„Es reicht nicht, an Verbraucher zu appellieren“ - Benjamin Bongardt beim NABU-Dialogforum Kreislaufwirtschaft 2017 - Foto: NABU/Florian Seeber
Wie gelingt der Kunststoff-Kreislauf?
Rückblick zum NABU-Dialogforum Kreislaufwirtschaft 2017
Als Hauptbotschaften der Veranstaltung konnte man mitnehmen: Es gibt zahlreiche technische Lösungen und gute Beispiele für hochwertiges Kunststoffrecycling in der Sortier- und Entsorgungswirtschaft. Die ganz großen Potenziale werden aber nur dann in die Tat umgesetzt, wenn Kunststoffhersteller und –verarbeiter Verantwortung übernehmen und ihre Produktion auf Kreislauffähigkeit umstellen, stärker in Anwendungen mit Rezyklaten investieren und transparenter Informationen über die Kunststoffe mit den anderen Akteuren der Wertschöpfungskette teilen. Ein funktionierender Sekundärrohstoffmarkt bedarf klarer Regeln und Standards durch ein starkes Ordnungsrecht, dass die Stoßrichtung klar vorgibt.
In seinem einführenden Vortrag nahm Benedikt Kauertz vom ifeu Heidelberg den Kunststoff PET unter die Lupe. Wie wird der Kunststoff genutzt und wie wird er recycelt? Vor allem der Preis und weniger die Umweltaspekte sorgen für einen stetig wachsenden Einsatz von PET. Dank seiner chemischen Eigenschaften könnte er mit wenigen Ausnahmen vielfach im Kreislauf geführt werden. In der Realität muss aber eher von Kaskaden anstatt von engen Anwendungszyklen gesprochen werden. So geht nur circa ein Viertel der entsorgten PET-Einwegflaschen wieder in das Flaschenrecycling, der größte Teil geht in Anwendungen, die zumeist nicht mehr recycelt werden (können). Als eine mögliche Lösung schlägt Kauertz eine Besteuerung von Kunststoffen als Verpackungsmaterial auf Basis der primären fossilen Kohlenstoffe vor, da dadurch sowohl der Rezyklateinsatz gefördert werden kann, als auch Anreize zur Reduzierung des Verpackungsgewichts gesetzt werden.
Albin Kälin von EPEA Switzerland stellte das Cradle-2-Cradle-Konzept für Kunststoffe vor: Die Hersteller stehen dabei in der besonderen Verantwortung, mehr Transparenz in ihrer Lieferkette zu schaffen, um sich über die Inhaltsstoffe ihres Produkts klarer zu werden. Durch das Konzept wird bereits im Design-Prozess das Produkt so gestaltet, dass es zu 100 Prozent im Kreislauf geführt werden kann. Was passiert, wenn Inhaltsstoffe und Chemikalien in den Verpackungen unbekannt bleiben, zeigte Herr Kaelin anhand zahlreicher Beispiele von schädlichen Mineralölfarbenrückständen in Lebensmittelverpackungen.
Im anschließenden Beitragsblock berichtete Michael Wieczorek von der Geschäftsführung der Lobbe Entsorgung West GmbH & Co. KG was die Sortiertechnik leisten kann, um die verpflichtenden Recyclingquoten, die ab 2019 im Verpackungsgesetz gelten werden, bereits heute zu erfüllen. Durch zahlreiche Trennaggregate kommt die Lobbe-Sortieranlage auf 50 Prozent Sortierquote für das Recycling, der Rest geht in die Verbrennung. Eine Anlage mit einer Recyclingquote von 53 Prozent soll Anfang 2018 in den Probebetrieb gehen. Die großen Hemmfaktoren bei der Sortierung liegen seltener bei der Technik als bei der Qualität des Inputmaterials: Wegen zahlreicher Fehlwürfe wie Windeln, Textilien oder klassischem Restmüll wird die Fraktion verunreinigt und aussortiert.
Ein anderes Problem sind nicht verwertbare Fraktionen wie Verbunde und Multilayer. Das beste Beispiel hierfür sind PET-Schalen, die enorme Zuwachsraten bei den Verpackungen haben, aber wegen zahlreicher Merkmale wie Barriereschichten und mehrschichtigen Oberflächen nicht recyclingfähig sind. So macht aussortiertes PET ein gutes Viertel der Sortierreste aus. Eine Verhaltensänderung der Hersteller wird ohne Eingriffe seitens des Gesetzgebers nicht erwartet. Um Fehlwürfe besser zu vermeiden, bedarf es erheblich mehr und besserer Öffentlichkeitsarbeit in der Bevölkerung insbesondere bei der Umstellung von der gelben Tonne auf die Wertstofftonne. Wieczorek konstatierte, dass im Gegensatz dazu die Öffentlichkeitsarbeit der Städte und Landkreise in den letzten Jahren stark rückläufig ist.
