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Vögel erzählen Geschichten
Forschung in der NABU-Station „Die Reit“
Keine 15 Minuten braucht die S-Bahn vom Hamburger Hauptbahnhof bis in die fruchtbaren Marschlande am südöstlichen Stadtrand. Hier, in der Reit, inmitten eines 50 Hektar großen Naturschutzgebiets, befindet sich eine der wenigen Festlandstationen für Vogelberingung in Deutschland. Sven Baumung, Leiter des NABU-Stadtteilbüros Bergedorf, betreut sie gemeinsam mit seinen ehrenamtlichen Kollegen Volker Dinse, Thomas Jaschke und Horst Paetzel.
Schon während seines Studiums zog es Baumung in das Schutzgebiet, das mit seinen ausgedehnten Schilfrohrflächen, Feuchtwiesen und Teichen ein bedeutendes Rast- und Brutgebiet für mitteleuropäische Sing- und Zugvögel ist. „Die Vogelwelt hat mich immer schon interessiert und hier bist du einfach ganz dicht dran“, schwärmt der Diplombiologe. Seit über 20 Jahren beringen er und mit ihm jährlich 50 ehrenamtliche Helfer von Ende Juni bis Anfang November bis zu 5.500 Kleinvögel.
Beringung in zwei Schichten
Ohne die Unterstützung der Freizeitornithologen wäre die Beringung so vieler Tiere nicht möglich. Außer ihrer Begeisterung für die Vogelwelt brauchen die Helfer vor allem Sachkenntnis und Verantwortungsbewusstsein. Das Wissen, das für die seit 1960 standardisierte Beringungsmethode nötig ist, geben die „alten“ an die „jungen“ Beringer weiter.
Während der Fangsaison arbeiten die Freiwilligen in der Reit in zwei Schichten von Sonnenaufgang bis Einbruch der Dunkelheit. Auf ihren stündlichen Kontrollgängen überprüfen die Helfer die Netze, die auf einer Gesamtlänge von 320 Metern in zwei getrennten Anlagen mitten im Schilf gespannt sind. Jeder Vogel, der sich in den dünnen Nylonmaschen verfangen hat, wird aus dem Netz gelöst und einzeln in einem Stoffbeutel zur Station gebracht.
In der Station wird das Tier bestimmt und erhält einen nummerierten Aluminiumring, der mit einer Zange am Bein befestigt wird. Anschließend dokumentiert der Beringer den Zustand des Vogels. Er wiegt ihn und prüft seine Flugmuskulatur, bestimmt Geschlecht, Alter und Mauserzustand. Wenn alle Daten im Computer gespeichert sind, kann der Vogel durch eine kleine Holzklappe aus der Station direkt ins Freie fliegen.
Seit 1973 waren die Reit sowie die Vogelstation in Illmitz am Neusiedler See und die Station Mettnau am Bodensee wichtige Datenlieferanten für neue Erkenntnisse über den Vogelzug. Dieses MRI-Programm (Mettnau-Illmitz-Reit) hatte der Vogelzugforscher und damalige Leiter der Vogelwarte Radolfzell, Prof. Peter Berthold, ins Leben gerufen. Die Standorte waren so ausgewählt, dass sie alle für Europa wesentlichen Populationen erfassen konnten.
Das Programm ist mittlerweile ausgelaufen und der Fangbetrieb am Bodensee eingestellt worden. In der Hamburger Station wird weiterhin beringt, nun aber unter der Anleitung von Prof. Franz Bairlein vom Institut für Vogelforschung Wilhelmshaven/Vogelwarte Helgoland. Angesichts der raschen klimatischen Veränderungen und ihrer noch unabsehbaren globalen Folgen liefert die Vogelforschung unentbehrliche Daten für den Arten- und Biotopschutz und macht es möglich, Änderungen in der Vogelwelt frühzeitig zu erkennen.
Leichtgewicht auf Afrika-Tour
Auch wenn der ganze Vorgang nur wenige Minuten dauert, ist er für ein wildlebendes Tier dennoch strapaziös. „Nicht selten verhalten sich die gefangenen Vögel so anders als in freier Natur, dass selbst erfahrene Ornithologen sie manchmal nicht sofort erkennen“, erzählt Sven Baumung.
Bei manchen Vögeln kommt es auch zu sogenannten Übersprunghandlungen, wie etwa bei einem Zaunkönig, der plötzlich anfing zu singen. Besondere Höhepunkte im Leben eines Beringers sind die unverhofften Wiedersehen mit „alten Bekannten“. So wie das mit „Methusalem“, einem sieben Jahre alten Teichrohrsänger. „Wenn man bedenkt, dass dieser kleine, zwölf Gramm schwere Vogel sieben Mal die Strecke nach Afrika und zurück geflogen ist, dann hat man richtig Ehrfurcht“, gesteht Baumung.
Seit den späten 60er Jahren werden in der Reit Vögel beringt. Das erste Stationsgebäude wurde mit finanzieller Unterstützung des Bundes für Vogelschutz – heute NABU – und jeder Menge Freizeit und Körperkraft von ehrenamtlichen Helfern gebaut. Inzwischen gibt es eine neue Holzhütte, in der die Helfer während der Fangsaison übernachten. „An dem Haus haben wir immer wieder gebaut. Im Zuge der Vogelgrippe mussten wir den Arbeitsbereich durch diese Glaswand vom Gemeinschaftsraum abtrennen“, erklärt Sven Baumung und zeigt auf das große Panoramafenster, das den Blick durch das Arbeitszimmer bis hinaus auf den kleinen, von Schilf umwachsenen Teich frei gibt. „Mit etwas Glück sieht man von hier die Rohrdommel“, flüstert Baumung.
Dichtes Daten-Netz
„Ziel ist der Beringung es, etwas über das Leben der Vögel zu erfahren. Jeder Vogel hat seine Geschichte“, erläutert Baumung. Die Markierungen der Vögel mit leichten Alu- oder farbigen Kunststoffringen ermöglichen Rückschlüsse auf Zugverhalten, Bestandsentwicklung, Ortstreue und vieles mehr. Nicht nur in der Reit werden Daten gesammelt. Stationen auf Helgoland, in Radolfzell und Hiddensee sowie die europäische Euring-Zentrale in den Niederlanden bilden ein dichtes Daten-Netz. „Ohne diese Daten wüssten wir heute nicht viel über Vögel“, sagt Sven Baumung. So konnte man für einige Arten nachweisen, wie sie schon heute ihr Zugverhalten den veränderten Lebensbedingungen anpassen.
Dass eine bessere internationale Zusammenarbeit hinsichtlich der Mobilität der Vögel und des globalen Klimawandels besonders wichtig ist, davon ist auch Baumung überzeugt. Doch von seinen eigenen Aufenthalten in Russland und Afrika weiß er auch, dass viele Menschen dort andere Probleme haben, als sich um den Verbleib europäischer Singvogelarten zu sorgen. Und so gern der Orni-Experte auf Reisen ist, so gern kommt er wieder zurück in die Reit, denn „Aufgaben gibt’s hier genug“.
von Renée Püthe-Siegert