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Von oben und unten
Auch der Kormoran hat natürliche Feinde
Die positive Bestandsentwicklung beim Kormoran auf dem europäischen Kontinent ist nahezu ohne Beispiel. Seit der Vogel in den 1970er Jahren unter Schutz gestellt wurde, hat sich die Population erholt und große Teile des vormaligen Verbreitungsgebiets wieder besiedelt. Als Motor für die rasante Entwicklung wird außer dem Schutz noch ein weiterer Grund diskutiert: Es fehlen natürliche Feinde, die den Kormoran „regulieren“ könnten. Aber ist es tatsächlich so? Leben Kormorane bei uns in Deutschland heute stressfrei und ohne natürlichen Feinddruck?
Seeadler reiben eine ganze Kolonie auf
Als größter niedersächsischer See ist das Steinhuder Meer ein erstklassiger Anziehungspunkt für Wasservögel. Unmittelbar an seinem Ufer begannen im Jahr 2000 25 Kormoranpaare mit der Brut und rund 16 weitere waren noch mit dem Bau ihrer Nester beschäftigt. Da ereignete sich etwas, was zumindest in Niedersachsen bis dahin ohne Vorbild war: Wie Wissenschaftler beobachteten, flog am 5. Juni 2000 morgens ein Adler gezielt die Kolonie an, ließ sich auf einem Kormorannest nieder, tötete einen der beiden Nestlinge und begann zu fressen. Eine halbe Stunde später trug er das Geschwister in Richtung seines Horstes davon. Selbstverständlich konnten die alten Kormorane gegen den übermächtigen Feind nichts unternehmen. Bereits zwei Tage später waren alle 25 Nester verlassen. Übrig waren nicht mehr als zwei eben ausgeflogene Jungkormorane.
Ein Jahr später wiederholte sich das Geschehen auf ähnliche Weise. Mitte Mai bestand die Kolonie aus 24 besetzten Nestern. Am 11., 19. und 21. Mai wurde bei der Kolonie jeweils für längere Zeit ein noch jugendlicher Seeadler beobachtet. Die meisten Kormorane verließen bei der Ankunft des großen Greifvogels ihre Nester und hielten Fluchtdistanzen von etwa 150 Metern ein. Am 29. Mai war die Kolonie verwaist. In der Saison 2001 flog nicht ein einziger Jungvogel aus.
Gleichzeitig bestand ein Schlaf- und Ruheplatz der Vögel in Bäumen an einem ruhigen Uferbereich des Sees. Hier ruhten zeitweise mehrere Hundert der schwarzen Vögel. Nun aber zogen sie unter dem Einfluss der großen Greifvögel in die Nähe eines Uferstücks um, das stark von Menschen begangen und von den scheuen Seeadlern zumindest tagsüber weitgehend gemieden wird.
Bis in die jüngste Vergangenheit (2009) haben am Steinhuder Meer keine Kormorane mehr gebrütet. Die wenigen Seeadler hatten also die dauerhafte Ansiedlung einer Kormorankolonie verhindert und auch die nicht brütenden Kormorane in ihrem Verhalten beeinflusst.
Keine Abwehr gegen den Seeadler
Beobachtungen von Seeadlern, die sich in dem Bereich von Kormorankolonien aufhalten, gibt es mittlerweile zahlreich. Dass sie das sich bietende üppige Nahrungsangebot ungenutzt lassen, wäre naiv zu glauben. Aber wie groß ist der Einfluss? Wie das Beispiel am Steinhuder Meer zeigt, können schon wenige Seeadler, vermutlich ein einziges Paar, eine kleine Kolonie komplett aufreiben und die dauerhafte Ansiedlung verhindern. In einer großen Kolonie dürfte es sicher seltener passieren, dass der ganze Standort aufgegeben wird. Die einzelnen Kormorane bauen da vielleicht auf den Verdünnungseffekt. Unter mehreren hundert, tausend oder noch mehr Brutpaaren hat das einzelne Paar eine gute Chance, seine Jungen trotz der Seeadler groß zu ziehen. Dagegen arbeiten wieder die großen Greifvögel: durch Vermehrung ihrer Zahl und durch Spezialisierung. Man darf allerdings eines nicht vergessen: Für die Adler gibt es so bequem zu erreichende Beute in der Kolonie nur innerhalb eines engen Zeitfensters im Jahr.
