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Warum Wasserenergie selten grün ist
Die Mitternacher Ohe ist ein Beispiel für die Selbstheilungskräfte der Natur. Jahrzehntelang war das Flüsschen im Bayerischen Wald ein verbautes, reguliertes und aufgestautes Gewässer, das von drei Wasserkraftwerken zur Stromerzeugung genutzt wurde. Seit dem Abriss des letzten Wehrs im Oktober 2013 folgt es wieder seinem angestammten Lauf – mit natürlichem Geschiebe und voller Wasserführung. Rund 500.000 Euro hat der Landesfischereiverband Bayern (LFV) investiert, damit der Fluss auf seiner gesamten Länge von 17 Kilometern wieder frei fließen kann. Gut angelegtes Geld, denn mit Äsche, Neunauge und Flussperlmuschel ist heute das Leben zurückgekehrt in die Mitternacher Ohe.
Fischen ist der Weg versperrt
Das vom Betonkorsett befreite Naturjuwel ist eine Rarität. Denn wie eine Analyse der Umweltstiftung WWF ergab, wird der Lauf bayerischer Flüsse von rund 57.000 Querbauwerken wie Abstürzen, Sohlrampen oder Staumauern fragmentiert – rein rechnerisch hemmt alle 500 Meter eine Barriere den Wasserfluss. Zu den Hindernissen zählen auch die Wehre der über 4.200 Wasserkraftwerke im Freistaat, denn Bayern ist Wasserkraft-Land. Die Flüsse, von denen viele in den Alpen entspringen, haben ein für die Stromproduktion günstiges Gefälle. Über die Hälfte aller deutschen Wasserkraftwerke liegt an bayerischen Flüssen.
Der hohe Verbauungsgrad ist für ein breites Bündnis von Naturschutzverbänden, dem unter anderem der LFV und der NABU-Partner Landesbund für Vogelschutz (LBV) angehören, einer der Hauptgründe für den dramatischen Artenschwund in bayerischen Gewässern. „Querbauwerke beeinträchtigen das gesamte Ökosystem der Fließgewässer“, argumentiert Johannes Schnell, Gewässerbiologe beim LFV. Fische würden beim Aufstieg in ihre Laichgründe behindert. Zudem gehe den Flüssen die natürliche Strömungsdynamik und damit die Selbstreinigungskraft verloren.
Keine Zukunft für die Nase?
Insbesondere die Turbinen der Wasserkraftwerke sind Schnell ein Dorn im Auge: „Die Todesrate von Fischen liegt bei bis zu 30 Prozent pro Kraftwerk“, berichtet er. Das summiere sich, denn an einem längeren Fluss liege meist eine ganze Serie von Kraftwerken.
Tatsächlich gelten von den 75 in Bayern heimischen Fischarten 33 als gefährdet, stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht. Sieben Arten sind bereits ausgestorben, 17 stehen auf der Vorwarnliste. Das bedeutet, dass sie zwar noch nicht gefährdet, ihre Bestände jedoch lokal dramatisch eingebrochen sind. Sogar ein Allerweltsfisch wie die Nase, ein 25 bis 40 Zentimeter langer Karpfenfisch, der in der Donau und ihren Nebenflüssen einst in riesigen Schwärmen vorkam, wird inzwischen als stark gefährdet geführt. Dafür ist nicht allein die Stromerzeugung verantwortlich. Weitere Ursachen sind etwa die Trockenlegung von Flussauen oder Schadstoffeinleitungen aus der Landwirtschaft.
Unzählige Kleinkraftwerke
Mithilfe der Wasserkraft erzeugt Bayern im langjährigen Mittel 12,5 Milliarden Kilowattstunden Strom. Damit stammen über zwei Drittel des in Deutschland produzierten Wasserkraftstroms aus bayerischen Werken. Am bundesweiten Strommix hat die Wasserkraft jedoch lediglich einen Anteil von 3,5 Prozent. Anders in Bayern: Dort stellt sie etwa 14 Prozent des gesamten erzeugten Stroms.
Die Spreizung zwischen den Kraftwerken ist allerdings gewaltig: Über zwei Drittel des gesamten Wasserstroms stammen von nur 67 Großanlagen mit Leistungen von 10.000 Kilowatt und größer. Mehr als 90 Prozent aller Kraftwerke sind dagegen Klein- und Kleinstanlagen bis 500 Kilowatt. Zusammen liefern sie nur sieben Prozent des Wasserstroms.
Direkt in die Turbine
Der Kleinwasserkraftverband VWB beteuert, es werde alles getan, um die Anlagen für Fische durchgängiger zu machen. Der VWB-Vorsitzende Fritz Schweiger verweist darauf, dass die meisten Betriebe Fischtreppen und Rechen nachgerüstet hätten, um Fische daran zu hindern, durch die Turbinen zu schwimmen. Doch wie eine aktuelle Studie der Technischen Universität München zeigt, nutzen absteigende Fische die angelegten Bypässe meist nicht. Auch Rechen, die nur große Fische schützen, sind demnach oft nutzlos, denn das Gros der Klein- und Jungfische folgt der Hauptströmung, die durch den Rechen direkt in die rotierende Turbine führt.
Fazit der Studie: Moderne Anlagen sind nicht fischschonender als alte. Das Ausmaß der Schäden hängt einzig von Rahmenbedingungen wie Drehzahl, Fallhöhe und den vor Ort vorkommenden Fischarten ab.
Falsche Förderpolitik
Dessen ungeachtet plant die bayerische Staatsregierung, für die kleine Wasserkraft ein Förderprogramm aufzulegen. Zudem erhalten Wasserkraftwerke bis 500 Kilowatt Leistung mit der kürzlich beschlossenen Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes drei Cent mehr pro Kilowattstunde Strom. Auch die Genehmigung von Neuanlagen wurde erleichtert. „Wir sind gegen den Bau neuer Wasserkraftwerke“, sagt dagegen Michael Schödl vom LBV. „Die Kapazität ist ausgeschöpft.“ Stattdessen solle man marode Altanlagen wo immer möglich aufkaufen und abreißen.
Schödl verweist auf den Klimawandel, der viele Kleinstanlagen unrentabel machen werde. In der Tat klagt die Branche bereits jetzt über zu hohe Mindestwassermengen. Das ist die Wassermenge, die im Fluss bleiben muss, damit das Leben dort nicht vollends austrocknet. Wenn im Zuge häufigerer und länger anhaltender Dürren mehr Wasser verdunstet, könnte es eng werden für die kleine Wasserkraft.
Hartmut Netz (Naturschutz heute 2021)