Flächenverbrauch ohne Ende: Bauprojekt auf der grünen Wiese im Torfstecher Weg, Hamburg - Foto:Volker Gehrmann
Bauen auf der grünen Wiese?
Geplante Gesetzesänderung gefährdet Flächen- und Bodenschutz
Günstiger Wohnraum ist in Ballungsgebieten knapp. Um dafür schnell Abhilfe und Unterkünfte für Geflüchtete schaffen zu können, gab es zunächst bis Ende 2019 ein Gesetz, welches durch Einschränken der Bürgerbeteiligung und Aussetzen des Naturschutzrechtes Planungsprozesse erheblich beschleunigte. Was gut für die Entwicklung von Städten sein sollte, stellte sich als folgenschweres Instrument für die schnelle und unbürokratische Bebauung der grünen Wiese heraus. Zurecht hat sich das Gesetz Beinamen wie „Turbo-, Zersiedlungs- oder Betonparagraf“ eingehandelt. Auch der Umweltbericht der Bundesregierung von 2019 kommt zu dem Schluss, dass die Auswirkungen des Paragrafen auf den Flächenverbrauch nicht berücksichtigt wurden.
Massentauglichen Wohnraum in Ballungsgebieten schafft man allerdings nicht auf der grünen Wiese, sondern im Siedlungskern. So die Theorie. In der Realität wurde der Paragraf 13b des Baugesetzbuches in mehr als acht von zehn Fällen dafür genutzt, Ein- und Zweifamilienhäuser im ländlichen Raum zu bauen. Viele normale Bebauungsplanverfahren, die ohnehin gekommen wären, wurden kurzerhand auf das beschleunigte Verfahren umgestellt, weil es unkomplizierter war. Der besondere Schutz des unbebauten Außenbereiches wird ausgehebelt und so der „Flächenfraß“ in Deutschland weiter vorangetrieben.
Ein fatales Zeichen für den Flächenschutz
Nun will das Innenministerium in der anstehenden Überarbeitung des Baugesetzbuches dauerhaft den Schutz des Außenbereichs aufweichen, indem der Paragraf verlängert werden soll. Und das obwohl Mitte 2019 elf von 16 Landesumweltminister*innen per Protokollerklärung forderten, den Paragrafen ersatzlos zu streichen. Ende Januar 2021 kommt der Gesetzesvorschlag in den Bundestag – mit dem gefährlichen Paragrafen 13b. Mit seinen schädlichen Folgen für den Boden steht er im krassen Widerspruch zum Vorrang der Innenentwicklung, der Bodenschutzklausel und Flächensparzielen der EU, des Klimaschutzplanes und der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. Seine Vereinbarkeit mit EU-Recht ist fraglich.
Die geplante Gesetzesänderung konterkariert alle Anstrengungen des Flächensparens, denen sich die Bundesregierung verschrieben hat. Unsere Bevölkerung schrumpft und altert, doch die Siedlungs- und Verkehrsflächen wachsen weiter. Für die Gemeinden entsteht durch §13b ein Fehlanreiz, der eine geordnete Siedlungsentwicklung unmöglich macht und am Bedarf vorbeiführt. Denn die beschleunigten Baugenehmigungen werden oftmals in schrumpfenden Gemeinden angewendet.
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Weiteres Negativbeispiel für Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese: Friederich-Kunert-Weg in Potsdam - Foto: Volker Gehrmann
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Gelungene Nachverdichtung in der Yorckstraße in Potsdam - Foto: Volker Gehrmann
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Gelungene Umnutzung einer Bahnbrache: effektive Flächennutzung mit Dachbegrünung, vorgelagerter Grünfläche und begrünten Innenhöfen in Altona, Hamburg - Foto: Volker Gehrmann
Die Folgen des „Betonparagrafen“
Das geplante Gesetz schwächt außerdem die Instrumente der weitaus effizienteren und flächensparenden Innenentwicklung, die Flächen im Siedlungskern nutzt. Für die Innenentwicklung können beispielsweise Brachflächen genutzt, Hinterhöfe bebaut, Gebäude aufgestockt und Bürogebäude sowie Altgewerbe umgenutzt werden.
Der massive Verbrauch von unbebautem Boden hat gravierende ökologische, ökonomische sowie soziale und gesundheitliche Konsequenzen, wie inzwischen viele Studien belegen. Denn: Wo Fläche verbraucht wird, wird der Boden mitsamt seinen Funktionen zerstört. Aus der ökologischen Perspektive sind vor allem die Zerschneidung von Lebensräumen, Biotopvernetzungen und das Zerstören der Bodenfunktionen, wie z.B. Wasserabfluss, Grundwasserneubildung und CO2-Speicher problematisch. Das führt zu einer Beschleunigung von Artensterben und Klimakrise.
Wirtschaftlich gesehen gibt es ebenso viele Argumente, die gegen den sogenannten "Betonparagraphen 13b" sprechen. Die Gemeinden versprechen sich Mehreinnahmen über Gewerbe- und Einkommensteuer, jedoch ist die Nachfrage nach Bauland zu gering. Die Infrastrukturkosten für teils ungenutzte Neubauprojekte sind enorm. Durch wachsende Entfernungen wird auch die Verkehrswende erschwert, ein Anschluss der Siedlungen an Bahn, ÖPNV und Radverkehr ist problematisch. Landwirtschaftliche Flächen gehen verloren und auch die erforderlichen Kosten, um Siedlungen an den Klimawandel anzupassen, steigen noch stärker als ohnehin schon. Zudem wird die Bundesregierung ihre eigens gesteckten (und bereits nach oben korrigierten) Flächensparziele wieder nicht erreichen.
Es sind aber die sozialen und gesundheitlichen Folgen dieses Gesetzes, die die meisten von uns direkt spüren werden: Flächen heizen sich auf, es kommt zu Hitzestau in den Städten, Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen werden begünstigt. Im Zentrum ausgestorbene und am Rand wachsende Siedlungen erschweren die grundlegende Versorgung der Bürger*innen mit Lebensmitteln, Dienstleistungen und beispielsweise Ärzt*innen. Dieser sogenannte „Donut-Effekt“ destabilisiert ländliche Räume und führt zum Verschwinden des über Jahrhunderte gewachsenen Kulturraumes.
Die Zeit läuft uns davon. Wir können nicht weiter machen wie bisher. Deshalb fordert der NABU, bis zum Jahr 2030 zu einem Netto-Null-Flächenverbrauch zu kommen. Das bedeutet, dass neue Flächen nur verbraucht werden dürfen, wenn gleichzeitig anderenorts genau so viel Fläche entsiegelt wird. Nur so lassen sich die negativen Folgen auf Mensch und Natur abmildern.
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