In diesen Zeiten schöpfen wir besonders viel Kraft in der Natur. Werden Sie NABU-Mitglied und helfen Sie mit, damit wir die Natur auch in Zukunft genießen können.
Jetzt NABU-Mitglied werden!Rückenwind für die Umwelt
So funktionieren Volksbegehren
Es sind die langen Schlangen, die im Gedächtnis bleiben. Wartende vor den Rathäusern, oft Hunderte wie in München auf dem Marienplatz, Menschen, die im Februar 2019 unbedingt ihre Stimme „für die Bienen“ abgeben wollten. Am Ende waren es bayernweit mehr als 1,7 Millionen, die in nur zwei Wochen unterschrieben hatten. Die Erfolgshürde von zehn Prozent der Wahlberechtigten war deutlich übertroffen, in den Städten ebenso wie auf dem Land.
Die Gunst der Stunde
Das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ kam genau zur richtigen Zeit. Befördert von der 2017 vorgestellten Krefelder Insektenstudie, ist der Schwund der Artenvielfalt zu einem immer wichtigeren gesellschaftlichen Thema geworden, das nicht mehr nur Naturschützer*innen Sorge bereitet. Dennoch fiel der Erfolg nicht vom Himmel. Ein Volksbegehren durchzuführen, ist eine Wissenschaft für sich.
Deutscher Föderalismus: Direkte Demokratie auf allen Ebenen
Volksbegehren sind in allen deutschen Bundesländern möglich. Anders sieht es auf nationaler Ebene aus, hier ist dieses Instrument nur für Fragen zur Neugliederung des Bundesgebietes vorgesehen, zum Beispiel die Zusammenlegung von Bundesländern.
Unterschiedlich hohe Hürden
Die regionalen Bestimmungen sind aber teils so streng, dass in den meisten Bundesländern bis heute noch kein einziges Volksbegehren stattfand. Schon für den Antrag auf ein Volksbegehren – Volksinitiative genannt – werden teils mehrere zehntausend Unterschriften benötigt. Für ein erfolgreiches Volksbegehren müssen wie in Hessen bis zu 20 Prozent der Wahlberechtigten zustimmen. Während in Bayern die Stimmen zum Volksbegehren in nur zwei Wochen gesammelt werden müssen, lässt NRW hierfür ein ganzes Jahr Zeit.
Ist ein Volksbegehren erfolgreich, befasst sich der Landtag damit. Lehnt der Landtag das Volksbegehren ab, kommt es zum Volksentscheid. Hier sind die Hürden wieder unterschiedlich, meist aber höher als in der Stufe zuvor. Während in Bayern oder Sachsen für einfache Gesetze keine Mindestbeteiligung verlangt wird, müssen in den meisten Bundesländern nicht nur eine Mehrheit der Teilnehmer*innen, sondern auch mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten mit „ja“ stimmen. Für verfassungsändernde Gesetze liegen die Quoten meist bei 50 Prozent plus einer Zustimmung von zwei Dritteln der Teilnehmer*innen.
Abstimmen auch im Bund?
Initiativen wie „Mehr Demokratie“ schlagen eine dreistufige „Volksgesetzgebung“ auch für die Bundesebene vor. Grund- und Minderheitenrechte sollen nicht zur Abstimmung stehen. Um eine gute Verknüpfung zwischen Volksinitiative und Parlament zu gewährleisten, könnte der Bundestag auch einen eigenen Vorschlag mit zur Abstimmung stellen.
Ganz anders sieht es auf kommunaler Ebene aus. Möglichkeiten für Bürger*innenbegehren in Kreisen, Städten und Dörfern gibt es nämlich in allen Bundesländern. Mehrere tausend Mal wurde schon abgestimmt, ob es nun um den Fahrradverkehr oder um das Hallenbad ging. Am häufigsten finden Bürger*innenbegehren in Bayern statt.
Minimum eine Million: Europäische Bürgerinitiativen
Volksbegehren gibt es auf EU-Ebene nicht, lediglich die Europäische Bürgerinitiative (EBI). Anders als die Petitionen beim Europaparlament und die Beschwerden an den Europäischen Bürgerbeauftragten wendet sich die 2012 eingeführte EBI an die die EU-Kommission, also quasi die Regierung. Diese kann durch Unterstützungsbekundungen von mindestens einer Million Bürger*innen aus mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten aufgefordert werden, einen Rechtsakt zu einem Thema vorzuschlagen, zu dem es nach Ansicht der Initiatoren einer Regelung bedarf. Die Kommission ist aber nicht verpflichtet, dem zu folgen.
