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Jetzt spenden!Bedroht die Hauskatze die Artenvielfalt?
NABU-Vogelexperte Lars Lachmann im Interview
Lars Lachmann ist Vogelexperte beim NABU. Der studierte Landschafts- und Freiraumplaner ist seit 30 Jahren im Vogelschutz aktiv und zeichnet sich für viele Vogelschutzprojekte weltweit verantwortlich. Seine berufliche Karriere begann er beim NABU im Bereich Internationales. Nach Stationen bei den NABU-Partnerorganisationen Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) in Großbritannien und Ogólnopolskie Towarzystwo Ochrony Ptaków (OTOP) in Polen ist Lachmann seit 2012 als nationaler Vogelschutzreferent wieder für den NABU tätig. Im Interview äußert sich der Ornithologe zur aktuellen Diskussion über die Bedrohung der Vogelwelt durch Katzen.
In den Medien wird immer wieder lebhaft darüber diskutiert, ob Katzen eine ernstzunehmende Bedrohung für unsere Artenvielfalt darstellen. Wie ist das plötzliche Interesse an diesem Thema zu erklären?
In den USA wurde kürzlich eine Studie veröffentlicht. Sie kam zu dem Ergebnis, dass jedes Jahr in den USA zwischen 1,4 und 3,7 Milliarden Vögel und zwischen 6,9 und 20,7 Milliarden kleine Säugetiere von Katzen getötet werden. Da es sich bei der Katze um ein sehr beliebtes Haustier handelt, ist so eine Nachricht natürlich dankbares Futter für die Medien. Dort war dann sogleich von der Katze als „Killer“ und „Attentäter“ die Rede. Inzwischen kursieren außerdem grobe Schätzungen, die für Deutschland von 200 Millionen von Katzen getöteten Vögeln pro Jahr ausgehen.
Was sagst Du als NABU-Vogelexperte zu diesen Zahlen?
Über diese absoluten Zahlen kann man lange diskutieren. Tendenziell halte ich sie aber für zu hoch. Ausgehend von nach der Brutzeit etwas mehr als 400 Millionen Vogelindividuen in Deutschland müsste dann jeder zweite Vogel von Katzen getötet werden. Geht man dazu davon aus, dass Katzen meistens im Siedlungsbereich jagen, müsste nach diesen Zahlen dort jeder Vogel von Katzen gefressen werden.
Es ist jedoch müßig, die absoluten Zahlen zu diskutieren, denn man kann von einer Anzahl getöteter Tiere ohnehin nicht direkt auf eine Bestandsgefährdung einer oder mehrerer Arten schließen. Um in dieser Frage ein wissenschaftlich belastbares Ergebnis zu erhalten, müsste man ein Populationsmodell entwickeln, das Vogelbestandszahlen, Reproduktionsraten und andere Todesursachen mit einschließt. Das ist bei dieser Studie nicht geschehen.
Das heißt, unsere Katzen behalten ihr Kuschel-Image?
Keineswegs. Der Verdienst der Studie ist es auf jeden Fall, uns zumindest die Größenordnung der Problematik klar zu machen und diese ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. In manchen Ländern, vor allem auf Inseln, wie zum Beispiel Neuseeland, wo die Tierwelt keine Landraubtiere kennt, sind vom Menschen eingeführte Katzen definitiv der sichere Tod für viele, zum Teil flugunfähige Vogelarten.
In Deutschland ist die Situation anders, da es bei uns schon immer zahlreiche Landraubtiere gab, unter ihnen zum Beispiel auch die seltene Europäische Wildkatze. Flugunfähige Vogelarten gibt es bei uns nicht, und daher werden Katzen bei uns wohl keine Vogelart jemals vollständig ausrotten.
Dennoch können Katzen aufgrund ihrer durch menschliche Zufütterung unnatürlich hohen Bestände dem Vogelbestand mancherorts empfindlich schaden. Hier gibt es kein natürliches Räuber-Beute-Gleichgewicht, da Katzen im Zweifelsfall am heimischen Futternapf oder im Abfall von Menschen immer genug zu fressen finden.
Aber man muss das Gesamtbild sehen: Nur im menschlichen Siedlungsbereich sind Katzen ein ernstzunehmender Faktor, der partiell zu einem Rückgang von Vogelpopulationen führen kann. Tatsächlich steigen die Vogelbestände dort aber eher an, während sie vor allem in der Agrarlandschaft, aber auch im Wald eher abnehmen. Diese Rückgänge den Katzen anlasten zu wollen, wäre daher viel zu einfach. Die größte Bedrohung für die Artenvielfalt ist und bleibt die fortschreitende Verschlechterung von Lebensräumen durch den Menschen.
Es gibt also keinen Handlungsbedarf?
Doch, absolut! Vogelbestände im Siedlungsbereich, und vielleicht auch in unmittelbar angrenzenden Teilen der Agrarlandschaft, sind in vielen Fällen sicherlich niedriger als sie ohne Katzen wären. In extremen Fällen bei sehr hoher Katzendichte kann es sogar den Anschein haben, als gäbe es fast keine Vögel mehr in den Gärten.
