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Neu im Revier
Die Vogelwelt bleibt in Bewegung, immer wieder siedeln sich neue Arten an
Eigentlich lohnt sich das doch kaum. Im Mai bezieht der Karmingimpel bei uns sein Brutrevier und schon zwei Monate später bricht er schon wieder auf Richtung Winterquartier. Aber wenn die Rechnung nicht aufgehen würde, wäre der Vogel mit dem typischen kräftigen Finkenschnabel nach ein paar Brutversuchen längst wieder verschwunden.
Küsten und Moore
Das Gegenteil ist der Fall. Karmingimpel sind außerordentlich erfolgreich. Im Osten kommen sie bis Kamtschatka am Ende des asiatischen Kontinents vor, das Verbreitungsgebiet bedeckt also fast ganz Europa und Asien. Dabei werden Skandinavien und Teile Mitteleuropas erst seit wenigen Jahrzehnten besiedelt. Zum Beispiel lag der Bestand Finnlands in den 1940ern noch bei 10 000 Paaren, mittlerweile sind es rund 400.000.
Ganz so viele haben wir in Deutschland nicht. Aktuell werden jährlich 600 bis 1000 Reviere gezählt und das vor allem an der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns, aber auch an der Oder und im Drömling, in den Höhenlagen von Erzgebirge und Rhön sowie in den Moorniederungen des Alpenvorlandes. Gemeinsam ist diesen Lebensräumen, dass sie halboffen mit reicher Kraut- und Strauchschicht sind, dass es dort relativ feucht und nicht zu heiß ist. Karmingimpel mögen Auen, Verlandungszonen, Röhrichte und Feuchtgebiete. An der Küste findet man sie an Kliffkanten, in Sanddorngebüschen oder auch in den zum Küstenschutz angelegten Hecken.
Im Winter nach Indien
Rotes Gefieder findet sich bei heimischen Finken immer wieder, etwa bei Hänflingen oder Kreuzschnäbeln. Dennoch sind die ausgewachsenen Karmingimpel-Männchen unverwechselbar. Die unauffällig graubraunen Weibchen oder Jungvögel könnte man auf den ersten Blick auch für Ammern oder Haussperlinge halten. Nach zwei Wochen Brut und weiteren zwei Wochen Nestlingszeit geht die Sommersaison der Gimpel bereits zu Ende. Die genauen Zugrouten der mitteleuropäischen Karmingimpel sind bisher nicht bekannt. Die grobe Richtung lautet aber Südost, denn nicht Afrika ist das Winterziel, sondern Indien und China.
Nicht jede Art, die bei uns als Brutvögel neu erscheint, wird sich dauerhaft halten. Der Ausdehnung des Brutgebiets kann genauso wieder ein Zusammenziehen folgen. Der Teichwasserläufer zum Beispiel ist ein weiterer „Ostvogel“ aus Expansionskurs. 2012 brütete er zum ersten Mal in der Nähe von Lübeck.
Wer kommt, wer bleibt?
Erstbruten sind für Vogelbegeisterte natürlich eine spannende Angelegenheit. Mehr noch als aus dem Osten finden immer neue Arten aus dem Süden bei uns eine Heimat. So ließ sich 2017 erstmals eine Brillengrasmücke auf der Dreiborner Hochfläche im Nationalpark Eifel nieder, im gleichen Jahr gelang ein Brutnachweis der Kappenammer in der Nähe von Tübingen. Ob mehr daraus wird, muss sich zeigen.
Grund für die Neubesiedlung kann der Klimawandel sein oder die Population im Ursprungsgebiet wächst stark, so dass einzelne Vögel sich anderswo umschauen. Was den ursprünglich nur im Mittelmeerraum beheimateten Orpheusspötter zu uns getrieben hat, weiß man nicht sicher. Klimatische Veränderungen spielen gewiss eine Rolle. „Einfallstor“ für den Orpheusspötter war das Saarland, hier brütete er im Blies- und Saartal erstmals Anfang der 1980er Jahre. Inzwischen singen Orpheusspötter auch in fast ganz Rheinland-Pfalz, im Raum Freiburg, in Südhessen und im südlichen NRW. Aus gut hundert Brutpaaren um 2010 sind mehr als tausend geworden.
Flotter Dauersänger
Wie die Karmingimpel bevorzugen Orpheusspötter halboffene Landschaften mit viel Gebüsch, gerne dornig-dichte Rosen oder Brombeeren. Wärmeliebender als der Gimpel, lässt sich der Orpheusspötter vor allem auf Brachflächen, am Rand von Weinbergen oder an Windwurfflächen beobachten. Und wie sein Vetter, der Gelbspötter, ist der Orpheusspötter ein ausgesprochener Imitationskünstler, der mit schnell vorgetragenem Dauergesang erfreut.
Optisch sind beide Arten recht schwer zu unterscheiden, „klein, braun, unauffällig“ gilt ohnehin für viele Spötter und Rohrsänger. Die Brutsaison dauert beim Orpheusspötter von Anfang Mai bis August, also ein wenig länger als beim Karmingimpel. Auch der Orpheusspötter ist Langstreckenzieher, er überwintert in Afrika südlich der Sahara.
Polygamist im Saarland
Ob sich der Erfolg des Orpheusspötters herumgesprochen hat? Im Frühjahr 2020 kam aus dem Saarland nämlich die nächste Erstmeldung: In Losheim am See haben gleich zwei Zistensänger erfolgreich Nachwuchs aufgezogen. Lange galt diese südliche Art bestenfalls als sogenannter Irrgast, der dann sofort an die Seltenheitskommission gemeldet wurde. Doch der Zistensänger ist offenbar ebenfalls auf Expansionskurs, in Belgien und den Niederlanden waren bereits Bruten bekannt.
Bleibt der Zistensänger, dürfen wir uns über eine faszinierende neue Art freuen. Er brütet am Rand von Schilf- oder Binsenbeständen, in hohem Gras oder auch in Getreideäckern. Die Männchen sind polygam und leben in der Brutzeit mit bis zu drei Weibachen.
Helge May
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