Dr.-Ing. Joachim Christiani vom Institut cyclos-HTP zeigte, was Recyclingfähigkeit bei Kunststoffen eigentlich bedeuten sollte und welche Potenziale für ein besseres Recycling in greifbarer Nähe wären, wenn Hersteller umdenken würden. Der Begriff Recyclingfähigkeit sollte auf Eignung einer Verpackung oder eines Produkts hinweisen, in der Nachgebrauchsphase tatsächlich (also Erfassung und Verwertung im industriellen Maßstab) materialidentische Neuware zu substituieren. Eine aktuelle Analyse von 154 Tonnen gesammelter Leichtverpackungsabfälle zeigt, dass 67 Prozent der Kunststoffverpackungen recycelbar sind. Gründe für die Nicht-Recyclingfähigkeit sind unter anderem mangelnde Sortierfähigkeit (schwarzer Kunststoff), kein Verwertungspfad (Kunststoffe wie PVC, PLA, PA) oder nicht-trennbare Multilayerverpackungen.
Hersteller haben es aber in der Hand, das Kunststoffdesign auf einen Kreislauf auszurichten. Würde man etwa PET-Schalen- und Blister durch andere Kunststoffe ersetzen, dann könnten fast elf Prozent mehr Kunststoffverpackungen recycelt werden. Dies entspricht vielen tausend Jahrestonnen an fossilen Rohstoffen, die gespart werden können. Christiani setzt seine Hoffnungen dabei, auf die höheren Recyclingquoten sowie die zukünftigen Lizenzentgeltregelungen im neuen Verpackungsgesetz.
Jan Bauer von der RIGK GmbH stellte anhand des Recyclings von Agrarfolien vor, wie im Gegensatz dazu ein freiwilliges Erfassungssystem für Kunststoffabfälle funktioniert. Die größten Herausforderungen liegen bei der Verunreinigung der Folien, die erheblichen Einfluss auf die Logistik des Systems haben. Positiv wirkt sich aus, dass die Folien zumeist aus gut recycelbarem Monomaterial bestehen. Die Hersteller können die Rezyklate gut in der mittleren Schicht der Folien verarbeiten. Ziel der freiwilligen Initiative ERDE ist es, bis 2020 50 Prozent der in Verkehr gebrachten Menge an Folien zu sammeln und einer Verwertung zuzuführen.
Christian Klaus von der EPC Engineering & Technologies GmbH zeigte, dass es bereits heute technisch möglich wäre, auch gefährliche Kunststoffabfälle, wie etwa HBCD-belastete EPS-Dämmstoffplatten hochwertig aufzubereiten und dabei Verunreinigungen zu entfernen und das HBCD abzutrennen. Durch das CreaSolv-Verfahren könne ein Rezyklat nahezu frei von Farbstoffen und anderen Verunreinigungen entstehen. Derartige Aufbereitungslösungen werden sich auf dem Markt vor allem dann durchsetzen, wenn die Abfallhierarchie von der Politik stärker angeschoben wird. Im Gegensatz dazu hat die Politik durch die Aufhebung der Einstufung HBCD-haltiger Abfälle als gefährliche Abfälle der Verbrennung in Deutschland den Vorrang gegeben.
Die Kunststoffwirtschaft der Zukunft
Nachdem den Vorgänger-Vorträgen, welche die Potenziale technischer und wirtschaftlicher Lösungen präsentierten, stellte Dr. Benjamin Bongardt vor, wie aus Sicht des NABU die Kunststoffwirtschaft der Zukunft aussehen müsste. Um die Herausforderung stetig steigender Kunststoffmengen (Versechsfachung der Produktion in den letzten 30 Jahren) und der Vermüllung der Natur anzugehen, reicht es nicht, an Verbraucher zu appellieren, sich umweltbewusster zu verhalten. Weil wir in der EU gerade einmal fünf Prozent unsere Kunststoffbedarfs durch Rezyklate decken, muss die Herstellerverantwortung durch Ordnungsrecht in klare Regeln gegossen werden.
Das bedeutet nicht viele kleine Regelungen, sondern eine durchdachte Plastikstrategie, welche die Vermeidung an erster Stelle setzt, Verpackungskonzepte wie Mehrweg fördert, und die finanzielle Anreize setzt, so dass ökologische Aspekte besser in den Markt internalisiert werden können. Die Schlagworte für Wirtschaft und Politik sind: Ökodesignthinking & -Vorgaben, Anreize zum Rezyklateinsatz sowie Qualitätsstandards und Materialinputsteuern für Kunststoffe, eine bessere Datentransparenz über die Zusammensetzung von Kunststoffen und Investitionen in die Kreislaufwirtschaft. Die Verbrennung von Kunststoffen muss reduziert werden durch Subventionsabbau und Kapazitätenrückbau und –deckelung von Müllöfen. Die Koalitionsverhandlungen eignen sich bestens dafür, eine Ressourcenschonungsstrategie für Kunststoffe endlich durchzusetzen.