Man sollte auch nicht vergessen, dass verwilderte Hauskatzen eine existentielle Bedrohung für unsere seltenen Wildkatzen sind, da es im Wald immer wieder zu Hybridisierungen beider Arten kommt, die letztendlich zum Aussterben der echten Wildkatzen führen können.
Wenn man überlegt, was zu tun ist, muss man sich als erstes klar machen, wie sich die 14,8 Millionen Hauskatzen in Deutschland aufteilen: Die „Stubentiger“ sind für die Vogelwelt harmlos. Freigänger, die dennoch ein zu Hause haben, jagen nur zum Zeitvertreib. Das größte Problem für die Vögel stellen verwilderte Hauskatzen dar. Sie sind gezwungen, ihren Nahrungsbedarf außer über menschliche Abfälle praktisch komplett durch die Jagd auf Kleintiere zu decken. Wenn es gelänge, die Bestände verwilderter Hauskatzen zu reduzieren, hätte man das Problem sicherlich auf ein erträgliches Maß verringert.
Welche Maßnahmen sollten aus Deiner Sicht ergriffen werden?
Ein optimales Ergebnis würde man mit umfassenden Programmen zur Kastration beziehungsweise Sterilisation aller verwilderten Hauskatzen kombiniert mit einer entsprechenden Kastrations- und Kennzeichnungspflicht für Hauskatzen mit Freigang erzielen. Dies würde dazu führen, dass der Bestand verwilderter Katzen in kurzer Zeit deutlich abnehmen würde, und es gäbe auch keinen „Nachschub“ mehr durch Freigänger, die mit den verwilderten Katzen Nachkommen zeugen. Kastrierte Katzen zeigen übrigens auch deutlich weniger „Jagdfieber“.
Hat man irgendwo schon Praxiserfahrungen mit dieser Problemlösung gesammelt?
Die Stadt Paderborn verfährt auf diese Weise und hat damit durchweg positive Erfahrungen gemacht. Zahlreiche andere Kommunen führen inzwischen nach Paderborner Vorbild entsprechende Kommunalverordnungen ein. Seit neuestem ist dies auch auf Landesebene möglich. Das Problem verwilderter Katzen kann eingedämmt werden, ohne eine einzige Katze töten zu müssen, und auch der Vogelschutz profitiert davon. Aus diesem Grund bin ich starker Befürworter des Paderborner Modells, das im Übrigen auch der Position des Deutschen Tierschutzbundes zu dem Thema entspricht.
Wäre eine Steuer für die Haltung von Katzen, die in letzter Zeit häufig gefordert wird, nicht auch eine effektive Lösung?
Abgesehen davon, dass die Einführung einer Katzensteuer weder gesellschaftlich durchsetzbar wäre noch verwaltungstechnisch lohnend, hält der NABU eine Katzensteuer für wenig zielführend. Eine Einführung dieser Steuer wäre sogar kontraproduktiv, da dies zum Freilassen oder Verstoßen von Hauskatzen durch Katzenhalter*innen führen würde, die sich eine solche Steuer nicht leisten wollen oder können. Dadurch bekämen die für die Vogelwelt besonders gefährlichen verwilderten Populationen der Hauskatze zusätzlichen Nachschub.
Wesentlich effektiver wäre die bereits angesprochene Kastrations- und Kennzeichnungspflicht für alle freigehenden Katzen. Über die Kosten dieser Kastration tragen Katzenbesitzer*innen bei dieser Lösung ebenfalls finanziell zur Verringerung des Problems bei, und zwar viel gezielter und effektiver als über eine Katzensteuer, deren Erträge erst einmal in den öffentlichen Budgets verschwinden würde.
Was können Leute – außer der Kastration – unternehmen, damit ihre Freigänger-Katzen weniger Vögel fangen?
Wenn Katzenbesitzer*innen konsequent dafür sorgen würden, dass sich ihre Katze von Mitte Mai bis Mitte Juli in den Morgenstunden nicht im Freien aufhält, wäre den Vögeln schon sehr geholfen, denn dann sind die meisten gerade flüggen Jungvögel unterwegs!
Ein Glöckchen am Halsband verhindert zumindest das Fangen gesunder Altvögel, ist aber wenig angenehm für die Katzen. Wer viel mit den Katzen spielt, reduziert auch deren Jagdambitionen. Gefährdete Bäume mit Vogelnestern können durch katzenabweisende Manschettenringe gesichert werden. Viele heimische Straucharten, wie Weißdorn und Wildrosen, sind mit Dornen und Stacheln bewehrt und schützen die Vogelbrut vieler Freibrüter dadurch auf natürliche Weise.
Tipps
Hauskatzen rangieren als Heimtiere in der Beliebtheitsskala ganz oben. Mehr als 14 Millionen leben in Deutschland. Katzenfreund*innen können einiges tun, damit sich die Zahl der getöteten Gartenvögel in Grenzen hält. Der NABU hat einige Tipps parat. Mehr →