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NABU reagiert auf „Wahrheiten“ der BILD-Zeitung
18. März 2011 - Kaum droht die Bundesregierung zumindest aus wahltaktischen Überlegungen heraus eine (vorläufige) Wende in der Atompolitik anzustreben, kontert die BILD-Zeitung mit fünf unbequemen „Wahrheiten“, die angeblich keiner hören will. In Wirklichkeit werden hier von Deutschlands Meinungsblatt Nummer 1 („BILD Dir Deine Meinung“) altbekannte Argumente ins Spiel gebracht, die längst bekannt und überholt sind beziehungsweise auch durch stetige Wiederholungen nicht die Notwendigkeit eines Ausstiegs aus der Risikotechnologie Atomkraft in Frage stellen. Der NABU geht mit Blick auf die Behauptungen der BILD-Zeitung auf die Konsequenzen daraus wie folgend ein:
1. Deutschland ist umzingelt von Atomkraft!
Selbst Länder wie Großbritannien oder China, die auf einen zum Teil massiven Ausbau der Atomenergie setzen, haben eine Überprüfung der Sicherheitsstandards angekündigt. EU-Energiekommissar Günther Oettinger will einen Stresstest für alle europäischen Atomkraftwerke in Europa durchführen. Bei den Kontrollen durch unabhängige Experten sollen die 143 Meiler in Europa zeigen, wie sie auf Notfälle vorbereitet sind. Analysiert werden etwa die Notstromversorgung und die Kühlsysteme, die im japanischen Kraftwerk versagten. Insbesondere für die französischen Kraftwerke gibt es in heißen und trockenen Sommern große Probleme mit ausreichendem Kühlwasser. Für die an den Küsten gelegenen Reaktoren wird eingehender getestet, wie sie gegen Überflutungen gerüstet sind. Die Ergebnisse werden zeigen, wo die Sicherheitsvorschriften in Europa am strengsten sind und wo es Schwachstellen gibt.
Der NABU fordert, auf dieser Basis einheitliche und rechtsverbindliche Sicherheitsstandards sowie strengere Regeln für den Betrieb von AKW auf europäischer Ebene festzusetzen. Auf dieser Grundlage werden die EU-Mitgliedsstaaten ihre bisherigen Energiestrategien überprüfen und einige AKWs abschalten müssen. Keiner geht davon aus, dass Europa ab nächster Woche atomkraftfrei sein wird. Aber wir müssen jetzt endlich die völlig kontraproduktive Förderung und Subventionierung der Atomkraft einstellen, damit auch unsere Nachbarländer eine nachhaltige und risikoärmere Energieversorgung für die Zukunft umsetzen können.
2. Kohle und Gas müssen Atomkraft ersetzen!
Wir haben bereits heute einen Überschuss an Grundlaststrom aus unflexiblen Atom- und Kohlekraftwerken, den wir in Zeiten hoher Einspeisung aus Windenergieanlagen zu geringen oder gar negativen Preisen ins Ausland exportieren müssen. Mit Brunsbüttel und Krümmel waren zwei Kraftwerke dauerhaft nicht am Netz, bis zu fünf weitere AKW waren zeitweilig aufgrund von Störungen, Wartungs- und Reparaturarbeiten in den letzten Jahren ebenfalls abgeschaltet. Und trotzdem hat Deutschland weiterhin massive Exportüberschüsse an Strom produziert. Das Umweltbundesamt geht davon aus, dass kurzfristig bis zu acht AKW abgeschaltet werden können, ohne dass eine Stromlücke entsteht und Ersatzneubauten erforderlich werden. Bis 2020 wird durch den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien der Wegfall aller deutschen Atomkapazitäten vollständig, wenn nicht sogar überkompensiert. Wenn wir im Übergang daneben neue Kapazitäten brauchen, dann hocheffiziente Gaskraftwerke, die die schwankende Einspeisung aus Wind- und Solarenergie ausgleichen können. Mit dem sinkendem Verbrauch im Wärmesektor, geht der NABU aber nicht davon aus, dass Deutschland insgesamt mehr Erdgas benötigt als heute.
3. Öko-Energie kann die Stromversorgung noch lange nicht sicherstellen!
Der realistische Zeithorizont für den Umbau unserer Stromversorgung hin zu 100 Prozent Erneuerbaren Energien wird durch zahlreiche Studien belegt auf etwa 30 bis 40 Jahre, also bis spätestens 2050, geschätzt. Einige Szenarien enthalten auch ambitioniertere Übergänge für möglich. Der Systemwechsel von unflexiblen Großkraftwerken auf Kohle- und Atombasis hin zu überwiegend dezentralen und vernetzten Strukturen erfordert aber ein intelligenteres Energiekonzept als das der Bundesregierung vom Herbst 2010.
Eine nationale Netzplanung darf sich nicht länger an den Interessen der Energiekonzerne und den Engpässen durch die bestehende Kraftwerksstruktur orientieren, sondern muss auf den künftigen Bedarf für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien abgestimmt werden. Wenn die Politik verlässliche Rahmenbedingungen für das Abschalten der AKW schafft, dann erleichtert dies überhaupt erst zielgerichtete Investitionen in die Netz- und Speicherinfrastruktur in Deutschland. Der NABU ist überzeugt, dass 3600 Kilometer neue Stromleitungen – wie sie derzeit von der Deutschen Energieagentur propagiert werden – keinen Sinn machen! Zwar müssen für den großflächigen Ausgleich von Angebot und Nachfrage in Deutschland bestehende Stromnetze ertüchtigt bzw. erweitert und neue gebaut werden. Ebenso wichtig sind aber intelligente Steuerungs- und Speichertechnologien auf regionaler Ebene. Hier sind auch neue Wege notwendig, wie die Umwandlung von Windenergie zu Methan, um dieses im Erdgasnetz zu speichern und im Bedarfsfall wieder zu verstromen.