Umgekehrt kommt es vor, dass die Kommission von sich aus eine Meinung einholt. Viele EU-Gesetze werden in festen Abständen auf den Prüfstand gestellt. In einem sogenannten Fitness-Check haben Laien wie Fachleute, Einzelpersonen wie Organisationen Gelegenheit, ihre Einschätzung zur Zweckmäßigkeit eines Gesetzes abzugeben. Dabei ist es den europäischen Umweltverbänden und ihren Mitgliedern dank intensiver Beteiligung gelungen, den Fortbestand sowohl der Naturschutzgesetze (2015/16) wie auch der Wasserrahmenrichtlinie (2019) zu sichern.
Es gilt, bereits im Vorfeld ein möglichst breites Bündnis zu schmieden. In Bayern waren das neben dem NABU-Partner LBV die ÖDP, Bündnis90/Die Grünen sowie die Gregor Louisoder Stiftung, denen sich im Laufe der Zeit mehr als 200 weitere Partner*innen anschlossen. Das Bündnis muss einen juristisch wasserdichten Gesetzestext verfassen, hier ein „Gesetz zur Änderung des Bayerischen Naturschutzgesetzes zugunsten der Artenvielfalt und Naturschönheit“. Der Antrag auf das Volksbegehren braucht außerdem Unterstützer*innen, in Bayern mindestens 25.000. Erst dann gibt das Innenministerium grünes Licht.
Im Wahlkampf
Das eigentliche Volksbegehren läuft praktisch wie eine Wahl ab. Dazu gehört Wahlkampf mit Infoständen, Plakaten und Kundgebungen, aber auch die Betreuung des Ablaufes während der Eintragsfrist. In Bayern kümmerten sich darum in jeder Gemeinde ehrenamtliche „Rathauslotsen“.
Der Aufwand geht also weit über das Normalgeschäft eines Umweltverbandes hinaus. Sämtliche Ressourcen werden auf das Äußerste belastet, auch die finanziellen. Denn bei allem ehrenamtlichen Engagement kostet es natürlich etwas, zum Beispiel landesweit zu plakatieren. Umso mehr, wenn Gegner der Initiative die Plakate immer wieder herunterreißen.
Wir sind nicht alleine
Ein solcher Kraftakt schweißt aber auch zusammen. Am Ende zu wissen „Wir können Volksbegehren!“, macht Mut und motiviert für viele weitere Aufgaben. Inhaltlich heißt das zudem: Wir sind nicht alleine, unser Anliegen wird von Millionen Menschen mitgetragen.
Proteste und Petitionen
Für Volksbegehren gilt: Großer Aufwand, große Wirkung. Es geht aber auch eine Nummer kleiner. Unterschriften sind in Zeiten des Internets schnell gesammelt, zahlreiche Onlineportale bieten die Möglichkeit, Protestbriefe aufzusetzen und Mitstreiter*innen zu suchen. Der Haken dabei: Verbindliche Folgen haben solche Proteste nicht. Die Organisator*innen müssen darauf setzen, dass Ihr tausendfach vorgetragenes Anliegen Eindruck macht und etwas bewegt.
Petitionen ans Parlament. Das ist auch bei „offiziellen“ Petitionen so. „Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden“, heißt es in Artikel 17 des Grundgesetzes. Beim Bundestag und den Landtagen sind daher mit Abgeordneten besetzte Petitionsausschüsse eingerichtet, die Proteste und Vorschläge entgegennehmen. In ihrer Hand liegt es, ob das Parlament sich mit der jeweiligen Angelegenheit beschäftigt.
Massenproteste, ob in Form von Unterschriften, Briefen, Mails, Postkarten oder Anrufen, sind für den NABU ein wichtiges Mittel der politischen Auseinandersetzung. Auf Bundesebene wurden alleine im vergangenen Jahr rund ein Dutzend solcher Aktionen durchgeführt.
Ostseetunnel und Agrarpolitik. Unter anderen wurden für ein EU-weites Verbot der Turteltaubenjagd 75.000 Unterschriften gesammelt. Mehr als 60.000 Protestmails gingen an Bundesverkehrsminister Scheuer, damit dieser den Ostseetunnel zwischen Dänemark und Deutschland stoppt. Gleichzeitig hat der NABU in der Sache Klage beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt. Und schließlich machte der NABU mit 62.290 Postkarten und elektronischen Nachrichten bei seiner „114 Euro“-Aktion Druck auf das Europaparlament, damit die EU-Agrarpolitik endlich umweltverträglich wird.
