rahmen der Biodiversitätskonvention (CDB) einnehmen müssen. Tatsächlich könnte das Abkommen (auf der CBD COP15 in Kunming) bereits geschlossen sein, bevor die neue Bundesregierung ihre Arbeit aufnimmt. Ein wichtiges Element dieses Abkommens wird unter anderem ein Gebietsschutzziel von 30 Prozent sein.
Erfreulich ist, dass es auch das aus NABU-Sicht wichtige Thema Renaturierung in einem eigenen Unterkapitel ins Wahlprogramm der Grünen geschafft hat. Hier liegt der Schwerpunkt eindeutig auf den für den Klimaschutz wichtigen Mooren. Insgesamt sollen die vielen schon bestehenden und neuen Maßnahmen in einer Renaturierungsoffensive gebündelt werden.
Bleibt zu hoffen, dass sich die Grünen in etwaigen Koalitionsverhandlungen tatsächlich für das Thema Naturschutz einsetzen. Nach dem relativen Stillstand der letzten Jahre ist ein gewisser Schub nötig. Dies zeigen schon die derzeit laufenden Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland in Bezug auf den unzureichenden Grünlandschutz. Vor allem aber die sich immer weiter verschlechternden Kurven zum Zustand der Biodiversität.
Raphael Weyland
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Die Ampelregierung ist seit 2021 im Amt. Der NABU begleitet ihre Arbeit, insbesondere mit Blick auf Natur- und Umweltthemen. Der Blog zum Nachlesen. Mehr →
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