Beim Verbrauch müssen wir die jetzige Stromverschwendung durch unsinnige oder ineffiziente Anwendungen beenden. Ein wirksames Energieeffizienzgesetz mit ordnungsrechtlichen Vorgaben, ein europäisches Top-Runner-Programm für dynamische Produktstandards und begleitende Förderanreize werden helfen, den Energieverbrauch und die damit verbundenen Kosten zu senken, und zu mehr Beschäftigung und wirtschaftlichen Impulsen in Europa führen.
4. Wer für Klimaschutz ist, kann kaum gegen Atomkraft sein!
Selbst wenn wir bis 2020 durch ein Nebeneinander von Atomkraft und Erneuerbare Energien in der Summe etwas mehr CO2-Emissionen im Stromsektor einsparen könnten, blockieren längere Laufzeiten schon jetzt das Aus- und Umbautempo hin zu einer zukunftsfähigen Energieversorgung. Wir haben immense Konflikte bei Netz- und Speicherinfrastrukturen, die durch eine klare Entscheidung für Erneuerbare Energien zumindest abgemildert werden können. Es gibt auch keine Notwendigkeit, die Klimaschutzziele vor dem Hintergrund der Atomkatastrophe in Japan erneut zu hinterfragen. In Deutschland sind 40 Prozent weniger Treibhausgasausstoß bis 2020 gegenüber 1990 auf jeden Fall zu erreichen, weil darin immer schon ein fast vollständiger Ausstieg aus der Atomkraft nach dem rot-grünen Kompromiss aus 2001 einkalkuliert war.
Trotzdem sollten wir jetzt überlegen, wo wir in den nächsten Jahren den weiteren Ausbau Erneuerbarer Energien im Stromsektor weiter forcieren können. Aus NABU-Sicht kann es nicht darum gehen, in Regionen mit einem bereits hohen Ausbaustand, bestehenden Engpässen in der Netzinfrastruktur und geringen Verbrauch evtl. bereits bestehende Konflikte auch mit dem Naturschutz einfach zu übergehen. Vielmehr müssen jetzt die „Entwicklungsländer“ unter den Bundesländern vor allem im Westen und Süden der Republik vorangehen und ihre gegenüber Erneuerbaren Energien restriktive oder gar blockierende Politik beenden.
Der Schwerpunkt wird dabei auf der Wind- und der Solarenergie liegen und nicht im Bereich der Biomassenutzung, für die im Stromsektor auch nach Auffassung des Sachverständigenrats für Umweltfragen nur noch ein zusätzlicher Bedarf in geringem Umfang erforderlich ist. Bei der Photovoltaik haben wir alle nur die vermeintlich hohen Kosten im Blick, nicht aber das atemberaubende Tempo, mit dem diese Technologie konkurrenzfähig wird. Bereits 2013 wird Solarstrom auch von kleinen und mittleren Freiflächenanlagen günstiger sein als Offshore-Wind. Und Dachanlagen zur Eigenversorgung helfen, die eigene Stromrechnung zu reduzieren!
Der NABU fordert, mit den bevor stehenden Novellierungen des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) und des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) den Vorrang Erneuerbarer Energien zu stärken und auch für die Zukunft abzusichern, um ausreichend Planungs- und Investitionssicherheit für den weiteren Ausbau zu gewährleisten. Der NABU unterstützt auch die Pläne der Bundesregierung für eine effizientere Netzanbindung und bessere Finanzierungsbedingungen für die geplanten Offshore-Windparks. Wenn aber ein einzelnes Vorhaben aus Naturschutzgründen nicht genehmigt werden kann, dann wird damit keinesfalls der gesamte Ausbau in Frage gestellt.
5. Viele Menschen sind mit dem Gewissen gegen, mit dem Geldbeutel aber für Atomkraft!
Das aktuelle ZDF-Politikbarometer hat gezeigt, dass die Bundesbürger durchaus offen für höhere Kosten sind, wenn sie Strom ohne Atomkraft beziehen können: 71 Prozent der rund 1000 Befragten erklärten sich bereit, für atomfreien Strom bis zu 20 Euro mehr im Monat zu zahlen. Dies ist aber gar nicht erforderlich, weil aufgrund der hohen Renditen und überhöhten Preise der Energiekonzerne Ökostrom von unabhängigen Anbietern zum Teil sogar günstiger sind oder nur geringfügig mehr kosten. Während die Kosten für die Folgen des Uranabbaus, verdeckte Subventionierungen, Sicherheitsüberwachung durch die Behörden und die Endlagersuche für den hochradioaktiven Müll beim Atomstrom außen vor bleiben, gibt es über die Kosten der Erneuerbaren Energien eine sehr hohe Transparenz. In Zukunft wird die Einspeisung von Wind- und Solarenergie immer häufiger dazu beitragen, die Strompreise an der Börse zu dämpfen, weil teurer Strom aus Kohle- und Gaskraftwerken nicht benötigt werden. Dagegen lassen sich die Kostenvorteile für den Stromkunden durch den Weiterbetrieb der AKW nicht mal durch die Szenarien in den Gutachten zum Energiekonzept der Bundesregierung belegen.