Doch wie reagiert die Politik? Lehnte der Landtag das erfolgreiche Volksbegehren ab, käme es in der nächsten Stufe zu einem Volksentscheid, möglicherweise mit einem konkurrierenden Gesetzesentwurf der Regierung. Das ist allerdings für beide Seiten ein Risiko. Die „politischen Kosten“ können hoch sein, wenn die Landesregierung den Entscheid verliert, wie etwa in Berlin 2014 bei der Frage um die Bebauung des Tempelhofer Feldes geschehen. Die Bayerische Staatsregierung wollte dieses Risiko nicht eingehen und so wurde das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ schließlich unverändert angenommen.
Von Bayern lernen
Das bayerische Beispiel hat rasch Schule gemacht. Innerhalb nur eines Jahres wurden ähnliche Volksinitiativen auch in Baden-Württemberg und Brandenburg gestartet, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen werden folgen. Ohne den Erfolg in Bayern, das darf man behaupten, wäre keine dieser Initiativen entstanden.
Übersicht: aktuelle Umwelt-Volksbegehren
- Baden-Württemberg 2019: „Rettet die Bienen“, Volksinitiative mit 35.865 Unterschriften. Begonnenes Volksbegehren nach Angebot der Landesregierung vorzeitig beendet.
- Bayern 2019: „Rettet die Bienen“, 1,7 Millionen Unterschriften. Volksbegehren vom Landtag angenommen. Unter anderem Änderung des Naturschutzgesetzes.
- Brandenburg 2019/20: „Artenvielfalt retten – Zukunft sichern“, 73.072 Unterschriften. „Moderiertes Verfahren“ mit Regierungsfraktionen und Landnutzer*innenverbänden begonnen. Zuvor 2015/16 Volksbegehren gegen Massentierhaltung mit 103.891 Unterschriften, vom Landtag angenommen.
- Hamburg 2017/18: „Hamburgs Grün erhalten“, 23.000 Unterschriften. „Vertrag für Hamburgs Stadtgrün“ mit dem Senat geschlossen.
- Niedersachsen 2020: Volksbegehren „Artenvielfalt.Jetzt!“ in Vorbereitung, geplanter Start Ende März/Anfang April.
- Nordrhein-Westfalen 2020: Volksinitiative „Insekten retten – Artenschwund stoppen“. Start im Laufe des Frühjahres.
Stand März 2020
Doch die „Gegenseite“ hat gleichfalls gelernt. In Bayern überraschte „Rettet die Bienen“ die Politik und die Landwirtschaftsverbände noch. Die Gegenwehr war zögerlich und zunächst rein destruktiv. Als wenige Monate später im benachbarten Baden-Württemberg unter Beteiligung der Umweltverbände ein von den Berufsimkern David Gerstmeier und Tobias Miltenberger erdachtes Volksbegehren startete, legte die grün-schwarze Landesregierung dagegen in kürzester Zeit ein attraktives Gesprächsangebot auf den Tisch.
Keine Pestizide in Schutzgebieten
Ob auch hier mehr als zehn Prozent der Wahlberechtigten abgestimmt hätten, wird man nie erfahren. Der Gesetzesentwurf des Landes kam dem Volksbegehren so weit entgegen, dass dieses aufgegeben wurde. Bei Themen wie Pestizidreduktion – darunter Komplettverbot in Naturschutzgebieten – oder Ausbau der Öko-Landwirtschaft kann Baden-Württemberg nun zum Muster-Ländle werden. Und das zusammen mit den Landwirten, die auf dem Weg dahin durch Förderprogramme und eine bessere staatliche Pflanzenschutz-Beratung unterstützt werden sollen.
Naturschutz in der Großstadt: Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“
Die Landwirtschaft spielt im Stadtstaat Hamburg keine große Rolle. Hier macht dem Naturschutz vor allem die zunehmende Versiegelung und Zerschneidung durch Siedlungsdruck und Verkehr zu schaffen. Freiräume werden Stück für Stück aufgefressen. Der NABU ist überzeugt, dass mit gutem Willen und kluger Planung Stadtentwicklung und Naturschutz vereinbar sind.
Um seinen Ideen Nachdruck zu verleihen, hat der NABU Ende 2017 eine Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“ gestartet. Trotz Gegenwind aus der Politik, teils sogar aus den Medien, gelang es mehr als 23.000 Unterschriften zu sammeln und den Senat an den Verhandlungstisch zu zwingen. Im Frühjahr 2019 wurde dann tatsächlich eine Einigung erzielt und Ende des Jahres offiziell beschlossen.
