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Aus dem Takt geraten
Viele Tier- und Pflanzenarten drohen das Anpassungs-Wettrennen mit dem Klimawandel zu verlieren
Natürlich steht im Kalender immer noch der 20. März als Frühlingsanfang und die Meteorologen nehmen unverändert den 1. März, weil sich in ganzen Monaten besser rechnen lässt. Verändert hat sich der Naturkalender, die sogenannte Phänologie. Nach diesem Kalender reicht der Winter in Deutschland vom Beginn des Blattfalls der Stieleiche bis zum Blühbeginn der Haselsträucher.
Stauchen und Dehnen
Frühling und Sommer rückten im Naturkalender vor, behielten aber ihre Länge. Was dem Winter nun fehlt, kommt vor allem dem Frühherbst zugute. Diese Zeit zwischen Holunderreife und Blattfärbung der Birken dauert heute im Durchschnitt fast zwei Wochen länger. Je nach Witterungsverlauf ist ohnehin nicht jedes Jahr wie das andere. Doch für Tiere, die für sich oder ihren Nachwuchs auf bestimmte Pflanzen angewiesen sind – oder auf Beutetiere, die von diesen Pflanzen leben –, ist dieses zusätzliche Verschieben, Stauchen und Dehnen der Jahreszeiten eine große Herausforderung.
Noch kniffliger wird es für wandernde Tierarten. Sie erleben die Klimakrise im Jahresverlauf gleich an mehreren Orten, jedes Mal auf eine andere Art. So fliegen die meisten Zugvögel im Herbst nicht nonstop in die nahrungsreichen Winterquartiere. Langstreckenzieher benötigen mehrere Rastplätze auf ihrem Zugweg von oft 5.000 bis 10.000 Kilometern Länge. Dort füllen sie ihre Energiereserven auf, um den Weiterflug zu schaffen. Der Klimawandel bewirkt, dass gerade in Afrika und Südeuropa Niederschläge über lange Zeit ausbleiben und Gewässer trockenfallen. Die Rastplätze werden kleiner oder verschwinden ganz.
Überraschung bei der Rückkehr
Gleichzeitig bekommen die Vögel die Frühjahrsveränderungen in Europa gar nicht mit und können sich schwer darauf einstellen, denn sie sind da ja noch auf dem Rückflug. Die Ankunft von Afrika-Überwinterern wie Trauerschnäpper oder Kuckuck passt nicht mehr recht zu den Umweltbedingungen im Brutgebiet.
Standvögel oder Kurzstreckenzieher erleben die Veränderungen direkt vor Ort und reagieren darauf. Bei Langstreckenziehern ist das Zugverhalten genetisch festgelegt, Anpassungen dauern länger. Dennoch hat zum Beispiel der Trauerschnäpper in den Niederlanden den Brutbeginn innerhalb von 20 Jahren um zehn Tage nach vorne verlegt, ähnlich die Schwalben. Eine Vielzahl von Vogelarten in Europa brütet im Mittel 6 bis 14 Tage früher.
Keine Zeit für Ruhepausen
Wie manche Arten versuchen, mit dem Klimawandel Schritt zu halten, beschreibt Scott Weidensaul von der National Audubon Society, der NABU-Partnerorganisation innerhalb von BirdLife International anhand des Vogelzugs in den USA: „Radaraufnahmen zeigen, dass die Vögel von Süden kommend den Golf von Mexiko zu fast unveränderten Zeiten erreichen. Kaum an Land, nehmen sie plötzlich Tempo auf und versuchen, den Frühling einzuholen.“
Statt noch einmal zu rasten, wird durchgeflogen. Und auch dann geht es ohne Pause weiter. Statt nach dem anstrengenden Zug bis zum Brutgeschäft noch eine Weile auszuruhen, geht es sofort zur Sache. Amerikanische Waldamseln etwa kommen fünf Tage früher im Brutrevier an als in den 1960ern, Brut und Aufzucht der Jungvögel sind dagegen um volle drei Wochen vorgezogen.
Riskante Anpassung
Doch wie lange kann diese Strategie noch tragen? Wenn die Pausen jetzt schon aufgebraucht sind, was passiert bei weiterem Klimawandel? Ohnehin ist das frühere Brüten nicht ungefährlich. Das zeigen Studien des Max-Planck-Instituts für Verhaltensforschung und der Cornell-Universität bei amerikanischen Sumpfschwalben. Demnach sind früh schlüpfende Küken einem höheren Risiko für schlechte Wetterbedingungen, Futterknappheit und Sterblichkeit ausgesetzt.