Ein brauchbares Rezept gegen die Seeadler dürften die Kormorane nicht wirklich haben. Auch eine neu gegründete Kolonie kann von den Adlern leicht entdeckt werden. Bei dem großen Aktionsradius der fliegenden Beutegreifer von mindestens zehn Kilometern um den Horst herum müssten die Kormorane schon an einen recht entfernt gelegenen Ort umziehen, um ihnen zu entgehen. Die Begegnungen beider Arten werden sich mit Zunahme der Seeadler in Deutschland mehren. Es wäre nun spannend zu beobachten, ob die Kormorane auf den Feinddruck reagieren. Je stärker der Brutbeginn synchronisiert wird, desto eher steigt die Überlebenswahrscheinlichkeit des einzelnen Jungvogels. Auch die Koloniegröße ist ein Maß, an dem die Kormorane drehen könnten. In einer großen Kolonie verdünnt sich zwar der Effekt des einzelnen Fressfeindes. Aber gleichzeitig zieht sie auch mehr Feinde an. Auf ungünstige Bedingungen reagieren Kormorane sowohl in den Brutkolonien als auch bei den Schlafplätzen durch Zersplitterung in kleinere Tochtergruppen.
Steinadler und Uhu, Habicht und Silbermöwe
Ein weiterer großer Adler ist es, der zurzeit in Dänemark den Kormoranen zu schaffen macht. Vermutlich von einer kleinen Population im südlichen Schweden abstammend besiedelte 1997 ein Steinadlerpaar Nordjütland und brütete 1999 wohl erstmals erfolgreich, und zwar in der Nähe einer großen Kormorankolonie. Wie sich beobachten ließ, erbeuteten die Steinadler junge Kormorane in ihren Nestern und schlugen Altvögel sogar im Flug.
Am hessischen Kühkopf gibt es seit langem nebeneinander eine Graureiher- und eine Kormorankolonie. Im Jahr 2001 hat sich ein Uhupaar in einem leeren Greifvogelhorst genau zwischen beiden Kolonien niedergelassen. Junge Graureiher sind den großen Eulen schon als Beute nachgewiesen worden. Seit 2004 brüten drei Uhupaare im Gebiet. Im Jahr 2005 verließen Reiher wie Kormorane den alten Standort und bildeten etwa einen Kilometer entfernt eine neue Mischkolonie. 2008 und 2009 hat sich am Rand der neuen Kolonie wieder ein Uhupaar eingenistet. Da nähere Beobachtungen noch nicht vorliegen, muss man vorsichtigerweise sagen: Uhus sind die nächsten Kandidaten, die auf die Kormorane einwirken könnten. Auch der Habicht ist schon an verschiedenen Stellen in Deutschland beim Beutemachen an den Nestern der Kormorane beobachtet worden. Auf der kleinen Ostseeinsel Heuwiese vor Rügen bauen Kormorane seit langem ihre Nester am Boden. Hier dringen Silbermöwen ein und machen sich über Eier und Jungvögel her.
Gefahr von unten: Waschbär & Co.
