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Stadtentwicklung zwischen Klimawandel, Artenvielfalt und Verdichtung
Berlin im Jahr 2030. Die fortschreitende Erderwärmung hat Auswirkungen auf den Wasserhaushalt der deutschen Hauptstadt. Höhere Temperaturen sorgen für eine zunehmende Verdunstung. Der Zufluss zum Berliner Gewässersystem ist zum Erliegen gekommen. Die Spree stinkt zum Himmel. Die Neubildungsrate von Grundwasser ist gesunken. Gärten und Parks, Wälder und landwirtschaftliche Flächen leiden unter der Trockenheit. Selbst der Altbaubestand kühlt nachts nicht mehr ab, sodass auch im Inneren von Gebäuden hohe Temperaturen herrschen. Die Menschen leiden unter extremen Wetterereignissen.
Was manchen als Schreckensszenario erscheint, findet sich in einer Studie im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wieder. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung prognostizierte darin für die deutsche Hauptstadt einen Temperaturanstieg von durchschnittlich 2,5 Grad Celsius bis 2050. Während es in einigen Randbezirken aufgrund ausreichender Luftzirkulation und günstigerer klimatischer Bedingungen wesentlich kühler ist, liegen die Temperaturen in der Innenstadt weit über dem Durchschnittswert. Mit entsprechenden Folgen für Mensch, Natur und Umwelt.
Die Vereinten Nationen nehmen an, dass im Jahr 2050 etwa 70 Prozent der Weltbevölkerung von dann neun Milliarden Menschen in Städten leben werden. Schon heute sind es bereits mehr als die Hälfte, über drei Milliarden. Urbane Lebensräume bekommen damit eine noch größere Bedeutung. Doch nicht nur der Mensch scheint am Leben in der Stadt immer größeren Gefallen zu finden. Auch wild lebende Tier- und Pflanzenarten nutzen die Stadt immer mehr als Rückzugsgebiet. Die Artenvielfalt wird dabei von klimatischen Vorteilen städtischer Bereiche gegenüber dem Umland, dem größeren, oft ganzjährig verfügbaren Futterangebot sowie dem vielfältigen Mosaik von Siedlungs- und Grünflächen, Parkanlagen, Brachflächen, Privatgärten und Gewässern bestimmt.
Während sich in intensiv genutzten ländlichen Gebieten riesige Agrarsteppen breitmachen, wird die Stadt für einige Arten zum Ersatzlebensraum. Am Beispiel Berlins lässt sich dies beobachten: In den naturnahen Stadtrandbereichen leben Seeadler, Kranich und Schellente sowie Fischotter. Selbst in den Parkanlagen des unmittelbaren Siedlungsraums sind Habicht und Biber, viele Wildbienen, Libellen und Tagfalter zu beobachten. In und auf Gebäuden ziehen Wanderfalken und 15 Fledermausarten ihre Jungen auf. 15.000 Mauersegler brüten in der Stadt.
Mit dem einsetzenden Klimawandel, der dringend notwendigen Abkehr von fossilen Energieträgern sowie dem Ausstieg aus der Atomenergie steht nicht nur der städtischen, sondern der Infrastruktur insgesamt ein Transformationsprozess von gigantischen Dimensionen bevor. Dabei geht es aus klima-, energie- und naturschutzpolitischer Sicht darum, Lebensräume von Menschen, Tieren und Pflanzen zu sichern und so umweltverträglich wie möglich zu gestalten.
Der Klimaschutz, die Anpassung an den Klimawandel, die ausreichende Versorgung mit lebenswichtigen Ressourcen wie Lebensmitteln, Energie und Rohstoffen sowie die Biodiversität sind nur einige Felder, in denen große Herausforderungen auf Städte und Gemeinden zukommen. So müssen im Bereich der Energieversorgung Gebäude auf die notwendigen Effizienzstandards gebracht, Kraftwerksleistungen mithilfe erneuerbarer Energien an künftige Strom- und Wärmebedarfe angepasst und Versorgungsnetze umgebaut werden. Die Flächeninanspruchnahme muss reduziert werden. Noch immer werden in Deutschland 625 Quadratmeter in der Minute für Wohnungen, Straßen und Gewerbegebiete versiegelt.
Die Realität: Zukunftsfähige Stadt in weiter Ferne
Das am 30. Juni 2011 mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP verabschiedete Gesetz zur Stärkung der klimagerechten Entwicklung in den Städten und Gemeinden tilgt erfolgversprechende Klimaschutzmaßnahmen und behindert Städte und Gemeinden bei der Umsetzung ihrer Klimaschutzziele. Ursprünglich sollten Städten und Gemeinden die Möglichkeit haben, eigenständig Lösungen in Sachen Klimaschutz zu finden, wie etwa durch Vorgaben beim Energieverbrauch von Gebäuden. Diese Regelung fand goßen Zuspruch bei Kommunen und Verbänden, wurde jedoch auf Drängen der Eigentümerlobby Haus & Grund wieder verworfen.
Hinzu kommt die Aufgabe, Ressourcen insgesamt effizienter einzusetzen. Doch mit den stetig wachsenden Herausforderungen steigen auch die Nutzungskonkurrenzen. So stehen erneuerbare Energien wie Biomasse zur Versorgung mit Strom und Wärme nicht unbegrenzt zur Verfügung und konkurrieren mit der Erzeugung von Lebensmitteln. Höhere Wärmeeffizienzstandards von Gebäuden machen große Wärmekraftwerke und -netze überflüssig. Die Verdichtung von innerstädtischen Bereichen durch den Schluss von Baulücken und die Beplanung von Freiflächen konkurriert einerseits mit Anforderungen an Frischluftschneisen und Rückzugsgebieten für Tier- und Pflanzenarten. Andererseits erhöht das Ausweichen auf den Außenbereich wiederum die Zersiedelung und Versiegelung der Landschaft.
Nun hat der Bundestag am im Zuge der von der Bundesregierung proklamierten Energiewende auch das Baugesetzbuch geändert. Städte und Gemeinden sollen damit mehr Handlungsspielräume für Klimaschutz und Klimafolgenanpassung gegeben werden. Die Zukunft der Stadt hängt auch davon ab, wie umwelt- und naturverträglich wir unser urbanes Leben einrichten und welche Möglichkeiten das Baugesetzbuch dazu bietet. Das jetzt verabschiedete Gesetz erfüllt diese Erfordernisse noch nicht.
Ulf Sieberg