Wie das auf EU-Ebene geschehen könnte, darüber sprach Kristine Dorosko von der Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission. Die größten Kunststoffprobleme werden im Verbrauch der fossilen Rohstoffe und der damit einhergehenden Treibhausgaseffekte und dem Littering auf dem Land und im Meer gesehen. Wiederverwendungs- und Recyclingpotenziale sind bei weitem nicht ausgenutzt. Derzeit betreibt die EU daher viel Forschungsarbeit, um etwa giftigen Kunststoffmüll im Zusammenspiel zwischen Abfall-, Chemikalien- und Produktpolitik anzugehen und um mehr Innovation im Recyclingsektor zu erreichen. Durch Pfand- und Herstellerverantwortungsssteme soll direkt auf das Kreislaufdesign (Haltbarkeit, Wiederverwendbarkeit, Reparierbarket, Recycelbarkeit) abgezielt werden. Die zukünftigen Recyclingquoten, die gerade im EU-Abfallrecht überarbeitet werden, sollen auch eine wichtige Rolle dabei spielen.
Dr. Sandra Schöttner präsentierte im Anschluss, wie sich eine weltweite Koalition aus knapp 900 NGOs mit der Kampagne „break free from plastic“ gegen die Plastikflut stemmt. Der ganzheitliche Ansatz widmet sich Problemen entlang der ganzen Wertschöpfungskette, wobei der Fokus klar auf die Vermeidung von Kunststoffen gesetzt wird. Um das Verhalten der Plastikindustrie nachhaltig zu ändern, wird auf verschiedenen Kontinenten unterschiedliche Arbeit geleistet. In Europa wird für eine ambitionierte Politik und Zero-Waste-Modelle gekämpft, wobei sich die geplante Plastik-Strategie der EU-Kommission als Ankerpunkt gut anbietet.
In der abschließenden Diskussionsrunde mit DSD-Geschäftsführer Michael Wiener, Werner & Mertz-Geschäftsführer Reinhard Schneider und Benjamin Bongardt ging es um entscheidende Maßnahmen zur Errichtung eines funktionierenden Sekundärrohstoffmarkts für Kunststoffe. In zwei Zwischenbeiträgen machte sich Dr. Franziska Krüger vom Umweltbundesamt für Recyclingquoten für Kunststoffe jenseits des Verpackungssektors stark, Michael Hillenbrand von PlasticsEurope Deutschland zeigte Bedenken, dass in der EU durch zu ambitionierte Recyclingvorgaben viele Staaten abgehängt würden und eine zu große Spaltung eintreten würde. Die anderen Diskutanten waren sich einig, dass es nicht allein bei den einzelnen Anstrengungen mittelständischer Vorreiterunternehmen und der Entsorgungswirtschaft bleiben kann.
Vielmehr müssen Hersteller, aber auch der Handel mit seiner Schlüsselposition, gezielter Rezyklate nachfragen und neue Anwendungsmöglichkeiten erschließen und dies in Kooperation mit allen Akteuren der Wertschöpfungskette Kunststoff angehen. Zu oft fehlt es aber an dem Verständnis für die bereits heute existierende Einsatzvielfalt und Qualität von Rezyklaten. Hier ist ein größerer Informationsaustausch und bessere Kommunikation gefragt. Die Wirtschaft habe ihre Verantwortung zu erfüllen, noch bevor es zu politischen Maßnahmen kommt. Letztere seien vor allem auf europäischer Ebene wichtig, um vom Ende der Deponierung schnell zu einer Kreislaufwirtschaft anstatt zu einer Verbrennungswirtschaft zu springen. Würde dies in Europa entsprechend umgesetzt, gäbe es ein zusätzliches Potenzial von 1,2 Millionen Arbeitskräften auf dem Markt. Unter den diskutierten Maßnahmen fanden vor allem ein CO2-Preis oder eine Materialinputsteuer und Anreize durch die Lizenzentgeldanpassung für eingesetzte Rezyklate sowie eine Reform der öffentlichen Beschaffung großen Zuspruch.
Download der Präsentationen:
Das Kreislaufwirtschaftspaket ist die Grundlage für die Aktivitäten der EU, Abfälle in Europa besser zu recyceln. Die Frage, wie Abfälle insgesamt vermieden werden können, bleibt jedoch unbeantwortet. Mehr →
Unser Wirtschaften und Lebensstil sind dafür verantwortlich, dass die ökologischen Grenzen unseres Planeten zunehmend überschritten werden. Die Erfüllung der nachhaltigen Entwicklungsziele der UN muss daher der Prüfstein für eine zukunftsfähige deutsche und europäische Politik sein. Mehr →