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Wie Vögel Werkzeuge nutzen
Beobachtet man den Kleiber im Garten, wie er Sonnenblumenkerne in einer Rindenritze spaltet, Spinnen vom Boden aufpickt, feuchte Erdklumpen im Schnabel transportiert und den Lehm mit feinen hochfrequenten Schnabelstößen um das Einflugloch festklopft, muss man schon beeindruckt sein. Doch dabei handelt es sich um die üblichen „handwerklichen“ Fähigkeiten, die die meisten Vögel besitzen. Werkzeuggebrauch ist das noch nicht, denn Körperteile wie der Schnabel sind definitionsgemäß kein Werkzeug, und es werden lediglich Materialien verarbeitet und keine Gegenstände bearbeitet.
Werkzeugeinsatz muss zielgerichtet für einen bestimmten Zweck erfolgen. Außerdem greift das Tier immer auf das selbe Objekt zurück, es muss also von seiner Funktionstüchtigkeit wissen. Das setzt die erkennende Auseinandersetzung mit der Umwelt voraus, zu der geistige Leistungen wie Verständnis, Einsicht und Planung sowie hohe Anpassungsfähigkeit nötig sind.
Hammer und Amboss
Ein typisches Vogelwerkzeug ist die Schmiede, also ein Platz, an dem Vögel harte Nahrung bearbeiten. Buntspechte schmieden an Baumstämmen Zapfen, um an deren Samen zu gelangen. Dazu klemmen sie die Zapfen in eine geeignete oder eigens für diesen Zweck vorbereitete Rindenspalte und zerhacken die Zapfenschuppen. Am Boden unter solchen Schmieden türmen sich im Laufe der Zeit die geleerten Zapfen. Singdrosseln betreiben Schmieden auf flachen Steinen um Gehäuseschnecken zu zertrümmern.
In vielen Weltregionen klopfen Vögel mit Steinen im Schnabel Eier anderer Arten auf. Bei der Quasi-Amboss-Nutzung zertrümmern Vögel Muscheln, Eier, Knochen oder Schildkröten, die sie aus dem Flug solange auf harten Untergrund abwerfen, bis sie zerspringen. Bartgeier gelten als „fliegende Knochenbrecher“, die sich auch von Knochen aus Kadavern ernähren. In Israel werfen Steinadler Schildkröten aus bis zu 60 Metern Höhe ab. Vielleicht erklärt dieses Verhalten ja den spektakulären Tod des Dichters Aischylos im Jahr 456 vor Christus, der von einer herabfallenden Schildkröte erschlagen worden sein soll.
Essen mit Stäbchen
Eine weitere Methode: bohren, also das Sondieren vorhandener Löcher und Hohlräume. Berühmtes Beispiel ist der Spechtfink der Galapagosinseln, der mit Hilfe eines abgebrochenen Stöckchens oder Kaktusdorns in Hohlräumen nach Larven und Insekten stochert, die er mit dem Schnabel alleine nie erreichen würde. So erfüllt er die Funktion der Spechte, obwohl ihm deren Leimrutenzunge fehlt. Experimente zeigten, dass Spechtfinken vorab die richtige Länge des Stocherstöckchens wählen, es wenn nötig entgabeln und gegebenenfalls mehrfach verwenden.
Manche Vögel sind sogar künstlerisch aktiv, indem sie streichen oder anmalen. Dieses außergewöhnliche Verhalten zeigen Laubenvögel in Neuguinea und Australien, deren Männchen bunt geschmückte Lauben zur Balz anlegen. Zu ihnen gehört der Seidenlaubvogel, der Farbe aus Beeren, Blüten, Rindenstückchen, Holzkohle und Pflanzenresten herstellt, sie im Schnabel mit Speichel mischt und mit wischenden Bewegungen auf die Wände der Laube aufträgt. Dazu benutzt er je nach Farbkonsistenz ein Faserbündel im Schnabel als Hilfsmittel zum gleichmäßigen Auftrag.
Reiher als Fliegenfischer
Den Anglern gleich ködern manche Vögel gezielt Beute durch Anlocken mit Futter. Amerikanische Grünreiher werfen Brot, Fliegen oder anderes aufs Wasser, um Fische zu locken. Mit ähnlichen Methoden gehen Mangrovenreiher und australische Schwarzmilane auf Fisch- beziehungsweise Krebsfang.
Herausragende Handwerksfähigkeiten stellen immer wieder verschiedene Rabenvögel unter Beweis. Amerikanische Krähen und Rabenkrähen zum Beispiel benutzen Autos als Nussknacker, indem sie dem an Ampeln wartenden Verkehr Nüsse auf die Fahrbahn legen. Durch besondere Leistungen fallen Neukaledonische Krähen auf: Sie stellen sich selbst Ästchen als Werkzeuge her – und sind dabei überwiegend „Rechtshänder“. In Experimenten schaffte es ein Vogel sogar, Drähte zu biegen, um mit den entstandenen Haken kompliziert versteckte Nahrung zu erreichen.
Körperpflege und Wundversorgung
Weitere ungewöhnliche Werkzeugeinsätze sind zum Beispiel vom Schwarzmilan bekannt, den die Aborigines in Australien auch Feuerfalke nennen, denn er soll ihren Beobachtungen zufolge glimmende Holzstöcke zur punktuellen „Brandrodung“ abwerfen, um die flüchtenden Kleintiere zu erbeuten.
Auch zur Körperpflege benutzen Vögel Werkzeuge. Von Ohrenscharben weiß man, dass sie im Schnabel eine längere Feder zum Einfetten des Gefieders benutzen. Möglicherweise verstehen sich unbestätigten Berichten zufolge Schnepfen und Drosselstelzen sogar auf Wundversorgung: Verletzte Beine sollen sie mit Schlamm und Federn schienen und eingipsen.
Ara-Kakadus öffnen eine bestimmte Nussart, indem sie sie ansägen und zum Aufbrechen mit einem Blatt im Schnabel festhalten, ganz so wie wir es mit einem Geschirrtuch bei festsitzenden Schraubglasdeckeln tun. Aus zerkauten Rindenstückchen stellt der Gilaspecht für den Transport flüssiger Nahrung einen Schwamm her. Amseln fegen mit Zweigen im Schnabel Schnee und Braunkopfkleiber benutzen Rindenschuppen, um andere Rindenteile anzuheben und an Insekten zu gelangen.
Stefan Bosch
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