In Brandenburg sind gleich in einer ganzen Reihe von Fällen Kormorankolonien plötzlich verlassen worden, wie beispielsweise 2008 am Gülper See und am Plessower See. Direkte Beobachtungen, leer gefressene Eischalen, Fußabdrücke im Schlamm und Kratzspuren an den Bäumen haben gezeigt: Waschbären sind die Täter. Sie stören die Vögel bei Nacht auf ihren Nestern und erklettern selbst die höchsten Brutbäume. In demselben Jahr gingen in der Kolonie Paretzer Tonstiche allein an die 300 Gelege durch den Waschbären verloren. Jedes dritte der daraufhin begonnenen Nachgelege blieb ebenfalls ohne Bruterfolg.
Bodennester von Kormoranen unterliegen weiteren Bedrohungen, beispielsweise durch den Mink, einen kleinen aus Amerika stammenden Verwandten des Nerzes. Auch unter den heimischen Säugetieren gibt es genügend Fressfeinde, die den Kormoranen oder ihren Gelegen gefährlich werden könnten. In Frage kommen zuerst die guten Kletterer wie Baum- und Steinmarder. Gelege und Jungvögel in erreichbaren Bodenkolonien dürften eine leichte Beute von Fuchs, Dachs, lltis, Marderhund und Wildschwein werden, vielleicht auch vom Fischotter. Derzeit steht außer Frage: Es ist einfach nur ein Mangel an Beobachtungen oder Nachweisen, wenn man darüber noch nicht viel Konkretes weiß. Gerade für Füchse dürfte eine am Boden brütende Kormorankolonie leichtes Spiel bedeuten.
Flucht und Vermehrung: die Waffen des Kormorans
Kormorane haben gegenüber fliegenden wie kletternden Fressfeinden wenig Abwehr zu bieten. Sie suchen ihr Heil in der Flucht. Auf dem Wasser versuchen sie sich tauchend zu retten. Wenn sie ihre Brutkolonien verlassen, opfern sie unter Umständen ihre Gelege und die wehrlosen Jungen im Nest.
Die Hauptwaffe der Kormorane ist jedoch Vermehrung. Aber diese Waffe wirkt nur begrenzt. Das Gelege besteht meist aus drei bis vier Eiern. Die Bebrütung dauert vier Wochen, die Jungen werden danach etwa 50 Tage lang im Nest betreut, sind aber erst mit zwei Monaten richtig flügge und danach noch weitere drei Monate lang von den Eltern abhängig. Für mehr als eine Brut pro Jahr reicht es nicht. Die Jungen werden erst im dritten oder vierten Lebensjahr reif für die Fortpflanzung. Wenn die natürlichen Feinde sich auf Eier und Junge im Nest konzentrieren, verliert Vermehrung als Waffe des Kormorans ihre Wirkung. Das schnelle Wachstum einer Kolonie kommt sicher eher durch Zuzug als durch Nachwuchs zustande. Das Wachstum der mitteleuropäischen Kormoranpopulation ist inzwischen schon gestoppt.
Fazit: Kormoran unter Druck, aber noch nicht akut gefährdet
In Mitteleuropa ist der Kormoran nach seiner historischen Erholung zurzeit anscheinend nicht gefährdet – noch nicht. Doch nach der anfänglichen rasanten Vermehrung der geschützten Vögel tauchen jetzt überall natürliche Feinde auf, die sich auf ihn einstellen. Zunächst sind die Eier und die Jungvögel im Nest in Gefahr. Doch auch die Altvögel sind nicht sicher. Wenn wir Menschen den Kormoran zusätzlich aus unversöhnlichem Hass, aus biologischer Unkenntnis und mit steigender Intensität verfolgen, wird ihn das bald wieder an den Rand der Ausrottung bringen. Das hatten wir schon einmal…
Man sollte sich damit zufrieden geben, einfach abzuwarten. Die natürlichen Feinde des Kormorans sind aktiver als man denkt. Aber mit ihnen würde die Population auf Dauer leben können. Anlass zu verstärkter Sorge gibt allerdings der vom Menschen erzeugte Feinddruck. Die Kormoranpopulation hat ihr Wachstum bereits eingestellt.
Hans-Heiner Bergmann und Thomas Brandt