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Unscheinbare Funde
Was Vogelspuren verraten
Der junge Raufußkauz hat sich auf einem großen Stein niedergelassen. Er beugt sich etwas nach vorn, öffnet den Schnabel und bringt mit einigen Würgebewegungen einen stattlichen ansehnlichen, länglichen Ballen hervor. Er lässt ihn vor sich auf den Stein fallen und würdigt ihn keines Blickes mehr. Dieser Speiballen ist für den Vogel reiner Abfall, der aus den unverdaulichen Anteilen seiner Mäusenahrung besteht. Feine Knochen sind in graue Mäusewolle eingewickelt, daher nennt man einen solchen Speiballen einer Eule oder eines Greifvogels auch ein Gewölle. Sobald das Gebilde getrocknet ist, wird es leicht und beinah geruchlos. Jede Eule bringt solche Gebilde hervor, die sich je nach Körpergröße des Vogels in ihrer Masse unterscheiden. Beim Steinkauz, bei der Zwergohreule und auch beim Waldkauz enthalten sie zudem oft Insektenreste.
Dass es Speiballen nur bei Eulen und Greifvögeln gibt, ist jedoch ein Irrtum. Viele insektenfressende Vögel, ob Fliegenschnäpper, Bienenfresser oder sogar Watvögel, entledigen sich des unverdaulichen Chitins über Speiballen. Der Eisvogel formt die Gräten der erbeuteten Fische ebenfalls zu Ballen, die er ausspeit. Mit dem Kot von Säugetieren kann man die Gewölle der Vögel kaum verwechseln. Alles, was von Marder & Co. stammt, stinkt unangenehm.
Da war jemand …
Vögel nehmen wir meist als Arten wahr. Wir haben ein Rotkehlchen gesehen oder einen Bussard am Himmel kreisend verfolgt. Aber das Leben der Vögel besteht nicht nur aus einer Gestalt mit einem Artnamen. Leider fehlt uns häufig sogar diese . Die Vögel sind oft schnell verschwunden, ehe wir sie richtig gesehen haben. Doch immerhin hinterlassen sie dabei oftmals Spuren ihrer Anwesenheit. Solche Hinterlassenschaften können vielfältig sein: ein Fußabdruck im Schnee oder im Sand, eine Mauserfeder am Boden, eine Höhle im Baum, ein bearbeiteter Kiefernzapfen, vielerlei Beutereste bis hin zum Speiballen und zum Kot. All das gehört zum Leben des Vogels und ist der Aufmerksamkeit wert. Manchmal können wir nur mit diesen Spuren die Anwesenheit des Vogels nachweisen oder sogar sein Leben erforschen.
Specht- und Drosselschmiede
Schauplatzwechsel: In einem Spalt in der groben Borke der Eiche steckt ein Fichtenzapfen, die nächste Fichte ist aber Dutzende Meter entfernt. Der Fichtenzapfen ist bearbeitet: Die Schuppenblätter klaffen auseinander, die Samen, die jeweils zu zweit auf jeder Schuppe standen, sind entfernt. Hier war der Buntspecht am Werk. Der Bei einem Blick auf den Waldboden unter dem Platz zeigt sich noch mehr: Dort liegen Massen von derartig bearbeiteter Fichtenzapfen durcheinander, ein wahrer Friedhof von Zapfen. Der Specht wird immer wieder an diese Stelle zurückkehren, die er entweder so vorgefunden oder selbst ausgehackt hat. Man nennt diesen Spalt man eine Spechtschmiede.
Auch die Singdrossel hat mit einem Objekt zu tun, das sie bearbeiten muss. Die Drossel frisst gern das Innere von Bänderschnecken, das aber in einer kräftigen Schale steckt. Wie soll sie sich der Schale entledigen? Alle Umstände und die wenigen vorhandenen Fotos sprechen für dieses Verfahren: Die Drossel fasst die Schneckenschale am Rand ihrer Öffnung und schlägt sie auf den Stein, bis die Schale zerbricht und in vielen Teilen herunterfällt. Was der Vogel hinterlässt, ist der Amboss, ein flacher Stein, der mit Schneckenschleim verklebt und auf allen Seiten von den bunten Schalenstücken der Schnecke umgeben ist.
Harte Schale – weicher Kern
Am Meer finden wir einen weiteren Schauplatz für Vogelspuren. Der Promenadenweg direkt am Meer Ufer ist für Radfahrer nicht ganz ungefährlich. Überall liegen die scharfkantigen Schalen großer Miesmuscheln herum. Da sie die Silbermöwe sie diese nicht mit ihrem Schnabel zu öffnen vermag, trägt sie das Beutestück in die Luft und lässt es über hartem Untergrund fallen. Wenn die Muschel aus ausreichender Höhe herunterfällt, zerbricht ihre Schale, und die Möwe kann sie bequem leeren. Misslingt dies beim ersten Mal, versucht es die Möwe wiederholt, aus größerer Höhe.
Im Binnenland sind es die zerbrochenen Schalen der Walnüsse, die man auf den Straßen findet. Hier sind meist die Raben- oder Nebelkrähen nicht weit. Sie haben gelernt, die harten Schalen der Nüsse ohne große Mühe zu öffnen. Sie tragen sie in die Höhe und lassen sie über einem Fußweg, einer Straße oder einem gepflasterten Platz fallen. Wenn alles gut geht, zerbricht die Schale, und der Vogel kann sie in Gemütsruhe leeren. Wieder bleiben die Schalenbruchstücke als Hinterlassenschaft des Vogels zurück.
Fußabdrücke am Strand
Die Küsten von Nord- und Ostsee sind ein offenliegendes Notizbuch, in das sich jeder Benutzer eintragen kann. Da sind viele kleine Fußabdrücke knapp oberhalb des Spülsaums im feuchten Sand. Sie bestehen aus einer Mittelzehe und zwei abgespreizten Seitenzehen. Eine Hinterzehe fehlt. An einer Stelle ist der Vogel offenbar stehen geblieben, und vor seinen Fußabdrücken sind viele spitze Eindrücke eines kleinen Vogelschnabels im Halbkreis und oft sogar doppelt in den Sand hineingedrückt: Oberschnabel und Unterschnabel. Wer könnte das sein – Alpenstrandläufer, Sanderling? Für den Knutt, der kleine Muscheln und Schnecken aus dem Sand geholt haben könnte, ist alles zu klein, zu zart. Der Sandregenpfeifer würde nicht so intensiv an einer Stelle picken. Und schließlich liegt ein Stückchen weiter neben der Spur eine Schwanzfeder, ganz frisch ausgefallen. Größe, Form und Färbung sagen es: Sie stammt von einem Sanderling.
Hans-Heiner Bergmann
Buchtipp
„Spuren und Zeichen der Vögel Mitteleuropas: Entdecken – Lesen – Zuordnen“ von Hans-Heiner Bergmann und Siegfried Klaus. 288 Seiten. 24,95 Euro. Aula-Verlag 2016. ISBN 978-3-89104-791-0.
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