Keine Entwicklungsbremse. „Die langen und intensive Verhandlungen haben sich gelohnt. Bundesweit schlägt Hamburg als erste Großstadt einen richtungsweisenden Weg ein, mit dem eine Verbindung zwischen Grünerhalt und Siedlungsentwicklung tatsächlich möglich ist“, resümiert der NABU-Landesvorsitzende Alexander Porschke. „ Artenvielfalt und Lebensqualität bleiben erhalten. Gleichzeitig haben wir uns auf eine Flexibilität beim Flächenschutz geeinigt. So bleibt Raum für die Stadt sich zu entwickeln – mit Augenmaß.“
Laut Zielvorgabe muss die Gesamtfläche aller Naturschutz- und Landschaftsschutzgebiete erhalten bleiben. Auch der Anteil aller Flächen aus dem Bioptopverbund darf nicht mehr sinken. Damit sind gut 30 Prozent der Fläche Hamburgs in Zukunft geschützt. Grün- und Erholungsanlagen bleiben vor Bebauung grundsätzlich geschützt, es müssen sogar zusätzliche öffentlich zugängliche Flächen geschaffen werden.
Aufwertung der Stadtnatur. Ein großer Gewinn für Hamburgs Natur ist zudem, dass die Naturqualität in Hamburg verbessert werden soll. Geeinigt wurde sich darauf, dass der Wert in Naturschutzgebieten langfristig steigen muss, während er im restlichen Stadtgebiet nicht sinken darf. Das kann durch neue Blühwiesen in Parks geschehen, durch, Renaturierung von Stadtbächen oder die Pflege naturnaher Wälder.
Neu zum Einsatz kommt eine satellitengestützte Datenerhebung versiegelter Flächen. So lässt sich detailliert der reale Versiegelungsgrad ermitteln. Die Naturqualität wird über die Biotopkartierung gemessen, ab jetzt alle fünf anstatt bisher alle acht Jahre. Vereinbart wurden auch mehr Naturschutzinvestitionen und die Einstellung von städtischen Naturschutz-Rangern.
Noch nicht ganz so weit ist man in Brandenburg. Hier entschlossen sich die Landnutzer*innen, Feuer mit Feuer zu bekämpfen und starteten zeitgleich mit der Volksinitiative der Umweltverbände eine eigene Initiative. Dass selbst die Farbgebung in Faltblättern und auf der Website zum Verwechseln ähnlich war, ist sicher kein Zufall. Mit mehr als 70.000 Unterschriften erzielte das Original der Umweltverbände dennoch einen deutlichen Punktsieg.
Detailverhandlungen laufen
Da es in der Praxis ohne die Landwirt*innen nicht gehen wird, wurde nun ein „moderiertes Verfahren“ begonnen. Bis zum Sommer soll unter Beteiligung der Regierungsfraktionen ein gemeinsamer Gesetzesentwurf erarbeitet werden. Beide Volksinitiativen haben bereits wichtige Punkt im Grundsatz vereinbart. Angestrebt werden ordnungsrechtliche Mindeststandards für den Pestizideinsatz in Schutzgebieten sowie bei Gewässerrandstreifen. Die Folgen für Betroffene sollen ermittelt und per Gesetz Vorschläge für einen finanziellen Ausgleich festgelegt werden.
Dass hier der sprichwörtliche Teufel im Detail liegen kann, hat man bereits in Bayern erfahren. Es dauerte noch mal ein halbes Jahr und mehrere Verhandlungsrunden mit der Staatsregierung, bis das Naturschutzgesetz endlich geändert wurde.
Die Praxis zählt
Die vom Ministerrat ergänzend erlassene Biotopverordnung weicht den Naturschutz sogar auf, anstatt ihn zu stärken. Die Kriterien wurden so gefasst, dass zum Beispiel fast keine Streuobstwiesen mehr unter Schutz stehen, weil nur Bestände mit einem überwiegenden Kronenansatz in mindestens 1,80 Meter Höhe erfasst werden. Ein unwichtig wirkendes Detail mit weitreichenden Folgen.
Die Initiatoren des Volksbegehrens werden daher die Umsetzung sämtlicher Vereinbarungen intensiv begleiten. Ein Projekt zusammen mit der Hochschule Nürtingen wird den Erfolg regelmäßig messen und die Ergebnisse veröffentlichen.
Helge May
verwandtes thema
Vater Rhein und Mutter Erde: In unserer Sprache vermenschlichen wir die Natur schon lange. Dies spiegelt sich in immer mehr Rechtssystemen wider, die der Natur Rechte zuweisen. Könnte das auch in Deutschland funktionieren? Mehr →