Extra: Längere Ohren und Schwänze
Wanderungen oder Verhaltensänderungen sind eine Möglichkeit, auf die Klimakrise zu reagieren. Noch tiefer gehen genetische Anpassungen, etwa bei der Hitze- oder Trockenheitstoleranz. Bei kurzlebigen Pflanzen oder bei Insekten kann das innerhalb weniger Jahre vonstattengehen.
Auch bei Vögeln und Säugetieren sind erste Anpassungen nachweisbar. Für Körpergröße und Körperformen gelten zwei Grundsätze: In kalten Regionen werden Tiere der gleichen Gattung größer (Bergmann’sche Regel) und in warmen Regionen haben Tiere längere Gliedmaßen (Allen’sche Regel). Beides liegt am Wärmehaushalt. Ein größerer Körper begrenzt durch die kompakte Oberfläche Wärmeverluste, lange Gliedmaßen helfen Wärme abzugeben. Deshalb sind Eisbären viel größer als tropische Malaienbären und haben Wüstenfüchse im Vergleich zu Polarfüchsen gewaltig lange Ohren.
Studien anhand von Museumsexemplaren und Langzeituntersuchungen zeigen, dass die Erwärmung bereits messbare Folgen hat. So wuchsen bei Waldmäusen die Schwänze und bei Fledermäusen die Flügel. In den USA ergaben Messungen an 70.000 innerhalb von 40 Jahren tot eingesammelten Zugvögeln zahlreicher Arten ein Schrumpfen um 2,4 Prozent bei gleichzeitiger Flügelverlängerung. Das scheint wenig, ist für die Kürze der Zeit aber bemerkenswert.
Die Klimakrise verschiebt nicht nur die Zeiten, die Lebensbedingungen ändern sich generell. In 20 Jahren haben sich durch die Erwärmung die Lebensräume in Europa rein rechnerisch um 250 Kilometer nach Norden verschoben. Wer unter gleichen Bedingungen weiterleben möchte, müsste dem also folgen und manche versuchen es auch. Das klappt aber nur bedingt. So sind die Tagfaltervorkommen nur 114 Kilometer nordwärts gewandert und die der Vögel um 37 Kilometer.
Am Nordpol ist Schluss
Das Netz des Lebens reißt zeitlich und örtlich auseinander. Bei Seevögeln wie dem Papageitaucher hat das bereits Konsequenzen. Dieser ernährt sich vor allem von Sandaalen. Sandaale wiederum fressen winzige Wasserorganismen, das Zooplankton. Durch die Meereserwärmung zieht sich das Zooplankton nach Norden zurück, es gibt weniger Sandaale und die Papageitaucher verhungern buchstäblich. In den Hauptbrutgebieten von Island bis Großbritannien sind die Papageitaucherbestände dramatisch eingebrochen.
Ein vergleichbares Schicksal droht Lummen, Raubmöwen und Meeresenten. Nur noch im hohen Norden, von Spitzbergen aufwärts, werden sie künftig gut leben können. Der Gesamtlebensraum wird immer kleiner und auch hier ist die Frage: Wie soll das enden? Am Nordpol ist Schluss der Reise, weiteres Ausweichen unmöglich.
Ähnlich sieht es mit einer anderen Wanderung aus, der von unten nach oben. In den Mittelgebirgen ebenso wie in den Alpen zieht es Tiere und Pflanzen erwärmungsbedingt in die Höhe. Das kann nicht ewig so weiter gehen und findet ja auch nicht im luftleeren Raum statt. Da wo Arten neu einwandern, werden andere verdrängt.
Wir haben es in der Hand
Die wenigen genannten Beispiele zeigen das gewaltige Ausmaß der Klimakrise. Dabei war von der Versauerung der Ozeane und dem Anstieg des Meeresspiegels noch gar keine Rede, nicht von wachsenden Wüsten oder der Zunahme von Orkanen. Die Erde hat sich immer verändert, aber nie in diesem Tempo. Wir erleben ein Ereignis ähnlich groß wie das Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren. Mit dem Unterschied, dass die Ursache menschengemacht ist – und dass wir es in der Hand haben, die Katastrophe noch zu verhindern.
Helge May
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